Hochschulzeitung UNI-INFO

Uni-Info Kopf

Inhalt 5/2008

Thema


"Ein Weltverbesserer ist doch immer gut"

Was bedeutet der Name "Carl von Ossietzky Universität" für Studierende und Lehrende heute? / Von Gunilla Budde

Den 70. Todestag des Namensgebers der Universität, Carl von Ossietzky, beging die Universität am 8. Mai mit einer Veranstaltung, auf der der Herausgeber der Ossietzky-Gesamtausgabe, Prof.em. Dr. Gerhard Kraiker, über den schwierigen Namensgebungsprozess und seine politischen Ursachen sprach (siehe auch UNI-INFO 4/08). In einem weiteren Vortrag beschäftigte sich die Historikerin Prof. Dr. Gunilla Budde (Foto) mit der Frage, welche Bedeutung die Namensgebung auch heute noch hat. Nachfolgend ihr leicht gekürzter Vortrag:

Ein Weltverbesserer ist doch immer gut.“ Provokant lapidar fiel in einer jüngst angestellten Befragung unter rund 100 Oldenburger Geschichtsstudierenden die Antwort eines Studenten auf die Frage aus, ob und warum Carl von Ossietzky ein würdiger Namensgeber für unsere Universität sei. Schwingt hier etwa Gleichgültigkeit mit? Gleichgültigkeit gemischt mit gönnerhaftem Wohlwollen und leichter Geringschätzung?

Auf den ersten Blick scheint es so. Doch: Für diese Generation, in der Weltverbesserer nicht gerade in Scharen auftreten, hat das Wort seinen negativen Beiklang verloren. Heute verkörpern die notorischen „Gutmenschen“, die berufsmäßigen Moralisten, das, was früher den ewigen Weltverbesserer ausmachte. Den „Weltverbesserer“, den Schiller und Nietzsche auf den Boden zurückholen wollten, indem sie ihm ein Denken auf Augenhöhe rieten. Der Student des Jahres 2008 indessen meint es keineswegs abschätzig, wenn er Carl von Ossietzky zum „Weltverbesserer“ erklärt. Vielmehr reiht er sich damit ein in den Kanon der positiven Studentenstimmen, die Carl von Ossietzky Ehrentitel wie „Verfechter der Meinungsfreiheit“, „kompromissloser Demokrat“, „unbeugsamer Kritiker“ und „Symbolfigur des Widerstands gegen die NS-Herrschaft“ geben.

Dass die heutige Studentengeneration – frei von jedem Pathos, fern aller Mystifizierung, ja gänzlich unverkrampft – sich unserem Namenspaten annähern kann, hat mindestens zwei gute Gründe:

Zum einen genießen wir heute das Privileg, in einer Welt zu leben, die zwar nicht perfekt ist und in der auch Weltverbesserer noch einiges zu tun hätten. Aber immerhin doch eine Welt, Lichtjahre entfernt von der Diktatur, der neben Carl von Ossietzky Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind.

Abgeklärtheit der Studierenden

Zum zweiten: Die Abgeklärtheit der heutigen Studierenden resultiert aus ihrer größeren Aufgeklärtheit. Wissen schützt, so könnte man nach der Lektüre der Statements der Studierenden schlussfolgern, vor schnellen Vorurteilen und falschen Verurteilungen. Sicherlich: heute kann man sich schnell Kenntnisse ergooglen. Einige der Befragten haben es sich in der Tat leicht gemacht und schlichtweg Wikipedia befragt und zitiert. Doch das waren nur wenige. Wie keine Generation zuvor sind Studierende heute umfänglich unterrichtet über die Zeit des Nationalsozialismus: Bereits durch Kinderbücher, durch die Schule, durch Ausstellungen, durch Fernsehdokumentationen und durch Spielfilme ist das Wissen über die NS-Zeit glücklicherweise mittlerweile gut fundiert und gleichzeitig hochdifferenziert. Immerhin: Noch immer gibt ein Großteil der Geschichtsstudentinnen und -studenten an, dass die bohrende Frage, warum es gerade in Deutschland zu dieser verheerenden Diktatur kommen konnte, sogar die treibende Kraft war, sich für ein Geschichtsstudium zu entscheiden. … Für diese Studierenden, das hat die Umfrage gezeigt, steht es außer Frage: Carl von Ossietzky ist mit seiner kritischen Haltung zur allzu kompromissbereiten Weimarer Republik und vor allem mit seiner mutigen Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Regime in ihren Augen eine uneingeschränkt positiv besetzte Persönlichkeit, eine Lichtgestalt auf dem Hintergrund einer jüngeren deutschen Geschichte mit wenigen Lichtblicken. Unter all den Mitläufern, wie es ein Student genannt hat, war er ein mutiger und mutmachender „Gegenläufer“.

