Unsere Fluchtgeschichte 1945

Berend, Dierk & Hilbert Meyer                                                                                                                          März 2022

überarbeiteter Nachdruck

Juli 2022

 

Ein Gespräch unter Geschwistern: Es wurde geführt von Berend Meyer, Dierk Meyer und Hilbert Meyer sowie als Zuhörerinnen und Rückfragende Elke (Dierks Frau), und Christa (Hilberts Frau). Das Gespräch hat am 15. Dezember 2020 in der Kastanienallee 40 in Oldenburg stattgefunden. Es wurde auf Tonband aufgenommen und dann transkribiert.

Dieser Text hat drei Teile:

(1)     Eine EINLEITUNG: Vorbemerkungen zum Fluchtverlauf, verfasst von Hilbert.

(2)     Das GESPRÄCH unter den drei Geschwistern Berend, Dierk und Hilbert – leider ohne Meinert, der schon im November 2018 gestorben ist.

(3)     Ein ANHANG mit elf Familien-Dokumenten zur Kriegs- und Nachkriegszeit aus dem von Meinert eingerichteten Meyer-Archiv.

Der Text war gerade fertig gestellt, als Wladimir Putin seinen Krieg gegen die Ukraine begann. Einige Erinnerungen an die Flucht sind nun beklemmend aktuell. Andererseits war unsere Flucht, verglichen mit dramatischen Fluchtgeschichten anderer Familien, eher „harmlos“, wie Argula Töllner am Telefon angemerkt hat.

TEIL 1: Einleitung

Foto von Seite 1: Von 1938 bis zum Februar 1945 lebte Familie Meyer in der Büchnerstraße 14 A in Lauenburg (Pommern). Die kleine Stadt liegt 75 km westlich von Danzig und heißt heute Lebork. Wir, das waren: Erna Meyer (7.7. 1912 bis 29.8. 2000), Friedrich Meyer (5.11. 1904-10.11. 1974), die vier Kinder Berend (geb. 14.1. 1938), Dierk (geb. 6.10. 1939) und die Zwillinge Meinert und Hilbert (2.10. 1941). Das den meisten von Euch Leser*innen dieses Textes bekannte Foto von Seite 1 ist ein sogenanntes „Führerfoto“. Es wurde irgendwann im Jahr 1943 auf Staatskosten von einem professionellen Fotografen in Lauenburg hergestellt, um es den an der Front kämpfenden Soldaten zu schicken und so ihre Moral aufrecht zu erhalten. Berend ist auf dem Foto fünf Jahre alt, Dierk dreieinhalb und die Zwillinge eineinhalb Jahre. Meinert und Hilbert sind mit einem Trick leicht zu unterscheiden:

-        Meinerts Schädel verläuft so, wie das spitze Dreieck im Großbuchstaben „M“.

-        Hilberts Schädel verläuft nicht spitz, sondern in zwei parallelen Linien wie der Großbuchstabe „H“.

Nun müsstet Ihr’s rausbekommen, wer wer ist.

Meinerts Vorarbeiten: Grundlage für dieses Skript sind die gründlichen Aufarbeitungen der  Familiengeschichte durch unseren Zwillingsbruder Meinert, ergänzt durch Internetrecherchen von Hilberts Tochter Tale im Blick auf Vater Friedel Meyers Nazi-Karriere.[1] Für seine Emeritierungsfeier an der Uni Hamburg im Jahr 2006 hatte Meinert ein über 100 Seiten langes, mit vielen Fotos und Archivmaterialien ergänztes Manuskript erstellt, das er später zu einer Familienchronik ausbauen wollte, wozu es aber nicht mehr gekommen ist:

-        Meinert Meyer: Meine Familiengeschichte und ich aus der Perspektive der Bildungsgangforschung. Überarbeitete Fassung zum 2. Oktober 2011, also zum 70. Geburtstag.

Die Originaldokumente befinden sich in gut 30 Leitzordnern „Familiengeschichte“ in Meinerts Arbeitszimmer in Münster[2] Die Ergebnisse seiner Recherchen sind u.a. in einem langen Dokument  auf seinem und auf Hilberts Computer und sicherlich auch auf den PCs bei Meinerts Kindern.

