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Das aktuelle Interview

"Ratlosigkeit und Reue"

27 Jahre im Exil: der Politologe Fernando Mires

Prof. Dr. Fernando Mires (58) flüchtete nach dem Militärputsch 1973 aus Chile. Er hatte dort der Führung der linksrevolutionären Organisation MIR angehört, die in kritischer Distanz zur linken Regierung Salvador Allendes stand und nach dem Putsch noch eine Zeit lang militärischen Widerstand leistete. Nach Stationen in Buenos Aires und Frankfurt/M. gelangte Mires 1975 nach Oldenburg, wo er an der Universität eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter erhielt. Der Politologe und Lateinamerika-Experte lehrt und forscht am Institut für Politikwissenschaft II.

UNI-INFO: Herr Mires, es gibt ja in Chile Bestrebungen, den Ex-Diktator Pinochet vor Gericht zu stellen und für seine Untaten zur Verantwortung zu ziehen. Was empfinden Sie da?
MIRES: Diese Vorgänge lösen in mir eine seltsame Mischung aus Zorn und gleichzeitig Hoffnung aus. Hoffnung in dem Sinne, dass Pinochet für das, was er vielen Menschen angetan hat, bezahlen muss. Es geht dabei weniger um die Person Pinochet, sondern es ist eher ein symbolischer Akt mit der Botschaft, dass es auf dieser Erde doch so etwas wie Gerechtigkeit gibt.

Die Person Pinochet

UNI-INFO: Viele Ihrer politischen Mitstreiter und Freunde sind gefoltert und ermordet worden, Sie selbst haben Ihre Heimat verloren. Ist nach Ihrer Meinung Pinochet auch für das verantwortlich, was Sie persönlich erlitten haben?
MIRES: Teilweise ja. Früher habe ich das anders gesehen. Ich war davon überzeugt, dass nur objektive Prozesse die Geschichte bestimmen. Nach und nach bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass auch den Personen viel Gewicht in der Geschichte zukommt. Pinochet ist für mich, im Sinne Kants, so etwas wie die Verkörperung - und Radikalisierung - des Bösen. Ich spreche nicht von der Objektivität des Putsches, sondern nur von der Person Pinochet. Er hatte eine gewisse Freiheit, so oder anders zu handeln, und er hätte auch regieren können ohne Folterungen, Vergewaltigungen und Morde. Es ist ja bekannt, dass viele Chilenen den Putsch unterstützt haben und Pinochet somit eine solide politische Basis hatte.
UNI-INFO: Empfinden Sie Bitterkeit angesichts Ihrer eigenen Biografie?
MIRES: Ja, aber auch Ratlosigkeit und so etwas wie Reue. Ich glaube heute, dass der Putsch nicht unvermeidbar war. Auch da hat sich meine Überzeugung geändert: Es gibt keine unvermeidbaren Prozesse in der Geschichte. Sie erscheinen nur nachträglich als unvermeidbar. Damals verfügten auch wir Anhänger der revolutionären Linken über eine Palette von Möglichkeiten des Handelns. Aber wir mit unseren romantischen Vorstellungen, beeinflusst von der kubanischen Revolution und den Ideen Che Guevaras, haben nur eine Linie der Absage an die Politik und auch an die Demokratie verfolgt, wofür wir bitter bezahlen mussten. Und diese Absage geschah im Namen einer vermeintlich objektiven Geschichte, die wir gar nicht kannten. Ich empfinde eine gewisse Reue, weil ich mich damals nicht engagiert habe im Sinne einer demokratischen Lösung, auch wenn meine persönlichen Möglichkeiten nur sehr begrenzt gewesen wären. Aber ich hätte anders handeln können. Ich bereue aber nicht, Reue zu empfinden. Wer keine Reue zeigt, begeht den Fehler wieder.
UNI-INFO: Seit einigen Jahren ist es für Exil-Chilenen möglich, wieder in ihr Land zurückzukehren. Warum sind Sie hier geblieben?
MIRES: Ich bin längere Zeit in Chile gewesen, aber es gibt dort für mich keine akademische Heimat mehr, weil die wissenschaftliche Landschaft völlig atomisiert ist. Jeder Mensch hat ja verschiedene Heimaten, nicht nur eine geografische und soziale, und die akademische Heimat ist für mich nun einmal lebenswichtig. Aber dass ich mit Chile immer noch sehr verbunden bin, sehen Sie an einer kleinen Geschichte. Mein jüngstes Buch, das sich - in Anlehnung an Kant - mit der „Zivilisierung des Krieges“ befasst, sollte eigentlich in einem großen spanischen Verlag erscheinen. Doch dann bekam ich plötzlich ein Angebot von einem sehr kleinen Verlag in Chile. Zu meiner eigenen Überraschung habe ich mich für den kleinen Verlag in meiner alten Heimat entschieden.
UNI-INFO: Haben Sie noch persönliche Beziehungen nach Chile?
MIRES: Ja, ein Teil meiner Familie lebt dort, und dann gibt es eine sehr intensive „klimatische Beziehung“, also das Wetter bekommt mir einfach besser als hier in Oldenburg. Obwohl ich eine sehr gute „innere“ Beziehung mit meinem Land habe, bin ich aufgrund der chilenischen Vergangenheit aber nicht „stolz“, ein Chilene zu sein
UNI-INFO: Fühlen Sind sich wohl in Oldenburg?
MIRES: Im Allgemeinen ja. Ich fühle mich wohl hier, ebenso wie meine Frau, die auch Chilenin ist. Wir sind so gut oder so schlecht integriert wie alle anderen, die in der einen oder anderen Hinsicht einer Minderheit angehören.

