WissenschaftsZeitVertragsGesetz (WissZeitVG)

Hybridveranstaltung zur Evaluation und Reformierung des WissZeitVG

Arbeiten unter dem WissenschaftsZeitVertragsGesetz – Befristungsrealität an deutschen Universitäten

Kurze Arbeitsverträge, ständige Befristungen, viele Überstunden, keine Planungssicherheit- das sind die Merkmale der Arbeitsbedingungen in Wissenschaft und Forschung.

Nicht erst seit #IchBinHanna ist klar: Reformen sind hier dringend erforderlich und überfällig!

Ermöglicht werden diese prekären und schwierigen Beschäftigungsverhältnisse durch das WissZeitVG. Dieses nur für die Wissenschaft geltende Sonderbefristungsgesetz wurde 2007 eingeführt. 2016 wurde es mit dem Ziel überarbeitet, das Befristungsunwesen abzustellen und angemessene Laufzeiten der Arbeitsverträge zu gewährleisten. Ob dieses Ziel erreicht wurde, hat nun eine erneute Evaluation im Auftrag des BMBF untersucht.

Leider nein, sagt Sonja Staack, ver.di - Bereich Bildung, Wissenschaft & Forschung. Im Rahmen der Veranstaltung stellt sie die Ergebnisse der Evaluation vor und begründet ihre Einschätzung.

Dr. Mathias Kuhnt, TU Dresden präsentiert die Erkenntnisse einer alternativen Evaluation des WissZeitVG. Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft hat sie auf den Weg gebracht, um zusätzlich zur Befristungssituation auch die Arbeitsbedingungen in den Fokus zu nehmen. Die Referent*innen sind online zugeschaltet.

Die Vernstaltung fand am 07.07.2022 statt und steht über YouTube zur Verfügung. Wir laden alle wissenschaftlich Mitarbeitenden und Interessierte ganz herzlich ein, Kolleg*Innen anzusprechen, zu diskutieren, Positionen und Forderungen zu formulieren und Einfluss auf den Reformierungsprozess des WissZeitVG zu nehmen.

 

 

Veranstalterinnen:
Promovierendenvertretung an der Uni Oldenburg
ver.di-Betriebsgruppe C.v.O.-Universität
Kooperationsstelle Hochschule – Gewerkschaften Oldenburg

 

 



 
  

Statement zum WissZeitVG

Die Promovierendenvertretung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg schließt sich dem Statement zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) folgender Organisationen an:

  • Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen - bukof
  • Deutscher Gewerkschaftsbund - DGB
  • Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft - GEW
  • Netzwerk der Promovierenden der Helmholtz Gemeinschaft - Helmholtz Juniors
  • Netzwerk der Promovierenden der Leibniz Gemeinschaft - Leibniz PhD Network
  • Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft - NGA Wiss
  • Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di
  • Verein für neue Anreize in der Wissenschaft - respect science

Plädoyer für eine Reform des Befristungsrechts

Die Wissenschaft in Deutschland ist in einer Krise. Es ist eine Krise des verschwendeten Potenzials ‒ eine Krise, die auf Kosten derjenigen ausgetragen wird, die das System maßgeblich tragen: der Wissenschaftler*innen ohne Professur. Unsicherheit und Zukunftsängste, Stress und zugespitzte Abhängigkeitsverhältnisse prägen den Alltag von Wissenschaft als Beruf. Obwohl inzwischen der Großteil von Forschung und Lehre von Wissenschaftler:innen ohne Professur gestemmt wird, sind verlässliche Arbeitsverhältnisse und berechenbare Perspektiven in der Regel nur für Professor*innen vorgesehen.

Wie produktiv könnte unsere Wissenschaft sein, wenn sie das Potenzial, das in unserem wissenschaftlichen Personal steckt, voll heben würde?

