von Daniel Martin Feige
Seit seiner Genese aus dem Geiste der Industrialisierung ist Design weniger als eine selbstgenügsame ästhetische Praxis verstanden worden, sondern immer auch als Arbeit an der Sozialen Frage: Im Bauhaus wie später in Ulm wurde es als Mittel einer Neustrukturierung der Gesellschaft aus dem Geiste der Gestaltung von Alltagsgegenständen begriffen. Die philosophische Ästhetik beginnt sich seit einigen Jahren nicht allein deshalb intensiv mit Design zu beschäftigen, weil es sich hier um ästhetische Gegenstände handelt, die anders als Kunstwerke handgreiflich praktischen Zwecken dienen. Vielmehr interessiert sie sich auch deshalb für Design, weil in ihm das Ästhetische und das Ethische in einer anderen und unmittelbareren Weise als in der Kunst überkreuzt sind. Von dem herkömmlichen Designbegriff des klassischen Funktionalismus, der Designgegenstände als geformte Funktionen im Sinne der Zwecke begreift, zu denen sie da sind, muss der in der Designtheorie der letzten Jahre verstärkt vertretene entgrenzte Designbegriff unterschieden werden: Im Social Design werden nicht länger Gegenstände, sondern wird das Soziale selbst als etwas verstanden, was durch Designentscheidungen geformt und hervorgebracht wird. Sei es, dass die Bewohner*innen eines Stadtviertels mit den Architekt*innen gemeinsam über die Gestaltung wie Nutzung von Räumen beraten – sei es, dass ressourcenschonende und nachhaltige Lösungen der Stromversorgung für jeweils partikulare Kontexte unter Einbeziehung derjenigen, die davon betroffen sind, entwickelt werden: Hier liegt ein neues und anderes Verständnis von Designprozessen zugrunde als im klassischen Funktionalismus.
Den folgenden Überlegungen geht es darum, ein allzu optimistisches Bild des Designs zurückzuweisen. Das soll sowohl im Zuge einer Skizze des funktionalistischen Designbegriffs wie auch im Rahmen einer Skizze des Social Designs geschehen. Insgesamt beginnt eine kritische Theorie des Designs dort, wo anerkannt wird, dass Designpraktiken auf sozialen Aushandlungsprozessen beruhen, die gerade nicht länger als gestaltbar begriffen werden dürfen. Die These lautet: Bekommt der klassische Designbegriff die normative Dimension des Designs nicht in den Griff, so geht im Social Design alle Reibung verloren und es droht in eine bloße Sozialtechnologie zu kippen. Das zu denken, was in Designpraktiken konstitutiv scheitert, wäre ein erster Schritt auch für eine richtig verstandene Philosophie des Designs.
Die Dialektik der Zweck- und Mittelrelation im funktionalistischen Designbegriff
Der klassische und heute in weiten Teilen der Designtheorie in Misskredit geratene Designbegriff besagt, dass die Form des Gegenstandes aus der Funktion zu folgen habe. Unverständlich an diesem Slogan bleibt das Folgerungsverhältnis: Selbst, wenn man Designgegenstände eigentliche Funktionen (wie die unkontroverse These, dass Stühle zum Sitzen da sind) zuspricht, folgt aus der Funktion selbst noch nichts. Denn erst der Designprozess, und das ist die ungesicherte und offene Erarbeitung der Form des Gegenstandes, klärt überhaupt dessen Funktion. Natürlich ist es nicht so, dass ein Designer einen Stuhl entwerfen will und zufälligerweise bei einem Antrieb für ein Flugzeug landet. Aber was es heißt, dass ein Stuhl zum Sitzen da ist, und in welcher Weise der Stuhl seinen Zweck erfüllt, steht nicht schon vor der Erarbeitung des Designgegenstandes selbst fest.
Diese Bemerkungen betonen das ästhetische Potential des Designs (dass nämlich in seinen Formerfindungen zugleich Neubestimmungen der Funktion seiner Gegenstände liegen) und artikulieren auch den Gedanken, dass im Design die menschliche Welt selbst in ihrer Gestaltbarkeit thematisch wird. Was am funktionalistischen Designbegriff gleichwohl nicht gelingt, ist ein Zusammendenken der Mittel und der Zwecke der Gegenstände. Die Zwecke selbst scheinen, auch wenn ihnen in und durch Formgebungsprozesse eine je neue Kontur verliehen wird, nämlich im Design nicht selbst verhandelt werden zu können. Das zeigt sich an der Tatsache, dass wir die Redeweise, eine Waffe sei eine gute (und gut gestaltete) Waffe, verstehen können, ohne zu bestreiten, dass Waffen unter vielen Beschreibungen ungeheuerliche Gegenstände sind. Anders gesagt: Die Beurteilung der Qualität des Designs und die Beurteilung dessen, wozu der entsprechende Gegenstand da ist, fällt in dem funktionalistischen Verständnis des Designs notwendigerweise auseinander. Einen Designgegenstand qua Designgegenstand zu beurteilen, heißt damit erst einmal etwas anderes als eine Beurteilung der Zwecke, denen er dient und Kontur verleiht.
