Prof. Dr. Horst Zillessen

Präsident der Universität von 1980-1986

Prof. Dr. Horst Zillessen, 1938 im Rheinland geboren und aufgewachsen, wurde nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Politikwissenschaft und nach der Promotion an der Universität zu Köln 1970 Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD in Bochum, wo er sich mit umweltpolitischen Fragestellungen beschäftigte. In diesem Bereich machte er sich auch als Gründungsvorsitzender des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und als Vorstandsmitglied der Deutschen Umweltaktion in den 1970er Jahren einen Namen. Nach seiner Amtszeit als Präsident der Universität Oldenburg wurde er Professor im Bereich der Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Umweltpolitik. Aus seinen Erfahrungen mit umweltpolitischen Entscheidungsprozessen leitete sich sein Interesse für Mediation ab, die er in Forschungsaufenthalten an der University of Virginia (USA) erkundete und nach Deutschland brachte. 1992 gründete er als erstes An-Institut der Universität Oldenburg das MEDIATOR-Zentrum für Umweltkonfliktforschung und -management, das – heute als MEDIATOR GmbH mit Sitz in Berlin (www.mediatorgmbh.de) – in großen Umweltprojekten aktiv ist. Zillessen sorgte auch dafür, dass die Universität Oldenburg eine der ersten war, die Mediation in ihr Weiterbildungsprogramm aufnahm.

Persönlicher Rückblick auf die Amtszeit

(aus „Mehr Lust als Last?”[1])

Über den Umgang mit „institutioneller Pubertät“
Entwicklungsjahre der Universität

Der Rückblick auf meine Amtszeit beginnt mit einer Kuriosität: Als ich mich im Jahr 1978 – angeregt durch eine „Zeit“-Anzeige – um das Amt des Präsidenten bewarb, hatte ich nicht einmal eine Ahnung, wo genau Oldenburg liegt – geschweige davon, was mich dort erwarten, was von mir verlangt werden würde. Dies und auch der Umstand, dass ich keinerlei universitäre Arbeitserfahrungen mitbrachte, erfordert zunächst eine kurze Betrachtung meiner beruflichen „Vorgeschichte“, um verständlich zu machen, vor welchem Erfahrungshintergrund meine Bewerbung um dieses Amt erfolgte und warum sie überhaupt gelingen konnte.

Seit dem Jahr 1970 leitete ich das Sozialwissenschaftliche Institut der evangelischen Kirchen in Deutschland (SWI) (später der Evangelischen Kirche, EKD) in Bochum und zugleich im Nebenamt den Politischen Club der Evangelischen Akademie Tutzing, eine damals hochangesehene Einrichtung der politischen Erwachsenenbildung, in der zum Beispiel Willy Brandt und Egon Bahr erstmals ihre damals grundlegend neuen Überlegungen zur Ostpolitik zur Diskussion stellten. Dienstreisen führten mich zwar häufig nach Hannover, denn die dort ansässige Kirchenkanzlei der EKD war administrativ für das SWI zuständig, aber Oldenburg war für mich „unbekanntes Land“. Meine politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten konzentrierten sich auf Nordrhein-Westfalen und die Bundeshauptstadt Bonn. Ich hatte im Jahr 1970 dem Kuratorium des SWI vorgeschlagen, dessen wissenschaftliche Tätigkeit auf das Thema „Die Bedrohung unserer Umwelt durch die industrielle Zivilisation“ zu konzentrieren. In diesem Rahmen interessierte mich als Politikwissenschaftler das neue politische Phänomen der Bürgerinitiative. Aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Thema ergaben sich sehr bald intensive persönliche Kontakte mit den Repräsentanten verschiedener Initiativen sowie schließlich auch der Rat an diese, sich zur besseren politischen Durchsetzbarkeit ihrer Ideen organisatorisch zusammenzuschließen. Die Folge war, dass ich im Jahr 1971 zum Vorsitzenden des neu gegründeten Landesverbands der Umweltinitiativen in Nordrhein-Westfalen und ein Jahr später zum Gründungsvorsitzenden des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) gewählt wurde.

Diese umweltpolitischen Aufgaben führten zu einer intensiven Mitarbeit in Beratungsgremien der Bundesregierung, insbesondere bei dem damals für den Umweltschutz zuständigen Bundesinnenministerium sowie dem Bundesministerium für Forschung und Technologie. Seit 1978 war ich zudem als parteiunabhängiger Experte Mitglied der Arbeitsgruppe „Ökologie“ beim Parteivorstand der SPD.

Als ich mich um das Amt des Präsidenten der Universität bewarb, besaß ich also einige Erfahrungen im Umgang mit Politikern wie auch in der Leitung und Moderation komplexer und kontroverser politischer Diskussionen (unter Beteiligung hochrangiger Politiker von Willy Brandt bis Richard von Weizsäcker), aber keinerlei Kenntnisse über das Innenleben einer Universität, ihre Organisations- und Verwaltungsstruktur und die Rolle der hochschulpolitischen Gruppierungen. Ich war zwar nebenamtlicher Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Bergischen Universität in Wuppertal, aber in dieser Funktion hat man üblicherweise keinen Anteil am Hochschulleben und schon gar nicht an hochschulpolitischen Entscheidungsprozessen. Die politischen Erfahrungen, die ich vorweisen konnte, wie auch die zehnjährige Tätigkeit als Leiter einer wissenschaftlichen Forschungseinrichtung haben sicher zu dem nicht nur für mich überraschenden Ergebnis der Präsidentenwahl im Juni 1980 beigetragen.

Ein schwieriger Start ...

Die inneren und äußeren Existenz- und Arbeitsbedingungen der Universität waren zu Beginn meiner Amtszeit alles andere als zufriedenstellend, was die Arbeitsatmosphäre stark beeinträchtigte. Was die innere Situation der Universität angeht, so war schon in den Vorgesprächen, die ich mit den hochschulpolitischen Gruppierungen vor der Wahl geführt hatte, sehr rasch deutlich geworden, dass die Universität in zweifacher Hinsicht tief gespalten war: Im Lehrkörper stritten viele der zur Zeit der ehemaligen Pädagogischen Hochschule Berufenen mit den neuberufenen Universitätsprofessoren um den Stellenwert von Lehre einerseits und Forschung andererseits, was zu entsprechend heftigen Auseinandersetzungen um die Mittelverteilung führte. Viele der Neuberufenen empfanden es als unzumutbar, wie sie bei der Verteilung der Haushaltsmittel durch den Senat der Universität um die finanziellen und räumlichen Voraussetzungen für ihre Forschungstätigkeit kämpfen mussten. Da die Universität als Neugründung in beiderlei Hinsicht im Vergleich mit den etablierten niedersächsischen Universitäten tatsächlich eher ärmlich ausgestattet war, belasteten diese Auseinandersetzungen sowohl die Lehr- wie die Forschungstätigkeit, aber auch das Arbeitsklima in der Universität insgesamt erheblich

Die Schwierigkeiten wurden freilich von vielen Wissenschaftlern nicht nur der unzureichenden Mittelausstattung durch die Landesregierung zugerechnet, sondern nicht zuletzt auch der Universitätsverwaltung angelastet. Sie stand bei vielen Wissenschaftlern im Verdacht, nicht in dem für erforderlich gehaltenen Maß als Dienstleisterin für die Lehre und insbesondere die Forschung zu agieren, sondern eher an der Reibungslosigkeit des inneradministrativen Ablaufs interessiert zu sein. Dabei wurde teilweise wohl übersehen, dass die Arbeitsbedingungen der Verwaltung von den gleichen Restriktionen gekennzeichnet waren, über die auch die Lehrenden zu Recht klagten. Es mag in diesem Zusammenhang aber auch eine Rolle gespielt haben, dass viele Mitarbeiter der Verwaltung zur Zeit der Pädagogischen Hochschule eingestellt worden waren und die Anpassung ihres Arbeitsstils an die Anforderungen eines universitären Forschungsbetriebs noch nicht völlig bewältigt hatten. Ein weiterer Grund für die Klagen über die unzureichenden Arbeitsbedingungen lag sicher auch in der Struktur der Universität, die damals unterhalb von vier Fachbereichen keine kleineren Arbeits- und Forschungseinheiten in Gestalt von Seminaren oder Instituten aufwies. Damit fehlte aus meiner Sicht die Überschaubarkeit von Strukturen, die der Persönlichkeit und Verantwortungsbereitschaft des Einzelnen den erforderlichen Raum hätte geben können. Vor allem aber war es der völlig unzureichende Personalbestand im sogenannten Mittelbau, also bei den wissenschaftlichen und technischen Mitarbeitern, der als plausibler Grund für die Beschwerden der Lehrenden und Forschenden genannt werden muss.

