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Warum brechen so viele Studierende ihr Studium ab?

Fachbereich Sozialwissenschaften untersucht Studienbedingungen und Zufriedenheit mit dem Studienstandort Oldenburg

Es ist längst bekannt, daß nur wenige Studierende der Sozialwissenschaften ihr Studium erfolgreich an deutschen Universitäten abschließen. In Oldenburg sind es ca. 18 %, in Heidelberg ca. 15 %; und auch das HIS registrierte seit 1970 eine Verdopplung der Studienabbrecherquote in der Bundesrepublik.

 Anlaß genug für den Dekan des Fachbereichs 3 Sozialwissenschaften, Prof. Dr. Rüdiger Meyenberg, eine Untersuchung über die Studienbedingungen im eigenen Fachbereich in Auftrag zu geben, die Einsichten sowohl über erfolgreiche Strategien zur Bewältigung von Studienproblemen als auch zur Prävention von Studienabbruch und zur zügigeren erfolgreichen Beendigung des Studiums zuläßt. Ein Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Wolf-Dieter Scholz und Dr. Heinz Dieter Loeber untersuchte, welche Bedingungen und Besonderheiten an der Universität Oldenburg Studierende in den Studiengängen Diplom-Sozialwissenschaften, Magister Soziologie, Magister Politikwissenschaft aufweisen. Darüber hinaus wurden eine Reihe von exmatrikulierten Studierenden - sowohl echte Studienabbrecher als auch Studienwechsler, die an anderen Universitäten ihr Studium erfolgreich fortsetzten - in die Untersuchung einbezogen.

Das soziale Profil

Insgesamt zeigt das Sozialprofil der befragten Studierenden, wie sehr sich die klassische Vorstellung vom "Modellstudierenden" aufgelöst hat. Das alte Leitbild vom jungen, männlichen Studierenden, der kinderlos ist, in einer Bude lebt, mit dem klassischen gymnasialen Abitur an die Hochschule kommt, dessen Eltern ebenfalls einen höheren schulischen Abschluß haben und der ohne berufliche Erfahrungen sein Studium beginnt, findet immer weniger seine Entsprechung in der Realität. Der Anteil von "Auch-Studierenden" (Hondrich), die zunehmend in anderen, gleichbedeutenden Rollen engagiert sind, wächst. Diese Entwicklung, die sich bundesweit bereits seit vielen Jahren beobachten läßt, scheint bei den Befragten, vor allem aber bei den Studierenden der Studiengänge Diplom Sozialwissenschaften und Magister Soziologie noch ausgeprägter zu sein, während die Studierenden der Politikwissenschaft insgesamt ein etwas herkömmlicheres Profil zeigen. Was für die Hochschulen allgemein gilt, trifft offensichtlich noch stärker für die beiden sozialwissenschaftlichen Studiengänge an unserer Universität zu: Die Lehrenden müssen sich stärker darauf einstellen, durch ein differenziertes Lehrangebot der Vielfalt der Voraussetzungen von Studierenden zu entsprechen, wenn Enttäuschungen bei Lehrenden wie Studierenden in Grenzen gehalten werden sollen.

Studienmotive

Bei der Studienmotivation zeigt sich sowohl im Hinblick auf die generelle Studienentscheidung als auch auf die Studienfachwahl ein relativ klares Bild. Es kristallisiert sich heraus, daß es einen Wandel in der subjektiven Bedeutung des Hochschulstudiums gibt. Für viele Studierende scheint ihr Studium nicht mehr per se an traditionelle Karriereerwartungen gebunden zu sein. Die beruflichen Studienerwartungen sind zwar nicht unbedeutend, neben sie treten aber zunehmend Wünsche nach personeller Autonomie. Diese doppelte Struktur der Studienmotivation scheint vor allem für sozial- und geisteswissenschaftliche Fachrichtungen zu gelten.

 Die marginale Bedeutung der materiellen Interessen darf jedoch nicht vorschnell als überzeugender Beweis einer nur fach- und persönlichkeitsorientierten Haltung interpretiert werden. Die geringe Nennung von Indikatoren wie Einkommenschancen im Beruf, gute Aussichten auf einen sicheren Arbeitsplatz und soziales Ansehen sind sicherlich auch das Ergebnis einer realistischen Antizipation der Situation auf dem akademischen Arbeitsmarkt.

 Für die Universität Oldenburg ist bemerkenswert, daß sie aus der Perspektive der Studierenden eine große Bedeutung als regionale Einrichtung hat. Die insgesamt positive Einschätzung der Qualität der Angebote und die Überschaubarkeit spielen dabei eine ebenso gewichtige Rolle wie die Attraktivität der Stadt.

