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Das aktuelle Interview
"Das macht ihn zum Vorbild"
Interview mit Reinhard Schulz* zum Abschluss des Jaspers-Jahres 2008
UNI-INFO: Die Universität Oldenburg hat ein großes Programm im Jaspers-Jahr aufgelegt. Das ist in erster Linie Ihnen zu verdanken. Hat sich die Mühe gelohnt?
SCHULZ: Ja, sie hat sich gelohnt. In vielerlei Hinsicht. Wir hatten ein qualitativ sehr gutes und durch die Verbindung mit der Kunstausstellung ein wirklich besonderes Programm. Wir haben beträchtliche Besucherzahlen verzeichnen können, und wir haben etwas erreicht, das uns auch sehr wichtig war: Eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Einrichtungen in der Stadt, die sich mit Jaspers beschäftigen oder an ihm Interesse gezeigt haben wie die Karl-Jaspers-Klinik, das Staatstheater, die Evangelische Akademie und das Alte Gymnasium, in dem Jaspers zur Schule gegangen ist, und natürlich die Stadt Oldenburg selbst, die uns sehr unterstützt hat. Nicht zu vergessen: Für die Resonanz war die Medienpartnerschaft mit der Nordwest-Zeitung natürlich sehr wichtig. Merkwürdig nur, dass die Universitätsmitglieder selbst kaum in nennenswerter Weise unter den Besuchern der rund 100 Vorträge und Darbietungen anzutreffen waren, obwohl sie intensiv informiert worden waren.
UNI-INFO: Woran kann das liegen?
SCHULZ: Ich sehe da einen Zusammenhang mit den neuen Arbeits- und Studienstrukturen, in denen sich alle tendenziell überfordert fühlen und dann beim Verfolgen der eng gesetzten eigenen Ziele offene Diskussionen und Austausch mit unbekannten Anderen am ehesten für entbehrlich halten, weil das ja nicht sofort etwas bringt. Gegenwärtig scheint die Universität den weiten Horizont und die Denkanstöße von Jaspers im ohnehin anstrengenden Tagesgeschäft für überflüssig zu halten.
UNI-INFO: Der Brückenschlag von Kunst und Philosophie hat Aufsehen erregt. Würden Sie das ganze noch mal so machen?
SCHULZ: Die Kunst- und Biografieausstellung haben in jedem Fall für eine erhebliche Steigerung der öffentlichen Aufmerksamkeit gesorgt und die teure, durch die Stiftung Niedersachsen finanzierte Außeninstallation von Elíasson und Weibel, die ja immer noch steht, sorgt auch weiterhin für viel Bewunderung, allerdings wenig Gesprächsstoff.
Dass der seit 1950 vergebene „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ in diesem Jahr statt an einen Philosophen oder Schriftsteller zum ersten Mal an einen bildenden Künstler wie Anselm Kiefer vergeben worden ist, gibt zu denken und korrespondiert ein wenig mit dem, was in Oldenburg aufgegriffen worden ist: Das Bild, die gestaltende Kunst drängt in der Zeit der Medien nach vorn. Allerdings sollten darüber die vielen musikalischen Beiträge, insbesondere einer eigens für diesen Anlass geschaffenen Komposition von Violeta Dinescu und des wieder einmal hervorragenden oh ton-ensemble um Eckart Beinke nicht vergessen werden. Für eine Beurteilung des Impulses von Hans Saner, das Verhältnis von Philosophie und Kunst von Jaspers her ganz neu zu denken, ist es jedoch noch viel zu früh.
UNI-INFO: Gab es in den Workshops, Colloquien neue, unerwartete Einsichten und Erkenntnisse?
SCHULZ: Das größte Anregungspotenzial ist wohl von den gut besuchten medizinischen Workshops ausgegangen, und die Universität wäre gut beraten, wenn sie die dort thematisierte interdisziplinäre Aktualität von Jaspers’ Psychopathologie, seinem ärztlichen Ethos mit einer Kritik an der Apparatemedizin sowie einer philosophisch fundierten Medizinerausbildung bei ihren eigenen Zukunftsplanungen in diesem Bereich berücksichtigen würde.
Die auffallend vielen Beiträge zur Glaubensthematik bezeugen darüber hinaus, dass die gegenwärtigen Finanz- und Klimakrisen auch als Bewusstseinskrise gedeutet werden können, da keiner so recht weiß, wie es weitergehen soll. Jaspers hat die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, auf die er so viele und letztlich vergebliche Hoffnungen gesetzt hatte, in ähnlicher Weise erlebt und damit eine Wende in der Philosophie eingeleitet, die zwar bis heute nachwirkt, aber nur wenigen bewusst ist. Da möchten wir mit einem Auswahlband der 30 besten Beiträge aus dem Jaspers-Jahr ein wenig Abhilfe schaffen.
UNI-INFO: Kann man von so etwas wie einer Wiederentdeckung des Philosophen sprechen?
SCHULZ: Jede Wiederentdeckung bemisst sich an den Nöten und Bedürfnissen ihrer Zeit. Der gegenwärtige Wandlungsprozess in Gesellschaft und Universität weg von mehr Demokratie hin zu Ungleichheit, Vetternwirtschaft, Duckmäusertum und illegitimen Machtstrukturen lässt Jaspers in einem besonderen Licht erscheinen. Seit seiner Oldenburger Schulzeit hat er lebenslang und nicht zuletzt unter den persönlichen Bedrohungen des Naziregimes Persönlichkeitsmerkmale wie Freiheit, Unbestechlichkeit, Unabhängigkeit, vernünftige Urteilsfähigkeit und Gewissenhaftigkeit ganz hoch gehalten und gelebt. Das macht ihn zum Vorbild gerade für die heutige Zeit.
* Prof. Dr. Reinhard Schulz ist Hochschullehrer am Institut für Philosophie und hat zusammen mit Dr. Monica Meyer-Bohlen das umfangreiche Programm zum 125. Geburtstag von Karl Jaspers konzipiert.
Jaspers-Katalog in New York
"Truth Is What Connects Us“: so lautet der Titel des nun auch ins Englische übersetzen Ausstellungskatalogs zum Jaspers Jahr 2008. Offiziell vorgestellt wurde er Anfang Oktober in New York (USA) von der künstlerischen Leiterin des Jaspers-Programms, Dr. Monica Meyer-Bohlen, und dem Tübinger Jaspers-Experten Dr. Matthias Bormuth. Im Deutschen Haus der New York University und im Graduate Center der City University of New York stellten sie vor Interessierten aus universitären und kulturellen Einrichtungen die Oldenburger Aktivitäten zum Jaspers-Jubiläum vor. Der Katalog, so Meyer-Bohlen, sei auf großes Interesse gestoßen und werde u. a. im Museum of Modern Art präsentiert. Im deutschen Buchhandel ist der englische Katalog für 19,50 € erhältlich.