Über diesen Blog.

Hier schreiben Wissenschaftler*innen der Universität Oldenburg und Gastautor*innen darüber, wie sich Gesellschaften selbst wahrnehmen und thematisieren, sich ihrer jeweiligen Gegenwart vergewissern und dabei in die Zukunft entwerfen.

Wie stehen diese Selbstwahrnehmungen und -entwürfe mit Institutionen, Medien und Techniken zur Gestaltung von Natur, Gesellschaft und Subjektivität in Verbindung? Wie modellieren sie den lebensweltlichen Alltag und halten Menschen zu einem bestimmten Verhalten an? Wie werden diese Interventionen in das Gegebene begründet und legitimiert, aber auch kritisiert, verworfen oder unterlaufen?

Diesen Fragen, deren interdisziplinäre Reflexion eines der zentralen Anliegen des Wissenschaftlichen Zentrums „Genealogie der Gegenwart“ ist, gehen die Blogger aus unterschiedlichen Fachperspektiven und Tätigkeitszusammenhängen mit Blick auf kontrovers verhandelte Themen wie Migration, Ungleichheit, Digitalisierung, Kriminalität, Gesundheit und Ökologie nach.

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Podiumsdiskussion „Verletzt und zersetzt“

von Team

von Team

„Verletzt und zersetzt: ein Gespräch über Praktiken der Aussöhnung”

Podiumsdiskussion

Podiumsgäste:
Prof. em. Dr. Klaus-Michael Kodalle (Philosoph, Jena)
Dr. Martin Morgner (Historiker, Schriftsteller, Halle/Saale)

Moderation:
Prof. Dr. Dagmar Freist (Historikerin, Oldenburg)

Nachdenken über Aussöhnung im Kontext der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts – das ist herausfordernd. Denn die Ansprüche der Opfer sind nicht deckungsgleich mit den Interessen der ‚Anderen‘. Redet man vom Verzeihen als „Mitte der Ethik” (Kodalle, Verzeihung denken, 2013), hat man den moralischen und politischen Neubeginn im Blick. Aber Versöhnung lässt sich nicht einfordern. Der Geschädigte kann sich den Verzeihungserwartungen verweigern. Während nach einem Systemwechsel die Gesellschaft an einer möglichst raschen ‚Normalisierung‘ interessiert scheint, ringen die Opfer des Staatsterrors um die gesellschaftliche Anerkennung des ihnen zugefügten Leids. Die Rede von Versöhnung erscheint dann leicht als Verharmlosung. Am Faktor Zeit ist das zu verdeutlichen: Ein Opfer benötigt für die individuelle Bearbeitung seiner Beschädigungen / Traumata womöglich mehr Zeit als die schnell vergessende bzw. verdrängungswillige Mitwelt zuzubilligen bereit ist. Prozesse der Aussöhnung sind also von starken Gegensätzen geprägt. Die Kultur des Erinnerns und die Politik des Gedenkens sollen diese abgründigen Differenzen kompensieren oder erträglich machen.

Genau an diesen Spannungen und Diskrepanzen arbeitet sich die Literatur ab. Opfern bietet sie ein Forum, die subtilen Prozesse der Selbst-Heilung zum Ausdruck zu bringen. Mit Bezug auf die Erfahrungen in und mit der DDR liegen zahlreiche Bücher und Filme vor. Einen ganz eigenen Weg beschreitet der Gast des Kollegs Martin Morgner in seinem Buch Zersetzte Zeit (2015). Hier steht, was der Überwachungsstaat in Aktenvermerken und Protokollen über ihn festhielt, neben den kreativen Texten von ihm. Dadurch wird sichtbar, wie ein Subjekt, das zum Beobachtungsobjekt des Staates wurde, mit den Zersetzungsangriffen auf seine Person zu ringen hat, um mit der Zeit im Schreiben sein Selbst wiederzugewinnen und herauszubilden: Zusammensetzen des Zersetzten (Morgner, 2014). Ist Aussöhnung durch Selbst-Bildung möglich? Das wird eine der vielen Fragen sein, die im Gespräch zu klären sind.

Datum: 14.07.2015
Zeit: 19:30 Uhr
Ort: Schlaues Haus

(Stand: 19.01.2024)  | 
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