Die Dialektik des Sozialen im Social Design
Die Neutralität der Mittel und Zwecke bestreiten gerade die jüngsten Entwicklungen unter dem Lemma des Social Designs. Sie haben erkannt, dass es angesichts drängender gesellschaftlicher Probleme ein Einwand gegen das Design ist, wenn es intrinsisch nicht auch auf die Zwecke selbst befragt werden kann. Im Social Design wird nicht allein der Designbegriff stark erweitert: Nicht Gegenstände, sondern Institutionen, Infrastrukturen, Praktiken und sogar das Soziale selbst werden als etwas verstanden, was immer schon gestaltet ist und damit auch einem Re-Design zugänglich ist. Entwickelt der funktionalistische Designbegriff eine Dialektik zwischen Mitteln und Zwecken derart, dass in ihm Zwecke und Mittel nicht in einer notwendigen Einheit zusammenkommen, so ist das Social Design gleichwohl von einer anderen, nicht minder problematischen Dialektik gekennzeichnet: der Dialektik von dem Sozialen als Verfahren und dem Sozialen als Zweck des Social Designs.
Das Soziale taucht im Social Design nämlich an zwei unterschiedlichen Stellen auf und gewinnt hier einen jeweils anderen Sinn: Einerseits meint der Begriff des „Sozialen“ im Social Design einen prozeduralen Begriff (also die Art und Weise des Produzierens, des Verfahrens, der Form), andererseits einen normativen Begriff (also das positiv bestimmte Ziel dessen, was geschaffen werden soll; der Inhalt, auf den das Ganze abzielt). Das Problem ist folgendes: Auf einer rein prozeduralen Ebene ist es keineswegs so, dass wir es hier selbst schon mit emanzipatorischen Praktiken zu tun hätten. Wie nicht zuletzt der Aufschwung des Rechtspopulismus in Europa zeigt, ist es nicht so, dass das, was diejenigen wollen, die hier am Prozess partizipieren, per se schon das Gute ist. Bei der prozeduralen Ebene handelt es sich, wenn überhaupt um soziale Prozesse, in die sich die Beteiligten einbringen und ihre Konturen mitbestimmen – aber dadurch ist noch nichts über ihre Güte gesagt. Die Legitimität dieser Konturen ist nicht aus sich selbst heraus zu rechtfertigen, sie bedürfen eines Begriffs des Guten, der nicht allein ein Verfahren meint. Wenn man nun aber sagt, der partizipative Prozess soll selbst doch eben von solchen substantiellen Annahmen über das Gute getragen werden, so würde er sich selbst durchstreichen. Denn dann wäre er wenn überhaupt noch partizipativ mit Blick auf die Mittel, aber nicht auf die Zwecke. Entweder man sagt, das Gute entsteht durch den Prozess, oder man sagt, das Gute steht schon vor dem Prozess fest. Das Social Design möchte aber beides zugleich sagen: Es möchte durch das gute Produzieren das Gute realisieren, ohne dass beide in inhaltlich bestimmter Weise zusammenhängen würden. In vergleichbarer Weise zum funktionalistischen Designbegriff treten hier Zwecke und Mittel wieder auseinander. Denn das Gute, dass das Social Design in die Welt bringen will, darf kein rein formal bestimmtes Gutes im Sinne der Art und Weise, wie es in die Welt kommt, sein. Das Gute darf auf der anderen Seite aber auch nicht so gedacht werden, dass das Verfahren, durch das es verwirklicht wird, ihm äußerlich wäre.
Designen gegen das Designen
Seit seiner Genese schwingt im Design das richtige Motiv der Modifizierbarkeit von sozialen Praktiken mit und zugleich die Gefahr eines Reibungsverlusts, eines Verlusts der Widerständigkeit, eines Korrektivs, dass das in den Blick nimmt, was nicht länger designt werden kann. Eine Universalisierung des Designs ist nämlich nicht so sehr Versprechen, sondern vielmehr eine Drohung: die Bedrohung, dass sich eine Logik der bloßen Verwertbarkeit aller Aspekte der Lebensform in diese einschreibt (und sie damit nur noch aus der Perspektive instrumenteller Vernunft betrachtet werden). Will man daraus nicht den drastischen Schluss ziehen, dass Design selber per se ideologisch ist, so müsste es um folgendes gehen: Es bedürfte einer Praxis des Designs, die das anerkennt, was gerade jenseits des Designs liegt – und dazu gehören eben soziale Beziehungen, die die Grundlage des Designs bilden, aber nicht einfach ein Produkt von Design sind. Eine noch auszuformulierende kritische Theorie des Designs würde gegen den Funktionalismus wie gegen das Social Design geltend machen, dass man die Arbeit am Guten nicht einer Vergegenständlichung und Verobjektivierung einer ganz bestimmten Art von Praxis gleichsetzen darf.
Daniel Martin Feige, Dr. phil. habil., ist Professor für Philosophie und Ästhetik in der Fachgruppe Design an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.
Kontakt: daniel.feige@abk-stuttgart.de