Auch die äußeren Arbeits- und Existenzbedingungen erwiesen sich zu Beginn meiner Amtszeit als durchaus problematisch. Dies gilt zunächst für die räumlichen Bedingungen, die für die Lehrenden wie die Studierenden gleichermaßen beengt und wenig forschungs-, lehr- oder studierfreundlich waren. Die Universität verfügte damals bei mehr als 5.000 Studenten über drei eher kleine Gebäudekomplexe: den alten Baubestand der ehemaligen Pädagogischen Hochschule und zwei Gebäuden in dem rein funktional ausgerichteten Stil der deutschen Universitätsneubauten der 70er Jahre, das sogenannte Verfügungsgebäude (VG) und das Allgemeine Verfügungszentrum (AVZ) sowie einige angemietete Räumlichkeiten. Die Mensa war ständig überfüllt und konnte kaum ihre wesentliche Funktion der Essensversorgung für die Studenten und die Mitarbeiterschaft der Universität erfüllen, geschweige denn darüber hinaus als Kommunikationszentrum für die Mitglieder der Universität dienen, wie es sonst an Hochschulen üblich war. Den gelegentlich in meinem Büro gegen diese Bedingungen protestierenden Studenten konnte ich stets nur recht geben und versuchen, ihren Beschwerden mit dem Hinweis auf den im Bau befindlichen Komplex für die Bibliothek, die Mensa und den Sportbereich zu begegnen.

... und ein besonderes Umfeld

Zu den äußeren Arbeits- und Existenzbedingungen der Universität gehörte nicht zuletzt auch ihr gesellschaftliches und politisches Umfeld – und das offenbarte für mich zu Beginn meiner Amtszeit doch einige ebenso unerwartete wie unliebsame Überraschungen. Mein Lernprozess begann wenige Tage nach meiner Amtseinführung mit einem Zettel an der Windschutzscheibe meines Autos mit der Aufforderung: „Geh zurück, wo Du herkommst, Du rote Sau“. Die ungelenke Schrift verriet das jugendliche Alter des Urhebers, der offenkundig den Tenor einer Diskussion im Elternhaus zu Papier gebracht hatte. Nicht lange danach erhielt ich per Post einen weiteren Brief, der in der unflätigen Sprache den ersten bei weitem übertraf. Auf sehr drastische Weise wurde mir damit vor Augen geführt, wie die Universität von ihrem Umfeld wahrgenommen wurde und wie politisch aufgeladen die Diskussion über die Universität in dieser Zeit war. Schon in den Vorgesprächen hatte ich zu meiner Überraschung erfahren, dass es im Rat der Stadt eine kleine DKP-Fraktion gab, eine Partei, die im Ruhrgebiet überhaupt keine Rolle mehr spielte und im Ruf des politischen Sektierertums stand. Nun lernte ich, dass es an der Universität nicht nur eine DKP-Hochschulgruppe gab, die ein Presseorgan mit der Bezeichnung DER KOMMUNIST herausgab, sondern dass die DKP auch in der Verwaltung der Universität Anhänger besaß.

Die Begegnung mit den alle universitären Probleme politisch instrumentalisierenden DKP-Vertretern im Personalrat der Universität zählt zu den unangenehmsten Erfahrungen meines mehr als 40-jährigen Berufslebens. Gleichwohl habe ich mich aus politischer Überzeugung gegen den Radikalenerlass gewehrt, der sich vornehmlich gegen DKP-Anhänger richtete und somit auch Universitätsmitglieder betraf, die nicht zuletzt durch den Einsatz der Universitätsleitung vor der Entlassung bewahrt wurden.

Bei meiner Bewerbung hatte mich der fortschrittliche Wissenschaftsansatz im Sinne Carl von Ossietzky`s Satz „Wir müssen die Wissenschaft wieder menschlich machen“ sehr angesprochen, und ich hatte daher auch meine Antrittsrede unter die Überschrift gestellt: „Zur gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft und Universität“. Ich wusste damals noch nicht, dass die tonangebenden Schichten der Oldenburger Gesellschaft mit dieser Ausrichtung „ihrer“ Universität wenig anfangen konnten. Eher wohl gab es Vorstellungen von „Altheidelberg“ – oder doch die Hoffnung auf eine politisch eher unauffällige Institution, die sich in das als „gutbürgerlich“ zu kennzeichnende gesellschaftliche Umfeld wenigstens einigermaßen einfügen würde.

Die Antrittsbesuche bei den politischen und gesellschaftlichen Repräsentanten der Stadt und der Region haben mir damals sehr deutlich gemacht, dass es ein langer Weg sein würde, bis es gelingen könnte, die erforderliche Unterstützung für den in der Universität anstehenden Aufbau- und Entwicklungsprozess zu erhalten. Zugleich wurde für mich aber immer offenkundiger, dass angesichts der schlechten Ausstattung der Universität und der Konkurrenz mit den etablierten Hochschulen in Niedersachsen um einen größeren Anteil am Hochschuletat des Landes diese Unterstützung die einzige Chance für die Universität darstellte, durch einen gezielten Ausbau einschließlich der Ausweitung des Fächerangebots ihre Existenz langfristig zu sichern.

Vielen in der Stadt und der Region Oldenburg war damals sicher nicht bekannt, dass der für die Entwicklung der deutschen Hochschulen maßgebende Wissenschaftsrat den Reformauftrag, der aus der Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft nach 1945 entstanden war, ausdrücklich an die Neugründungen verwiesen hatte. Noch 1980 hatte er den Neugründungen die Aufgabe zugewiesen, „Reformvorstellungen der Wissenschafts- und Hochschulpolitik in die Praxis umzusetzen“. Im Ergebnis führte dies zu einer unnötigen Herausforderung der alten und einer Überforderung der neuen Hochschulen. Die Vorstellung, Bannerträger der Reform zu sein, begünstigte bei den Neugründungen nicht gerade die Entwicklung von Augenmaß und Besonnenheit, und je mehr sie über das Ziel hinausschossen, oft in der Annahme, nur so etwas bewegen zu können, desto mehr diskreditierten sie ungewollt selbst den Reformansatz und liefen darüber hinaus Gefahr, zu einem Fremdkörper in ihrem gesellschaftlichen Umfeld zu werden.