Die Namensgebung – ein Stück Zeitgeschichte

Und so einer soll einmal umstritten gewesen sein? Soll Kommilitonen vor mehr als drei Jahrzehnten in einer halsbrecherischen Nacht- und Nebel-aktion auf den blauen Turm getrieben haben, um seinen Namen dort zu verewigen? Und vier Tage später dann ein 200-Mann starkes Polizeiaufgebot mobilisiert haben, um einen Maler, der den Namenszug wieder überpinseln sollte, vor wütenden Studentenprotesten zu schützen? Dies ist ein Szenario, das heute unsere Vorstellungskraft übersteigt, uns nur noch ein erstaunt-
empörtes Kopfschütteln abringt.

Das Namensgerangel um unsere Universität ist heute ein Stück Zeitgeschichte, ein vom Kalten Krieg beschlagener Spiegel eines vergangenen Zeitgeistes. Heute scheiden sich an Ossietzky nur noch die Kleingeister. … Inge Deutschkron hat jüngst den Carl von Ossietzky-Preis erhalten. Bei ihr zu Hause, betonte sie in ihrem eindrucksvollen Vortrag, wäre der Name Ossietzky häufig gefallen und immer mit größter Hochachtung. Eine Ehre sei es ihr, den Preis mit dem Namen Ossietzkys entgegen nehmen zu dürfen, das Bundesverdienstkreuz dagegen würde sie auch heute noch, wie schon wiederholt, mit großer Vehemenz ablehnen.

Die Schwierigkeiten, die die Ossietzky-Preisträgerin mit einer Ehrung der Bundesrepublik hat, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass auch dieses Deutschland in ihren Augen nicht nur in der Adenauer-Ära sondern viele Jahrzehnte später noch immer zu wenig aus der Geschichte gelernt hätte. Der Namensstreit um einen Oppositionellen gegen das nationalsozialistische Regime, der sich eben nicht in den dumpfen, behäbigen Nachkriegsjahren abspielte, legt davon ein unrühmliches Zeugnis ab. Auch Vertreter meiner eigenen Zunft, als Historiker eigentlich zur Aufklärung verpflichtet, haben das ihre dazu beigetragen, Ossietzky lange zu verunglimpfen. In gewisser Weise stimmten sie damit eine Gegenrede an zum Loblied, dass auf Seiten der DDR über Ossietzky gesungen wurde. Der „Totengräber der Weimarer Republik“, wie ihn westliche Historiker nicht müde wurden abzukanzeln, wurde im Osten als Wegbereiter eines „besseren Deutschlands“ lautstark vereinnahmt, nach dem in Windeseile Straßen, Schulen und Plätze – ganz ohne Diskussionen – in feierlichen Zeremonien benannt wurde. Beiden Seiten hätte Ossietzky kaum zugestimmt.

Doch die Kalte-Kriegs-Atmosphäre erklärt nur wenig und entschuldigt gar nicht die Verblendung, mit der selbst sich als liberal verstehende Historiker wie Hans-Ulrich Wehler sich vor gut zwei Jahrzehnten noch dezidiert gegen die Namensgebung unserer Universität aussprachen. „Auf seine Art“, so Wehler, hätte von Ossietzky mit der „Weltbühne“ dazu beigetragen, die tief angeschlagene Republik noch weiter zu schwächen, ja durch seine von links aus geübte Kritik, ohne Pardon zu geben, aktiv zu diskreditieren. Er habe damit zur inneren Aushöhlung und Auflösung jener immer heftiger geschmähten Republik beigetragen. „Angesichts dieser Verwirrung des politischen Urteils bleibt es mir“, so schreibt Wehler 1983, „schlechterdings unverständlich, warum eine neue westdeutsche Universität ausgerechnet nach Carl von Ossietzky benannt werden sollte.“

Ja warum? Dass ein Historiker diese Frage stellt, erstaunt in der Tat. Und sie zeigt: Auch die Wissenschaft ist stark eingefärbt von der jeweiligen Zeit, in der sie entsteht. Die Aufgabe der theoretischen Fundierung, vor allem aber auch die Pflicht zur politischen Einmischung, die Wehler als Begründer einer historischen Sozialwissenschaft zum durchaus wichtigen Credo erklärte, unterstrich zwar einerseits die soziale Verantwortung der Historiker, verführte offenbar andererseits zumindest manchmal zur Aufgabe des wissenschaftsinternen Instrumentariums, zu vorschnellen, nicht empirisch gestützten Urteilen. Allein ein Blick in unser ureigenstes Handwerkszeug, ein Blick in die Quellen selbst, etwa in eben die „Weltbühne“, hätte schon Wehler eine Fülle von guten Argumenten für die Namensgebung liefern können. Hätte er seinen Auftrag als kritischer, der Aufklärung verpflichteter Historiker für sich selbst ebenso ernst genommen wie er ihn seinen Studierenden in seinen Bielefelder Seminaren vermittelt hat, wäre er zu einem Urteil mit mehr Augenmaß gekommen. …

Der "Weltverbesserer" in den Mühlen der Justiz: Wegen seiner scharfen Kritik an den Zuständen der Weimarer Republik musste sich Carl vonOssietzky mehrfach vor Gericht verantworten.

