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14. Mai 2008 198/08
„Der Menschen ist mehr als das, was er von sich weiß“
Kunst im Dialog im Jaspers-Jahr 2008 mit Elíasson-Installation Von Monica Meyer-Bohlen*
Oldenburg. Zum 125-jährigen Geburtstag erinnert die Universität Oldenburg an den aus Oldenburg stammenden großen Existenzphilosophen und Psychiater Karl Jaspers (1883-1969). Mit einer vielschichtigen Ausstellung und einem umfangreichen wissenschaftlichen Programm werden sein Leben und Werk beleuchtet und in aktuelle Bezüge gesetzt.
Die Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die – zusammen mit einer Biografieausstellung – vom 22. Mai bis 12. Juli 2008 im Foyer und dem Außenbereich des Hörsaalzentrums gezeigt wird, soll den Dialog bildender Künstler mit Jaspers’ Denken sichtbar werden lassen. Perspektivisch leitend für dieses Experiment ist Jaspers’ umfassender Blick für den einzelnen Menschen, sein offenes, undogmatisches Denken, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht.
Jaspers’ Philosophie ist geprägt durch das Postulat subjektiven Sehens und steht für den Anspruch eines eigenständigen Wahrnehmens und Denkens, das aus heutiger Perspektive mit den Worten Authentizität und Intensität zu umschreiben wäre. Diese Begriffe, die gegenwärtig zur Phrase zu verkommen drohen, besitzen in einer Zeit, in der allgemeine Stil-Kategorien in der Kunst nicht mehr selbstverständlich sind und das Individuum mit seiner besonderen Perspektive allein den Sinn des Werks zu verantworten hat, dennoch eine hohe Bedeutung.
Die Ausstellung will in den präsentierten Werken den Anspruch, die „Wirklichkeit im Ursprung zu erblicken“ (Jaspers), den Besuchern als Herausforderung aktiven Wahrnehmens vermitteln. Der subjektive Blick auf die Welt, den die Künstler mit unterschiedlichen Medien anbieten, soll als Anregung eigenen Sehens und Deutens dienen. Was zählt und was aus der Kunst dieser Ausstellung mitzunehmen ist, ist der authentische Blick auf die Welt, der Versuch, man selbst zu sein, keinem Opportunismus anheim zu fallen, hellwach zu bleiben, jedem Nachlassen des Denkens entgegen zu wirken und Wahrnehmung als Prozess zu erkennen, der, wie Jaspers’ Denken, nie zu einem endgültigen Ergebnis führt – weder für den Künstler noch für den Betrachter. Um die bewusste Wahrnehmung und die Integration des denkenden Betrachters geht es in dieser Ausstellung.
Die Künstler und ihre Werke
Die künstlerische Arbeit Ólafur Elíassons ist durch authentische und intensive Subjektivität bestimmt. Ihm gilt das Sehen als eine selbstbestimmende Tätigkeit, als ein in eigener Verantwortung zu steuernder Prozess, den Jaspers als das „innere Handeln“ bezeichnete. Elíassons zusammen mit Peter Weibel geschaffene Außeninstallation „Rainbow Democracy“ ist eigens für die Oldenburger Ausstellung geschaffen. Ein großer, in den Elementarfarben leuchtender, um eine Brücke zwischen zwei Gebäuden gewundener, kreisförmiger Ring spielt politisch auf die Notwendigkeit aktiver Teilnahme an, auf eine freiheitliche Gesellschaftsordnung, in der alle Interessengruppen gerecht vertreten sind. Das Farbspektrum der Parteien, so Weibel, findet sich in den Regenbogenfarben des Kreises wieder.
Das Thema der eigenen Wahrnehmung und der Wahrnehmung von Wirklichkeit und Zeit nehmen in der Ausstellung Künstler wie Eckhard Dörr (Oldenburg), Jan-Peter Sonntag (Berlin) und Marieken Matschenz (Leipzig) zum Anlass, den Besucher unmittelbar in ihr Werk einzubeziehen. Partikulares Erkennen von Realität und das Vergehen von Zeit deutet Eugenia Gortchakova (Moskau) durch schnellen Bildwechsel in ihrem Videobeitrag an, der auf dem Briefwechsel von Hannah Arendt und Karl Jaspers basiert.
Das ungegenständliche „Sein“, um das es Jaspers in seinem „erhellenden Denken“ oder „schwebenden Philosophieren“ geht, wo Grenzen des objektiv Denkbaren und Mitteilbaren immer wieder zu „übersteigen“ sind, findet seine formale Entsprechung in den hyperbolischen Knoten aus Lichtmaterial von Mariella Mosler (Hamburg).
Reliefs aus rechtwinklig angeordneten polierten Metallstäben mit dem Titel „Gedankengebäude“ von Natascha Kaßner (Berlin) verweisen in ihrer offen angelegten Struktur auf unabgeschlossene Denkvollzüge. Je nach Standort des Betrachters entstehen unterschiedliche Perspektiven des Erkennens, wie sie Jaspers in der existentiellen Subjektivität philosophisch beschreibt.