Warum Lauenburg? Friedrich Meyer, genannt Friedel, stammte aus Wilhelmshaven, Erna aus Delmenhorst. Friedel war 1938 zum Dozenten an der Hochschule für Lehrerbildung in Lauenburg (Pommern) ernannt worden.[3] Vorher war er Lehrer im Ammerland und in Friesland gewesen, u.a. in Elisabethfehn, Ellens, Heidkrug, Schönemoor, Ocholt, Mansie, Aschhausen und längere Zeit in Gießelhorst. Er hat dann aber seit 1933 ein Promotionsstudium in Bonn bei dem bekannten Philosophen Erich Rothacker[4] absolviert und im Jahr 1936 erfolgreich abgeschlossen („mit Auszeichnung“). Dadurch hatte er die Voraussetzungen für eine Dozentenstelle erworben. Man konnte sich damals aber nicht selbst auf eine Professur bewerben. Man musste warten, bis man gerufen wurde (oder auch nicht). Friedel wollte gern als Schulpädagoge an die Hochschule für Lehrerbildung in Oldenburg. Daraus wurde nichts, weil der nach dem Krieg bekannt gewordene Erziehungswissenschaftler Theodor Wilhelm (später Uni Kiel) vorgezogen wurde. Dann kam das Angebot für die Hochschule Lauenburg, das er gerne angenommen hat. Deshalb sind Erna und Friedel mit Berend, damals ein knappes Jahr alt, aus der Wohnung „Unter den Eichen“ in Bad Zwischenahn in die pommersche Kleinstadt Lauenburg in die Büchnerstraße 14 A gezogen.[5]

Marine: Ein gutes Jahr nach Dienstantritt am 1.4.1938 wurde Friedel am 25.8.1939 zur Marine eingezogen. Er war dann die ganze Kriegszeit in seiner Heimatstadt Wilhelmshaven als Marineoffizier eingesetzt, zum Schluss ab 21. Januar 1945 als Adjutant des Standort-kommandanten, Kapitän zur See Mulsow. Es ist wahrscheinlich, aber nirgendwo belegt, dass er an den Verhandlungen des Standortkommandanten zur kampflosen Übergabe der Stadt (mit britischen und polnischen Einheiten) beteiligt war.

Großeltern väterlicherseits: Georg und Wilhelmine Meyer; in Wilhelmshaven ausgebombt und mit auf der Flucht – Onkel Georg-Heinz: Wilhelmshaven war als zentrale Marinestandort von Beginn des Zweiten Weltkriegs an durch britische Luftangriffe bedroht. Deshalb sind unsere Großeltern Georg Friedrich Meyer (1.10.74-12.2.1945)[6] und Wilhelmine Meyer (15.1.1877-1970), genannt Mimi, nach Lauenburg in unsere Wohnung gezogen. Sie bewohnten das Schlafzimmer unserer Eltern, Erna schlief im Wohnzimmer auf dem Sofa. Das Zusammenleben mit den Schwiegereltern war mühsam, weil Wilhelmine statt zu helfen, wenig beitrug und schon immer sehr anspruchsvoll gegenüber der Schwiegertochter Erna war – auch dann, als Erna 1943 eine schwere Lungenentzündung hatte, von der sie sich nur langsam erholte.

Georg-Heinz, der jüngste Bruder von Friedel, also unser Onkel, war Mitglied der Bekennenden Kirche, also sicherlich kein Befürworter des National-sozialismus. Er hatte als Stipendiat der Deutschen Studienstiftung Theologie studiert und hatte dann auf das Privileg, als Pastor nicht zum Militär zu müssen, verzichtet. Auf dem Foto, aufgenommen am Tauftag von Meinert und Hilbert, dem 16. April 1942, vor der Tür der Wohnung Büchnerstraße in Lauenburg. Von links nach rechts: Opa Georg, Oma Wilhelmine mit dem einen Zwilling, eine uns nicht bekannte Frau mit dem anderen Zwilling, Onkel Georg-Heinz, Theologe und Frontsoldat, der seinen Urlaub genutzt hat, um Meinert und Hilbert zu taufen.[7] Opa Georg hatte 1944 einen Schlaganfall erlitten. Er ist dann auf der letzten Etappe der Flucht am 12. Februar 45 in Bremen im Hauptbahnhof gestorben. Dort war ein Notkrankenhaus eingerichtet worden. Davon berichtet Berend weiter unten in unserem Gespräch.

