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Arbeitsmarkt für InformatikerInnen: Hervorragende Aussichten
Wolfgang Nebel: Rückgang an AbsolventInnen muß vermieden werden
Der Bedarf an InformatikerInnen mit Hochschulausbildung hat seit 1994 deutlich zugenommen und liegt inzwischen an der Spitze aller akademischen Berufe. Dies ist eines der Ergebnisse einer Studie des Oldenburger Informatikers Prof. Dr. Wolfgang Nebel ("Einschätzung der Arbeitsmarktlage der Informatikabsolventen der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg"). Uni-Info dokumentiert die Studie in Auszügen.Die Exportchancen eines Hochlohnlandes wie der Bundesrepublik und damit untrennbar verknüpft der Wohlstand seiner Bürger hängen wesentlich von seiner Fähigkeit ab, High-Tech-Produkte und Dienstleistungen marktgerecht anbieten zu können. Diese Produkte machen derzeit 51 % des Handels in Deutschland aus. Es liegt damit nach den USA (52 %), Singapur (52,9 %) und Japan (69,2 %) weltweit an vierter Stelle. Mit einer Exportwachstumsrate im High-Tech-Bereich von 35,35 % liegt die Bundesrepublik jedoch deutlich unter dem Durchschnitt der 40 wichtigsten Länder (46,22 %), so daß zu befürchten ist, daß Deutschland seinen zweiten Platz im internationalen Vergleich des Netto-Exportüberschusses im High-Tech-Bereich verlieren könnte.
Die High-Tech-Branchen zeichnen sich durch hohe Innovationsraten und teilweise sehr kurze Produktlebenszyklen aus, so daß hier die Entwicklungskompetenz und -effizienz ausschlaggebend für den Markterfolg ist. Die Wachstumsraten des Software-Marktes und der software-bezogenen Dienstleistungen lagen von 1993 auf 1994 mit 7,2 % bzw. 5,9 % deutlich über dem allgemeinen irtschaftswachstum.
Verlagerung ins Ausland
Es bleibt natürlich die Frage, welche Bedeutung die nationale Kompetenz in diesem Bereich vor dem Hintergrund eines verstärkten Software-Dienstleistungsexports in Niedriglohnländer hat. In der Tat können Länder der Dritten Welt infrastrukturelle Nachteile in allen Bereichen der rechnergestützten Entwicklung (nicht nur von DV-Produkten) durch kostengünstige elektronische Medien und Satellitenverbindungen relativ leicht zumindest teilweise kompensieren. Bei einem um 90 % niedrigeren Stundenlohn ergibt sich am Beispiel Indien trotz Effizienznachteils immer noch eine Kostenreduktion auf ca. 30 % im Vergleich zu Deutschland.Die in Niedriglohnländer exportierbaren Dienstleistungen sind mit klassischen Produktionsaufgaben vergleichbar, d.h. es lassen sich (ggfs. auch größere) Software-Entwicklungsaufgaben transferieren, wenn sie denn vorher korrekt und eindeutig spezifiziert wurden. Hieraus folgt eine mögliche Arbeitsteilung, bei der die Kompetenz für den Systementwurf in Deutschland liegen muß, die mehr handwerkliche Realisierung einzelner Komponenten jedoch exportiert werden kann. Ein Export des Systementwurfs ist wegen der Einbettung der DV-Komponenten in einen interdisziplinären Systemkontext nur unter Aufgabe der gesamten Entwicklungskompetenz denkbar, die um jeden Preis verhindert werden muß.
Diese Trennung zwischen System und Komponenten führt zu einer Verlagerung der vom deutschen Informatiker geforderten Kompetenz. Nicht mehr die Programmierung, sondern vielmehr Software-Technologie als Entwurfsmethodik komplexer Systeme, Interdisziplinarität, Qualitätsbewußtsein und -kompetenz sowie sichere Beherrschung formaler Methoden definieren das Anforderungsprofil des am Arbeitsmarkt gesuchten Informatikers. Eine in diesen Disziplinen zu unprofessionell durchgeführte Software-Entwicklung ist angesichts der Komplexität heutiger Systeme nicht wettbewerbsfähig, wie beispielsweise die gescheiterte Entwicklung eines modernen Gepäcktransportsystems auf dem Flughafen Denver zeigt, bei dem 4000 unabhängige, unbemannte Fahrzeuge durch 100 Computer und eine Vielzahl von Sensoren gesteuert werden sollten. Die Einführung verzögerte sich von November 1993 bis Juni 1994 immer wieder, bis die Entwicklung abgebrochen wurde und ein konventionelles System installiert wurde. Als Schadenersatz wurden seitens des Betreibers pro Tag 1,1 Mio. US-Dollar gefordert. Dies ist keineswegs ein Einzelfall, vielmehr funktionieren etwa drei Viertel aller komplexen Software-Systeme am Ende nicht wie gedacht. Wenn man berücksichtigt, daß diese Systeme aus mehreren Millionen Anweisungen bestehen, oftmals eine Kooperation mehrerer Rechner verlangen und in eine komplexe Systemumgebung eingebettet sind, ist diese niedrige Erfolgsrate nachvollziehbar, wenn auch keinesfalls akzeptierbar.
