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Bewahren und Verändern

Neun Thesen zur Erneuerung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg aus dem Geist ihrer Geschichte


Die im UNI-INFO (7/07) abgedruckte Halbzeitbilanz des Präsidenten lässt einige zentrale Probleme der Universitätsentwicklung unthematisiert. Sie erweckt den Eindruck, zum einmal eingeschlagenen Weg gebe es keine Alternative. Die behauptete Alternativlosigkeit wird aber weder den komplexen aktuellen gesellschaftlichen Problemlagen noch der bestehenden Vielfalt wissenschaftlichen Eigensinns an unserer Universität gerecht. Aus diesem Grund ergänzen wir als Gruppe „Universität im Umbruch“ die Halbzeitbilanz mit folgenden Thesen. Wir hoffen, damit eine breite Diskussion in der Universität anzustoßen.

1. Ein eigener Weg statt Mainstream-Kopie

Der Studienort Oldenburg verdankt seine Attraktivität der Bereitschaft, immer wieder neue Wege zu gehen (z.B. einphasige Lehrerausbildung, regenerative Energien, Meeres-, Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung). Zurzeit tritt an die Stelle bewahrender wie verändernder Pflege der in der Vergangenheit gewachsenen Qualitätsmerkmale und Vielfalt von Forschung und Lehre die Durchsetzung von Schwerpunktprofilen: Bestimmte Forschungsgebiete werden privilegiert, andere diskriminiert. Diese Entwicklung hat zur Bildung unserer Gruppe „Universität im Umbruch“ geführt, an der gerade auch einige von denen beteiligt sind, die sich vor dem Sommer 2004 für die Bildung eines neuen Präsidiums eingesetzt haben.

2. Das Präsidium einer Universität muss Führung modern verstehen:
Moderieren und Impulse geben

Aufgabe einer zukünftigen Hochschulentwicklung ist nach unserem Verständnis die Bewahrung wissenschaftlicher Pluralität bei gleichzeitiger Profilbildung. Profilbildung sollte in engem Austausch mit den WissenschaftlerInnen der an der Universität vorhandenen Fächer und Institute erfolgen, an vorhandene Leistungen in Forschung und Lehre anknüpfen sowie auf überzeugenden Konzepten aufbauen. Die Möglichkeit zu wissenschaftlichen Paradigmenwechseln, die eine Grundvoraussetzung allen wissenschaftlichen Fortschritts darstellt, sollte nicht durch die einseitige Festschreibung bestimmter Forschungsausrichtungen erschwert oder gar unmöglich gemacht werden. Da Präsidien in der Regel fachfremd Entscheidungen zu treffen haben, ist es notwendig, dass Entscheidungen mit strukturperspektivischen Folgen in enger Rückbindung an die jeweils relevanten Fächer erfolgen.