Großeltern mütterlicherseits: Hubertine Günther, geb. Böhm (1887 – 1955), nach dem Tod unseres Großvaters Ernst im Ersten Weltkrieg neu verheiratet mit Heinrich Einemann. Auf dem Foto Hubertine als junge Frau (ca. 1910).

Aus der ersten Ehe kommen die zwei Töchter Erna und Irene, aus der zweiten die Zwillinge Ursel und Inge.

Hubertines Wohnung in der Parkstraße in Delmenhorst war die erste Station auf unserer Flucht.

Fluchtaufforderung: Das Telegramm, das Friedel Meyer am 28. Januar 45 an Erna geschickt hat, ist erhalten. Darin fordert er sie und die Familie zur Flucht auf:

„ALLES VERSUCHEN NACH HIER DURCH SCHLAGEN. JEWEILS STANDORT. DIE (?) DANN TELEGRAFIEREN QUARTIER FUER ERNA UND KINDER HIER KLAR STEHT ALLES IM BRIEF – HERZLICHST FRIEDEL.“

Der im Telegramm erwähnte Brief ist nicht erhalten, vermutlich waren wir da bereits auf der Flucht. Wir haben einen der letzten Tage, bevor die russischen Truppen in Lauenburg[8] waren, für die Flucht genutzt. Die Sowjetarmee hatte schon am 12. Januar 45 die „Weichsel-Oder-Operation“ begonnen. In der „Schlacht um Ostpreußen“ wurden dort die deutschen Truppen eingekesselt. Am 26. Januar erreichte die Rote Armee die alte Hansestadt Elbing an der Mündung der Weichsel in die Ostsee. Von Elbing über Danzig nach Lauenburg sind es nur 136 km. Friedels Telegramm war also mehr als überfällig!

Fluchtbeginn und Ende: Den genauen Tag des Fluchtbeginns hat Erna nirgendwo  mitgeteilt.[9] Es muss aber an einem der ersten Februartage, wahrscheinlich am 2. vielleicht auch am 3. oder 4. Februar gewesen sein. Auf jeden Fall sind wir am 10. Februar abends in Delmenhorst angekommen.

Fluchtroute: Wir wurden an den ersten beiden Tagen von zwei Militärlastwagen mitgenommen, die auf dem Rückweg vom Ostseebad Leba nach Peenemünde auf der Insel Rügen waren.

Friedel Meyer hatte die LKW-Mitnahme von Wilhelmshaven aus organisiert. Die Lastwagen mussten, so Erna in ihren Berichten an uns Kinder in den 50er und 60er Jahren, Material für Wernher von Braun nach Peenemünde bringen. Die einzelnen Stationen, aus spärlichen Notizen rekonstruiert:

-        Mit dem Militärlastwagen von Lauenburg nach Köslin (die erste Übernachtung).

-        Von Köslin mit demselben LKW zum Seebad Bansin auf der Insel Usedom (zweite Übernachtung), wo wir in Bahnhofsnähe abgesetzt wurden. (Das Foto aus dem Jahr 2013.) Weiter durften wir nicht auf dem LKW mitfahren, weil die nördliche Hälfte von Usedom wegen der Raketenversuchsstation militärisches Sperrgebiet war – und dahin mussten die Militärlastwagen. Im Hornig-Text (Seite 130) wird ausführlich beschrieben, wie bei der nächtlichen Ankunft in Bansin doch noch ein Quartier besorgt werden konnte – trotz der Ängste, die Erna wegen der fehlenden Evakuierungserlaubnis hatte, die der Nazi-Funktionär in Lauenburg Erna Tage vorher verweigert hatte – nur um am Tag darauf selbst zu fliehen.

-        Von Bansin weiter mit der Eisenbahn[10] über Bremen nach Delmenhorst in das Elternhaus von Erna in der Parkstraße 8.[11] Wie lange der Eisenbahn-Teil der Flucht gedauert hat, ist unklar. Berend spricht von einer Übernachtung in einem Bahnhofsgebäude, Dierk von der Fahrt in einem Güterzug und von einer Übernachtung in einer Ziegelei. Auf jeden Fall kam die Familie am 10. Februar spätabends in Delmenhorst an.