Nicht zuletzt der überzogene Anspruch, den Neugründungen die Bürde des Vorbilds für den gesamten Hochschulbereich aufzuladen, hat dazu beigetragen, dass die Reformansätze wieder „abgewürgt“ wurden. Das probate Mittel dazu war das Prinzip der Gleichwertigkeit von Studien- und Prüfungsleistungen, das wohl häufig im Sinne einer Gleichartigkeit eingesetzt wurde. Damit aber wurde den Neugründungen ein wichtiges Feld wieder genommen, auf dem sie mit den alten Hochschulen hätten erfolgreich konkurrieren können. Wenn man das ökonomische Prinzip des Wettbewerbs auf die Hochschulen überträgt, muss man das Wettbewerbskonzept berücksichtigen und darf nicht nur den Begriff übernehmen. Dann wird deutlich, dass es unterschiedliche Wettbewerbsvoraussetzungen und
-formen gibt. Dabei ist der Wettbewerb gleich großer Anbieter mit gleichartigen Produkten eher die unwahrscheinliche Ausnahme der „vollständigen Konkurrenz“. Die Regel ist ein Wettbewerb aufgrund unterschiedlicher Produkte und unterschiedlicher Qualitäten. Die Anwendung des Gleichwertigkeitsprinzips anhand der Messlatte der Gleichartigkeit hat für die Neugründungen diese Form des Wettbewerbs unterbunden. Es hat der Entwicklung der Universität Oldenburg wie auch ihrem Ansehen sicher geschadet, dass in Gestalt der Einphasigen Lehrerausbildung, des Projektstudiums oder reformierter Studiengänge kein politisch akzeptierter Qualitäts- oder Produktwettbewerb mit den „etablierten“ Hochschulen stattfinden konnte. Was auf den genannten drei Feldern korrekturbedürftig war, hätte man ändern können. Aber die Elle der bürokratischen Gleichmacherei – unterstützt durch den Dünkel der Standesorganisationen – hat dies nicht zugelassen, sondern bereits die längerfristige Entwicklung eines Konkurrenzangebots verhindert. Auf dem „Markt der Hochschulen“ gab es ein Monopol des traditionell Üblichen.

Dass die Universität Oldenburg politisch überhaupt nicht unauffällig war, lag aber nicht nur an den politischen und insbesondere hochschulpolitischen Umständen der 70er Jahre, sondern nicht zuletzt an einer nicht sonderlich stringenten Hochschulpolitik in Niedersachsen und deren Umgang mit der Universität Oldenburg. Es hatte immer wieder Zusagen des Landes gegeben, die dann nicht eingehalten wurden oder um deren Einhaltung oft sehr intensiv – zum Beispiel im Jahr 1976 mit einer großen Fahrraddemonstration von mehr als 1.000 Mitgliedern der Universität nach Hannover zum zuständigen Ministerium – gekämpft werden musste. Der ebenso engagierte wie phantasievolle Kampf der Universität um ihre Existenz und ihre Weiterentwicklung sowie auch der Streit um ihre Namensgebung hatten deren Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit offenbar so nachhaltig geprägt, dass ich mir in vielen Gesprächen mit Repräsentanten der Stadt und der Region zunächst einmal ihre Vorbehalte gegenüber der von mir vertretenen Institution anhören musste.

Wie tief diese Vorbehalte verwurzelt waren, wurde mir einmal besonders deutlich, als ich den Vorstand des Wissenschaftsausschusses des Landtags, der die niedersächsischen Universitäten und Hochschulen besuchte, zu mir nach Hause eingeladen hatte. Ich kannte den Vorsitzenden des Ausschusses aus einer mehrjährigen Zusammenarbeit im Ruhrgebiet Mitte der 60er Jahre bei der Gemeinsamen Sozialarbeit der Konfessionen im Bergbau. Meine Frau und ich konnten die Überraschung der Besucher über den „geordneten“ Haushalt und die „Normalität“ der Einrichtung an ihren Gesichtern ablesen – einer der Gäste hat sogar seine Verwunderung darüber offen zum Ausdruck gebracht. Mit welchen Bedenken und Vorbehalten mögen diese Besucher die Fahrt zu meinem Haus angetreten haben – und erst den Besuch der Universität!?

Für mich ergab sich aus der Zusammenschau der mal offen, mal verdeckt erkennbaren Vorbehalte gegenüber der Universität und ihrer oben dargestellten Ausstattungsprobleme die logische Folgerung, dass eine meiner vorrangigen Aufgaben als Universitätspräsident darin bestand, bestehen musste, in Stadt und Region um Unterstützung für die Interessen der Universität zu werben, die Vorbehalte abzubauen, ein anderes Bild der Universität zu vermitteln als das, was sich bis dahin in den Köpfen festgesetzt hatte – teilweise entstanden aufgrund von falschen Vorstellungen über den Universitätsalltag generell, teilweise aufgrund von lange gefestigten Vorurteilen, teilweise durch überzogene studentische Reaktionen auf politische Maßnahmen, teilweise sicher auch durch irritierende Äußerungen und Aktionen aus der Universität selbst. Ich habe daher kaum eine Gelegenheit ausgelassen, im politischen und gesellschaftlichen Leben der Stadt und der Region (bis hin zur regelmäßigen Teilnahme an den jährlichen Presse-, Handwerker- und Sportlerbällen) die Interessen der Universität Oldenburg zu vertreten, für Unterstützung ihrer Anliegen und insgesamt für eine realitätsnahe Wahrnehmung der Universität zu werben (was mir dann bei den Universitätsmitarbeitern den Spitznamen „4711 – immer dabei“ eingetragen hat).

Es blieb ein ebenso langwieriges wie schwieriges Bemühen, wobei durch die nun häufigen Kontakte der Hochschulleitung mit den Repräsentanten von Politik und Gesellschaft zumindest bei diesen allmählich ein anderes Bild von der Universität entstand. Sie waren denn auch mehr und mehr bereit, die Universität zu unterstützen, wenn es wieder einmal galt, drohendes Unheil durch die niedersächsische Hochschulpolitik abzuwehren. Wie tief aber auch nach mehreren Jahren intensiven Bemühens die Vorbehalte (oder zumindest die Unsicherheit) bei der Mehrheit – zumindest der Vertreter der Wirtschaft – noch waren, wurde für mich und auch für den teilnehmenden Kanzler Dr. Lüthje im wahrsten Sinne des Wortes spürbar, als bei dem Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer am 12. Januar 1984 vor rund 300 geladenen Gästen der IHK-Präsident Thümmler nach dem Festvortrag ankündigte: “Das Grußwort der Gäste spricht jetzt der Präsident der Universität Oldenburg, Dr. Horst Zillessen“. Ich werde nie die atemlos gespannte Stille vergessen, die mit dieser Ankündigung einsetzte. Es war, als hätte eine Art Schreckstarre das Auditorium erfasst. Es war das erste Mal, dass ein Vertreter der Universität auf einer dieser jährlichen Veranstaltungen offiziell zu Wort kommen konnte. Dies war offenkundig für die meisten Anwesenden ebenso ungewohnt wie unerwartet und sicher bei vielen auch mit vielen Befürchtungen im Hinblick auf das verbunden, was sie sich nun würden anhören müssen.

Mein Grußwort hat diesen Befürchtungen nicht entsprochen, auch wenn ich nicht unterlassen habe, auf die gesellschafts- und zeitkritische Funktion von Wissenschaft hinzuweisen – nicht zuletzt mit dem Hinweis darauf, dass an der Universität unter anderem Lehrer ausgebildet würden, die zukünftig Kinder erzögen, die wiederum 2020 gesellschaftliche Schlüsselfunktionen übernähmen. Daher müsse eine Gesellschaft geradezu darauf vertrauen, dass eine wissenschaftliche Ausbildung ihrer Zeit ein Stück vorauseilt und sich nicht nur dem Zeitgeist verpflichtet fühlt. Der lebhafte und anhaltende Applaus am Ende des Grußworts schien anzudeuten, dass es gelungen war, wieder einen kleinen Schritt in Richtung auf eine veränderte Einschätzung der Universität zu tun.

Existenzsicherung und der Kampf um Jura

Zu Beginn des erwähnten Grußworts hatte ich die Gelegenheit wahrgenommen, den Repräsentanten der Region, insbesondere den Präsidenten der IHK und der Oldenburgischen Landschaft sowie dem Oberbürgermeister der Stadt Oldenburg, für ihre Unterstützung in einer für die Universität existenzbedrohenden Situation zu danken. Man kann es im Nachhinein kaum glauben, wie sprunghaft und teilweise wirklichkeitsfern die niedersächsische Hochschulpolitik in diesen frühen achtziger Jahren daherkam. Sie erzwang bis Mitte der 80er Jahre einen permanenten Kampf: zunächst und vor allem um den Erhalt des bestehenden Lehrangebots und danach auch um dessen Ausweitung im Interesse der Bestandssicherung sowie der Verbesserung der Bildungschancen für die nachwachsende Generation im Einzugsbereich der Universität Oldenburg.

