23. Juli 2014 291/14 Forschung
Oldenburg. Die Sterblichkeit unter Kindern des Oldenburger Gertrudenheims in Blankenburg hatte während des Naziregimes traurige Rekorde zu verzeichnen. Zu diesem Ergebnis kommt Hanna Tilgner in ihrer Bachelorarbeit „Pflege im Nationalsozialismus: Sterblichkeit im Gertrudenheim Kloster Blankenburg in Oldenburg in den Jahren 1937-41“, die Dr. Ingo Harms und Prof. Dr. Gisela Schulze, Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik, betreut haben. „Natürliche Todesursachen scheiden weitgehend aus“, urteilt die Autorin der medizinhistorischen Untersuchung.
Zwar sei nach den bisherigen Erkenntnissen schon zu vermuten gewesen, dass die Lebensbedingungen im Gertrudenheim mit denen der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen vergleichbar waren – Hunger und Vernachlässigung dienten als Instrumente zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, wie sie die nationalsozialistische Ideologie propagierte. Allerdings konnte aufgrund der fragmentarischen Quellenlage bislang kein eindeutiger Nachweis geführt werden. Durch gründliche Recherche und Auswertung statistischen Materials konnte die Studentin der Sonderpädagogik diese Forschungslücke nun schließen. Mit der Auswertung Hunderter von Patientenakten gehe Tilgners Studie weit über die Ansprüche an eine Bachelorarbeit hinaus und leiste einen wichtigen Beitrag zur regionalen Medizin- und Sozialgeschichte, so der Medizinhistoriker Harms.
Während der Zeit des Nationalsozialismus sind in Deutschland mehr als 200.000 Menschen in Heimen und Anstalten ermordet worden. Lange ging man davon aus, dass die Region Oldenburg von dem sogenannten Euthanasie-Programm nicht betroffen war. Erst die in den 1990er Jahren einsetzende medizinhistorische Forschung an der Universität Oldenburg korrigierte dieses Bild. „Die Oldenburger Behörden waren der NS-Euthanasie sogar vorausgeeilt und hatten in der Anstalt Wehnen ein Todesregime installiert“, stellt Harms fest. Mit Tilgners Forschungsergebnissen könne auch die aktuelle Diskussion um die Nutzung der Anlage Blankenburg einen wichtigen neuen Aspekt erhalten, so der Wissenschaftler.
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ⓚ | Kontakt: PD Dr. Ingo Harms, Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik, Tel.: 0441/52333, E-Mail: ingo.harmsuni-oldenburg.de |