Im ANHANG Nr. 2 findet Ihr ein Protokoll eines Fernschreib-Gesprächs, das unsere Tante Inge, Ernas Schwester, am 11.2.45 mit Friedels Dienststelle auf dem „Rosenhügel“[12] in Wilhelmshaven geführt hat. Friedel war nicht direkt zu sprechen. So entstand der Telegrafiertext:

„erna ist gestern mit den kindern in delmenhorst gut angekommen. eltern mussten in bremen bleiben, weil es vater sehr schlecht geht.“

-        Von Delmenhorst weiter nach Drielakermoor bei Oldenburg. Dort Unterkunft bei Willi und Irene Brunken. Irene war Ernas jüngere Schwester.

-        Von Drielakermoor – vermutlich im März 45 – weiter nach Westerstede: zunächst in die Wohnung von Ernas Tante Anni (Schwester von Ernas Mutter Hubertine Einemann und Frau des Malermeisters Schmidt).[13]

-        Von Westerstede wenige Tage oder Wochen später zum Bauern Grote in das Dorf Gießelhorst, 3 km von Westerstede entfernt. Die Kinder des Bauern hatten bei Vater Unterricht gehabt, als er Lehrer in Gießelhorst war. Deshalb wurden wir freundlich aufgenommen, saßen bei der Bauersfamilie mit am Tisch und wurden, wie Erna im Hornig-Text berichtet, üppig beköstigt. Dort gab es aber auch den einzigen kriegerischen Vorfall – Panzerbeschuss in den letzten Kriegstagen.

-        Ab Frühsommer oder Sommer 1945: Schützenhaus Westerstede. Von Gießelhorst aus ging es im Juni oder Juli in die Flüchtlingsunterkunft in Westerstede, das Schützenhaus.[14] Das Haus gehörte bis zum Kriegsende dem Westersteder Schützenverein. Der wurde als Nazi-Organisation aufgelöst. Und das Schützenvereins-Haus samt umfangreichen Schießständen wurde als Notquartier für Flüchtlingsfamilien hergerichtet. Bis 1951 haben wir dort gewohnt.[15] Für uns Kinder eine ideale Wohnumgebung: eine große Wiese direkt vor dem Haus, das Schwimmbad direkt hinter dem Haus, direkt daneben ein kleines Wäldchen, in dem wir das In-die-Bäume-Klettern gelernt haben. Im ANHANG Nr. 5 findet Ihr einen Brief, den Erna am 22.1. 1946 an Friedel im britischen Kriegsgefangenenlager in Esterwegen (Civil Internment Camp Nr. 101) geschrieben hat. Ein toller Brief, in dem sie unsere Lebensverhältnisse im Schützenhaus beschreibt.

Von Lauenburg bis zur ersten längeren Station in Drielakermoor hat die Flucht also 7 bis 9 Tage gedauert. 


Wiederholung – Abfahren der Fluchtroute: Im Jahr 2013 sind Dierk, Meinert, Hilbert, Christa und Dörte [16] die Fluchtroute nochmals mit Dierks Wohnmobil abgefahren – von Oldenburg nach Greifswald, dann südlich der Insel Usedom bei Swinemünde (Swinoujscie) über die Oder, weiter vorbei an Kolberg nach Köslin, Stolp und dann in südöstlicher Richtung nach Lebork/Lauenburg.

Wir haben in Lauenburg alle Stätten unserer Kindheit inspiziert: die Büchnerstraße, in der wir die ersten Lebensjahre verbracht haben, das Krankenhaus, in dem Dierk, Meinert und Hilbert geboren wurden, die ehemalige Hochschule für Lehrerbildung, an der Friedel gearbeitet hatte (heute wieder eine Berufsschule) und die heute katholische, damals evangelische Kirche, in der Dierk, Meinert und Hilbert getauft worden sind. In Lauenburg hat uns sogar der Bürgermeister begrüßt, weil Dörte einen polnischen Bekannten hatte, der das Treffen arrangiert hat. Der Bürgermeister hat uns dann auf einem kurzen Rundgang Teile der Innenstadt gezeigt.