Diese Problematik wurde auch von der Industrie erkannt. Sie reagiert durch die vermehrte Einstellung von Informatikerinnen und Informatikern mit Hochschulausbildung. (Im folgenden sind die Berufsbezeichnungen geschlechtsneutral gemeint, auch wenn wegen der besseren Lesbarkeit in der Regel nur eine Form explizit genannt wird). So werden beispielsweise in der Zentralabteilung Forschung und Entwicklung der Siemens AG 63 % Universitätsabgänger, 8 % Fachhochschulabsolventen und lediglich 29 % Sonstige beschäftigt. Angesichts der Bedeutung der Software-Entwicklung dieses Hauses ist damit zu rechnen, daß ein immer größerer Anteil unter den Universitätsabgängern Informatiker sein werden.
Angesichts des dramatischen Rückgangs an Studienanfängern in den Ingenieurwissenschaften (einschließich Informatik) äußert sich die Industrie bereits besorgt. So befürchtet der VDE (Verband Deutscher Elektrotechniker) für den Beginn des neuen Jahrzehnts einen signifikanten Bewerbermangel im Ingenieurbereich.
Das Berufsbild
Das Berufsbild des Informatikers ist in der Öffentlichkeit nicht eindeutig definiert. Hauptgrund hierfür ist die unvergleichliche Dynamik in der Entwicklung der Datenverarbeitung seit den sechziger Jahren. Eine Informatikausbildung wurde seit ca. 1970 aufgebaut, konnte jedoch über viele Jahre hinweg den quantitativen Bedarf an Fachkräften nicht decken. Als Konsequenz wurden überwiegend fachfremde Quereinsteiger für DV-Tätigkeiten eingestellt. Diese rekrutierten sich zu einem kleinen Teil aus anderen akademischen Berufen, vorwiegend Mathematikern, Ingenieuren und Physikern sowie Wirtschaftswissenschaftlern. Der größere Teil stammt aus Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen. Die entsprechenden Berufe werden einer Vielzahl von Bezeichnungen zugeordnet, z.B. Datenverarbeitungs-Fachkräfte, IT-Berufe, Informatikberufe, Computerberufe. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen entsprechende Berufsbezeichnungen: Datenverarbeiter(in), Computerfachmann (-frau), Informatiker(in).Ein Vergleich mit der Medizin mag dieses Bild veranschaulichen. Nehmen wir an, die Medizin hätte ihren Ursprung erst vor ca. 30 Jahren gehabt. Zweifellos wäre spontan ein riesiger Bedarf an medizinischer Versorgung entstanden, der nicht durch ausgebildete Ärzte hätte gedeckt werden können. Folglich hätte sich ein großer Arbeitsmarkt für angelernte, umgeschulte oder fachfremde Medizin-Fachleute aufgetan. Diese würden heute im Öffentlichkeitsbild und den Arbeitsmarktstatistiken in die gleiche Kategorie fallen wie Ärzte.
