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Das aktuelle Interview
Zusammengehörigkeit, Wettbewerb und hoher Standard
Nach drei Jahren Amtszeit zieht Universitätspräsident Prof. Dr. Siegfried Grubitzsch Zwischenbilanz und wirft einen Blick in die Zukunft
UNI-INFO: Herr Grubitzsch, Sie blicken am 1. Oktober 2001 auf die erste
Hälfte Ihrer Amtszeit zurück. Werten Sie die inzwischen beschlossene
Organisationsreform, bei der sich die Universität Oldenburg zugunsten
von fünf Fakultäten von ihren elf Fachbereichen verabschiedet,
als Ihren bisher größten Erfolg?
GRUBITZSCH: Die Organisationsreform war und ist mir ein wichtiges Anliegen.
Ich betone: ein Anliegen neben anderen. Nehmen Sie die Verbesserung unserer
internationalen Beziehungen, die Verstärkung der Forschungsleistungen
in den Geistes- und Naturwissenschaften, die Straffung der Verwaltungsstrukturen
oder Fragen des Marketings. Wir sind uns einig, dass Lehre und Studium
auf einem hohen Standard gehalten bzw. dorthin gebracht werden müssen.
Das Technologie- und Gründerzentrum wird Realität. Und, und,
und ... Wir hatten größere und kleinere Erfolge, und wir werden
sie weiter haben, weil alle Beteiligten sehen, dass es viel zu verändern
gibt.
UNI-INFO: Mit welchen Gefühlen sehen Sie dem Umsetzungsprozess der
Organisationsstruktur, der Oktober 2002 abgeschlossen sein soll, entgegen?
GRUBITZSCH: Die Organisationsreform ist ein komplexer Sachverhalt. Sie
beinhaltet die Raumverteilung wie die Verwaltungsstrukturen; das nichtwissenschaftliche
Personal muss auf veränderte Tätigkeiten vorbereitet werden
und die wissenschaftlichen Arbeitszusammenhänge ändern sich.
Wir haben nicht nur eine Organisationsreform, sondern mit ihr eine Gesamtreform
der Universität beschlossen, die die Zentralen Einrichtungen und
die Verwaltung gleichermaßen mit einbezieht. Das ist ein kompliziertes
Unterfangen, das die Unterstützung aller Kolleginnen und Kollegen
braucht.
Stärken und Potenziale
UNI-INFO: In Ihrer Antrittsrede am 12. Oktober 1998 sagten Sie: "Wir
können uns nicht mehr leisten, Spitzenleistung und Breite in gleichem
Umfang zu verwirklichen". Wird es dazu kommen, dass einige wenige
Forschungsschwerpunkte künftig stark gefördert werden, während
andere Bereiche langsam aussterben?
GRUBITZSCH: Wir sind in einer schwierigen Situation. Bei gleichbleibendem
oder sogar sinkendem Haushalt wollen und müssen wir uns dem Wettbewerb
mit anderen Hochschulen
stellen. Wir wollen die Forschungsleistung stärken, die Studierenden
sollen nicht weniger werden, Lehre und Studium sollen von hohem Niveau
sein und wir wollen neue Studiengänge anbieten. Bei alledem sind
die Neuen Technologien mit ihren Möglichkeiten für das Studienangebot,
Multimedia-Entwicklungen und die Gestaltung der Universität als I+K-freundliche
Hochschule von größter Wichtigkeit. All das kostet Geld, das
wir nicht haben oder vom Land nicht zusätzlich bekommen. Wenn wir
zudem angesichts des anstehenden Generationenwechsels unsere Berufungsfähigkeit
aufrecht erhalten wollen, müssen wir uns fragen, wie wir zukünftig
unser Fächerspektrum und die Studienangebote ausgestalten wollen.
Bei allem reden wir nicht nur über Forschung und schon gar nicht
über langsames Aussterben. Wir müssen entscheiden - das allein
bringt Transparenz, größtmögliche Klarheit und gewährleistet
zielgerichtetes Verhalten. Wir können uns nicht dauernd in die Tasche
lügen nach dem Motto "anything goes".
UNI-INFO: In welchen Forschungsbereichen sehen Sie das stärkste Potenzial
der Universität?