 Im Vergleich zu den Exmatrikulierten zeigen sich neben vielen Gemeinsamkeiten auch Unterschiede. Das gilt besonders beim gruppeninternen Vergleich der Absolventen mit den Abbrechern. Bei den erfolgreichen Absolventen ist die Studienwahl ebenso wie die Wahl des Studienfaches auffallend stärker als bei den anderen durch die Inhalts- und Fachorientierung bestimmt gewesen. Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß ein solches fachlich-inhaltliches Engagement eine günstige Voraussetzung für einen erfolgreichen Abschluß ist, weil es in Krisensituationen während des Studienverlaufs eine Motivationsstütze sein kann.

Studienverhalten

Es gibt ausreichend Anhaltspunkte dafür, daß ein großer Teil der Studierenden mit den vielfältigen Optionen des sozialwissenschaftlichen Studiums nicht überfordert wird. Allerdings zeigt sich, daß eine vergleichsweise große Gruppe, darunter besonders Frauen, genötigt ist, ihr Studium aufgrund von externen zeitlichen Vorgaben zu organisieren.

Dieses insgesamt positive Ergebnis kann aber nicht überdecken, daß die relativ offenen Möglichkeiten der Studiengestaltung auch Probleme bieten. Vor allem Studienanfänger und sehr lange Studierende benötigen offensichtlich mehr strukturierte Angebote und gezielte Beratung. Unsicherheiten, Orientierungsprobleme, der Wunsch nach intensiverer Betreuung wird durchgängig auch im Zusammenhang mit anderen Fragenkomplexen der Untersuchung artikuliert.

Offenbar gibt es ein latentes Unbehagen am sozialwissenschaftlichen Studium in Oldenburg, aber nicht nur dort. Das drückt sich in den durchgängig geäußerten Verbesserungsvorschlägen und Wünschen nach Intensivierung des Praxisbezuges des Studiums aus. Dieser Wunsch richtet sich sowohl nach innen – als Wunsch nach verstärkter Teilhabe an Wissenschaft und Forschung – als auch nach außen – als Wunsch nach verstärktem Berufsbezug. Der Wunsch ist jedoch deutlich an das Fach gebunden.

Trotz der Kritik an Studium und Studienbedingungen, beurteilt der überwiegende Teil der Studierenden ihr bisheriges Studium als erfolgreich. Dabei wird als Studienerfolg vorrangig die persönliche Entfaltung der Kritikfähigkeit hervorgehoben, während diejenigen, die sich auf die herkömmlichen Kriterien von Erfolg beziehen (Abschluß, Noten etc.) oder die berufliche Verwertbarkeit betonen, eine Minderheit bilden.

Die Statistiken verweisen darauf, daß in der Bundesrepublik die durchschnittliche Studiendauer zum Teil deutlich über der Regelstudienzeit liegt. Das trifft folglich auch auf die drei untersuchten Studiengänge zu. Die zum Teil große Diskrepanz zwischen der zeitlichen Normierung des Studiums und der Studienrealität findet bei den Befragten ihren Niederschlag. So studiert ein beträchtlicher Teil bereits oberhalb der Regelstudienzeit und die Mehrzahl derer, die sich noch darunter befinden, geht in einer Selbstprognose davon aus, die Regelstudienzeit deutlich zu überschreiten. Die Ursachen dafür liegen nach der Einschätzung der Befragten vor allem in einem Geflecht materieller und persönlicher Lebensumstände. Die zum Lebensunterhalt notwendige Erwerbsarbeit neben dem Studium und familiäre Verpflichtungen spielen hier eine besondere Rolle. Dabei findet sich eine durchweg hohe Bereitschaft, das Studien mit einem Abschluß erfolgreich zu beenden. Dieses Ergebnis darf nicht vorschnell auf alle Immatrikulierten übertragen werden. Es bedeutet für die Untersuchung aber, daß überwiegend die abschlußorientierten Studierenden erfaßt wurden. Die Statistik der Universität Oldenburg zeigt deutlich, daß insbesondere im Studiengang Sozialwissenschaften der Anteil der Langzeitstudierenden, die schon länger als 19 Semester immatrikuliert sind, relativ hoch ist. Es kann vermutet werden, daß ein großer Teil davon die Absicht, dieses Studium mit einem Abschluß zu beenden, nie gehabt oder inzwischen aufgegeben hat.