3. Die Exzellenzinitiative ist vor allem ein Machtspiel -
zukünftsfähige Forschung setzt Vielfalt voraus

Wissenschaftliche Exzellenz ist … nichts selbstverständlich Gegebenes, sondern eine soziale Konstruktion… Die politische Heraushebung weniger Eliteinstitutionen trägt zwar zu deren internationaler Sichtbarkeit bei, sie untergräbt jedoch die nationalen Voraussetzungen der erfolgreichen Entwicklung, Diffusion und Nutzung von Wissen, weil sie Wettbewerb, Vielfalt und Kreativität einschränkt.“ Wir sind mit diesem Befund des Bamberger Soziologen Richard Münch in der Hinsicht einverstanden, dass speziell im Zuge der Expansion der Drittmittelforschung der letzten Jahre Forschungsförderung in Deutschland vor allem als Machtspiel oligarchischer Gruppen funktioniert und eher eine Karikatur von echtem Wettbewerb als die Bemühung darstellt, diesem zum Durchbruch zu verhelfen. Einen unkritischen Anschluss an die Exzellenzinitiative in ihrer gegenwärtigen Form halten wir insbesondere für eine mittlere Universität wie die unsere aus sachlichen wie aus erfolgsstrategischen Gründen für äußerst unklug. Statt Freiräume zu öffnen für die Differenzierung unterschiedlicher Qualitäten im Wettbewerb, werden eher Mechanismen in Gang gesetzt, die Homogenisierung und Standardisierung fördern. Das ist kontraproduktiv. Aktuell stellt sich darüber hinaus folgende Frage: Unterliegen wir derzeit möglicherweise im Wissenschaftssystem wie in der Wirtschaft und im Sport einer kulturellen Verschiebung nach dem Motto „The winner takes it all“? Die Folge wäre, dass all diejenigen, die nicht als Spitze definiert werden, nicht länger als gute Qualität ihre Berechtigung haben, sondern nun als schlechtes Mittelmaß diskriminiert und auf diese Weise natürlich eher demotiviert als motiviert werden. Es gibt viele Wege und Formen der Exzellenz. Publikationen, Drittmittelprojekte, Netzwerkarbeit, hervorragende Lehre – all dies müsste Anerkennung finden und dürfte nicht gegeneinander ausgespielt werden.

4. Forschung soll sich zum einen an dem Kriterium orientieren,
Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher Probleme zu erbringen,
zum anderen aber auch Grundlagenforschung sein

Der Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann hat in seiner „Theorie der Unbildung“ festgestellt: „Die Wissensgesellschaft ist keine besonders kluge Gesellschaft.“ Die bange Frage muss lauten: Was trägt unser wissenschaftliches Treiben bei zur Lösung der großen gesellschaftlichen Probleme in einer Welt, die aktuell noch nicht einmal in der Lage zu sein scheint, aus den offenkundigen Anzeichen globaler Klimaveränderungen auch nur minimale Konsequenzen zu ziehen? Die Vermutung oder auch nur Hoffnung, die Bearbeitung der Frage „Wie werden wir Spitze?“ fiele mit erfolgreicher Arbeit an gesellschaftlichen Problemlösungen auch nur ungefähr zusammen, ist offenbar vergeblich. Gesellschaftspolitische Herausforderungen und Orientierungsbedürfnisse der Gegenwart verlaufen quer zu den wissenschaftlichen Disziplinen. Sie verlangen daher für ihre Lösung einerseits die anspruchsvolle Wechselwirkung und Pluralität von empirischen und nichtempirischen Forschungsmethoden, andererseits einen Freiraum, in dem nicht dauernd nach Drittmitteln geschielt wird bzw. werden muss. Nach unserem wissenschaftlichen Selbstverständnis lässt sich die gesellschaftliche Relevanz von Wissenschaft und wissenschaftlicher Exzellenz nicht in eine zukunftsfähige Beziehung bringen, wenn tatsächlich oder nur erhofft ‚drittmittelträchtige’ Profile verordnet werden.


5. Die Universität der Zukunft braucht ein ausgewogenes Verhältnis der Fächerkulturen, jegliche Vereinseitigung schadet nur

Wie jedes gesellschaftliche Phänomen unterliegt auch die universitäre Wissenschaft gesellschaftlichen Modeerscheinungen. Während kritischen geistes- und sozialwissenschaftlichen Paradigmen und Denkstilen in den Jahren der Studentenbewegung und danach womöglich eine zu bedeutende Rolle zugesprochen wurde, drohen diese gegenwärtig auf dem Altar der Modernisierung der Universitäten geopfert zu werden. Der im Januar von der Bundesministerin Schavan vollzogenen Ausrufung des Jahres 2007 zum Jahr der Geisteswissenschaften spricht die wirkliche Entwicklung nicht nur in Oldenburg, sondern an vielen Universitäten Hohn.

