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Pro & Contra zum Kinospot
Im Juni hat die Universität einen ironisch augenzwinkernden Kinospot
geschaltet, der nach einer Reise durchs Hirn das Gesicht eines jungen
Mannes zeigt, dessen Stirn wächst. Dazu erscheint der Schriftzug
Professionelle Hirnerweiterung - Universität Oldenburg.
Der Spot, der in 109 Kinos Norddeutschlands gezeigt wurde, hat eine zum
Teil heftig geführt Diskussion ausgelöst. Dr. Reinhard Schulz
(Institut für Philosophie) und der Marketingexperte Prof. Dr. Thorsten
Raabe haben ihr Positionen aufgeschrieben.
Gegenwart des unsichtbaren Geistes
Im März 1987 hielt der Religionsphilosoph Klaus Heinrich den Vortrag
Zur Geistlosigkeit der Universität heute, der als Oldenburger
Universitätsrede Nr. 8 längst vergriffen ist, aus aktuellem
Anlass aber neu aufgelegt werden sollte.
Professionelle Hirnerweiterung Uni Oldenburg erstmals
in der Kinowerbung - unter diesen Titel stellte das Uni-Info im
Mai 2004 seinen Leitartikel. Und der neue Flyer für Studieninteressierte
verspricht Zukunft schon jetzt. Beide Male geht es um den
Victor, einen Ostfriesen mit asiatischem Einschlag, und die
groteske Deformation seines Kopfes.
Heinrich diagnostizierte seinerzeit: Wir haben die Faszination der
Massenpresse erst nur sehr ungenügend beschrieben, den immer gleichen
Inhalt nicht benannt: katastrophische Ereignisse, die in Bild und Schrift
von den Schautafeln winken (...) Katastrophenfaszination in Comics und
eigens dafür erfundenen Kinoserien hat das pornographische Genre
auf den zweiten Platz verwiesen, soweit es sich nicht selbst mit katastrophischer
Faszination behauptet.
Victor und seine per Computersimulation vergrößerte Stirn bestätigen
diesen Befund eindrucksvoll. Begleitet durch das Augenzwinkern des Sympathieträgers,
das, wenn es denn als ironische Brechung verstanden werden soll, in den
Flyern nicht erkenntlich ist, setzt die AG Werbung um Studierende
auf unterstellte Seh-, Hör- und Konsumgewohnheiten der jungen Generation,
auf Katastrophenfaszination, der sich Victors Aussehen sicher
sein kann, um künftige Bewerber nach Oldenburg zu locken: Studienplatzwahl
als PR-Gag.
Noch etwas macht mir jedoch bei dieser PR-Kampagne Kopfschmerzen: Die
Oldenburger Universität hat sich nach langem Streit mit der Landesregierung
den Namen eines Andersdenkenden, nämlich den von Carl von Ossietzky
erstritten, dessen biographische Daten sich auf den neuen Flyern neben
dem lachenden Victor finden. Zwischen Ossietzky und Victor jedoch gibt
es keine auch nur irgendwie denkbare Verbindung. Dazu noch einmal Heinrich:
Der Gesellschaft das Bewußtsein ihrer selbst zu geben: diese
vornehmste Aufgabe einer Universität, (
) ist heute dem allgemeinen
Symbolesterben, der institutionellen Geistlosigkeit der Universität
zum Opfer gefallen.
Das Symbol dieser Universität ist der Name eines Andersdenkenden.
Anderes Denken bildet sich im Gespräch, im Hinhören, in Lektüre,
in Reflexion, im kritischen Urteil, im forschenden Lernen, im kreativen
Einfall, im wissenschaftlichen Querdenken. Diese und andere lebendige
geistige Prozesse, die den akademischen Alltag nach wie vor kennzeichnen,
bleiben jedoch unsichtbar. Könnte es sein, dass Victors Aussehen
diese Geist-Attribute positiviert, was ihrer Vernichtung gleichkäme?
Verschafft er, wenn auch ungewollt ironisch, der szientifischen Hoffnung
Nahrung, dass der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit geistiger Anstrengungen,
wie denen eines akademischen Studiums, eigentlich nur dann zu trauen sei,
wenn sie auch sichtbar gemacht werden könnten?