Im Herbst 1983 hatte ein Gutachten von Prof. Dr. Gerd Peisert und Dr. Gerhild Framheim (beide Universität Konstanz) mit dem Titel „Alte und neue Universitäten, Einzugsbereiche und Ortswahl der Studenten, Motive und Verhalten“ ergeben, dass bei den alten Universitäten mit einem großen Fächerspektrum 79 Prozent der ansässigen Studierfähigen am Ort bleiben, bei den Neugründungen aufgrund ihres begrenzten Fächerangebots aber nur 39 Prozent. Für die Universität Oldenburg bedeutete dieses Ergebnis eine Bestätigung ihrer Bemühungen um den Ausbau des Lehrangebots – nicht zuletzt deshalb, um einer Abwanderung von gut ausgebildeten jungen Menschen aus der Region („Brain Drain“) zu begegnen.

Zunächst aber musste sie darum kämpfen, dass das ohnehin begrenzte Lehrangebot nicht noch weiter reduziert werden würde. Im Juli 1982 hatte der Wissenschaftsminister Pläne zur Reduzierung der Ausbildungsplätze für Lehrer im Grund- und Hauptschulbereich veröffentlicht. Sie sahen für die Universität Oldenburg nur noch 100 Studienplätze vor – fast eine Halbierung der vorhandenen Kapazität, eine unverständliche Reduzierung im Vergleich zu den 310 Plätzen, die bei der Universität Osnabrück verbleiben sollten. Die Umsetzung dieser Pläne stand noch aus, da erfolgte im November 1982 schon der nächste Anschlag auf das Ausbildungsangebot in der Region: Die Landesregierung kündigte an, an der Universität Oldenburg in der Gymnasiallehrerausbildung die Studiengänge Deutsch, Geschichte, Sozialkunde und Russisch sowie im Realschullehrerbereich die Studiengänge Deutsch, Geschichte, Geographie und Sozialkunde zu streichen. Anfang Januar 1983 wurde dann noch bekannt, dass die Landesregierung erwäge, die Ausbildung für das Handelslehramt von Oldenburg nach Osnabrück zu verlagern, was mit einer Gefährdung der Entwicklungsmöglichkeiten der Wirtschaftswissenschaften, wenn nicht gar mit einer Existenzbedrohung dieses wichtigen Bereichs, verbunden gewesen wäre.

In dieser Situation sah die Universität sich wieder einmal gezwungen, zu einem für eine Hochschule sicher ungewöhnlichen Mittel des Widerstands gegen die Pläne der Landesregierung zu greifen. Gemeinsam mit dem Rat der Stadt Oldenburg und der Oldenburgischen Landschaft rief sie zu einer öffentlichen Kundgebung auf dem Marktplatz der Stadt auf, um den Willen der Region zum Erhalt und zum Ausbau des Studienangebots zu dokumentieren. Etwa 1.500 Menschen sind am 26. Januar 1983 diesem Aufruf gefolgt. Durch diese publizitätswirksame Aktion, aber nicht zuletzt auch infolge der geschlossenen Unterstützung durch die gesellschaftlichen und politischen Repräsentanten der Region und ihre Intervention gegenüber der Landesregierung, gelang es schließlich, das Schlimmste von der Universität abzuwehren. Zwar konnten nicht alle Studiengänge beibehalten werden, und auch die Zahl der Studienplätze in der Lehrerausbildung wurde – wie insgesamt in Niedersachsen – erheblich reduziert, aber das Fächerspektrum konnte im Wesentlichen erhalten werden. Lediglich die Teilstudiengänge Sozialkunde und Geographie für Realschule wurden gestrichen, wobei das Fach
Geographie durch die später genehmigten Magisterstudiengänge erhalten werden konnte.

Ein besonderes Lehrstück (vielleicht sollte man es besser als „Lehrlingsstück“ bezeichnen) niedersächsischer Hochschulpolitik stellt das Hin und Her um den Studiengang Jura dar. Es begann mit einem Antrag der CDU-Fraktion auf Einrichtung eines solchen Studiengangs im Jahr 1971, also noch zur Zeit der Pädagogischen Hochschule. Er wurde von der damaligen SPD-Mehrheit abgelehnt. Ende der 70er Jahre hatte die CDU-Landesregierung der Universität die Einrichtung eines Studiengangs Rechtswissenschaften in Aussicht gestellt. Am 27. Juni 1979 hatte die Landesregierung vor dem Niedersächsischen Landtag gar erklärt, dass die materielle Grundsatzentscheidung für einen rechtswissenschaftlichen Studiengang an der Universität Oldenburg bereits gefallen sei. Der zuständige Wissenschaftsminister hatte danach mehrfach entsprechende Zusagen gemacht, „wie sie mit einem größeren Verbindlichkeitsgrad nicht abgegeben werden können“ (so mein Amtsvorgänger Prof. Dr. Raapke). Auch die Vertreter der regionalen Organisationen einschließlich der politischen Parteien forderten geschlossen die Einrichtung dieses Studiengangs. Angesichts der Tatsache, dass in der Stadt Oldenburg eine entsprechende „Gerichtsinfrastruktur“ vorhanden war (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht, Arbeitsgericht, Sozialgericht, Verwaltungsgericht) sprachen auch die äußeren Bedingungen für die Sinnhaftigkeit dieser Planung. Anfang Juli 1980 trat dann die von der Landesregierung beauftragte „Jura-Kommission“, die die Frage prüfen sollte, ob ein solcher Studiengang eingerichtet werden soll, erstmals zusammen. Ihr gehörten neben fünf Juraprofessoren und einem Vertreter der Rechtsanwaltskammer je ein Vertreter aus dem Justiz-, Finanz- und Wirtschaftsministerium an. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt wurde der Kommission von regierungsnahen Journalisten ein Alibicharakter attestiert.

Gleichwohl machte sich im Dezember 1980 an der Universität nach der dritten Sitzung der Kommission, der ich damals qua Amt angehörte, ein vorsichtiger Optimismus breit, da die Reaktionen der Kommissionsmitglieder durchweg positiv waren. Im März 1981 kam die Kommission dann zu dem Beschluss, dass die hervorragenden Bedingungen vor Ort in Gestalt der Präsenz aller Gerichte, die Notwendigkeit, das Fächerspektrum an der Universität zu erweitern sowie die Nachfrage nach Studienplätzen in der Region insgesamt für die Einrichtung des Studiengangs sprächen. Die Vertreter der oben genannten Ministerien sowie der Vertreter der Rechtsanwaltskammer stimmten gegen diesen Beschluss. Dennoch bezeichnete im Sommer jenes Jahres auch der zuständige Wissenschaftsminister gegenüber der Nordwest-Zeitung die Einrichtung als „auf die Dauer unerlässlich“. Im weiteren Verlauf des Jahres äußerte sich sogar auch Ministerpräsident Albrecht grundsätzlich positiv.

Bereits kurze Zeit später wurden die Hoffnungen und Erwartungen der Universität aber wieder enttäuscht. Noch im November 1981 ließ der Wissenschaftsminister verlauten, dass es aufgrund der Finanzlage in absehbarer Zeit keine Entscheidung über die Einrichtung eines Jura-Studiengangs in Oldenburg geben werde. Da aber im Jahr 1982 Landtagswahlen anstanden, änderte sich die Tonlage entsprechend der Nähe des Wahlkampfs. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Oldenburg im Februar 1982 sprach der Wissenschaftsminister von einem „großen Paket“; es werde für die von der Universität beantragten Studiengänge Jura, Informatik und Lebensmittelchemie „möglicherweise ein Gesamtpaket geschnürt“. Als er im April auf das Gesamtpaket zurückkam, fehlte das Fach Jura, stattdessen war nun noch von Agrarwissenschaften die Rede. Im November ließ der Minister dann verlauten, Jura könne nur dann eingerichtet werden, wenn die Universität die dafür benötigten 45 Stellen selbst erwirtschafte – wobei ihm durchaus bewusst war, dass dies völlig unmöglich war.

Im Februar 1983 hieß es aus „regierungsnahen Kreisen“ in Hannover, Agrarwissenschaft sei wegen zu hoher Kosten und der Konkurrenz zu Göttingen wieder aus dem Rennen, nachdem wenige Tage vorher der zuständige Wissenschaftsminister erklärt hatte, Oldenburg könne mit Informatik, Lebensmittelchemie und Agrarwissenschaft rechnen; bei Jura gebe es noch Kontroversen. Dazu fiel der Landesregierung dann im Juni des Jahres ein, wieder eine Kommission einzusetzen – diesmal zu der Frage, ob ein Studiengang für die Ausbildung eines Diplom-Kaufmanns mit juristischem Schwerpunkt eine Alternative sein könnte – er wurde schließlich im Sommer 1986 genehmigt. Immerhin fasste die Landesregierung in der Juni-Sitzung einen Beschluss zur Einrichtung eines Fachbereichs Informatik, eine Entscheidung, die sich – wie wir heute wissen – für die Universität wie für die regionale Wirtschaft und die Beschäftigungsmöglichkeiten für die junge Generation außerordentlich positiv ausgewirkt hat.

Zu Jura aber sollte die Entscheidung im Oktober gefällt werden. Wieder kam es nicht dazu. Der Widerstand in der CDU-Landtagsfraktion war offensichtlich so stark, dass die Landesregierung, obwohl es eigentlich in ihrer Zuständigkeit lag, den Landtag darüber entscheiden lassen wollte. Ein Entschließungsantrag dazu lag der SPD-Fraktion bereits vor. Im Januar 1984 appellierten die Ostfriesische Landschaft, die Oldenburgische Landschaft und die Industrie- und Handelskammer Oldenburg nochmals in einer ausführlichen Petition an den Landtag, „mit der Einrichtung eines juristischen Studiengangs endlich einen entscheidenden, in die Zukunft weisenden Schritt für die Weiterentwicklung der Oldenburger Universität zu tun“.

Es half alles nicht. Am 16. Januar 1984 lehnte der Landtag mit 85 zu 83 Stimmen den Antrag der SPD auf Einrichtung des Studiengangs ab. Das begrenzte Fächerspektrum der Universität konnte daher – bis auf die oben erwähnte Informatik – in meiner Amtszeit nicht wesentlich ausgeweitet werden. Im Oktober 1982 wurden zwar ein Ergänzungsstudiengang Niederlandistik eingerichtet und auf der Basis der vorhandenen Fächer Magisterstudiengänge eingeführt sowie im Oktober 1984 ein Studiengang Interkulturelle Pädagogik, aber eine substanzielle Erweiterung des Studienangebots konnte trotz aller Bemühungen der Universität und der Unterstützung durch die regionalen Repräsentanten nicht erreicht werden. Auch die Versuche aus den Jahren 1979/80, eine Ausbildung in Zahnmedizin und einige Jahre später – mit Unterstützung der örtlichen Kliniken – einen Teil der klinischen Ausbildung von Humanmedizinern nach Oldenburg zu holen, scheiterten.

Gleichwohl blieb die Attraktivität der Universität für die Studierwilligen in der Region und darüber hinaus unverändert groß: Während im Sommersemester 1980 knapp über 5.000 Studenten eingeschrieben waren, stieg die Zahl bis zum Sommersemester 1986 auf 9.200. Einen wesentlichen Grund für diesen Zuwachs an Studenten bildete ohne Zweifel die attraktive räumliche Entwicklung der Universität. Als ich mein Amt an der Universität antrat, waren – wie oben erwähnt – die Gebäude für die Bibliothek, den Sportbereich und die Mensa bereits im Bau; die Neubauten konnten am 15. Oktober 1982 der Universität übergeben werden. Dass darüber hinaus auch die mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichneten Gebäude für die Naturwissenschaften in Wechloy errichtet werden konnten, hatte die Universität nicht zuletzt ihrem Kanzler Dr. Jürgen Lüthje zu verdanken. Er erfuhr im Mai 1980 von einem Mitarbeiter des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, dass die Bundesregierung auf der nächsten Sitzung des Planungsausschusses für den Hochschulbau den Ausstieg aus der Mitfinanzierung erklären wollte – und zwar für alle Baumaßnahmen, die nach 1980 begonnen werden. Für die Neubauten der Naturwissenschaften in Oldenburg hatte das Land das Jahr 1981 als Baubeginn gemeldet, so dass damit zu rechnen war, dass ohne den 50-prozentigen Bundesanteil an der Finanzierung die Landesregierung das Bauvorhaben streichen würde.

Bis zu der entscheidenden Sitzung des Planungsausschusses für den Hochschulbau verblieben nur 14 Tage. Lüthje erreichte dann aufgrund einer sofortigen Information des niedersächsischen Wissenschaftsministers, dass das Land den Baubeginn auf das Jahr 1980 festlegte. Dies gelang auch: Am 18. Dezember 1980 begann mit den ersten Arbeiten für das Energielabor der Ausbau der Naturwissenschaften am Standort Wechloy. Damit war im wahrsten Sinn des Wortes der Grundstein gelegt für eine Entwicklung der Universität, die man von heute aus betrachtet nur als ebenso erstaunlich wie erfreulich bezeichnen kann.

Das Ringen um die innere Struktur

Was freilich die innere Entwicklung der Universität angeht, so haben insbesondere die Vertreter der linken Hochschulgruppierungen in Senat und Konzil dazu beigetragen, dass die Universität unfähig war, sich in eigener Entscheidung den wachsenden wissenschaftlichen Anforderungen wie auch den quantitativen Veränderungen anzupassen. Die innere Struktur wies lediglich vier Fachbereiche auf: Fachbereich I: Erziehung/Sozialisation; II: Kommunikation/Ästhetik; III: Gesellschaftswissenschaften; IV: Mathematik/Naturwissenschaften. Die Vorbehalte im gesellschaftlichen Umfeld gegenüber der Universität schienen dadurch wieder einmal bestätigt zu werden, sodass der zuständige Minister letztlich gezwungen wurde, auf dem Wege der sogenannten Ersatzvornahme die notwendigen Entscheidungen zu treffen. In Freundeskreisen und in der damaligen Westdeutschen Rektorenkonferenz (WRK) habe ich die Schwierigkeiten, sich eine angemessene Struktur zu geben, häufig damit zu erklären versucht, dass sich die junge Universität in einer Phase „institutioneller Pubertät“ befände – mit allen Problemen der Identitätsfindung. Es war für mich damals – und ist es rückblickend auch heute noch – völlig inakzeptabel, dass die damalige linke Senatsmehrheit es permanent abgelehnt hat, die Universität mit einer wissenschaftsadäquaten Substruktur auszustatten. Bereits vor Beginn meiner Amtszeit hatte die Professorengruppe „Demokratische Hochschule“ im Senat einen Vorschlag unterbreitet, der die Universität in neun statt vier Fachbereiche aufgliederte und eine Reihe von Instituten oder Seminaren vorsah. Im Senat wurde dieser Vorschlag in Bausch und Bogen abgelehnt, wobei die Gegner dieser Neugliederung vor allem das Argument vorbrachten, dass nach den Vorgaben des Ministeriums in den Instituten und Seminaren die Letztentscheidung bei den Professoren liegen sollte. Im Vorfeld der Senatsberatung hatten die Fachbereiche I, II und III entschieden, sich nicht aufzuteilen, während der Fachbereich IV beschlossen hatte, für die Fächer Biologie, Chemie, Mathematik und Physik je einen Fachbereich zu bilden.