Die Angelernten werden ersetzt
Im Mai 1993 betrug die nach Mikrozensus unter der Kategorie Computer-Fachleute zusammengefaßte Zahl aller informatikbezogenen Erwerbstätigen in Deutschland ca. 328.000. Dies entspricht ca. 1 % der Gesamterwerbstätigenzahl. Hiervon hatten lediglich 35.000 eine Informatikgrundausbildung. Hinzu kommen ca. 15.000 Personen mit einer informatiknahen Erstausbildung unterhalb der Hochschulebene. Der Rest von 278.000 Beschäftigten ist fachfremd und angelernt. Diese Angelernten stoßen teilweise wegen der gestiegenen Systemkomplexität an ihre Kompetenzgrenzen und werden im Zuge einer notwendigen Professionalisierung durch qualifizierte Informatiker ersetzt.Ein anderes Charakteristikum akademischer Informatiker ist deren Altersstruktur. Da die universitäre Ausbildung erst 1970 begann, gibt es für diesen Berufsstand noch keinen natürlichen Ersatzbedarf. Bei anderen Berufen versorgt aber gerade dieser Bedarf einen großen Teil der Universitätsabsolventen mit Arbeitsplätzen. Ebenso kann eine Firma einen temporären Überhang an Informatik-Personalkapazität nicht durch natürliche Fluktuation oder Vorruhestandsregelungen beseitigen. Der Stellenmarkt für Informatiker ist somit wesentlich stärker konjunkturellen Schwankungen unterworfen als der der meisten anderen Berufe. Dies hat zu großen Schwankungen in der Nachfrage nach Informatikern und Anfang der 90er Jahre zu medienwirksamen Massenentlassungen namhafter Konzerne geführt, in denen wiederum eine Ursache für zurückgegangene Studienplatzbewerberzahlen zu sehen ist.
Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosenzahl unter Computer-Fachleuten betrug Ende September 1994 30.183. Die Arbeitslosenquote betrug 8 % und lag damit niedriger als im Durchschnitt aller Berufe (9,7 %) (Bild 1). Der Anteil an Langzeitarbeitslosen war 1994 in der Datenverarbeitung mit 22,5 % unterdurchschnittlich. Zum Vergleich betrug er bei Elektrotechnikern 27,5 %.Interessant ist der relative Anteil akademischer Computer-Fachleute, die 20,7 % der Stellen besetzt halten, jedoch nur 15,2 % der Arbeitslosen ausmachen. Bezogen auf Informatiker mit Hochschulausbildung lag die Arbeitslosenquote 1994 bei 4,1 %, also noch deutlich günstiger. Auch der HIS-Absolventenreport Informatik belegt, daß deren Zahl sehr gering ist und es sich zumeist um frisch Diplomierte handelt, die gerade ihre erste Anstellung suchen (bis fünf Monate nach Studienende).
Es ist also unübersehbar, daß im informatiknahen Arbeitsmarkt eine Verdrängung von angelernten bzw. fortgebildeten Kräften durch Akademiker stattfindet. Eine Informatikgrundausbildung wird unabdingbar, und deren Fehlen erschwert einen Einstieg in diese Berufswelt. Diese Entwicklung ist allgemein für Führungskräfte im Dienstleistungsbereich zu beobachten. So hat sich der Anteil an Stellenangeboten für Akademiker von 1994 auf 1995 um durchschnittlich 29 % erhöht. Die DV-Branche nimmt eine Spitzenrolle mit 102 % ein.
Der Stellenmarkt
Das Stellenangebot für ComputerFachleute war bis 1993 rückläufig. Diese Situation verbesserte sich im zweiten Quartal 1994 mit dem Ansprechen der Konjunktur schlagartig. So stieg die Anzahl der Stellenangebote von 1993 auf 1994 um 72 %, die der Bewerber im gleichen Zeitraum jedoch nur um 7 %. Auch im 1. Halbjahr 1995 war ein Anstieg der Stellenangebote (Bild 2).Eine Abschätzung für 1996 ist auf Basis einer Analyse der Stellenanzeigen der 40 wichtigsten Tageszeitungen des ersten Quartals 96 möglich. Die Anzahl der Stellenangebote für Informatiker mit akademischer Ausbildung stieg im Vergleich zum Vorjahresquartal um 92 % auf 4375. Die Stellenangebote für DV-Spezialisten (Akademiker) stieg um 57 % auf 2917. Faßt man beide Bereiche zusammen, so führt der Informatikbereich mit insgesamt 7292 Stellenanzeigen vor den Wirtschaftswissenschaftlern (5920) die Statistik an. Auch bei den Zuwachsraten liegt der gesamte DV-Bereich mit 76 % weit an der Spitze (Wirtschaftswissenschaften: 0,9 %; Durchschnitt aller Akademiker: 11,8 %; Durchschnitt aller: 11,5 %). Auch hier belegt der Vergleich sowohl der absoluten Zahlen als auch der Steigerungsraten, daß eine Verschiebung des Stellenangebots zu Informatikern mit Hochschulausbildung stattfindet. Die Verdrängung führt trotz der gestiegenen Gesamtnachfrage zu einem leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit weniger qualifizierter Computer-Fachleute.