 

TEIL 2: Unser Gespräch über die Flucht

Nun die spannende Frage: Welche Erinnerungen haben Berend, Dierk und Hilbert im Dezember 2020 an die Flucht und an die ersten 5 Nach-kriegsjahre im Schützenhaus in Westerstede?[17]

Hilbert: Vor einer Woche erschien in der Nordwestzeitung ein ganzseitiger Bericht von und über Argula Töllner. Wir kannten sie, weil sie uns 1975 die erste Oldenburger Wohnung in der Würzburger Straße 13 vermietet hatte. Argula Töllner war 1946 mit einem Flüchtlingstreck aus Schlesien nach Oldenburg gekommen. Sie ist sehr unfreundlich empfangen worden. Das war Anlass für Christa, um uns drei zu fragen: „Wie habt Ihr drei die Flucht und die direkte Nachkriegszeit in Erinnerung?“

Ich fange mal bei mir selbst an. Ich habe noch vier ganz kurze, aber deutliche Bilder von der Flucht vor Augen.[18] Das erste Bild: Ich sitze auf einem offenen Lastwagen auf der Ladefläche. Mir gegenüber ist ein Schäferhund auf dem Wagen. Er springt immer an der Wand zum Führerhaus hoch.

Berend: Ja das stimmt halbwegs, aber es war nicht einer – es waren 2 Schäferhunde auf der Ladefläche und nicht nur ein, sondern zwei LKWs.

Hilbert: Mag ja sein, dass es 2 Schäferhunde waren. So ist das mit der Erinnerung.

Dierk: An einen Schäferhund kann ich mich nicht erinnern. 

Berend: Der war ja auch hinten auf der Ladefläche. 

Dierk: Richtig. Berend und ich saßen ja vorne bei den Soldaten.

Hilbert: Wie alt waren wir da eigentlich?

Berend: Gerade 7

Hilbert: Ende Januar 45?

Berend: Ja, am 14. Januar war mein Geburtstag.

Hilbert: O.k., und Dirk, wie alt warst du?

Dierk: Ich war 5 Jahre und 4 Monate.

Hilbert: Meinert und ich waren dann also 3 Jahre und 4 Monate.

Dierk: Und unsere Mutter war 32! (Das Foto rechts unten ist von 1943.)

Berend: Es geht mir wie Dir, Hilbert. Die Flucht habe ich nicht als kompletten Film vollständig in Erinnerung, sondern immer nur einzelne Bilder, die vielleicht nicht immer  zeitlich richtig eingeordnet sind. Also, es fing schon vor der eigentlichen Flucht an, weil im Flur in unserer Wohnung die 4 Rucksäcke standen. Das habe ich noch genau vor Augen. 4 Rucksäcke für uns 4 Jungs. Die Erwachsenen hatten wohl Koffer oder einen anderen größeren Rucksack, das weiß ich nicht mehr. Und da sollten angeblich drin sein: eine Tüte mit Keksen und eine Tüte mit Kandis, das war sehr verlockend. Wir wussten aber alle, dass wir da nicht rangehen durften. (lacht) Ich hatte mir nur überlegt: Was wird das jetzt mit dem Kandis?

Hilbert: In Ernas Bericht im Hornig-Buch werden diese Rucksäcke auch erwähnt. Die hat Erna aus irgend einem Stück Fallschirmseide, die sie noch übrig hatte, für uns genäht.[19]

Dierk: … schon in weiser Voraussicht! 

Hilbert: Diese Rucksäcke gibt‘s ja sicherlich nicht mehr?

Berend: Nee, nee, bestimmt nicht! Und an einem der Rucksäcke, und zwar an dem von Dierk, war auch noch ein kleiner Pinkelpott dran.

Dierk: Das wichtigste Gerät, nachher vor allen Dingen im Zug – im Güterwagen, in dem wir gefahren sind.

Berend: Und dann hatte unsere Mutter ja auch noch so 4 Hundeleinen genäht, und jeweils ein Laibchen dran, mit einer langen Leine, sodass sie alle 4 Kinder mit einer Hand halten oder uns auch notfalls auch an einen Laternenpfahl binden konnte.

Hilbert: Und du bist dir sicher, dass das 4 Leinen waren? Ich habe von Erna nämlich in Erinnerung, dass sie sagte, sie hätte für Meinert und mich diese Leinen gemacht.

Dirk: … damit sie die Kleinen unter Kontrolle hat!

Berend: Ja, das könnte richtig sein. Ich wollte nämlich gerade sagen, dass ich mich nicht daran erinnern kann, dass die jemals zum Einsatz gekommen sind. Jedenfalls nicht auf der Flucht. Wir haben dann aber später im Schützenhaus mit diesen Leinen immer so Pferdekutsche, Pferd und Wagen gespielt.

Hilbert: An dieses Pferd-und-Wagen-Spielen kann ich mich auch noch erinnern, aber natürlich nicht, dass das mit den Leinen von der Flucht gemacht wurde.

Berend: Zurück zum Fluchtbeginn: Irgendwann ging‘s los. Ich weiß noch, dass wir, als wir aus der Wohnung rauskamen, nach rechts die Straße runter mussten, um dann auf die Querstraße zu kommen. Da standen dann die 2 Militärlastwagen. Ich hatte immer gedacht, es wäre eine größere Kolonne gewesen, weil Vater ja immer erzählt hatte, es wäre ein größerer Transport gewesen, aber das waren wohl doch nur 2 LKW.

Dierk: Plus Anhänger! Jeder hatte hinten noch einen Anhänger dran.

Berend: Und da stiegen wir ein, wobei ich mich an Oma Mimi und Opa Georg gar nicht erinnern kann. Die müssen ja auch mitgefahren sein. Nun saß ich ja die ganze Zeit vorne im Führerhäuschen zwischen zwei Soldaten in Uniform und fand das alles fürchterlich spannend. 

Dierk: Ja, ja klar, die hatten Uniformen an.

Berend: Ich glaube, das waren 2 Tage, die wir dann in diesen LKWs gesessen haben. Das Ganze war dann eigentlich relativ undramatisch.

Elke: Was waren das für LKWs?

Hilbert: Militärlastwagen!

Christa: Warum? Wie kamt ihr dazu?

Dierk: Das muss Vater von Wilhelmshaven aus organisiert haben. Es waren Lastwagen, die von Leba über Lauenburg zurückfuhren, um kriegswichtige Sachen, angeblich für die V2-Raketen von Wernher von Braun, nach Peenemünde in das Sperrgebiet zu bringen![20] Bis dahin durften wir ja auch nur mitfahren.

Berend: Ich habe das auch so in Erinnerung. Erna hat nach dem Krieg mehrfach erzählt, Friedel hätte das von Wilhelmshaven aus organisiert. Er kannte den führenden Offizier in Leba und hat ihm gesagt: „Wenn du durch Lauenburg fährst, dann nimmst du aber meine Erna mit ihren 4 Jungs mit!“ Und dann hätte der das auch so gemacht.[21] Das war natürlich ein gewisser Vorteil, dass unser Vater ...

Elke: … ganz schöner Luxus, würde ich sagen!

Berend: Ja, Glück oder wie soll man es nennen?

Elke: Und das war so zu einer normalen Tageszeit?

Berend: Ich meine, das wäre vormittags früh gewesen.

Dirk: Ja, das war bei hellem Licht, jedenfalls das Losfahren.

Köslin

Dierk: Im Dunkeln sind wir dann in Köslin angekommen, wo wir in diesem Haus übernachtet haben.

Berend: Das war eine Villa!

Dierk: Bachmann oder wie der Besitzer hieß!

Hilbert: Hieß der vielleicht Wachsmann?

Dierk: Richtig. Wir haben ja für unsere Reise nach Lauenburg im Jahr 2013 vorher recherchiert und rausbekommen, dass das das Haus der Schwester des später in Oldenburg aktiven Gerhard Wachsmann war. Sie hatte, wenn ich mich richtig erinnere, einen Lehrer geheiratet, der an der Kösliner Eliteschule Napola[22] unterrichtete. Es gab ja nur wenige davon: eine in Köslin, zwei in Potsdam und noch ein paar weitere. Die Wachsmanns waren aber längst weg. Und der eine Soldat wusste wohl, dass das Haus leer stand und deswegen, so habe ich das verstanden, konnten wir da übernachten.