Was die Entscheidungsverfahren in den Instituten und Seminaren angeht, so hätte es durchaus die Möglichkeit gegeben, mit entsprechenden inneruniversitären Instituts- oder Seminarordnungen die Mitsprachemöglichkeiten der wissenschaftlichen, studentischen und Verwaltungsmitarbeitern zu regeln, ohne die Letztverantwortung der Professoren in wissenschaftlichen und finanziellen Fragen aufzuheben. Die Vorstellung, die Professoren aus dieser Letztverantwortung zu entlassen, die bei einigen Institutsgegnern eine Rolle gespielt haben mag, erschien mir ebenso lebensfremd wie unvereinbar mit den Amtspflichten eines Hochschullehrers.

Es war offensichtlich, dass die Mitbestimmungsregelung in den wissenschaftlichen Einrichtungen unterhalb der Fachbereichsebene den entscheidenden Grund für die Ablehnung der Neugliederung darstellten, aber ich bin den Verdacht nie losgeworden, dass sich einige der die gesamte Strukturreform ablehnenden Professoren in der Unübersichtlichkeit der bestehenden Großstrukturen durchaus wohlgefühlt haben. Da die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter in den nicht naturwissenschaftlichen Fachbereichen äußerst gering war, fiel es in der bestehenden Struktur nicht so auf, wenn die Professoren in den Semesterferien meist in der Universität und auch zu Hause nicht erreichbar waren. Als – wie oben erwähnt – das Fach Russisch in seiner Existenz gefährdet war, blieb der für dieses Fach zuständige Lehrende für die Universitätsleitung unerreichbar, weil er – wie sich dann herausstellte – üblicherweise mit Beginn der Semesterferien in Schweden lebte.

Anfang Dezember 1980 befasste sich der Senat der Universität erneut mit der Organisationsstruktur, nachdem eine Woche zuvor eine „gesamtuniversitäre Vollversammlung“ eine Resolution verabschiedet hatte, in der nicht nur die Teilung der Fachbereiche I und III abgelehnt, sondern auch die Rücknahme des Beschlusses zur Teilung des Fachbereichs IV gefordert wurde. Die Einladung zu einer Vollversammlung richtete sich an alle Mitglieder der Universität, zu dieser Zeit ca. 6.000 Personen, von denen natürlich nur ein sehr kleiner Teil in der Aula der Universität Platz finden konnte – also eine eher fragwürdige Form der angestrebten „demokratischen“ Willensbildung. Die Vollversammlung besaß natürlich keine Entscheidungskompetenz, bewirkte aber dennoch, dass der Fachbereich III einen zuvor gefassten Teilungsbeschluss wieder aufhob. Der Fachbereich IV blieb allerdings bei seinem Teilungsbeschluss.

Angesicht der unterschiedlichen Positionen in der universitären Diskussion sowie des drohenden Oktroi durch den Wissenschaftsminister unterbreitete die Universitätsleitung dem Senat einen Alternativvorschlag. Er sah drei mögliche Lösungen des Strukturproblems vor:

a) Beibehaltung von vier Fachbereichen mit wissenschaftlichen Einrichtungen in allen Fachbereichen;

b) Aufteilung in sechs Fachbereiche mit wissenschaftlichen Einrichtungen in allen Fachbereichen;

c) Aufteilung in zwölf Fachbereiche ohne wissenschaftliche Einrichtungen.

Der Senat lehnte diese Vorschläge ab und beschloss, dass innerhalb der bestehenden Fachbereiche die Frage der Substruktur noch einmal neu aufgenommen werden solle.

Die Reaktion des Wissenschaftsministeriums auf den Senatsbeschluss ließ nicht lange auf sich warten. Bereits wenige Wochen später wurde die Universität per Erlass definitiv aufgefordert, die Fachbereiche I und III zu teilen. Für einen entsprechenden Beschluss des Senats setzte das Ministerium eine Frist bis zum 31. Januar. Angekündigt wurde in dem Erlass zudem, dass das Ministerium über die Fachbereichsteilung hinaus die Bildung von Instituten für erforderlich halte und diese in Angriff nehmen werde, wenn die Universität das nicht selbst entscheide.

Angesichts der Bedeutung der nun dringlich anstehenden Entscheidung lud die Universitätsleitung aufgrund eines Beschlusses im Senat für den 21. Januar zu einer Konzilssitzung in Verbindung mit einer universitären Vollversammlung ein. Nachdem ich erst drei Monate im Amt war, wollte und konnte ich mich der universitären Tradition der Vollversammlung nicht verschließen, obwohl ich als Politikwissenschaftler solche plebiszitären Formen von Entscheidungsprozessen immer schon als hochproblematisch eingeschätzt hatte. Die Veranstaltung lief denn auch schon zu Beginn völlig aus dem Ruder, als nach meiner Sitzungseröffnung eine Frauengruppe unter großem Beifall des Plenums forderte, die Tagesordnung des Konzils zugunsten einer Vollversammlung vom Tisch zu nehmen. Die Konzilssitzung war damit geplatzt, die Vollversammlung aber auch die letzte, die in meiner Amtszeit stattgefunden hat.

Dass es die linke Senatsmehrheit, wenn es ihr politisch gegen den Strich ging, mit der Eigenverantwortlichkeit der Universitätsmitglieder doch nicht so ernst meinte, wurde deutlich, als sie auf der Senatssitzung am 10. März 1981 ablehnte, die eine Woche zuvor vom Rat des Fachbereichs I mit deutlicher Mehrheit getroffene Entscheidung auf Teilung in zwei Fachbereiche, nämlich Pädagogik/Sonderpädagogik einerseits und Philosophie/Psychologie/Sportwissenschaften andererseits, zu übernehmen. Obwohl der Fachbereichsrat seinen Beschluss damit begründet hatte, dass die Aufrechterhaltung des bestehenden Fachbereichs nicht mit der Grundordnung der Universität zu vereinbaren sei, die vorsah, dass einem Fachbereich nicht mehr als 30 Hochschullehrer angehören sollen, wurde seine Entscheidung vom Senat nicht übernommen. Wenn es politisch nicht passte, galt auch die sonst als „hoch und heilig“ beschworene Grundordnung nur als ein Stück Papier und genau so wenig wie das vorher immer betonte „Prinzip“, Beschlüsse der vorgeordneten Gremien zu akzeptieren. Wenige Wochen später hat dann der Wissenschaftsminister per Oktroi die Aufteilung in neun Fachbereiche verfügt.

Dasselbe Spiel wurde von den nämlichen Akteuren wiederholt, als es im Jahr 1982 um die Substruktur in den Fachbereichen in Gestalt von Instituten und Seminaren ging. Aus den Fachbereichen lagen dem Senat Ende Januar jenes Jahres bereits neun Anträge auf Institutsgründung vor. Obwohl der Sprecher der größten Professorengruppe im Senat, Prof. Schulenberg, darauf hinwies, dass seine Gruppe an der Einrichtung von Instituten festhalten werde und dass den wissenschaftlichen und Verwaltungsmitarbeitern sowie den Studenten Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt werden sollten, die das Hochschulgesetz zwar nicht vorsehe, aber auch nicht ausschließe, wurde der Antrag mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Wie ideologisch eingeengt der Blick auf diese Entscheidung damals war, zeigte sich noch 1984 in der Diskussion über meinen Rechenschaftsbericht über diesen Zeitabschnitt. Mein späterer Amtsnachfolger Siegfried Grubitzsch hatte damals den wesentlichen Grund für die Ablehnung von Instituten darin gesehen, „dass durch die Institute der unkontrollierten Fremdbestimmung, der Instrumentalisierung der Wissenschaft ... inneruniversitärer Vorschub geleistet würde“. Die Logik dieser Argumentation erschließt sich mir auch heute noch nicht, denn wer will in einem Fachbereich ohne jede Substruktur, der mehr als 30 Hochschullehrern umfasst, noch kontrollieren, welchen Forschungsinteressen der einzelne Forschende nachgeht.

