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12. Dezember 2024 196/24 Forschung
Ein neues Werkzeug zur Kontrolle atomarer Zustände
Forschende manipulieren Helium-Atome mit geformten Laserpulsen in extremem Energiebereich / Oldenburger Physiker an Studie beteiligt
Oldenburg. Einem internationalen Team von Wissenschaftler*innen unter der Leitung von Dr. Lukas Bruder von der Universität Freiburg ist es gelungen, eine neue Methode zu demonstrieren, um Vorgänge auf atomarer Ebene mit Hilfe von extrem kurzen, hochintensiven und sehr energiereichen Laserpulsen zu erforschen und zu kontrollieren. An der Studie, die im Fachjournal Nature veröffentlicht wurde, war auch der Physiker Prof. Dr. Matthias Wollenhaupt von der Universität Oldenburg beteiligt. Wie die Forschenden schreiben, könnte ihre Methode die Basis bilden, um beispielsweise chemische Reaktionen präziser als bisher untersuchen oder sogar steuern zu können.
Das Team verwendete den Freie-Elektronen-Laser FERMI in Triest, Italien, benannt nach dem italienischen Kernphysiker Enrico Fermi. Die Maschine ist in der Lage, ultrakurze Lichtpulse mit gewaltiger Energie im extrem-ultravioletten (EUV) Bereich des Spektrums zu erzeugen. Den Forschenden gelang es erstmals, in diesem Wellenlängenbereich gezielt Lichtpulse zu formen und damit Helium-Atome zu manipulieren. „Im sichtbaren Bereich des Lichts ist die Technik der Pulsformung bereits seit längerem etabliert. Dass dies nun auch im extremen UV-Bereich gelungen ist, stellt uns ein neues, mächtiges Werkzeug der Quantenkontrolle zur Verfügung“, sagt Wollenhaupt, der an der Universität Oldenburg die Arbeitsgruppe „Ultraschnelle Kohärente Dynamik“ leitet. Unter Quantenkontrolle verstehen Fachleute die Steuerung von Prozessen auf atomarer Ebene, die den seltsamen Gesetzen der Quantenphysik gehorchen.
In ihrem Experiment setzten die Forschenden spezielle EUV-Laserpulse ein, deren Frequenz sich im Verlauf des Signals ändert. Fachleute sprechen von „zwitschernden“ oder „gechirpten“ Pulsen, da vergleichbare akustische Signale dem Gezwitscher von Vögeln ähneln. Mit diesen Pulsen versetzten sie Helium-Atome in kurzlebige Quantenzustände, in denen das Lichtfeld und die Helium-Atome gewissermaßen eine Einheit bilden. Da die Atome des Edelgases Helium besonders stabil sind, waren Laserpulse aus sehr energiereichem Licht nötig, um diese Quantenzustände zu erzeugen. „Man spricht dabei von bekleideten Zuständen, auf Englisch ‚dressed states‘. Sie dauern nur so lange an, wie auch der Laserpuls andauert“, erläutert Wollenhaupt. In diesen Zuständen verschieben sich die Energieniveaus der Elektronen im Atom gegenüber dem ungestörten Zustand und spalten sich zudem in ein sogenanntes Dublett auf. Wie die Forschenden schreiben, gelang es ihnen erstmals, die Form dieses Dubletts durch unterschiedlich gechirpte Laserpulse gezielt zu kontrollieren.
Das aktuelle Experiment baut auf einer Arbeit von einem Team um Wollenhaupt auf, zu jener Zeit noch an der Universität Kassel, die bereits 2006 veröffentlicht worden war. Damals verwendeten die Forschenden Laserpulse im sichtbaren und infraroten Bereich des Lichts, um das entsprechende Dublett in Kalium-Atomen mit gechirpten Pulsen zu kontrollieren. Der Oldenburger Physiker ist Spezialist für Quantenkontrolle mit Hilfe gezielt geformter Laserpulse. Diese Expertise war auch im aktuellen Experiment entscheidend, um gechirpte Laserpulse im EUV-Bereich zur Quantenkontrolle zu verwenden. „Die von uns entwickelte Technik eröffnet ein neues Forschungsfeld“, so Hauptautor Bruder. „Es ergeben sich neue Möglichkeiten, Experimente mit Freie-Elektronen-Lasern deutlich effizienter und selektiver zu machen. Es können neue Einblicke in fundamentale Quantensysteme gewonnen werden, die mit sichtbarem Licht nicht erreichbar sind.“
Neben Wollenhaupt und dem Freiburger Team waren Forschende des Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme in Dresden, des Instituts für Photonik und Nanotechnologie in Mailand (Italien), der Universität Innsbruck (Österreich), der Universität Göteborg (Schweden), des Instituts für Materialwissenschaften in Triest, des Nationalen Instituts für Kernphysik in Rom (Italien), des Deutschen Elektronen-Synchrotrons in Hamburg, der Universität Aarhus (Dänemark) und der Universität Hamburg an der Publikation beteiligt.
Originalpublikation: Fabian Richter et al.: “Strong-field quantum control in the extreme ultraviolet using pulse shaping”, Nature 636 (2024), DOI: doi.org/10.1038/s41586-024-08209-y
Weblinks
Bilder
Experimentierhalle des FERMI-Lasers in Triest. Foto: Elettra Sincrotrone Trieste |
Luftbild des Forschungszentrums. Foto: Elettra Sincrotrone Trieste |
Kontakt
Prof. Dr. Matthias Wollenhaupt, Tel.: 0441/798-3482, E-Mail: