Polonium-210 als "Strahlengift"

Polonium-210 als "Strahlengift"

Polonium-210 (Po-210) als "Strahlengift"

Im November 2006 wurde in der Presse berichtet, dass auf den ehemaligen russischen KGB-Agenten Alexander Litwinenko ein „Giftanschlag“ mit Polonium-210 verübt wurde, an dessen Folgen er am 23.11.2006 verstarb. Im Zuge der öffentlichen Debatte über diesen Vorfall kamen viele Fragen nach Vorkommen, Herkunft, Wirkung usw. von Polonium-210 auf. Auf dieser Seite wollen wir dazu beitragen, einige dieser Fragen zu beantworten.

1  Vorkommen

Polonium (chemisches Symbol Po) ist ein von Marie Curie entdecktes radioaktives chemisches Element mit der Ordnungszahl Z = 84. Alle Polonium-Isotope sind radioaktiv. Das leichteste Isotop (Po-190) hat die Massenzahl A = 190, das schwerste (Po-218) die Massenzahl A = 218.

Die physikalischen Halbwertszeiten (HWZ) der meisten Polonium-Isotope liegen im Bereich von Bruchteilen von Sekunden bis hin zu wenigen Tagen. Nur drei Isotope haben vergleichsweise lange HWZ. Dies sind Po-208 (HWZ 2,9 Jahre), Po-209 (HWZ 102 Jahre) und Po-210 (HWZ 138,4 Tage).

Von diesen Isotopen kommt hauptsächlich Po-210 in der Natur vor, da es durch den radioaktiven Zerfall des ebenfalls in Natur vorkommenden Isotops Uran-238 (U-238) laufend nachproduziert wird. Die beiden anderen Isotope können z.B. durch Beschuss von Blei oder Bismut mit Alpha-Teilchen oder Protonen künstlich hergestellt werden. Diese Herstellungsmethode ist jedoch so aufwändig (und damit teuer), dass sie technisch nicht angewendet wird.

Polonium-210 kommt in der Natur nur in sehr geringen Mengen vor. In der Erdkruste beträgt seine Konzentration ca. 0,2×10-9 mg/kg, also ca. 0,2 milliardstel Milligramm pro Kilogramm. In Uran-Erzen beträgt die Konzentration ca. 10-4 mg/kg, also ca. 1/10 000 Milligramm pro Kilogramm.

Nennenswerte Mengen von Po-210 (im Milligramm-Bereich) werden durch Neutronenbeschuss (Symbol n) von Bismut (chemisches Symbol Bi, auch „Wismut“) hergestellt. Hierfür wird ein sehr hoher Neutronenfluss benötigt, wie er nur in Kernreaktoren zur Verfügung steht. Der Entstehungsprozess ist:

    n + Bi-209 → Bi-210(ß-Zerfall) Po-210.

2  Physikalische Eigenschaften

Polonium ist ein silberfarbenes Schwermetall, das in festem Zustand in zwei unterschiedlichen Modifikationen (Gitterstrukturen) vorkommt. Bei Zimmertemperatur liegt das so genannte α-Polonium vor mit einer Dichte von 9,32 g/cm3. Die Schmelztemperatur von Polonium beträgt 254 °C, die Siedetemperatur 962 °C. 

Zum Vergleich: das Schwermetall Blei (chemisches Symbol Pb, Z = 82) hat eine Dichte von 11,35 g/cm3, eine Schmelztemperatur von 327 °C und eine Siedetemperatur von 1749 °C.

3  Radioaktiver Zerfall

Polonium-210 zerfällt über Alpha-Zerfall in das stabile Blei-Isotop 206 (Pb-206). Die HWZ dieses Prozesses beträgt 138,4 Tage. Die bei dem Zerfall emittierte Alpha-Strahlung hat eine Energie von 5,304 MeV (MeV: Mega-Elektronenvolt). In 0,0012 % aller Zerfälle hat die Alpha-Strahlung eine geringere Energie von 4,516 MeV und es wird zusätzlich zur Alpha-Strahlung Gamma-Strahlung mit einer Energie von 0,803 MeV emittiert.

4  Spezifische Aktivität

Aufgrund seiner vergleichsweise kurzen HWZ hat Polonium-210 eine sehr hohe spezifische Aktivität. Sie beträgt 1,67×1014 Bq/g (Becquerel pro Gramm). Ein Mikrogramm Po-210 (1 µg, 1 millionstel Gramm) hat demnach eine Aktivität von 167 Millionen Becquerel (167 MBq). Das bedeutet, dass in 1 µg Po-210 pro Sekunde 167 Millionen Alpha-Zerfälle stattfinden. 

Zum Vergleich: die spezifische Aktivität von Plutonium-239 (Pu-239) beträgt 2,3×109 Bq/g. 1 µg Plutonium-239 hat demnach eine Aktivität von nur 2.300 Becquerel.