Es steht zu befürchten, dass die preisgekrönten PR-Füchse
gar nicht so weit dachten. Schließlich verläuft ihr Geschäft
nach eigenen Gesetzen, die zwischen der Werbung für ein Konsumprodukt
und für ein akademisches Studium keinen Unterschied machen. Die akademische
Kultur aber lebt von der Gegenwart des unsichtbaren Geistes
(Heinrich) und unsere gemeinsamen Bemühungen sollten darauf gerichtet
sein, diesen Geist gegen Victors schlechten Positivismus gemeinsam zu
verteidigen.
Reinhard Schulz
(K)eine Gegenpolemik
Die Story ist schnell erzählt: Nach der Reise durch
die Windungen eines Gehirns wird uns das Gesicht des jungen Victor präsentiert,
dessen Stirn sich langsam aber stetig zur Denkerstirn erhöht. Zukunft
schon jetzt durch Bachelor- und Masterstudiengänge an der Carl
von Ossietzky Universität verweist auf den Auslöser der professionellen
Hirnerweiterung. Der ungewöhnliche Werbespot schlägt offensichtlich
Wellen in der Universität und in den Medien. Gut so,
würde der Marketingfachmann sagen, die Aktivierungswirkung
der Kampagne ist hoch. Die Kritik am Spot zeigt (scheinbare?) Parallelen
zur Entrüstung über die Benetton-Werbung in den 90er Jahren:
Tatsächlich hat damals die überwiegend durch Geschmacksurteile
geprägte Diskussion über Werbemotive wie ´Aids´
und ´Hunger in der Welt´ zur Erreichung eines hohen Bekanntheitsgrades
maßgeblich beigetragen und keine negativen Imagewirkungen in den
Zielgruppen provoziert.
Eine Bewertung von Werbespots aus geschmacklicher Perspektive
führt bekanntlich leicht zum infiniten Diskurs und läuft Gefahr,
in den widerstreitenden Geschmacksorientierungen die Lebens- und Wahrnehmungsrealitäten
der angesprochenen Zielgruppe(n) zu verkennen. Diese Gefahr wird nicht
abgewendet, wenn der Werbespot unter Bezug auf den Religionsphilosophen
Klaus Heinrich in den Wirkungskontext des pornographischen Genre(s)
gestellt und die Instrumentalisierung katastrophischer Faszination
beklagt wird. Massenmediale Werbung kann unter den heutigen Bedingungen
fast nur noch Aufmerksamkeit schaffen - um künftige Bewerber tatsächlich
nach Oldenburg zu locken, bedarf es mehr an substanzieller
Information und begründeter Überzeugungsarbeit (diesbezügliche
Zweifel fußen auf einem Menschenbild, das selbst PR-Füchse
schon aus Erfahrung nicht teilen).
Zu Recht wird die Frage aufgeworfen, ob die Werbe-Darstellung mit Auftrag
und Selbstverständnis unserer Universität im Einklang steht.
Universitätsmarketing kann tatsächlich nicht wie die Vermarktung
eines Konsumprodukts konzipiert werden, sondern ist als identitätsorientiertes
Marketing zu planen. Voraussetzung dafür ist aber, dass ein explizites
Selbstbild in breit geteilter Form vorherrscht. Angesichts der allgemein
geringen Wirkung von top-down Identitäts(an)geboten (was
wohl auch für das aktuelle Leitbild der Carl von Ossietzky Universität
gilt) stellt sich eine zu leistende Hausaufgabe - die Diskussion
und Klärung des Selbstbildes der Universität und zwar in einem
breiten internen Forum.
Es wäre zu begrüßen, wenn die aktuelle Werbespot-Kritik
in eine intensivere Diskussion münden würde, wie die Wettbewerbsfähigkeit
unserer Universität gestärkt werden und welchen Beitrag ein
Hochschulmarketing (wie es schon von vielen Universitäten im europäischen
Raum praktiziert wird) ggf. dazu leisten kann. Der von der Politik explizit
eingeforderte Wettbewerb zwischen den Universitäten schafft mehr
als den gewohnten Wettbewerbsrahmen im Kreise der scientific communities
als Einzelkampfarenen der Wissenschaftler(innen). Die Hochschulen müssen
sich zunehmend als institutionelle Einheiten bewähren, um die Unterstützung
durch die Öffentlichkeit und Politik nicht zu verlieren. Ein breit
geteiltes und explizites Selbstbild wäre eine zentrale Grundlage
für die zukünftige Aussagengestaltung in der Kommunikation und
damit für die wettbewerbswirksame Sichtbarkeit der gelebten Identität
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Thorsten Raabe