Leitbild Demokratiebildung

Leitbild Demokratiebildung

Leitbild Demokratiebildung

Demokratiebildung und Menschenrechtsorientierung in Studium und Lehre. Statement des Instituts für Pädagogik (FK I), Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Demokratie- und Menschenrechtsorientierung als Aufgaben universitärer und hochschulischer Bildung

 Seit etwa einem Jahrzehnt können wir eine besonders starke Zunahme rechtspopulistischer Orientierungen und eine hohe Mobilisierungsfähigkeit rechter Gruppen beobachten (vgl. Zick/Küpper/Mokros 2023; Foroutan 2022). Von diesen „Rechtsverschiebungen“ und der damit einhergehenden Normalisierung demokratie- und menschenrechtsfeindlicher Positionierungen und Forderungen sind nicht nur People of Color, queere Menschen und politische Gegner*innen betroffen. Die Angriffe zielen auch auf die Wissenschaftsfreiheit und die Delegitimierung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Expertisen von Wissenschaftler*innen – bis hin zu persönlichen Angriffen und Morddrohungen an einzelnen Hochschulen (vgl. Blümel 2023). Die gesellschaftlichen Disruptionen und autoritären Tendenzen wurden durch die COVID-19-Pandemie noch verstärkt (vgl. Decker et al. 2022). Rechtspopulistische Akteur*innen nutzten die Pandemie als Bühne für wissenschaftsskeptische Äußerungen sowie demokratiefeindliche Narrative (vgl. Süddeutsche 2021). Diese waren oft verbunden mit verschwörungsideologischen, antisemitischen und rassistischen Positionen, die über (soziale) Medien verbreitet wurden und darauf zielten, das Vertrauen in demokratische Institutionen und Wissenschaft zu erschüttern (vgl. Butterwegge 2022). Diese Entwicklungen offenbaren, wie brüchig die Verankerung demokratischer Grundwerte in der Gesellschaft ist und wie leicht sich weite Teile der Bevölkerung autoritären Orientierungen zuwenden und für einfache Antworten auf komplexe Fragen mobilisieren lassen. 

Diese gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen erfordern alternative Lösungen und Kompetenzen im Umgang mit komplexen Kontroversen und Krisen. Individuen müssen sich verstärkt mit Uneindeutigkeiten und den verschiedenen Optionen der Urteilsbildung bei gleichzeitigem Verlust von traditionellen Strukturen auseinandersetzen. Das erfordert besondere Kompetenzen, wie z. B. Ambiguitätstoleranz, Konflikt-, Diskurs- und Urteilsfähigkeit. 

Aufgrund dieser Entwicklungen erfordert die Arbeit von Lehrkräften, Pädagog*innen und Sozialarbeiter*innen weitere Kompetenzen. Als Fachpersonen werden sie zunehmend in ihrer Arbeit mit rechtspopulistischen Narrativen und der Ablehnung demokratischer Institutionen konfrontiert, was die Herausforderungen an Schulen und in der Arbeit mit Familien zusätzlich verschärft. Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform muss immer wieder aktiv in Bildungsprozesse etabliert und vermittelt werden (vgl. Coelen 2010: 37; Himmelmann 2016). 

Universitäten und Hochschulen sind keine (politisch) neutralen Orte! Bildung und Pädagogik sind wertgebunden und stellen eine genuin demokratische Praxis dar. Sie vermitteln demokratische Werte und sind dazu verpflichtet, sich gegen menschenfeindliche Äußerungen zu positionieren und demokratische Prinzipien zu verteidigen (vgl. Cremer 2019; Wrase 2020; § 33 Beamtenstatusgesetz). Sie sind zugleich wichtige Institutionen, in denen Erfahrungen mit gesellschaftlicher Pluralität gemacht und Kompetenzen wie Ambiguitätstoleranz und Konfliktfähigkeit vermittelt und erprobt werden. Zudem sind sie der Wahrung der Integrität von Bildungsprozessen und dem Wahrheitsanspruch einer unabhängigen und freien Wissenschaft verpflichtet, die sich nicht instrumentalisieren und vereinnahmen lässt (vgl. Biesta 2022). Gerade im Zusammenspiel mit anderen Bildungs- und Sozialisationsinstanzen können Universitäten und Hochschulen einen wichtigen Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen und diskriminierenden Äußerungen und Einstellungen leisten. Auch wenn es wichtig ist, in der Lehre einen Pluralismus von Perspektiven anzustreben, bedeutet dies nicht, dass Standpunkte im universitären Umfeld vertreten und verbreitet werden dürfen, die im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundrechten stehen. Es liegt in der Verantwortung von Hochschullehrenden, die unantastbaren und unveräußerlichen Menschenrechte anzuerkennen und sich aktiv für deren Wahrung einzusetzen. 