Solche „Standortverschieblichkeit“ ist es auch, die Marieken Matschenz in ihrer Installation „Ge(h)schichten hoch n“ in Art eines Welttheaters gestaltet, in dem sich unterschiedliche Kulturen – als Verweis auf Jaspers' Weltphilosophie – auf gleicher Ebene begegnen können. Erfahrbar wird das Werk erst im eingreifenden Handeln des Besuchers.
Florian Meisenberg (Düsseldorf) thematisiert die Wahrhaftigkeit des Kunstwerks, mit dem, so Meisenberg, der Kunstschaffende im Entstehungsprozess verschmelzen müsse. Auf großen Plakatwänden im Außenbereich der Ausstellung unterläuft er ironisch auf subtile Weise Scheinwelten aus Bildung und Kultur, das tagtägliche Angebot der Werbung, hier speziell das des Kunstmarktes.
Jochen Plogsties’ Kunst ist geprägt von ihren bewegten Entstehungsprozessen, in denen jeder Moment, so der Künstler, von ihm etwas Neues erfordere, damit er sich als einzigartig ernst genommen fühle. Sein für die Oldenburger Ausstellung entstandenes Gemälde „Lichtung" vermittelt dies eindringlich. Dem Künstler sind die Weisen der malerischen Wirkung, die, wie die „Weisen des Umgreifenden" bei Jaspers in die Unendlichkeit greifen, entscheidend.
Immer wieder, so auch bei Mao Maeda (Kyoto), ist das Unvollendete, Fragmentarische Thema. Ihr Bild zeigt einen leer gelassenen Bildgrund mit Rahmen als Grenze, über die hinaus ein sich auflösendes Liniengewirr ins Grenzenlose führt.
Katia Liebmann (Berlin) ist mit ihrer „ Zwiesprache“, einer Serie großer Holzschnitte nach dem Vorbild kleiner mittelalterlicher Einblatt-Holzschnitte, auf der Suche nach Wahrheit und Demut in der Selbstrücknahme. Sie begreift sich als ausführende Hand.
Elke Nebel (Düsseldorf) widmet sich in dem gemalten Film „Die Fährte“ dem Phänomen der Unendlichkeit, das in der zyklischen Wiederholung in kosmischer Weite erscheint.
Schließlich bietet Michael Triegel (Leipzig) in altmeisterlicher Manier verschiedene Passionsmotive, die, gebrochen vom subjektiven Blick, dem säkularen Betrachter erlauben, die christliche Bildsprache neu zu lesen. „Karfreitagsstilleben“ und „Schmerzensmann“ erscheinen ungewöhnlich, die Passionsdarstellung sprengt den Rahmen der modernen Weltanschauung. Und doch verbergen und verbinden sich mit den tradierten Dogmen anthropologische Einsichten in das Leiden als unvermeidliche Größe des Lebens. Jaspers hat solcher Wirklichkeit im Begriff der „Grenzsituationen“, zu denen er Krankheit und Sterben zählt, philosophischen Ausdruck verliehen.
Die Biografieausstellung
Wie sehr die Philosophie der Freiheit, die Jaspers vertrat, in biografisch zentralen Grenzsituationen gründet, lässt sich der begleitenden Biografieausstellung entnehmen, in der seine große Liebe zu Gertrud Mayer, das chronische Lungenleiden und die Lebensgefahr im Nationalsozialismus durch briefliche und lebensweltliche Zeugnisse belegt werden. Der gemeinsame Entschluss, sollte die Deportationsdrohung eintreten, mit seiner jüdischen Frau gemeinsam Suizid zu begehen, bezeugt den existentiellen Kern eines Philosophierens, das den transzendenten Grund des Lebens zu bewähren sucht.
Die politische Erfahrung, dass die Freiheit des Einzelnen plötzlich genommen werden kann, ohne dass sich Widerstand regt, hat Jaspers nach 1945 veranlasst, seine Stimme im öffentlichen Leben im Namen der Liberalität immer wieder zu erheben, so dass er als konservativer Unruhestifter zweimalig als Titelportrait den „Spiegel" zierte. Grundgelegt war sein freiheitliches Denken in den Erfahrungen der Oldenburger Familie und der norddeutschen Landschaft, die ihm Erfahrungen und Wahrnehmungen von Geborgenheit und Weite schenkten.
Gleichwohl, das macht die von den Jaspers-Experten Suzanne Kirkbright und Giandomenico Bonanni besorgte Biografieausstellung deutlich, geht Jaspers als Person und Denker nicht in den lebensweltlichen Gestalten und Räumen auf. Die Exponate und Dokumente bezeugen lediglich, auf welchem Boden sich die existentiellen Chiffren des Philosophierens entwickelten. Diese sind selbst nur Andeutungen, so dass das Individuum sich in der Freiheit des Selbstentwurfs noch ein offenes Rätsel bleibt. Auch für die eigene Biografie gilt Jaspers Satz: „Der Mensch ist mehr, als er von sich weiß.“
*Dr. Monica Meyer-Bohlen ist Kunsthistorikerin und Kuratorin der Kunstausstellung zum Jaspers-Jahr 2008.
ⓘ | www.jaspersjahr2008.de |
ⓚ | Kontakt: Dr. Monica Meyer-Bohlen, Tel.: 0441/776552, E-Mail: monica.a.mmeyerbohlen.de |
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