Die überwiegende Anzahl aller Stellenangebote für DV-Fachleute (auch Nichtakademiker) richtet sich an Informatiker (42 %), gefolgt von DV-Spezialisten (26 %), Ingenieure (10 %), Wirtschaftswissenschaftler (5 %) und Sonstige (17 %). Diese Zahlen belegen, daß sich die Informatik als eigenständige Wissenschaft in der Industrie etabliert hat, ihre Bedeutung als Querschnittswissenschaft erkannt wurde und nur in Ausnahmefällen für informatiknahe Tätigkeiten Ausbildungsqualifikationen anderer Fachrichtungen vorgezogen werden.
Problematisch ist die derzeit noch schlechte Aussicht für Informatiker, Führungspositionen zu erlangen. Die Ursachen hierfür sind in der fehlenden Tradition dieses Berufs zu sehen, der auf der Führungsebene noch selten zu sehen ist und somit kaum Chancen hat, seinen eigenen Nachwuchs zu protegieren. Als wichtiger Punkt ist weiterhin das in der Öffentlichkeit fehlende Berufsprofil des hochqualifizierten Informatikers zu sehen, der sich hier zu wenig vom Computer-Fachmann oder DV-Spezialisten abhebt.
Die Informatik in Oldenburg
Das Informatikstudium ist in Oldenburg seit dem WS 1985/86 zunächst noch im Fachbereich Mathematik und ab WS 1987/88 in einem eigenständigen Fachbereich möglich. Die Entwicklung der Studierendenzahl folgte mit einer gewissen Verzögerung dem Bundestrend. Die durchschnittliche Studiendauer beträgt 11,6 Semester und liegt damit nach Clausthal-Zellerfeld (11,3 Semester) an zweitniedrigster Stelle im Bundesvergleich (13,3 Semester).Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Studiendauer von ca. 6 Jahren läßt sich leicht abschätzen, daß in den Studienjahren 1995/96 und 1996/97 der Höchststand an Absolventen erreicht werden wird. Aufgrund der seit 1989/90 rückläufigen Studienanfängerzahlen (Bild 3) ist danach mit einem deutlichen Rückgang an Absolventen zu rechnen, die nach heutigen Prognosen auf eine große Nachfrage am Arbeitsmarkt stoßen werden.
Eine stichprobenartige Befragung der Absolventen unmittelbar nach der Diplomierung ergab, daß von 16 Personen 14 eine Stelle gefunden haben, eine ist noch ohne Beschäftigung, und ein Absolvent leistet seinen Zivildienst ab.
Der Fachbereich Informatik bemüht sich, seine Attraktivität für Studienplatzbewerber und für Industrieunternehmen als Abnehmer der Absolventen zu verbessern. So hat er sich 1995/96 im Nordverbund einer Evaluation der Lehre unterzogen, um die Qualität der Lehre zu erhöhen. Durch Tutorengruppen wurde den Studienanfängern in den letzten Jahren der Einstieg ins Studium erleichtert. Jährlich organisiert er zusätzlich zum Hochschulinformationstag der Universität eine spezielle Informationsveranstaltung für Schüler der gymnasialen Oberstufe. Im Vergleich zu anderen Ingenieurwissenschaften hat die Informatik einen höheren Frauenanteil, der durch besondere frauenfördernde Maßnahmen des Fachbereichs noch erhöht werden soll.
Schlußfolgerungen
Die Informatik ist als notwendige Disziplin zur marktgerechten Entwicklung innovativer High-Tech-Produkte seitens der Industrie anerkannt. Ihre Eigenständigkeit wird durch den Stellenmarkt dokumentiert. Absolventen eines Hochschulstudiums bieten sich weit überdurchschnittliche Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Ein Rückgang der Absolventenzahlen muß aus Gründen der nationalen Wettbewerbsfähigkeit unbedingt vermieden werden.Um das Fach für Studienplatzbewerber attraktiver zu gestalten, müssen die Informatiker in kürzerer Zeit das schaffen, was etwa den Medizinern in einem langfristigen Prozeß gelungen ist, nämlich ihre Bedeutung für die Gesundheit der Volkswirtschaft im Öffentlichkeitsbild zu etablieren, und sich selbst als geeignete Kandidaten für Führungspositionen zu profilieren.