Das Institut für Pädagogik verpflichtet sich, für die Förderung einer offenen, solidarischen und partizipativen Gesellschaft einzustehen. Ihre Mitglieder setzen sich für die Schaffung eines sicheren Studien- und Arbeitsumfelds, die Förderung einer kritischen Auseinandersetzung mit antidemokratischen Einflüssen und die Sensibilisierung für Diskriminierungsformen und menschenverachtende Ideologien ein. 

Dies geschieht durch eine gezielte Verankerung demokratiepädagogischer und menschenrechtsbasierter Inhalte in der akademischen Ausbildung sowie durch eine reflektierte Auseinandersetzung mit der eigenen gesellschaftlichen Verantwortlichkeit im Umgang mit demokratiefeindlichen Narrativen, Wissenschaftsskepsis und epistemischer Ignoranz. Die Bezugnahme auf demokratische Werte und Menschenrechte (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) wird vor diesem Hintergrund „keineswegs als eine Frage des Beliebens, sondern als Fundament“ (Prasad 2018: 10) gesehen. 

Verankerung demokratiepädagogischer und menschenrechtsorientierter Professionalität in Curricula 

Mit der Verankerung von Demokratiebildung und Menschenrechtsorientierung als Querschnittsthemen in der Ausbildung von Lehr- und Fachkräften von pädagogischer und Sozialer Arbeit geht es im Kern um die Vermittlung von Kompetenzen und Voraussetzungen, demokratiepädagogische und menschenrechtsorientierte Angebote und ihre kritische Reflexion konzipieren und an den Zielen der Demokratie- und Menschenrechtsbildung auszurichten zu können. Professionalisierungsprozesse sollten an dialogischen und partizipativen Strukturen ausgerichtet sein, um Diskriminierungserfahrungen gezielt zu 3 reduzieren. Damit werden zugleich auch wichtige Aspekte der Professionalisierungsbedürftigkeit (vgl. Agostini/Bube 2024) von Pädagog*innen angesprochen, für die an der Universität gesorgt werden muss. 

Dazu gehört 

• erstens die Vermittlung von grundlegendem Wissen aus Forschungs- und Praxisdiskursen zu relevanten und aktuellen Themenfeldern der Demokratie- und Menschenrechtsbildung wie z. B. Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, Sexismus, Ableismus, Lookismus, Umgang mit Digitalen Medien, Partizipation, Ermächtigung, Kindeswohl und Menschenrechtsbildung; 

• zweitens der Erwerb von Methodenwissen zur Aneignung von forschungsbasierten Erkenntnissen und zur Entwicklung und Durchführung von demokratiepädagogischer und menschenrechtsorientierter Bildungs- und pädagogischer Arbeit. Hierbei geht es neben Planungsmodellen für Angebote auch um kritische Diskussion von (vorhandenen) Ansätzen in der Praxis (prozedurales Wissen); 

• drittens geht es um die Vermittlung von metakognitivem Wissen, welches Studierende in die Lage versetzt, in eigenen Praxis- und Forschungsprojekten (unter Anleitung) demokratiepädagogische Konzepte und Strategien zu erproben und damit die eigenen Verständnisse von Demokratie und Menschenrechte zu reflektieren.

Mit der Verankerung von Demokratie- und Menschenrechtsbildung als Querschnittsthemen in den Studiengängen des Instituts für Pädagogik können Studierende und zukünftige Fachkräfte in die Lage versetzt werden, relevante Themen der Demokratiebildung und menschenrechtsorientierter Sozialpädagogik/Sozialer Arbeit wissenschaftsbasiert und kritisch-reflexiv in ihrer pädagogischen Arbeit einzubinden und eigenständige Angebote zu konzipieren. Ziel ist die Vermittlung von Handlungssicherheit in der pädagogischen Arbeit auf der Grundlage erziehungs- und sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse und eines „Ethikkodex, den sich die Profession unabhängig von externen Einflüssen gibt und auch seine Einhaltung kontrolliert, kontrollieren sollte“ (Staub-Bernasconi 2007: 12f.). 