5  Aufnahme in den Körper, biologische Halbwertszeit

Polonium-210 kann über die Atemluft (Inhalation) oder über die Nahrung (Ingestion) in den menschlichen Körper gelangen. Bei Zufuhr über die Nahrung werden etwa 10 % der zugeführten Aktivität vom Körper aufgenommen. Diese Aktivität verteilt sich über den ganzen Körper und lagert sich in höheren Konzentrationen in Milz, Leber und Nieren ab. 

Eine einmal zugeführte Aktivitätsmenge wird vom Körper nur langsam wieder ausgeschieden, überwiegend mit dem Urin. Die so genannte biologische Halbwertszeit beträgt 50 Tage. Das bedeutet, dass die Poloniumkonzentration im Körper allein durch Stoffwechselprozesse innerhalb von 50 Tagen auf die Hälfte abnehmen würde. Hinzu kommt die Konzentrationsabnahme durch den radioaktiven Zerfall mit der physikalischen Halbwertszeit von 138,4 Tagen. Zusammen ergibt sich daraus eine effektive Halbwertszeit von ca. 37 Tagen.

6  Strahlenbelastung

6.1  Externe Strahlenbelastung

Die Alpha-Strahlung des Polonium-210 kann bereits durch dünne Materialschichten (z.B. Papier oder Kleidung) vollständig abgeschirmt werden. Eine mögliche Strahlenbelastung durch Einwirkung auf den menschlichen Körper von außen kann daher nur durch die Gamma-Strahlung erfolgen. Da jedoch nur in 0,0012 % aller Zerfälle von Po-210 Gamma-Strahlung entsteht, ist die Strahlendosis (absorbierte Strahlungsenergie pro Masse) bei äußerer Einwirkung gering. 

Ein Beispiel: hält sich ein Mensch eine Stunde lang in einem Meter Entfernung von einem Mikrogramm Polonium-210 auf, so beträgt die dadurch verursachte externe Strahlendosis ca. 2,4×10-10 Sv (Sievert). Dies ist etwa 1/1000 der natürlichen Strahlendosis pro Stunde. Ein Transport von Polonium-210 ist deshalb für den Transporteur völlig ungefährlich.

6.2  Interne Strahlenbelastung

Vollkommen anders ist die Situation, wenn Polonium-210 vom menschlichen Körper aufgenommen (inkorporiert) wurde. In diesem Fall wird die beim radioaktiven Zerfall frei werdende Alpha-Strahlung innerhalb des Körpers vollständig absorbiert und führt damit zu einer hohen Strahlendosis.

Gelangt beispielsweise ein Mikrogramm Polonium-210 mit der Atmung in den Körper, so beträgt die dadurch verursachte Strahlendosis („effektive Äquivalentdosis“) je nach chemischer Verbindung, in der das Polonium vorliegt, ca. (100 – 550) Sv. Bei Aufnahme von einem Mikrogramm Po-210 mit der Nahrung beträgt die Strahlendosis ca. 200 Sv. Solch hohe Strahlendosen führen durch so genannte akute Strahlenschäden innerhalb kurzer Zeit zum Tode. 

Bereits deutlich kleinere Strahlendosen von einigen Sievert können durch akute Strahlenschäden den Tod herbeiführen. Dementsprechend reichen für einen tödlichen „Giftanschlag“ mit Polonium-210 bereits weniger als 0,1 Mikrogramm aus, die dem Opfer unter die Nahrung gemischt werden.

7  Nachweis von Polonium-210 im Körper

Ein direkter Nachweis von Polonium-210 im Körper ist kaum möglich, da die Alpha-Strahlung den menschlichen Körper nicht verlassen kann und die Intensität der Gamma-Strahlung zu gering ist. Der Nachweis erfolgt deshalb indirekt durch die Analyse des ausgeschiedenen Urins.

Bei den zur Debatte stehenden Konzentrationen (Aktivitätszufuhr im Bereich von 0,1 Mikrogramm) ist ein solcher Nachweis in speziellen Labors problemlos möglich. Adressen entsprechender Labore kann man beim Bundesamtes für Strahlenschutz erfahren: www.bfs.de/.

8  Literatur

  1. Lide, D. R. [Ed.]: "CRC Handbook of Chemistry and Physics (CD-ROM Version 2006)", Taylor and Francis, Boca Raton, FL, 2006
  2. Firestone, R. B; Baglin, C. M.; Chu, S. Y. [Eds.]: "Table of Isotopes", Wiley, New York u.a., 1999
  3. Magill, J.; Galy, J.: "Radioactivity, Radionuclides, Radiation", Springer, <st1:place w:st="on"><st1:state w:st="on">Berlin</st1:state></st1:place> u.a., 2005
  4. „Dosiskoeffizienten bei innerer Strahlenexposition für Einzelpersonen der Bevölkerung“, veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 28.8.2001, Beilage 160 a/b. PDF-Versionen sind hier verfügbar.
  5. Vogt, H.-G.; Schultz, H.: "Grundzüge des praktischen Strahlenschutzes", Carl Hanser Verlag, München, 1992
  6.  Verordnung zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung (Strahlenschutzverordnung, StrSchV)
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