GRUBITZSCH: Die Universität ist ein dynamisches System in einem dynamischen
Umfeld. Wer Forschungsstärken benennt, liefert zwangsläufig
eine Momentaufnahme. Nehmen Sie beispielsweise unser Zentrum für
Frauen- und Geschlechterforschung. Bei der Gründung haben wir gesagt,
es muss seine Leistungsfähigkeit erweisen, bevor wir es in ein Forschungszentrum
der neuen Art überführen können. Das gilt für alle
sich entwickelnden Schwerpunkte. Heute sind dies vor allem die Neurokognition
mit der physikalischen Akustik, der Neurobiologie und der Neurosensorik
sowie Neuropsychologie. Unser ICBM gilt als das niedersächsische
Zentrum für Meeres- und Flachwasserforschung und unsere Material-
und Halbleiterforschung sowie die Erneuerbaren Energien werden sehr stark
national und international wahrgenommen. Das gilt auch für die Informatik
in komplexen integrierten Systemen. Es ist Ausdruck der besonderen historischen
Situation, dass die geisteswissenschaftlichen Bereiche nicht die Beachtung
finden, die sie verdienen. Einmal abgesehen vom Graduiertenkolleg "Didaktische
Rekonstruktionen" denke ich beispielsweise an das Projekt der Tucholsky-Gesamtausgabe
oder das Hannah Arendt-Zentrum. Andere forschungsstarke Bereiche wie die
Familiensoziologie oder die Stadtsoziologie finden leider nicht einmal
im eigenen Fachbereich die erforderliche Unterstützung.
UNI-INFO: Ist es das Ziel der Universitätsleitung, die Universität
Oldenburg zu einer klassischen Forschungsuniversität zu entwickeln?
GRUBITZSCH: Nein. Für eine reine Forschungsuniversität fehlen
uns zahlreiche Voraussetzungen. Wir haben hervorragende Forschungskapazitäten
in einigen Bereichen und gute Studienangebote und sollten das vorhandene
Potenzial konsolidieren, bei Neuberufungen auf qualitative Ergänzungen
in den jeweiligen Feldern achten und eine Universität bauen, die
einen hohen Standard von Studium und Lehre und einige wirkliche Highlights
in der Forschung bietet.
Interdisziplinärer Ansatz
UNI-INFO: In der "Frankfurter Rundschau" wurde kürzlich
die Frage gestellt: Wie viel Kultur- und Sozialwissenschaften wollen sich
Hochschulen in Zeiten des Wettbewerbs und zunehmender Kommerzialisierung
von Bildung noch leisten? Wie würden Sie diese Frage für die
Universität Oldenburg beantworten?
GRUBITZSCH: Wissen Sie, auch wenn ich selber bisweilen die Natur- und
Geisteswissenschaften gegenüberstelle, scheint mir angesichts der
Wissenschaftsentwicklungen eine Entweder-Oder-Betrachtung falsch. Wenn
es stimmt, und unsere Organisationsreform zielt darauf, dass wir stärker
interdisziplinär arbeiten und denken, dann sind es die Fragestellungen
der Forschung, die den Rahmen abstecken. Denken Sie nur an die neue Sicht
einer Lebenswissenschaft - wer könnte da auf sozialwissenschaftliche
Erklärungsansätze verzichten? Denken Sie an das Küstenzonenmanagement
- wer würde da auf die Wirtschaftswissenschaften verzichten wollen?
Aber die Wissenschaften müssen sich auch einbringen und öffnen,
um solchen Themengebieten ihr Wissen zur Verfügung zu stellen.
Gemeinsame Sachen
UNI-INFO: Als "Hauen und Stechen hinter den Kulissen" haben
kürzlich Mitarbeiter die zunehmenden Verteilungskämpfe beschrieben,
die ja auch Folge der Konzentration auf bestimmte Wissenschaftsbereiche
sind. Wo bleibt da das "Wir-Gefühl" an der Universität
Oldenburg?
GRUBITZSCH: Wer Leistung, Differenzierung und Wettbewerb will, muss in
Kauf nehmen, dass
sich nicht alle in den Armen liegen. Wissenschaftliches Arbeiten ist stets
geprägt vom Bestreben, zu den Besten zählen zu wollen. Gleichwohl
sollten wir Wissenschaftsfreiheit nicht missverstehen in dem Sinne, jeder
habe nur den eigenen Vorgarten zu pflegen, in dem er nach Belieben schalten
und walten kann. Wir sind auch füreinander da. Wir entscheiden gemeinsam
in den Gremien, welche Schwerpunkte wir gutheißen oder welche Nachwuchswissenschaftler
wir fördern wollen. Zu den Besten gehören kann (aus sehr verschiedenen
Gründen) nicht jeder. Also müssen wir überlegen, wie wir
die vorhandenen Kapazitäten unter den personellen und sachlichen
Voraussetzungen zum Besten werden lassen können. Ein Wir-Gefühl
kann sich bilden, wenn alle sich auf gemeinsam definierte Ziele konzentrieren,
ihre Arbeit in den Dienst dieser Sache stellen und Erfolge anderer auch
als eigene ansehen. Wenn der Kollege aus der Verwaltung sich über
die Leistung der Wissenschaftlerin freut, die ihre Unterstützung
von Kollegen aus dem Fach erhält, weil sie ein gutes Drittmittelprojekt
an Land gezogen hat. Stolz sein auf die Leistung anderer, mit einer Kollegin
für die Genehmigung eines Projektes fiebern, das ist doch toll.