Der weitere Verlauf dieser für die Entwicklung der Universität sicher sehr wichtigen Diskussion nahm teilweise skurrile Züge an. Auf der Senatssitzung am 24. März 1982 hatten die Institutsgegnern verlangt – und mit ihrer Stimmenmehrheit auch durchgesetzt – dass das Thema „Institutsanträge“ als ordentlicher Tagesordnungspunkt verhandelt werden sollte. Als dann gegen 20.00 Uhr dieser Tagesordnungspunkt aufgerufen wurde, hatte aber die Mehrzahl der Institutsgegnern die Sitzung bereits verlassen – ob ihnen ihr „Feierabend“ wichtiger gewesen war oder Lehrverpflichtungen anstanden, blieb im Nachhinein ungeklärt. Jedenfalls beschloss der Senat mit 4 zu 3 Stimmen, neun Institutsanträgen aus den Fachbereichen IV und V zuzustimmen. Auf Antrag der „Linken Liste“ der Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern, der ÖTV sowie der studentischen Vertreter im Senat fand dann zwei Wochen später eine zehnminütige Sondersitzung des Senats statt, auf der die zuvor getroffene Senatsentscheidung mit 7 zu 5 Stimmen wieder zurückgenommen wurde. Christian Graf von Krockow, der einige Akteure noch aus seiner Zeit als Vorsitzender der Gründungskommission der Universität kannte, schrieb über die Institutsproblematik an der Universität Oldenburg in DIE ZEIT vom 23. April 1982: „Da man sich nicht einigen kann, wird das Ministerium entscheiden ... Dann wird ein großes Wehgeschrei anheben: Vergewaltigung! Doch wie das so geht, wenn Männer betroffen sind: Mancher wird heimlich genießen, was ihm angetan wird.“

Tatsächlich ließ die Reaktion des Ministeriums auf die Beschlusslage in der Universität nicht lange auf sich warten. In einem „Institutserlass“ forderte der Minister die Universität auf, bis zum 30. Juni 1982 ein Konzept für die Bildung wissenschaftlicher Einrichtungen vorzulegen, anderenfalls werde er per Oktroi Institute an der Universität bilden. Ausdrücklich stellte er in seinem Erlass fest, dass er die vorliegenden Pläne zur Institutsbildung, die teilweise auch bereits die Zustimmung der zuständigen Fachbereichsräte gefunden hatten, weitgehend teile. Unter dem Druck des angekündigten Oktrois war dann schließlich auch die Senatsmehrheit bereit, ihre ablehnende Haltung aufzugeben, zumal sie gewärtigen musste, dass bei einem Oktroi die Universität keinerlei Einfluss mehr auf die Gestaltung der Institute und insbesondere die personelle Zuordnung von wissenschaftlichen Mitarbeitern gehabt hätte. Die Vertreter der Linken Liste, die sich bei der folgenden Abstimmung der Stimme enthielten und so eine Zustimmung des Senats ermöglichten, bezweifelten zwar den Wert einer liberaleren Institutsordnung, die zuvor der Senat in Form von in die Grundordnung der Universität einzufügenden Grundsätzen beschlossen hatte. Sie befanden sich aber in dem Dilemma, dass Vertreter ihrer Gruppe bereits im Fachbereich III der Gründung von mehreren Instituten zugestimmt hatten. Auf einer Sondersitzung am 23 Juni 1982 hat dann der Senat mit der Mehrheit von sechs Stimmen bei vier Gegenstimmen und drei Enthaltungen dieses schwierige und langwierige Kapitel der Universitätsentwicklung abgeschlossen.

Die Rolle Wolfgang Schulenbergs

Mit der Übernahme der Neubauten für die Bibliothek, die Sportwissenschaften und die Mensa im Oktober 1982 sowie für die Naturwissenschaften im Juni 1984 waren die äußeren, mit der Fachbereichsteilung und der Einrichtung von Instituten die inneren Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung der Universität Oldenburg geschaffen. Mit wie vielen Mühen, mit wie vielen physischen und psychischen Belastungen dieser Entwicklungsprozess damals verbunden war, kann man sich heute wohl kaum noch vorstellen. Deshalb will ich an dieser Stelle noch eines Mannes gedenken, ohne dessen Wirken als Wissenschaftler und insbesondere als Hochschulpolitiker diese Entwicklung wohl kaum möglich gewesen wäre: Prof. Dr. Wolfgang Schulenberg (1920-1985).

Schulenberg kam im Oktober 1945 zum ersten Mal nach Oldenburg und
besuchte bis zum September 1946 die Staatliche Pädagogische Akademie Oldenburg – die erste Lehrerbildungseinrichtung, die nach dem Krieg wieder ihre Arbeit aufnahm. Nach fünfjähriger Tätigkeit als Lehrer in Schwei am Jadebusen wurde er zunächst Assistent in Oldenburg, ging dann aber als Grimme-Stipendiat an die Universität Göttingen, um Pädagogik, Soziologie und Psychologie zu studieren. Im November 1956 promovierte er dort und kehrte im Juni 1957 wieder als Dozent an die Pädagogische Hochschule nach Oldenburg zurück, wo er im Mai 1961 zum Professor für Soziologie ernannt wurde. Von April 1969 bis März 1971 war er Gründungsrektor der aus acht pädagogischen Hochschulen gebildeten Pädagogischen Hochschule Niedersachsen. Mehrere Rufe auf Lehrstühle, u. a. an die Freie Universität Berlin sowie an die Universitäten Hannover und Münster, lehnte er ab. Er blieb in Oldenburg und hat einen außergewöhnlich großen Teil seines wissenschaftlichen und hochschulpolitischen Engagements in den Dienst der Universität gestellt.

Für mich als Neuling in diesem sehr besonderen hochschulpolitischen Kosmos war Schulenberg als der Sprecher der größten Professorengruppe im Senat der Universität insbesondere in den Anfangsjahren ein zuverlässiger Gesprächspartner, der immer offen für die argumentative Klärung einer Situation war – auch dann, wenn wir unterschiedlicher Meinung waren. Er war daher häufig mein Gesprächspartner, wenn es um wichtige universitäre Entscheidungen ging. Dabei ging er wie selbstverständlich davon aus, dass der Präsident stets ansprechbar sein sollte. Ich erinnere mich an eine Besprechung zu Beginn meiner Amtszeit als Präsident, die auch um 20 Uhr noch andauerte, obwohl es mein Geburtstag war, bei mir zu Hause bereits zahlreiche Gäste auf mich warteten und meine Frau besorgt bei mir anrief, wann ich denn wohl erscheinen würde. Es ging bei dem Gespräch – wie so häufig in dieser Zeit – um die innere Entwicklung der Universität.

Wer immer sich auf ein politisches Feld begibt, gleich welcher Art, ist dabei – da Politik immer mit Wertsetzungen zu tun hat – stets persönlichen Vorwürfen, Missverständnissen und auch Anfeindungen ausgesetzt, und zwar umso mehr, je beharrlicher er ein als richtig erkanntes Ziel verfolgt. Das gilt auch für den hochschulpolitischen Zusammenhang. In dem oben dargestellten inneruniversitären Strukturierungsprozess war Schulenberg unbeugsam, aber er besaß auch die Fähigkeit, selbst bei harter Konfrontation in einer Frage, in der er selbst hoch engagiert war, die sich dabei oft einstellende Komik der Situation sichtbar zu machen – nicht eben selten mit einem kräftigen Schuss Selbstironie. Diese Fähigkeit bewahrte häufig die Auseinandersetzungen vor der Gefahr einer Verbissenheit, die nur zu Verwundungen führt, und trug ihm viel Anerkennung und Zustimmung ein – sicher auch den Respekt seiner Gegenspieler. Nicht nur in der Universität, auch für die Repräsentanten der Stadt und der Region war Schulenberg stets ein wichtiger und verlässlicher Gesprächspartner. Die Stadt Oldenburg verlieh ihm daher zu seinem 65. Geburtstag am 11. Juni 1985, den er leider nur um wenige Tage überlebte, das große Stadtsiegel. Damit hat sie eine Lebensleistung gewürdigt, ohne die die Universität Oldenburg wohl nicht den wissenschaftlichen Status und das Ansehen erreicht hätte, das sie heute genießt.