 Angesichts der realen Rahmenbedingungen in den meisten Studienfächern (volle Veranstaltungen, unterschiedliche fachliche und motivationale Voraussetzungen etc.) ist es verständlich, daß die Lehre besonders aufmerksam zur Kenntnis genommen wird. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, wenn Kritik geübt wird und Defizite im Lehrangebot und in der Qualität seiner Durchführung benannt werden. Dennoch ist es bedenklich, daß zwei Drittel der Befragten mit dem Lehrangebot unzufrieden sind. Diese Unzufriedenheit (bei den PolitikwissenschaftlerInnen am ausgeprägtesten) wächst mit der Dauer des Studiums deutlich. Kritisiert werden vor allem die hohe Teilnehmerzahl an den Veranstaltungen sowie ein zu schmales Angebotsspektrum. Bemängelt wird aber auch, daß Themen aus dem Interessenbereich der Studierenden zu selten angeboten werden und Lehrende den Eindruck erwecken, als hätten sie kein Interesse an ihrer Lehre. Im Mittelpunkt der Kritik stehen mit deutlichem Abstand die mangelhaften didaktischen Fähigkeiten der Lehrenden und die fehlenden Möglichkeiten der Mitarbeit an der Forschung.

 Überraschend ist, daß die große Mehrzahl der Studierenden mit einer gewissen Selbstverständlichkeit und Gelassenheit die unregelmäßige Teilnahme an den Lehrveranstaltungen für sich und die anderen in Kauf nimmt. Die Ursachen für die Fluktuation sehen sie durchaus selbstkritisch nicht nur bei den Lehrenden, sondern auch bei sich selbst. Dabei wird die Schwierigkeit genannt, mit den fachlichen Anforderungen zurecht zu kommen und mit den Verpflichtungen zu vereinbaren, die sich aus dem außeruniversitären Bereich ergeben. Um hier wirksame Veränderungen zu erreichen, sollten stärkere Kontrollen z.B. durch Anwesenheitslisten bzw. durch eine Kopplung der Leistungsnachweise an eine regelmäßige Teilnahme an den Veranstaltungen eingeführt sowie vor allem aber inhaltliche, didaktische und organisatorische Verbesserungen in der Lehre vorgenommen werden.

 Trotz aller Probleme, über die die Befragten klagen, sagt nur eine kleine Minderheit, daß sie überwiegend negative Erfahrungen im bisherigen Studium gemacht hat. Insgesamt zeigt die subjektive Gesamtbilanz ein ausgewogenes Verhältnis von positiven und negativen Erfahrungen. Dies ist ein Ergebnis, das zumindest auf keine übermäßig dramatische Studiensituation für die Mehrheit hinweist. Die Unzufriedenheit und die Einschätzung der negativen Gesamterfahrungen steigt deutlich mit der Studiendauer. Diese Tendenz sollte den Verantwortlichen zu denken geben.

Belastungen

Die Antworten der Studierenden auf die Frage, welche Belastungsfaktoren zu ihrem Studium zählen, konzentrieren sich eindeutig auf Orientierungsprobleme im Studium einerseits und auf das Klima an der Hochschule andererseits. Die Klage, sich im Studium nur schwer zurechtzufinden, ist keineswegs neu. Sie wird u.a. durch die Untersuchung von BARGEL (1990) bestätigt, der darüber hinaus für sozialwissenschaftliche Studiengänge den fehlenden Praxis- und Berufsbezug des Studiums konstatiert. Dieser Befund wird bei allen diesbezüglichen Fragen durch die Antworten der Befragten bestätigt. Ebenso findet das Orientierungsproblem seine Entsprechung in der Forderung, die Studiengänge stärker zu strukturieren. Jedoch identifiziert sich die Mehrheit der Befragten sehr wohl mit ihrem Studienfach. Diese relativ hohe Identifikation mit dem Studienfach zeigt sich auch in der insgesamt geringen Abbruchneigung bei den Befragten. Fast zwei Drittel haben bisher noch nicht ernsthaft an einen Studienabbruch gedacht. Diejenigen, die bereits einen Abbruch erwogen haben, würden diesen Schritt häufig aufgrund genereller Zweifel am Sinn eines Studiums vollziehen, dem unklaren Studienaufbau käme bei der Abbruchentscheidung hingegen kaum eine Bedeutung zu.