Fort- und Weiterbildung sowie Prävention im Umgang mit Demokratiefeindlichkeit

Ergänzend zur curricularen Verankerung von Demokratie- und Menschenrechtsbildung ist auch die selbstkritische Reflexion eigener Verstrickungen in diskriminierende oder demokratiefeindliche Strukturen ein zentrales Handlungsfeld, dem sich die Mitglieder des Instituts für Pädagogik verpflichtet fühlen. An Hochschulen selbst können sich gesellschaftliche Positionierungen widerspiegeln, die diskriminierend und (rechts- )populistisch sind. Die bewusste Thematisierung von Macht- und Ohnmachtserfahrungen – etwa in der Lehrenden-Studierenden-Interaktion oder im Kontext struktureller Diskriminierung – ist eine zentrale Voraussetzung für eine diskriminierungskritische Bildungsarbeit. Mit einer diskriminierungskritischen Perspektive können Lehrende als Vorbilder Haltungs- und Handlungsperspektiven für angehende Fachkräfte aufzeigen, die offen 4 und empfänglich sind für heterogene Identitätsentwürfe und Diversität. Dazu gehören, neben der eigenen Auseinandersetzung mit aktuellen Erscheinungsformen von Demokratie- und Menschenfeindlichkeit, die Entwicklung und Implementierung von Maßnahmen der Sekundärprävention bei Vorfällen, klare Grundlagen für die Umsetzung des Hausrechts bei Extremismus und Fortbildungsangebote für Mitarbeitende zu Extremismus, Demokratie- und Menschenfeindlichkeit. 

Literatur 

• Agostini, E. & Bube, A. (2024). Pädagogisches Handeln – Pädagogische Professionalität – Pädagogisches Ethos: Plädoyer für eine phänomenologische Professionstheorie. In: Vierteljahrsschrift für Wissenschaftliche Pädagogik, 100 (2024), S. 208–224. 

• Biesta, G. (2022). School-as-Institution or School-as-Instrument? How to Overcome Instrumentalism without Giving Up on Democracy. Educational Theory 72, (2022) 3, S. 319–331 

• Butterwegge, C. (2022). Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona. Beltz Juventa. 

• Blümel, C. (2024). Anfeindungen gegen Forschende. Eine repräsentative Studie des Projektes KAPAZ. Kurzdossier für die Berichterstattung. Zugriff am 20.08.2025. 

• Coelen, T. W. (2010). Partizipation und Demokratiebildung in pädagogischen Institutionen. In: Zeitschrift für Pädagogik 56 (2010) 1, S. 37-52. • Cremer, H. (2019). Analyse „Das Neutralitätsgebot in der Bildung. Neutral gegenüber rassistischen und rechtsextremen Positionen von Parteien?“. Online: (https://www.institut-fuermenschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/ANALYSE/Analyse_Das_N eutralitaetsgebot_in_der_Bildung.pdf). 

• Decker, O., Kiess, J., Heller, A., & Brähler, E. (2022). Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen? Leipziger Autoritarismus-Studie 2022. Psychosozial-Verlag. Abrufbar unter www.boell.de/sites/default/files/2022-11/decker-kiess-heller-braehler-2022- leipziger-autoritarismus-studie-autoritaere-dynamiken-in-unsicheren-zeiten_0.pdf 

• Foroutan, N. (2022). Rassismus und Antisemitismus in der postmigrantischen Gesellschaft. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/2022, S. 68–75. 

• Himmelmann, Gerhard ([2001] 2016): Demokratie Lernen als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform. Ein Lehr-und Arbeitsbuch. Schwalbach/Ts. 

• Staub-Bernasconi, S. (2007). Vom beruflichen Doppel- zum professionellen Tripelmandat- Wissenschaft und Menschenrechte als Begründungsbasis der Profession Soziale Arbeit. In: Sozialarbeit in Österreich (SIO), H. 2, S. 8-17. 

• Süddeutsche-Online 2021. „AfD-Mann wirft sächsischer Regierung ‚ImpfApartheid‘ vor. 30.09.2021. Abrufbar unter: www.sueddeutsche.de/politik/dresden-afd-mann-wirft-saechsischer- 5 regierung-impf-apartheid-vor-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210930-99- 430013 

• Prasad, N. (Hg.) (2018). Soziale Arbeit mit Geflüchteten. Rassismuskritisch, professionell, menschenrechtsorientiert, utb, 9 – 33. 

• Wrase, M. (2020). Wie politisch dürfen Lehrkräfte sein? Rechtliche Rahmenbedingungen und Perspektiven. In: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 14-15 (bpb). 

• Zick, A./Küpper, B./Mokros, N. (Hg.) (2023). Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Friedrich-EbertStiftung (Eds); Bonn: Dietz.

Webmaster Pädagogik (Stand: 12.12.2025)  Kurz-URL:Shortlink: https://uol.de/p116415
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