6. Für die erneute Verknüpfung von Forschung und Lehre

Angesichts der immensen gesellschaftlichen Herausforderungen brauchen wir nicht etwa eine kleine internationale wissenschaftliche Elite, die sich abseits der Weltöffentlichkeit in ihren Zeitschriften artikuliert, sondern eine große Zahl mit dem Stand der Forschung vertrauter AkademikerInnen, die neben ihren fachlichen Fähigkeiten über ein hinreichendes Maß fachübergreifender sozialer und kultureller Kompetenzen verfügen, um ihren Teil der Verantwortung für die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft tragen zu können. Die sprunghaft gestiegene Bedeutung der Drittmittelforschung für die Reputation in den interuniversitären Wettbewerben und das inflationäre Ansteigen von Drittmittelprojekten und Antragsbemühungen führen im Ergebnis dazu, ProfessorInnen fortschreitend zu ManagerInnen der Forschung anderer zu machen, scheinbar auch noch als Ausdruck ihrer sozialen Verpflichtung, weil die Chancen des akademischen Mittelbaus in Deutschland schlechter denn je sind. Die Preisgabe eigenen wissenschaftlich forschenden Handelns und die Verlagerung von Forschung an außeruniversitäre Institutionen untergraben systematisch die Möglichkeit, die universitäre Einheit von Forschung und Lehre substanziell zu revitalisieren. Zwischen den Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen außeruniversitärer Forschungseinrichtungen und jenen an den Universitäten, gerade solchen, die sich in der Lehre stark engagieren, entwickeln sich in der Konkurrenz um knappe Drittmittelressourcen systematisch Nachteile für die letzteren, was die Arbeit im akademischen Mittelbau der Universitäten noch unattraktiver macht und die Qualität der Lehre, die an vielen Orten gerade von Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen getragen wird, weiter schwächt. Wir treten nachdrücklich dafür ein, Forschung und Lehre in zukunftsfähiger Weise wieder stärker zu integrieren.

7. Die Universität sollte kein Opfer der Beschleunigungsgesellschaft werden

Immer hektischer werden Akquisitionsbemühungen für neue Projekte gestartet, kaum dass das letzte konzeptionell und organisatorisch begonnen wurde. Immer hektischer werden Artikel für internationale Journals geschrieben, weil sie wichtig für die persönliche Positionierung sind: Bei manchen Berufungsprozessen hat man inzwischen den Eindruck, sie könnten auf dem Wege des bewertenden Zählens der Publikationslisten überflüssig gemacht werden (nebenbei: die Lehrbefähigung spielt offenkundig gar keine Rolle mehr). So wird immer mehr geschrieben (häufig ohne inhaltlich irgendetwas Neues zu generieren), aber immer weniger gelesen und über wissenschaftliche Ergebnisse diskutiert. Hektik ist allerdings der Feind jeglicher wirklichen Bewegung.

8. Das Gewicht der Lehre aufwerten und zukunftsfähige Lehrmethoden entwickeln

Die Universität hat Dienstleistungsfunktionen zu erfüllen. Insofern ist Ausbildung wichtig. Das übergreifende Ziel aber heißt Bildung. Die Lehre darf nicht den Eindruck erwecken, funktionierende Werkzeuge für eine funktionierende Welt zu vermitteln. Neben dem fachlich erforderlichen Verfügungswissen muss insbesondere auch Orientierungswissen vermittelt werden. Es wäre fatal, dies allein als Aufgabe der Geisteswissenschaften zu betrachten.
Es braucht vor allem eine Förderung der didaktischen Fähigkeiten der Lehrenden. Aus ihrer Tradition heraus sollte sich die Universität Oldenburg gerade in diesem Feld besonders engagieren. Hier liegen Stärken, welche zurzeit noch nicht hinreichend genutzt werden. Die Verknüpfung zwischen Forschung und Lehre darf nicht nur eine Leerformel in Leitbildern bleiben – sie muss mit Leben gefüllt werden. Gegenüber Tendenzen, die Lehre mittels der Delegierung an Lehrkräfte für besondere Aufgaben (LfbA) abzuwerten, ist es umgekehrt erforderlich, die Lehre symbolisch und materiell aufzuwerten sowie im Berufungsverfahren gebührend zu berücksichtigen.