Wissenschaft ist nicht zuletzt Denkarbeit, Experimentieren und kritisches Hinterfragen. Doch das braucht Zeit ‒ und lässt sich mit Hektik und Zukunftsangst nur unter Qualitätsverlusten und Selbstausbeutung verbinden. Die Eigenheiten des akademischen Karriereweges betreffen dabei nicht alle gleich. Nach wie vor haben Machtverhältnisse anhand von Faktoren wie race, class, gender und abilty einen prägenden Einfluss auf Zugänge, Berufswege und Karrierechancen in der Wissenschaft.

Die Arbeitsverhältnisse der Promovierenden und Postdocs werden heute überwiegend nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) geregelt. Dieses Gesetz wurde 2016 novelliert und der Einfluss dieser Novelle auf die Arbeitsverhältnisse in mehreren (im letzten Monat) publizierten Studien untersucht. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Eine Trendwende hin zu mehr unbefristeten Arbeitsverhältnissen ist ausgeblieben, der Anteil der Kurzzeitverträge mit Laufzeiten von einem Jahr oder weniger wurde nicht nachhaltig reduziert. Qualifikationszeiten sind von den Vertragslaufzeiten nicht annähernd gedeckt. Die Instrumente des Nachteilsausgleichs entfalten keine verlässliche Wirkung. Die unterzeichnenden Organisationen sind deshalb überzeugt, dass jetzt eine mutige und grundlegende Reform des Sonderbefristungsrechts für die Wissenschaft notwendig ist.

Eckpunkte für mehr Planbarkeit und Chancengleichheit der Berufswege in der Wissenschaft:

  1. Der Qualifizierungsbegriff im WissZeitVG muss eng geführt und juristisch bindend definiert werden.
  2. Eine Anstellung zur Promotion kann eine Befristung begründen. Für andere Qualifizierungsziele als Begründung für eine befristete Beschäftigung sehen wir in dieser Phase keine Berechtigung.
  3. Mit dem Eintritt in die Postdoc-Phase sollte in der Regel ein unbefristeter Arbeitsvertrag oder zumindest ein planbares Verfahren zur Entfristung in der Wissenschaft verbunden sein. Beschäftigte, deren Arbeit von Daueraufgaben geprägt ist, müssen auf Dauerstellen beschäftigt werden.
  4. Vertragslaufzeiten müssen den angestrebten Qualifikationszielen entsprechen. Wie die Evaluationen eindrucksvoll zeigen, ist dies nicht der Fall: Mittlere effektive Vertragslaufzeiten bei Promovierenden von etwa 20 Monaten bei einer durchschnittlichen Promotionszeit von 4,7 Jahren (vgl. Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021) zeigen, dass die WissZeitVG-Novelle von 2016, an ihren eigenen Zielen gemessen, gescheitert ist. Die durchschnittlichen Qualifizierungszeiten sollten daher fächerspezifisch regelmäßig erhoben werden, um auf dieser Grundlage verbindliche Vorgaben zu machen. Unverbindliche Gesetzesformulierungen sind offenkundig nicht ausreichend.
  5. Verlängerungen der Höchstbefristungsdauer (§ 2 Absatz 1 Sätze 4-6 WissZeitVG) führen, wie die Evaluation gezeigt hat, bisher kaum zu faktischen Vertragsverlängerungen und sollten als Rechtsansprüche der Beschäftigten neu ausgestaltet werden. Verlängerungsansprüche sollten hierbei für alle Beschäftigten zugänglich sein, die mit dem Ziel angestellt werden, eine Qualifizierung zu absolvieren.
  6. Die Tarifsperre muss aufgehoben werden. Nur beim Thema Befristung in der Wissenschaft ist den Sozialpartnern durch das Arbeitsrecht verboten, wesentliche Fragen der Arbeitsbedingungen tariflich zu regeln. Dies steht im eklatanten Widerspruch zum im Koalitionsvertrag verankerten Ziel der Bundesregierung, die Tarifautonomie zu stärken.