Das Klima an der Hochschule, das unter anderem durch die Anonymität an der Universität und den Umgangsstil einiger Lehrender geprägt wird und wahrscheinlich für die von vielen Befragten genannten Redehemmungen sowie Ängste und Unsicherheiten verantwortlich ist, wird von den Studierenden aller Teilgruppen durchgängig als Belastung angegeben. Auch aus der Gruppe der potentiellen Abbrecher waren Ängste und Zweifel für fast jeden Vierten eine Ursache für den Studienabbruch. Es ist nicht weiter verwunderlich, daß speziell die beiden Einstiegssemester aufgrund der für sie neuen und unbekannten Situation besonders starke Hemmungen haben, sich in Veranstaltungen zu äußern. Bedenklich ist aber doch, daß diese Schwierigkeit anscheinend über die gesamte Studiendauer hinweg konstant auf relativ hohem Niveau anhält.

 Zwar beurteilt eine Mehrheit von 55% die Betreuung durch die Lehrenden als insgesamt ausreichend, jedoch ist dieses Ergebnis keinesfalls ein Anlaß zur Beruhigung. Die empfundenen Betreuungsdefizite kommen deutlich darin zum Ausdruck, daß Lehrende bei Studienschwierigkeiten vergleichsweise selten um Rat gefragt werden.

 Ähnlich problematisch verhält es sich bei der Einschätzung der sozialen Integration: 60% der Befragten schätzen ihre Kontakte zu KommilitonInnen und Lehrenden insgesamt positiv ein, immerhin 40% sind damit unzufrieden. Festzuhalten bleibt, daß die Studierenden offenbar ein starkes Bedürfnis nach persönlichen Kontakten zu ihren Lehrenden haben.

Schlußüberlegungen

Die dargestellten Studienorientierungen und Studienmotivationen bieten gute Voraussetzungen für eine daran anknüpfende, problemorientierte Lehre. Jedoch kann gerade bei den stark auf die eigene Person bezogenen Erwartungen an das Studium die Gefahr entstehen, daß die Diskrepanz zwischen den fachlich-inhaltlichen Anforderungen und den Erwartungen der Studierenden zu groß wird. Dem könnte deutlich intensivere Beratung und Betreuung begegegnet werden. Das ließe sich zusammen mit den geäußerten Orientierungsproblemen, der beklagten Distanz zu den Lehrenden und der Anonymität möglicherweise mit einem am englischen Vorbild orientierten Tutorensystem erreichen. So könnte eine verbesserte Kommunikation über Fachstudium und Berufsperspektiven entstehen. Den Lehrenden wäre die Chance zur Verdeutlichung ihrer Perspektiven und der Anliegen ihrer Fachdisziplin gegeben.

Die Anforderungen an eine klarere Gliederung des Studiums, die ja auch von der Vertretung der Studierenden verstärkt gefordert wird, haben natürlich zunächst eine bessere curriculare Planung zur Voraussetzung. Durch inhaltlich abgestimmte Veranstaltungsangebote müßten die Lehrenden dem verstärkt Rechnung tragen. Das alles würde aber auch ein höheres Maß an Verbindlichkeit auf Seiten der Studierenden bedeuten, deren Fehlen von ihnen zugleich beklagt und entschuldigt wird.

 Einen Beitrag zur besseren Strukturierung des Studiums könnte auch die Einführung eines Hochschulgrades (z.B. des B.A.) unterhalb des bisherigen Diplom- oder Magisterabschlusses darstellen. Die unerwartet hohe Akzeptanz, die ein solcher Abschluß vor allem auch bei den sehr lange Studierenden findet, könnte als Hinweis gesehen werden, daß er ein Beitrag zur Lösung des Problems des Studienabbruchs und der Verlängerung der Studienzeiten sein könnte.

 In mancher Hinsicht ist beunruhigend, daß ein wachsender Anteil der Studierenden insbesondere im Studiengang Sozialwissenschaften deutlich länger als 14 Semester studiert. Hier müßten die bisher schon ergriffenen Initiativen verstärkt werden, die die Studierenden bei der Erreichung ihres Studienabschlusses durch Beratungsgespräche unterstützen.

 Schließlich gilt es, dem Wunsch nach einer Intensivierung des Praxisbezuges im Studium nachzugehen.

Die Untersuchungsergebnisse bieten nur wenige Hinweise für die seit einiger Zeit geführte Diskussion über positive Implikationen des Studienabbruchs. Es wird deutlich, daß Studienabbrecher dieses Ereignis in ihrer Mehrheit als belastendes Einschnitt und Mißerfolg erfahren. Es besteht kein Anlaß zu entlastenden Diskursen.

Trotz aller geäußerten Probleme und Verbesserungswünsche erweisen sich die Studierenden in den drei sozialwissenschaftlichen Studiengängen als eng mit dem Fach verbunden und letztlich zufriedener, als es die Kritiken erwarten ließen. Das bietet eine gute Ausgangsbasis für konstruktive Verbesserungen im Studium.


Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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