9. Rankings und Evaluationen: eine kritische und reflektierte Einstellung
gegenüber den externen Anforderungen einnehmen

Noch einmal Konrad Paul Liessmann: „Was ist eine gute Universität? Evaluieren und reihen! Worin erweist sich wissenschaftliche Dignität? Publikationsorgane reihen! Welche Forschungsprojekte sollen verfolgt werden? Gutachten einholen und reihen! Nie ist die Sache selbst Gegenstand einer Betrachtung, immer nur der Platz, den sie auf einer ominösen Liste einnimmt. Die Fetischisierung der Rangliste ist Ausdruck und Symptom einer spezifischen Erscheinungsform von Unbildung: mangelnde Urteilskraft. In seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht von 1798 hatte Immanuel Kant fehlende Urteilskraft eine Form der Dummheit genannt.“ Ordnungspolitisch ergibt sich für Ökonomen, die echten Wettbewerb favorisieren, übrigens ein erstaunlicher Befund: Weil hinter diesen Instrumenten Agenturen für Rating und Ranking stehen, deren Legitimation bis auf weiteres als dubios bezeichnet werden darf, hat das Ganze weniger mit freiem Wettbewerb zu tun als mit einem dicht gestaffelten Netz von Politkommissaren – gegenüber den Universitäten entwickeln sich ähnliche Prozesse wie oben für die interne Veränderung der Universität diagnostiziert.
Die zeitlichen Ressourcen, die die Forschenden und Lehrenden für die Bedienung von Agenturen und Akkreditierungsprozessen verwenden müssen, werden der wissenschaftlichen Arbeit entzogen. Die Carl von Ossietzky Universität sollte dieser zunehmenden Außensteuerung nicht hinterher laufen, sondern sich mit anderen zusammen dieser Entwicklung entgegenstellen.

Schlussbemerkung

Im November 2006 und im Mai 2007 hat unsere Gruppe „Universität im Umbruch“ zwei Veranstaltungen zur Zukunft der universitären Forschung und Lehre durchgeführt. Das treibende Motiv dieser beiden Veranstaltungen war der Wunsch danach, hier an unserer Universität eine größere Intensität und ein höheres Niveau an öffentlicher Auseinandersetzung zu erreichen über die schwerwiegenden Weichenstellungen, die gegenwärtig für unsere Universität und unser Wissenschaftssystem vorgenommen werden, ohne dass unseres Erachtens von einer hinreichend gründlichen, substanziellen und offenen Diskussion darüber an den Universitäten und gerade auch bei uns selbst die Rede sein kann. Diese Weichenstellerei fällt nicht vom Himmel, sie folgt auch nicht unhintergehbaren Gesetzen, wie manche den Eindruck erwecken, sie wird gemacht mit bestimmten Vorstellungen, mit bestimmten Absichten und mit bestimmten, absehbaren Folgen. Will man in der Universität nicht bloß Objekt oder Dienstleister, sondern Subjekt (nicht bloß Agierter, sondern Agens) sein, so wird man dies nicht dadurch, dass man gegebenen Trends hinterher läuft. Statt kurzfristiger, Status quo gebundener Mangelkompensation sind Perspektiven gefragt, die über den Status quo hinausweisen. Die Qualitäten, die der Studienort Oldenburg aufgrund seiner Geschichte mitbringt und die es mit Unterstützung des Präsidiums auszubauen gälte, wären die beste Voraussetzung dafür, dass die Carl von Ossietzky Universität einen aktiven Part bei der Gestaltung der Zukunft der Universitäten in diesem Land spielt. Es wäre schade, würde dieses ihr Potenzial nicht genutzt.


Gruppe Universität im Umbruch:
Prof. Dr. Thomas Alkemeyer, Prof. Dr. Thomas Blanke, Dr. Rainer Fabian, Prof. Dr. Johann Kreuzer,
PD Dr. Martin Müller, Prof. Dr. Reinhard Pfriem, Prof. Dr. Reinhard Schulz

Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
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