Zum Positionspapier WissZeitVG des BMBF

Wir sind MitunterzeichnerInnen des folgenden offenen Briefes:

Stellungnahme der Promovierendenvertretenden zur geplanten Novellierung des
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes


Sehr geehrtes BMBF, sehr geehrte Frau Ministerin Stark-Watzinger,
Am 17.03.23 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seine Eckpunkte
eines Gesetzentwurfs zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG)
veröffentlicht.1 Zu diesem Reformentwurf haben sich bereits einige Statusgruppen und
Interessenvertretungen geäußert, eine klare Position für die Promovierenden wurde darin
jedoch nicht vertreten, obwohl sie die größte Gruppe der vom WissZeitVG Betroffenen und
eine tragende Säule des deutschen Wissenschaftssystems sind. Promovierende forschen
nicht nur an ihren eigenen Projekten oder im Team, sie lehren, veröffentlichen und
administrieren auch in erheblichem Umfang, und das bei geringerem Lohn und zu 98 Prozent
in befristeten Stellen, wenn sie überhaupt eine Anstellung haben. Dem Bedarf nach einer
eigenen Stimme in der Debatte gehen wir als Promovierendenvertretungen aus ganz
Deutschland in diesem Positionspapier nach. Unser Netzwerk umfasst 43 lokale und
überregionale Vertretungen an Hochschulen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen, die rund 100.000, also 50 Prozent aller deutschen Promovierenden
repräsentieren.
Wir begrüßen Ihren Vorstoß, „Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessern“ und
„Vertragslaufzeiten bei Promotionen an die erwartbare Promotionsdauer anpassen“ zu wollen.
Beide Ziele sind besonders unterstützenswert und wir erhoffen uns ihre konsequente
Umsetzung in konkreten Maßnahmen. Bei dieser Umsetzung sehen wir allerdings noch
Anpassungsbedarf.
Die vorgeschlagene Mindestvertragsdauer von drei Jahren stellt zwar eine Verbesserung
gegenüber dem status quo dar, verhindert aber keine Kettenverträge. Drei Jahre reichen in
keiner Fachkultur aus, um eine Promotion abzuschließen. Laut des Bundesberichts
Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021, an dem Sie als BMBF beteiligt waren, liegt die
allgemeine Promotionsdauer durchschnittlich bei 5,7 Jahren (ausgenommen Humanmedizin).3
Wir fordern, dass das WissZeitVG der Statistik folgt und sechs Jahre Anstellungsdauer zur
verbindlichen Regel und nicht zur Ausnahme macht. Eine fachspezifische Verkürzung dieser
Regelung sollte nur im Konsens mit einer Promovierendenvertretung vorgenommen werden
können.
Wir begrüßen grundsätzlich die Kopplung von Qualifizierungsziel und Befristungsdauer,
vermissen jedoch auch hier eine konsequente Durchführung. Die im Reformentwurf
vorgeschlagenen Soll-Regelungen geben für alle Beteiligten keine Planungssicherheit und der
derzeit bestehende Flickenteppich an hochschul- und länderabhängigen Handhabungen
bliebe damit weiter bestehen. Wir fordern daher, die vorgeschlagenen Befristungsdauern als
Muss-Regelungen anzulegen.
Ihr Eckpunktepapier stellt leider noch keinen effektiven Schutz der Promovierenden vor
Ausbeutung sicher. Denn vor allem internationale Promovierende stehen durch Kettenverträge
vor existenziellen Gefahren: Ihre Visa sind oft an ihre Arbeitsverträge geknüpft. Kombiniert mit
einer Befristung, die die tatsächliche Dauer der Promotion nicht abdeckt, geraten die
Betroffenen in prekäre Abhängigkeitsverhältnisse. Für alle Promovierenden gilt, dass
Finanzierungslücken die selbständige wissenschaftliche Arbeit hemmen, unterbrechen oder
eine Weiterführung sogar vollständig verhindern. Der Wissenschaftsrat fordert zu Recht, dass