Studenten nicht unpolitisch

UNI-INFO: Zur Universität Oldenburg. Sie sind praktisch seit der Gründung mit dabei, verfolgen ihre Geschichte, die zugleich auch ein Teil der allgemeinen Geschichte in Deutschland ist. Wie ist Ihre Meinung dazu?
MIRES: Ich möchte von einer Doppelanpassung sprechen. Die Universität hat sich an die Realität angepasst, aber die Realität hat sich auch an die Universität angepasst. Und das gilt nicht nur für Oldenburg. Ich sehe ein sehr interessantes Zusammentreffen zwischen emanzipatorischen politischen Kulturen auf der einen und der Gesellschaft einschließlich der Wirtschaft auf der anderen Seite. Es ist eine gewisse Annäherung. Beide Seiten sind offener, aber auch lockerer geworden.
UNI-INFO: Sie sehen das nicht kritisch?
MIRES: Nein, ich halte nicht viel von Isolierung. Das akademische Leben tendiert per se schon zum Autismus, und diese Kluft zwischen Universität und Gesellschaft, wie sie hier in der Vergangenheit herrschte, auch in Oldenburg, kann geradezu gefährlich sein.
UNI-INFO: Die siebziger Jahre waren eine ausgesprochen politische Ära, so gab es ja z.B. nach dem Putsch in Chile Solidaritätskampag-nen in der ganzen Welt. Diese Bewegungen nahmen häufig ihren Ausgang in den Universitäten, so auch in Oldenburg. Wie ist heute das Interesse der Studentinnen und Studenten an Politik, ist mit der „internationalen Solidarität“ noch ein junger Mensch hinter dem Ofen hervorzulocken?
MIRES: Es ist anders geworden. Ich stimme nicht der Ansicht zu, wonach die Studenten unpolitisch geworden seien. In einem bestimmten Sinne sind sie sogar politischer als früher. Früher waren sie militant-politisch, und heute sind sie neugierig-politisch. Wenn man militant und dogmatisch ist, verschwindet die Neugier. Dabei ist Neugier eine ganz entscheidende politische Kraft. Eines meiner Seminare befasst sich regelmäßig mit Lateinamerika, das ist für mich eine Art persönliche Verpflichtung, und da ist durchaus Interesse vorhanden. Aber die Studenten sind heute nicht so ausschließlich an den grausamen Schattenseiten der Geschichte interessiert, sondern sie möchten auch über alle anderen Aspekte informiert werden.

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(Stand: 19.01.2024)  | 
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