Kontakt
Neurosensorik/Animal Navigation
Die Navigation von Tieren: von Molekülen und Biophysik zu Verhalten und Kognition
Die Langstreckennavigationsfähigkeit von Tieren fasziniert die Menschen seit Jahrhunderten und fordert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit Jahrzehnten heraus. Wie schafft es ein Schmetterling mit einem Gehirn von weniger als 0,02 Gramm, den Weg zu einem ganz bestimmten Überwinterungsgebiet zu finden, das Tausende von Kilometern entfernt ist, obwohl er noch nie dort war? Und wie umrundet ein Zugvogel den Globus mit einer Präzision, die menschliche Navigatoren vor dem Aufkommen von GPS-Satelliten nicht erreichen konnten?
Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es multidisziplinärer Ansätze. Unsere Gruppe und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nutzen mathematische Modellierung, Physik, Quantenchemie, Molekularbiologie, Neurobiologie, Histologie, Computersimulationen und neu entwickelte Laborgeräte in Kombination mit Verhaltensexperimenten und Analysen von Felddaten, um ein besseres Verständnis der Verhaltens- und physiologischen Mechanismen der Langstreckennavigation bei Insekten und Vögeln zu erlangen (Nature 558, 50-59). In den letzten Jahren lag unser Hauptaugenmerk auf der Entschlüsselung der Mechanismen, die den Magnetsinnen bei Vögeln zugrunde liegen.
Die Magnetsinne von Zugvögeln: vom Verhalten über Moleküle bis hin zu neuronalen Mechanismen
Zugvögel können einen Magnetkompass verwenden, um ihren Weg zu finden (siehe Nature 558, 50-59 für eine Übersicht). Zumindest in Nordamerika scheinen sie diesen Magnetkompass jeden Abend nach dem Sonnenkompass zu kalibrieren (Science 304, 405-408). Doch wie spüren sie die Referenzrichtung des Erdmagnetfeldes?
Zwei biophysikalische Mechanismen haben sich als vielversprechendste Kandidaten für die Magnetfeldwahrnehmung etabliert: (1) Eisen-Mineral-basierte Sensoren im Oberschnabel, die über den ophthalmischen Ast des Trigeminusnervs mit dem Gehirn verbunden sind, und (2) lichtabhängige Radikalpaarprozesse im Auge, die das magnetische Signal in ein visuelles Signal umwandeln, welches dann in visuellen Hirnarealen verarbeitet wird (siehe Annual Review of Biophysics 45, 299–344 für eine Übersicht). In unserer Arbeitsgruppe haben wir eine Reihe von kombinierten Experimenten mit Molekularbiologie, Biochemie, Anatomie, chemischen Analysen, Neurobiologie und Verhalten durchgeführt, die uns zu dem Schluss gebracht haben, dass Vögel nicht nur einen, sondern zwei verschiedene Magnetsinne haben. Es gibt also Hinweise darauf, dass beide oben genannte Hypothesen zutreffen.
Wir haben gezeigt, dass es in der Netzhaut von Vögeln Moleküle gibt, die Cryptochrome genannt werden (Current Biology 28, 211–223). Wir haben des Weiteren gezeigt, dass Cryptochrom 4 (Cry4) magnetisch empfindlich ist und eine Reihe wichtiger biophysikalischer Voraussetzungen besitzt, welche es als Magnetodetektor eignen (Nature 2021, 535-541). Wir haben auch einen bestimmten Bereich des Vorderhirns namens Cluster N lokalisiert, welcher der einzige Teil des Vorderhirns eines Zugvogels ist, der hochaktiv ist und sensorische Informationen verarbeitet, wenn Vögel magnetische Kompassorientierung durchführen. Wenn Cluster N deaktiviert ist, können ziehende Rotkehlchen ihren Magnetkompass nicht mehr benutzen, während ihre Sternenkompass- und Sonnenkompassfähigkeiten nicht beeinträchtigt werden (Nature 461, 1274-1277). Bilaterale Sektion des Trigeminusnervs hatte keinen Einfluss auf die Fähigkeit der Vögel, ihren Magnetkompass zu benutzen (Nature 461, 1274-1277). Bedeutet dies, dass die auf Eisenmineralen basierenden mutmaßlichen Sensoren im oberen Schnabel keine Magnetodetektoren sind? Unsere jüngsten Befunde belegen, dass der ophthalmische Zweig des Trigeminusnervs tatsächlich auch magnetische Informationen an das Gehirn weiterleitet (PNAS 107, 9394-9399).
Wenn nachtziehende Singvögel einen Radikalpaarmechanismus für ihren Magnetkompass verwenden, sollten sie empfindlich auf anthropogenes hochfrequentes elektromagnetisches Rauschen reagieren. Dies ist der Fall (Nature 509, 353-356). Wenn wir beweisen können, dass Cry4 ein auf Radikalpaaren basierender Magnetsensor in Zugvögeln ist, haben wir auch einen grundlegenden Quantenmechanismus demonstriert, der Tiere für Umweltreize millionenfach empfindlicher macht als bisher für möglich gehalten (Annual Review of Biophysics 45, 299–344).
Mechanismen im Vogelauge verstehen
Um den dem Magnetfeldmechanismus mutmaßlich zu Grunde liegenden Quantenmechanismus im Vogelauge zu verstehen, forscht apl. Prof. Dr. Karin Dedek als Netzhaut- und Sehspezialistin der Arbeitsgruppe zu folgenden Themen: (1) Netzhautschaltkreise für die Magnetorezeption bei Zugvögeln, und (2) allgemeine Grundlagenforschung (die funktionelle Rolle von Horizontalzellen in der Netzhaut, Netzhautdegeneration, sowie Gap Junctions).