Sponsoren und Gebühren
UNI-INFO: Wegen der Mittelknappheit setzen viele Hochschulen auf Sponsoring.
Wo sehen Sie die Chancen des Sponsorings und wo würden Sie eine klare
Grenze ziehen?
GRUBITZSCH: Die Gesellschaft hat sich ihre Hochschulen geschaffen, und
sie hat für sie die Verantwortung zu übernehmen, wie die Hochschulen
umgekehrt diese Verantwortung wahrnehmen müssen. In Zeiten knapper
Finanzen sollten wir den Staat nicht allzu früh aus der Pflicht entlassen.
Zugleich aber bleibt der Wirtschaft und der Öffentlichkeit, spezifische
Aufgaben in der Universität mit ihr zu gestalten, wenn die Finanzierung
dafür übernommen wird. Zu welchem Zweck und mit welchen Inhalten
eine solche Zusammenarbeit aufgenommen wird, sollte die Universität
genau prüfen, um einseitige Abhängigkeiten und fragwürdige
wissenschaftliche Fragestellungen zu vermeiden. Wenn aber in beiderseitigem
Interesse geforscht und ausgebildet wird, sollte das "public private
partnership" genutzt werden.
UNI-INFO: Wissenschaftsminister Oppermann hat inzwischen im Kabinett Studiengebühren
für Langzeitstudierende durchgesetzt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
GRUBITZSCH: Die Gebühren für Langzeitstudierende sind für
mich keine Studiengebühren. Es sind Strafgebühren. Werden sie
den Hochschulen überlassen, könnten sie sogar die Hochschulen
veranlassen, ihre Studienangebote nicht zu verbessern, weil die Summe
steigt, je länger studiert wird. Ich sehe mittelfristig in solchen
"Strafgebühren" eine große Gefahr. Die Debatte um
die Studiengebühren oder Studienzeitkonten und um die Strafaktion
darf nicht durcheinander geworfen werden. Über Studiengebühren
dürfen wir nur im Zusammenhang mit einem ausgewogenen und sehr gut
funktionierenden Stipendiensystem sprechen. Studiengebühren sollen
nicht zur Ausgrenzung jener Studierwilligen führen, deren Eltern
ein Studium nicht finanzieren können.
Dienstleistung und Werbung
UNI-INFO: Die Universität Oldenburg wirbt mit Maßnahmen wie
Radiospots und Anzeigenkampagnen sehr erfolgreich um neue Studierende.
Viele wechseln jedoch nach einigen Semestern die Hochschule, ohne dass
dies durch Zuwanderung ausgeglichen wird. Worin sehen Sie die Gründe?
GRUBITZSCH: Die Gründe, warum wir mehr Studienanfänger als andere
niedersächsische Universitäten haben, sind vielfältig.
Und warum Studierende von hier weggehen,
ebenso. Wir sollten unsere Studienangebote auf ihre Qualität hin
befragen und nachdenken, welche Angebote die Oldenburger Universität
vor anderen Hochschulen auszeichnen, nicht nur um Studierende zu halten,
sondern auch, um von auswärts Studierende hierher zu locken. Das
kann mit Masterstudiengängen, aber auch durch spezifische Betreuungsangebote
oder andere "weiche" Standortfaktoren gelingen, wie PC-Ausstattung,
Mensa, Studentenwohnheime etc.
UNI-INFO: Welche konkreten Ziele verfolgen Sie in punkto Profilbildung
in der Lehre?
GRUBITZSCH: Es gibt über 1000 Bachelor-/Masterstudiengänge an
deutschen Hochschulen. Wenn Sie unsere Universität betrachten, reichen
zum Zählen die Finger einer Hand. Das muss besser werden, nicht nur
weil es modern ist. Die Bologna-Konferenz und die Prager Übereinkunft
der europäischen Länder bringen den erklärten Willen zum
Ausdruck, konsekutive Studiengänge flächendeckend einzuführen.