diese Umstände nicht zu Lasten der Promovierenden gehen sollten.4 Wir sehen daher Sie als
BMBF in der Pflicht, diesem Missstand durch gute Gesetzgebung entgegenzuwirken.
Promovierende übernehmen in der Lehre und der akademischen Selbstverwaltung
unverzichtbare Aufgaben, die über die Arbeit an der eigenen Forschung hinausgehen, in Stellen als Wissenschaftliche Mitarbeitende oder im Rahmen von Lehraufträgen. Diese
zusätzlichen Aufgaben sehen wir als Bereicherung, solange sie die Arbeit an der Promotion
nicht übermäßig beeinträchtigen, was leider nicht selten der Fall ist. Qualifikationsunabhängige
Aufgaben verlängern die Promotionsdauer, führen bisher aber nicht zu einer Verlängerung der
Mindestbefristung. Wir fordern daher, dass das reformierte WissZeitVG den
Qualifikationsbegriff klar definiert und Maßnahmen schafft, die Mehrbelastung zu
beschränken. Es muss einen garantierten Mindestanteil von 75 Prozent der bezahlten Stunden
nur für die Arbeit an der eigenen Forschung geben.
Der überwiegende Anteil der Promovierenden ist unfreiwillig in Teilzeitstellen beschäftigt.5 Die
Stellen reflektieren weder die Arbeitsbelastung der Promovierenden, die in der Regel deutlich
mehr als die bezahlten Stunden arbeiten, noch verlängert eine Teilzeitanstellung die
Befristungsdauer der Anstellung. Die im Gesetz aufgeführten Fristen müssten sich daher auf
eine Vollzeitstelle beziehen und bei Teilzeitanstellungen anteilig verlängert werden. Andernfalls
bleibt die Bezahlung von Promotionen im Monatsgehalt und in der bezahlten
Gesamtforschungsdauer unbegründet ungleich.
Um den Wissenschaftsstandort Deutschland langfristig attraktiv und konkurrenzfähig zu halten
und den nicht zu Unrecht befürchteten “Brain Drain” zu verhindern, muss die wissenschaftliche
Karriere auch für junge Menschen eine attraktive Wahl werden. Promovierende sind intrinsisch
hoch motiviert,6 doch die systemisch angelegten unnötigen Hürden sieben vor allem jene aus,
die sich Unsicherheit und Abhängigkeit nicht leisten können oder wollen und nicht die, die für
Forschung und Lehre am besten geeignet wären.
Wir begrüßen deshalb die angekündigte Überarbeitung des Reformentwurfs und fordern, dass
er Ihrem Anspruch auf grundlegende Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gerecht wird.
Unsere Forderungen für ein zukunftsfähiges WissZeitVG sind zusammengefasst:
Sechs Jahre regelmäßige Anstellungsdauer statt systematische Kettenverträge
Muss-Regelungen für Mindestbefristungen, Ausnahmen nur bei Konsens mit der
Promovierendenvertretung
Prozentual entsprechende Verlängerung der Befristungsdauer bei Teilzeitstellen
Klare Definition des Qualifikationsbegriffs
Schutz vor qualifikationsunabhängiger Mehrbelastung durch Garantie von 75% der
bezahlten Arbeitszeit für eigene Forschung
Mit freundlichen Grüßen


1 www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2023/230317-wisszeitvg.pdf
2 98% der unter 35-jährigen Angestellten im wissenschaftlichen Bereich an Universitäten sind befristet
beschäftigt, s. www.buwin.de/dateien/buwin-2021.pdf S. 29. Vgl. auch nacaps-
datenportal.de/indikatoren/A2.html
3 “Insgesamt dauert demnach eine Promotion im Durchschnitt 4,7 Jahre. Rechnet man
Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften und Angaben außerhalb der
Studienbereichsgliederung/Sonstige Fächer heraus, so ergibt sich eine durchschnittliche
Gesamtdauer von 5,7 Jahren.” www.buwin.de/dateien/buwin-2021.pdf S. 137.
4 www.wissenschaftsrat.de/download/2023/1196-23.pdf S. 8.
5 nacaps-datenportal.de/indikatoren/A3.html
6 nacaps-datenportal.de/indikatoren/D1.html

Sonja Meiser (Stand: 08.11.2024)  | 
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