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16. Juli 2012 307/12 Forschung
Diskriminiert und ausgegrenzt?
Niedersächsische Studie zu Lebenssituation und -gestaltung von jungen Männern mit Migrationshintergrund
Oldenburg. Erfahrungen mit Diskriminierung und Sichtweisen von Männlichkeit – diese beiden Themen standen im Mittelpunkt einer Befragung männlicher Jugendlicher und junger Männer mit und ohne Migrationshintergrund in Niedersachsen. „Dabei mussten wir feststellen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund sich in hohem Maße mit Ausgrenzung und Diskriminierung konfrontiert sehen und dies als eine deutliche Belastung empfinden“, erklärt Prof. Dr. Rudolf Leiprecht, Pädagoge an der Universität Oldenburg und Initiator der Studie „Quantitative Erhebung zur Lebenssituation und Lebensgestaltung von männlichen Jugendlichen mit Migrationsgeschichte in Niedersachsen“. Gefördert wurde die gerade abgeschlossene Untersuchung vom Niedersächsischen Wissenschaftsministerium (MWK).
„Die Lebenssituation von Migranten zu erforschen, gibt uns wichtige Informationen für einen besseren Zusammenhalt der Gesellschaft. Die Untersuchung zeigt mögliche Ansatzpunkte für die Integrationsarbeit vor Ort und gibt dafür wertvolle Impulse“, stellt die Niedersächsische Wissenschaftsministerin, Prof. Dr. Johanna Wanka, heraus.
Leiprecht ist Experte für Rassismusprävention und diversitätsbewusster Sozialpädagogik. Zusammen mit seinen Mitarbeitern Erol Karayaz und Alexander Langerfeldt untersuchte er die Erfahrungen und Sichtweisen von über 700 männlichen Jugendlichen beziehungsweise jungen Männern im Alter von 15 bis 21 Jahren. Dabei befragten sie drei Gruppen: Männliche Jugendliche 1. mit türkischem, 2. mit polnischem oder russischem und 3. ohne Migrationshintergrund. Das Bildungsniveau der Befragten lag im Haupt- und Realschulbereich. Die Unterscheidung nach Migrationshintergründen entspreche einer groben Einteilung, da es sich in Wirklichkeit keineswegs um homogene Gruppen handele, betont Leiprecht. „Für die einzelnen Jugendlichen ist der Migrationshintergrund oft nicht die bedeutsamste Unterscheidungskategorie und meistens nicht der einzig wichtige Faktor in ihrem Leben. Dennoch sind sie sich der sozialen Zuordnung bewusst, die so oder so ähnlich – oft mit Hilfe von Bezeichnungen wie ‚Ausländer’, ‚Türken’ oder ‚Russen’ – in der Gesellschaft vorgenommen werden und die eine (negative) Wirkung entfalten.“
Dies zeigt sich auch in den Ergebnissen der Studie. Obwohl über die Hälfte der Befragten mit türkischem Migrationshintergrund die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, fühlen sie sich mehrheitlich (51 Prozent) als „Ausländer“. Bei Jugendlichen mit russischem oder polnischem Migrationshintergrund und deutscher Staatsangehörigkeit lag der Wert mit 38 Prozent deutlich niedriger. Beiden Gruppen ist jedoch gemeinsam, dass sie sich in erheblichem Umfang ausgegrenzt fühlen, wobei dies als deutliche Belastung erlebt wird. „Die Selbstzuordnung als ‚Ausländer’ in beiden Gruppen und ihre Diskriminierungserfahrungen stellen eine gewaltige Herausforderung für die Gesellschaft dar. Die Ursachen liegen vor allem darin, dass die so genannte Mehrheitsgesellschaft Probleme hat, Jugendliche mit Migrationshintergrund als selbstverständlich zugehörig einzuordnen“, so Leiprecht.
Verglichen haben die Oldenburger Wissenschaftler ihre Ergebnisse mit einer Studie von Ursula Boos-Nünning und Yasemin Karakasoglu über junge Frauen mit Migrationshintergrund. Dabei zeigte sich, dass junge Männer und junge Frauen mit Migrationshintergrund unterschiedliche Erfahrungen machen: Die männlichen Jugendlichen erleben eineinhalb Mal häufiger diskriminierende Situationen als weibliche. „Offenbar wirken sich in den Erfahrungen der Jugendlichen stereotype Negativ-Zuschreibungen aus – bedrohlich, gefährlich, gewalttätig. Negativ-Zuschreibungen, die in besonderer Weise auf männliche Jugendliche gerichtet sind“, erläutert Leiprecht.
Angesichts dieser Zuschreibungen untersuchten die Wissenschaftler außerdem das Selbstbild der Jugendlichen – und zwar mit Blick auf Männlichkeit. Überraschendes Resultat: Das Bild „sanfter Männlichkeit“ traf bei Jugendlichen mit türkischem Hintergrund im Durchschnitt auf hohe Zustimmung. Diejenigen mit russischem bzw. polnischem lehnten es jedoch genauso ab wie Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Wird nach der traditionellen Männlichkeit in der Familie gefragt, so ergeben sich allerdings teilweise ganz andere Ergebnisse: Hier sind es stets die Jugendlichen ohne Migrationshintergrund, die sich durchschnittlich weniger hart und weniger traditionell zeigten. Insgesamt macht die Untersuchung deutlich, dass die Männlichkeitskonstruktionen komplexer und uneinheitlicher sind, als dies gemeinhin angenommen wird.
„Für die Arbeit in pädagogischen Handlungsfeldern bedeutet dies, dass vor schnellen Einordnungen und Fixierungen gewarnt werden muss: Nicht wenige Jugendliche zeigen Denkmuster und Sichtweisen, die recht widersprüchlich sind“, so Leiprecht. Es komme darauf an, die „positive Seite“ bei der pädagogischen Arbeit zu unterstützen. Gleichzeitig sei eine größere Aufmerksamkeit gegenüber Diskriminierung und Ausgrenzung dringend geboten.
ⓘ | www.uni-oldenburg.de |
ⓚ | Kontakt: Prof. Dr. Rudolf Leiprecht, Tel.: 0441/798-2040, E-Mail: rudolf.leiprechtuni-oldenburg.de |