Auch Deutschland hat diese Vereinbarung unterzeichnet. Man kann das hinauszögern,
weil man den Trend aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnt. Aufhalten
können wir die Entwicklung nicht. Als wichtige Reformelemente sollten
gelten: die Modularisierung der Studienangebote, ein Leistungspunktsystem
sowie Studien- und Prüfungsordnungen, die Auslandsaufenthalte während
des Studiums obligatorisch machen. Gerade die Masterstudiengänge
geben uns die Flexibilität, unsere Studieninhalte stärker auf
die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes abzustellen bzw. auch neue (interdisziplinäre)
Angebote zu konzipieren, mit denen wir uns von anderen Hochschulen absetzen
können. Diversifikation ist gefordert und Flexibilität. Beide
zusammen ermöglichen unserer Universität ein Überleben
- jedenfalls wenn wir die Nachfrage von Studierwilligen im Blick haben.
UNI-INFO: Serviceorientierung - ein Begriff, der immer wichtiger wird.
Wie sehen Sie die heutige Situation im Vergleich zum Zeitpunkt Ihrer Amtsübernahme?
GRUBITZSCH: Nun, da hat sich schon eine Menge getan. Die Zentrale Studienberatung
hat ihre Angebote erweitert und umgestaltet. Dies geschah auch in Abstimmung
mit dem Dezernat 3, dem Dezernat für Studentische und Akademische
Angelegenheiten. Wir haben aus Gründen der Straffung zwei Dezernate
aufgelöst bzw. verlagert. Wir haben das Hochschulrechenzentrum evaluiert
und sind dabei, die Ergebnisse in die Praxis umzusetzen, weil wir einen
besseren Service mit den zur Verfügung stehenden Kapazitäten
organisieren wollen. Wir befinden uns im Entscheidungsprozess über
die Zusammenführung des Zentrums für pädagogische Berufspraxis
und des DIZ in ein Zentrum für Lehrerbildung. Wir haben bereits einen
Senatsantrag für die Verbesserung der E-Learning-Angebote im Bereich
des internetgestützten Lernens und der Multimedia-Nutzung auf dem
Tisch und wir haben kürzlich im Senat weitergehende Maßnahmen
zur Verbesserung der Einwerbung von Drittmitteln für die Forschung
beschlossen.
Uni, Wirtschaft und Region
UNI-INFO: Stichwort "Spitzen aus Nordwest". Gibt es erste Erfolge?
GRUBITZSCH: Mit dem von Vertretern von Wissenschaft und Wirtschaft herausgegebenen
Weißbuch "Spitzen aus Nordwest" wollen wir vor allem auf
die Stärken der Wissenschaft im Nordwesten aufmerksam machen. Die
Landesregierung soll die Chancen der Region erkennen und durch Bereitstellung
von Investivmitteln zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Das
Gejammere über die permanente Benachteiligung der Region muss ersetzt
werden durch das Aufzeigen ihrer Spitzen und Spitzenleistungen. Tatsächlich
sind die Analysen auf breite Resonanz gestoßen. Auch sind finanzielle
Zusagen oder Aufforderungen zur Erarbeitung von Konzepten gemacht worden.
OFFIS erhält mehr Geld, das ICBM wird unterstützt, die regenerativen
Energien, vor allem Windenergie, sollen verstärkt gefördert
werden in Zusammenhang mit der Materialforschung und dem Küstenzonenmanagement,
und die Informatik soll mit dem Handlungsfeld Sicherheitskritische
Systeme ausgebaut werden. Dem E-Learning in Verbindung mit dem in
Planung befindlichen Zentrum für Distributed Learning einschließlich
bereits bestehender Aktivitäten in diesem Handlungsfeld der I+K-Techniken
werden große Chancen bei der Bewerbung um kommende Landesmittel
eingeräumt.
UNI-INFO: Herr Grubitzsch, Sie haben drei Wünsche frei. Was liegt
Ihnen für die Zukunft der Universität besonders am Herzen?
GRUBITZSCH: Das lässt sich schnell sagen: eine Studienreform, die
uns zu einem hohen Standard in Studium, Lehre und Weiterbildung führt
und unsere Absolventen allerorten sehr begehrt macht; ein oder zwei weitere
Sonderforschungsbereiche, noch mehr Zusammengehörigkeitsgefühl
für die gemeinsame Sache und die Gewissheit, dass nicht der Blick
zurück, sondern jener in die Zukunft unsere Arbeit bestimmt.