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Hochschulzeitung UNI-INFO

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< Inhalt 10/1995

Evangelische Religionslehrer waren anfällig für den Nationalsozialismus

Ein Drittel verließ die Kirche / Rolle der Landeskirche zwiespältig

Religionslehrer zwischen kirchlicher Bindung und völkischem Bekenntnis" ist der Titel einer Dissertation, die 1994 vom Fachbereich Sozialwissenschaften angenommen wurde und kürzlich als Buch erschienen ist. Verfasser ist der Oldenburger Religionspädagoge Dr. Helmut Schirmer, der auch als Lehrbeauftragter im Fach Ev. Religionslehre tätig ist.

In der Arbeit wird die Krise des evangelischen Religionsunterrichts an den Volksschulen des Freistaates Oldenburgs verdeutlicht und in einen Zusammenhang mit dem Niedergang und Ende dieses traditionellen Schulfaches während des Nationalsozialismus bis 1942/43 gestellt.

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Verhaltensweisen der Religionslehrer. Dabei wird deutlich, daß die Machtentfaltung des Nationalsozialismus und seiner Weltanschauung der Anlaß, aber nicht die einzige Ursache des Prozesses war, der mit dem Zusammenbruch des Religionsunterrichts endete. Der Verfasser weist nach, daß die historischen Wurzeln für die Aufgabe des evangelischen Religionsunterrichts durch die Volksschullehrer auch in dem Druck der evangelischen Kirche in Oldenburg zu finden sind, die in den zwanziger Jahren mit staatlicher Unterstützung die überwiegend liberal denkenden Religionslehrer an den konfesionellen Volksschulen dazu drängte, Unterricht in kirchlicher Bindung zu erteilen. Daher konnten sich reformpädagogische Konzeptionen im Rahmen einer sich liberal verstehenden Religionspädagogik im Religionsunterrichts nicht durchsetzen.

Die Lehrer verharrten bis weit in die dreißiger Jahre hinein in äußerlicher Angepaßtheit, bis das nationalsozialistische Regime im Rahmen seiner Entkonfessionalisierungskampagne ihnen 1936 die Gelegenheit gab, den Religionsunterricht niederzulegen. Auf dieses Angebot ging fast die Hälfte aller evangelischen Volksschullehrer sehr schnell ein, und ein Drittel trat überdies aus der evangelischen Kirche aus.

An die Stelle des evangelisch-christlichen Religionsunterrichts trat vielfach ein Unterricht in "deutscher" Religion, wie er schon Anfang der zwanziger Jahre von einem harten Kern völkisch denkender evangelischer Volksschulehrer in Oldenburg propagiert worden war. Seit 1939 wurde von den Lehrern das völkische Bekenntnis gefordert, das viele von ihnen bereitwillig und z.T. begeistert in den Unterricht einbrachten, wie zahlreiche Quellen belegen. Widerspruch gegen den Nationalsozialismus gab es nur selten. Am Beispiel zweier christlicher Volksschullehrer geht der Autor den Möglichkeiten (und Grenzen) des "aufrechten Gangs" nach. Schirmers Fazit: Der evangelischen Lehrerschaft des Oldenburger Raums fehlte es am theologisch-wissenschaftlichen Rüstzeug, um den hier ausgeprägt völkisch akzentuierten Nationalsozialismus als Quasi-Religion zu entlarven. Dieses Manko war in der seminaristischen Ausbildung der Volksschullehrer mit angelegt und hatte schon in den zwanziger Jahren dazu geführt, daß man evangelisch-kirchliche Lehre nur als "Dogma" begreifen und ihr nicht mit theologischer Vernunft begegen konnte.

Helmut Schirmer, Volksschullehrer zwischen Kreuz und Hakenkreuz - Der Untergang des evangelischen Unterrichts an den Volksschulen in Oldenburg während des Nationalsozialismus, Isensee Verlag Oldenburg 1995, DM 28,—.

Leserbrief an presse@uni-oldenburg.de

(Stand: 19.01.2024)  | 
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