Ossietzky noch heute aktuell

Denn: Die kritischen Stimmen, die wir hier vernehmen können, noch dazu intoniert in einer großartigen Sprache, haben bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren, machen Ossietzky und seine eloquenten Mitstreiter in der „Weltbühne“ zu lesenswerten Zeitgenossen über alle Generationen hinweg. In der „Weltbühne“ findet man ein Forum, das einer kritischen Öffentlichkeit alle Ehre macht. Schließlich ist die Herausbildung einer solchen kritischen Öffentlichkeit, wie sie, beflügelt von der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts, sich seit dem 19. Jahrhundert durchsetzte, ein Meilenstein auf dem Weg in eine bürgerliche Gesellschaft, in eine auch heute noch zu Recht beschworene Zivilgesellschaft. …

Nicht geköpft, aber beschimpft

Ein Paradevertreter einer solchen, in der Weimarer Republik in dieser Konsequenz erstmals überhaupt möglichen kritischen Öffentlichkeit war Carl von Ossietzky. Der Überbringer schlechter Nachrichten wurde in der Antike geköpft, in Weimar wurde er lediglich beschimpft, später dann auch in Haft genommen. Lakonisch schrieb Ossietzky selbst dazu: „In Deutschland gilt derjenige als viel gefährlicher, der auf den Schmutz hinweist, als der, der ihn gemacht hat.“ Ein Paradevertreter der kritischen Öffentlichkeit demnach: Nicht weniger, aber: auch nicht mehr. Dass die Nationalsozialisten die Macht des geschriebenen Wortes fürchteten, lässt sich an der schändlichen Bücherverbrennung vor 75 Jahren ablesen. Dass einer Zeitschrift wie der „Weltbühne“, die zu ihren besten Zeiten gerade mal eben 16.000 Exemplare verkaufte, von Seiten der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit noch vor wenigen Jahren so viel Macht zugesprochen wurde, eine Republik in den Abgrund zu schreiben, ist gänzlich unverständlich. Ossietzky sah in seiner spitzen Feder, Pazifist durch und durch, wie er war, ein Mittel der Verteidigung, nicht ein Mittel des Kampfes. Denn er bekämpfte die Weimarer Republik nicht mit seinen Schriften, sondern verteidigte die Idee der Republik, die schon bald in der real existierenden zu verschwinden drohte. Gerade weil er die Republik als Staatsform so achtete, musste er ihre undemokratischen Auswüchse so scharf geißeln. „Wer so klar die Selbstpreisgabe einer Demokratie nahen sah, hatte nicht Muße noch Sinn für halbe Wahrheiten.“ Die Weimarer Republik war eine immense Chance für die deutsche Gesellschaft. Dass sie letztlich verspielt wurde, ist keineswegs kritischen Geistern wie Ossietzky anzulasten, der schon früh auf die Gefahr verwies, sich mit nur „ein bisschen Frieden“, ein „bisschen Demokratie“, „ein bisschen Republik“ zufrieden zu geben. …

Vorschnelles Schulterklopfen, wie er es beobachtete, lähmte seiner Ansicht nach die Kräfte der Republik. Dabei war er mit seinen Mahnungen keineswegs, wie ihm Kritiker anlasteten, auf einem Auge blind. Er teilte nach allen Seiten aus, nach rechts wie nach links. Sein Gegner war die Radikalität jeder Couleur, aber auch der „Herr Durchschnittsmensch“, der alle „Erschütterungen der Weltgeschichte“ in der „Kneipe überlebt“ hat, der immer „Gaffende … niemals Erlebende“. Dagegen hob er an zum „Lob der Außenseiter“, wetterte gegen die Denkfaulheit: „Anstatt“, so schrieb er ein anderes Mal, „dem dummen Michel die Schlafmütze um die Löffel zu hauen, bekränzt man seine Denkfaulheit mit Eichenlaubsalat.“ …

Nicht nur seine früheren Gegner können bei der Lektüre von Ossietzky im Original noch viel Neues entdecken. Gut, dass es solche Jubiläen gibt, die den Namensgeber wieder ins Bewusstsein rücken. Das war auch der Tenor der befragten Studierenden, die, wie einige schrieben, nun wirklich mal zum blauen Turm hochschauen und dem Mahnmal vor dem Hörsaalzentrum mehr als nur einen flüchtigen Blick gönnen. So wenig umstritten heute der Name der Universität ist, so schnell ist auch die Gefahr da, die mit ihm einhergehende Verpflichtung aus den Augen zu verlieren. Hohe Erwartungen haben sich die Namensgeber in den 1970er-Jahren zugemutet, an denen wir uns auch heute weiter messen müssen. Unsere Universität trägt eben nicht den Namen eines vormaligen Landesherren, eines einst ortsansässigen Wissenschaftlers oder gar einen von einer PR-Agentur kreierten Phantasienamen. „Mit der Entscheidung für den Namen Carl von Ossietzky Universität“, so schreibt eine Studentin in der Befragung, „verpflichtet sich die Universität, den von Ossietzky vertretenen Prinzipien treu zu bleiben“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

nach oben


Presse & Kommunikation (Stand: 06.09.2024)  | 
Zum Seitananfang scrollen Scroll to the top of the page