Am Ende dankbar für eine Niederlage

Am 11. Juni 1986 erhielt ich gegen Mittag einen Anruf vom Präsidialassistenten, der die an diesem Morgen laufende Präsidentenwahl in der Aula der Universität vor Ort verfolgte: „Es hat leider nicht gereicht. Daxner ist gewählt.“ Ich hatte damit gerechnet, dass es eng werden würde, da Michael Daxner ein Konkurrent mit einer großen Erfahrung im Hochschulmanagement war und in seinen hochschulpolitischen Positionen der eher links ausgerichteten Konzilsmehrheit sicher näherstand als ich. Gleichwohl hat mich der für mich negative Wahlausgang sehr getroffen, einerseits als persönliche Niederlage, andererseits aber auch im Blick auf meine Familie, für die damit eine Zeit der Ungewissheit in Bezug auf die Fortführung bestehender Lebenszusammenhänge anbrach. Das Land Niedersachsen war zwar gesetzlich verpflichtet, mir eine meiner früheren Funktion als Institutsleiter vergleichbare Position anzubieten, aber ein erneuter Ortswechsel war damit keineswegs ausgeschlossen. Ich hatte leider versäumt, meine Verhandlungsposition gegenüber dem Land dadurch zu stärken, dass ich die Nachfrage der Fernuniversität Hagen (kurz nach Beginn meiner Amtszeit als Präsident), ob ich meine Bewerbung auf einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft aufrechterhalten würde, positiv beantwortete. Bei einer Ruferteilung hätte ich mit der Landesregierung bereits damals eine Regelung für den Fall meiner Nichtwiederwahl aushandeln können. Zunächst aber war ich vollauf damit beschäftigt, in der Stadt und in der Region die Wogen zu glätten, die die Wahl Michael Daxners verursacht hatte. Er war im Herbst 1980 vom Konvent der Gesamthochschule Kassel mit großer Mehrheit zum Präsidenten gewählt, aber dann vom hessischen Wissenschaftsminister Krollmann (SPD) aus politischen Gründen nicht ernannt worden. In allen lokalen und regionalen Presseberichten über die Wahl wurde dieser ungewöhnliche Vorgang in Erinnerung gerufen. Unter Berufung auf diesen Vorgang ist dann auch in Oldenburg versucht worden, die Landesregierung zu bewegen, Michael Daxner nicht zu ernennen, obwohl Wissenschaftsminister Cassens bereits im Vorfeld der Wahl erklärt hatte, dass er gegen eine Wahl Daxners keine Bedenken habe. Ich hatte Michael Daxner in der öffentlichen Anhörung in der Universität und auch im persönlichen Gespräch als ebenso kompetent wie gesprächsbereit im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Universität erlebt und teilte die öffentlich geäußerten Bedenken ihm gegenüber nicht.

In Kenntnis der besonderen politischen Diskussion und des – nach wie vor nicht einfachen – Verhältnisses der Universität zu einigen Entscheidungsträgern in der Stadt und der Region versuchte ich daher in vielen Gesprächen mit gesellschaftlichen und politischen Amtsträgern, die öffentlich kursierenden Bedenken zu zerstreuen und habe mich um eine vorbehaltlose Akzeptanz der Konzilsentscheidung bemüht. Michael Daxner bot ich sehr bald nach der Wahl an, ihn bei seinen Antrittsbesuchen bei den Entscheidungsträgern zu begleiten, um insoweit seinen Einstieg in Oldenburg zu erleichtern. Er nahm dieses Angebot ohne Zögern an, und dieses Vorgehen hat dann auch die Situation rasch entkrampft.

Was meine persönliche Situation und Befindlichkeit anging, so ist mir die Akzeptanz der Niederlage dadurch erleichtert worden, dass sowohl in den Kommentaren der lokalen und regionalen Presse als auch in vielen Schreiben von Mitgliedern der Universität sowie von zahlreichen Kollegen aus der Westdeutschen Rektorenkonferenz meine Arbeit für die Universität sehr positiv bewertet worden ist. Was meine berufliche Zukunft anging, so hatte ich sehr bald damit begonnen, mich nach einem anderen, auch außeruniversitären Betätigungsfeld umzusehen und bereits erste Gespräche geführt. Insbesondere von den Repräsentanten der Wirtschaft, des DGB und der IHK, aber auch von Mitgliedern der Universität bin ich dann gebeten worden, an der Universität zu bleiben. Im Hinblick auf meine Familie und auch aufgrund meiner Neigung zu wissenschaftlicher Arbeit erschien mir das als die beste Lösung. Ich nahm deshalb das Angebot einer Professur mit dem Schwerpunkt „Umweltpolitik und Umweltplanung“ gern an.

Da eine weitere personelle Ausstattung der Professur – wie an der Universität in den nichtnaturwissenschaftlichen Bereichen üblich – nicht möglich war, bemühte ich mich sogleich um eine außeruniversitäre Forschungsförderung, um eine wissenschaftliche Mitarbeiterin einstellen zu können. Bereits ein Jahr nach dem Wiedereinstieg in die Wissenschaft reichte ich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) einen Antrag auf Forschungsförderung ein, der dann auch genehmigt wurde. Aus diesen ersten Kontakten mit der DFG entwickelte sich später eine engere Zusammenarbeit mit fünf Kollegen aus anderen Universitäten. Gemeinsam entwickelten wir dann den DFG-Forschungsschwerpunkt „Mensch und globale Umweltveränderungen“, an dem schließlich im interdisziplinären Verbund mehr als dreißig Wissenschaftlern aus der Bundesrepublik beteiligt waren.

Eine entscheidende Weichenstellung für meine weitere Arbeit – über den späteren Ruhestand hinaus – ergab sich aus dem ersten Forschungssemester, das ich von August 1990 bis Februar 1991 auf Einladung von Prof. Rich Collins (Institute for Environmental Negotiation, an der Universität von Virginia in Charlottesville, USA), verbringen konnte. Hier, sowie bei Prof. Lawrence E. Susskind ( Massachusetts Institute of Technology MIT, Boston), lernte ich im Zusammenhang von Untersuchungen über umweltpolitische Entscheidungsverfahren eine neue Form der Konfliktbearbeitung kennen: die Mediation. Damals war das noch ein völlig unbekanntes Feld, und so lag es für mich nahe, mit dem in den USA erworbenen Know-how so bald wie möglich auf den „Markt“ zu gehen. Im Jahr 1992 gründete ich – mit Zustimmung des Wissenschaftsministers – an der Universität das An-Institut „MEDIATOR – Zentrum für Umweltkonfliktforschung und -management“ als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). 1993 wurde daraus eine GmbH, die 2008 als MEDIATOR GmbH nach Berlin umzog.

Meine Arbeit als Mediator geht auch heute noch weiter, in der konkreten Praxis zur Zeit vor allem im Auftrag der Landesregierung von Vorarlberg in Österreich, in der Ausbildung im Auftrag der Universitäten Linz, Oldenburg, St Gallen und der Fachhochschule Nordwestschweiz sowie einer Reihe weiterer Organisationen in Deutschland und Österreich. Rückblickend auf meine Niederlage bei der Präsidentenwahl im Juni 1986 kann ich also nur noch einmal bestätigen, was die Nordwest-Zeitung in ihrem Beitrag über meine Verabschiedung von der Universität im April 2002 als Überschrift gewählt hat: „Am Ende dankbar für die Niederlage.“

[1] Gerhard Harms und Peter Waskönig (Hrsg.), „Mehr Lust als Last?“ Der Gründungsrektor sowie die Präsidentinnen und Präsidenten der Carl von Ossietzky Universität über ihre Herausforderungen und Erfolge 1974-2015, Oldenburg 2017, BIS-Verlag.

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