Wie Studierende gemeinsam mit Unternehmen innovative Lösungen erarbeiten, erklärt C3L-Direktoriumsmitglied Prof. Dr. Klaus Fichter
Herr Fichter, Sie zählen zu den Pionieren des Challenge Based Learning (CBL). Was verbirgt sich dahinter?
Prof. Dr. Klaus Fichter: Es ist eine Lehr- und Lernmethode, die auf realen Herausforderungen oder Problemen basiert und Studierenden die Möglichkeit gibt, gemeinsam mit Praxispartnern innovative Lösungen zu erarbeiten. Der Ansatz fördert den Erwerb von strategischen Handlungskompetenzen und vergrößert das Wissen von Studierenden über gesellschaftliche Herausforderungen. Gleichzeitig kann die Kooperation mit Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft geübt werden. Die einzelnen Elemente des CBL sind nicht neu, aber ihre Kombination. Die Uni Oldenburg zählt zu den Vorreitern bei der Methode. In dem von Kollegen Alexander Nicolai und mir geleiteten Modul „Sustainable Venturing“ erarbeiten Studierende in interdisziplinären Gruppen gemeinsam mit Praxispartnern nachhaltigkeitsorientierte Lösungen für reale unternehmerische Herausforderungen, sogenannte Challenges.
Welche Vorteile ergeben sich für Studierende und die Partner?
Die Evaluation dieses Ko-Innovation-Ansatzes zeigt hohe Lernwirkungen bei Studierenden und positive Innovationseffekte bei Praxispartnern. Im Vergleich mit herkömmlichen Lehrmethoden setzen sich die Studierenden beim Challenge Based Learning mit realen, aktuellen Herausforderungen auseinander. Das macht den Lernprozess relevanter und authentischer. Sie können das Gelernte direkt in die Praxis umsetzen und sie stehen in engem Austausch mit dem Praxispartner. Gleichzeitig fördert CBL kritisches Denken und Teamfähigkeit, da Studierende in interdisziplinären Teams verschiedene Aspekte und Blickwinkel mit einbeziehen müssen.
Können Sie uns ein Beispiel aus der Praxis nennen?
Ich greife zwei Beispiele heraus, um die Bandbreite der Kooperationen vom börsennotierten Unternehmen bis zum Start-up aufzuzeigen. Der Fotodienstleister CEWE Group ist bereits seit vielen Jahren unser Praxispartner. Einmal wurde die Frage bearbeitet, wie nachhaltige Fotoprodukte entwickelt werden können. Die Ideen reichten von einer bedruckten Handyhülle aus Ozeanplastik, also Kunststoffmüll, der aus dem Meer gefischt wurde, über ein Fototagebuch als App bis zu weiteren digitalen Produkten. In einer anderen Challenge wurde überlegt, ein Kreislaufmodell für alte Fotoabzüge zu entwickeln. Könnte man zum Beispiel mit alten Bildern etwa aus Haushaltsauflösungen ein Rücknahmesystem einführen und daraus ein Geschäftsmodell entwickeln? Die entwickelten Handlungsempfehlungen fließen in die Produktentwicklungen von CEWE mit ein und wurden in Teilen bereits umgesetzt.
Wie sehen die Ergebnisse beim zweiten Beispiel aus?
Das Start-up eco:fibr GmbH wurde aus dem Studium der Gründer an der Universität Hannover heraus entwickelt und die Challenge diente dazu, ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln. Das Unternehmen hat ein Verfahren entwickelt, das Abfallprodukte beim Anbau von Ananas nutzt. Aus den Fasern und Blättern, die aktuell ungenutzt verbrannt werden, lässt sich Zellstoff gewinnen, den zum Beispiel die Papierindustrie verwenden kann. Die Ananasblätter zu importieren und hierzulande zu verarbeiten, wäre weder wirtschaftlich noch ökologisch sinnvoll. Deshalb war die Aufgabe für die Studierenden der Universität Oldenburg, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, bei dem in den Anbauländern der Zellstoff selbst hergestellt und verkauft werden kann. Die Studierenden haben mit Anbauenden in Lateinamerika Kontakt aufgenommen und Interviews geführt. Mit Anwälten wurde ein Lizenzierungsmodell entwickelt. Das Ergebnis befähigt nun das Start-up, der Papier- und Kartonageindustrie eine nachhaltige Alternative zu konventionellen Zellstoffen aus Holz zu bieten.
Wie profitieren die Praxispartner?
Durch die Integration von Challenge Based Learning in den Lernprozess können die Unternehmen innovative und interdisziplinäre Lösungsansätze für ihre Herausforderungen entwickeln. Für die Teilnahme müssen sie nichts zahlen, sie erklären sich allerdings bereit, dem Studierendenteam während einem Modul als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Außerdem bekommen die Studierenden auf Basis einer Geheimhaltungserklärung Zugang zu internen Daten und Kontakten, damit sie unter realen Bedingungen innovative Lösungen entwickeln können. Die Praxispartner erhalten konkrete Handlungsempfehlungen, die den Innovationsprozess unterstützen und beschleunigen. Darüber hinaus berichten sie von positiven Effekten, wie etwa der Stärkung der Innovationskultur im Unternehmen, einem verbesserten Zusammenhalt im Team sowie einer Förderung von Schlüsselkompetenzen der Mitarbeitenden.
Klaus Fichter ist Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Universität Oldenburg und Direktor des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit in Berlin. Im Direktorium des C3L – Center für lebenslanges Lernen verantwortet er das Ressort Kooperation, Transfer und Innovation.Im berufsbegleitenden Masterstudiengang Innovationsmanagement und Entrepreneurship ist Fichter wissenschaftlicher Leiter, im grundständigen Masterstudiengang Sustainability Economics and Management. verantwortet er den Schwerpunkt Sustainable Innovation, Digitalization and Entrepreneurship. Das von ihm maßgeblich entwickelte Studienmodul „Sustainable Venturing“ erhielt im Wettbewerb um „Förderung von Umweltinnovationen“ den Hans-Sauer-Preis.
Kontakt
Christina Meyer-Truelsen, Dipl.-Oec. (C3L), T +49(0)441 798-3111, E