Hilbert: Der Name Wachsmann ist in Oldenburg bekannt, weil der Schwager der Kösliner Lehrersfrau hier in Oldenburg in der Oldenburger Landesbank (OLB) angestellt war und dann zum geschäftsführenden Direktor wurde. Er hat sich in den 60er Jahren sehr für die Uni-Gründung engagiert, war auch Vorsitzender der Universitätsgesellschaft. In Erinnerung an ihn wurde der Gerhard-Wachsmann-Preis zur Prämierung hervorragender Promotionen eingerichtet. Der wird bis heute an Nachwuchswissenschaftler*innen verliehen.

Berend: Ja also, an die erste Station in Köslin, dieses leere Haus, kann ich mich auch noch erinnern. Und daran, dass Oma Mimi sich darüber beschwerte, dass die Betten nur diese roten Inletts hatten. Die waren nicht bezogen.

Hilbert: Das passt natürlich hundertprozentig auf Oma Wilhelmine!

Dierk: An die Beschwerde von Oma kann ich mich auch noch erinnern, dass das für sie unangenehm war, in diese Betten rein zu klettern und da zu schlafen.

Bernd (ironisch): Es gehört sich auch nicht!

Dierk: Bei Oma gehörte sich das nicht!

Hilbert: Sie hätte sich besser Gedanken um ihren Mann mit Schlaganfall machen sollen! Das hat sie im Wesentlichen unserer Mutter überlassen!

Berend: Etwas ganz anderes: Ich kann mich entsinnen, dass uns gleich zu Anfang der Flucht mit dem Lastwagen plötzlich so ein Trupp Gefangener entgegen kam. Russische Gefangene sollen das gewesen sein.[23]

Dierk: Daran erinnere ich mich auch. Ich seh‘ das Bild noch genau vor mir. Es waren so – wie viele Leute mögen das gewesen sein? – 30, vielleicht 40, und dann mit Soldaten dabei. Die gingen aber entgegen unserer Fahrtrichtung. Und wir fuhren an ihnen vorbei.

Hilbert: Ich hab‘ eine weitere Frage. Ich habe noch ein zweites Bild von der Flucht vor Augen, in dem ich in einem Bett liege und es wurde dunkel und da war eine Holzbretter-Verschalung mit fluoreszierenden Astlöchern – das weiß ich noch genau. Habt Ihr da was in Erinnerung? War das in Köslin? Das könnte aber auch eine der nächsten Übernachtungen, z.B. in Bansin, gewesen sein.

Berend: Nein, so etwas habe ich nicht in Erinnerung.

Dierk: Und dann – jetzt fällt es mir wieder ein – mussten wir mit den Lastwagen über die Oder nach Usedom mit der Fähre rüber. Und da kamen wieder Stukas angeflogen oder ähnliches, da wurde es hektisch und dann wäre es beinahe so weit gekommen, dass der Anhänger oder unser ganzes Fahrzeug ins Wasser gefallen wäre. Also, die Fähre fuhr schon los und der Wagen war noch gar nicht ganz drauf. Das hab ich in Erinnerung. Wie weit das jetzt nur vom Erzählen kommt oder ob ich das tatsächlich erinnere, kann ich nicht sagen.

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Vor der Flucht

Berend: Ich schieb‘ mal etwas ein, was noch in die Zeit vor Beginn unserer Flucht gehört. Ich erinnere mich, dass wir ab und an nach Leba an die Ostsee gefahren    sind und dort gebadet haben.[24] 

Hilbert: Und ich erinnere mich daran, dass ich mit einem älteren Mann an der Hand – und das kann nur Opa Georg gewesen sein – zum Bahnhof gegangen bin. Und da war so ‚ne Rampe und auf der Rampe lagen geschossene Hirsche oder Rehe. Das ist also das älteste Bild, das ich noch vor Augen habe. Es muss im Herbst 1944 gewesen sein – da war ich        drei Jahre alt.

Dierk: Ja, bei diesen Spaziergängen mit Opa muss ich auch mitgewesen sein. Wir sind mit Opa extra zum Bahnhof hingegangen. Es waren Hirsche, die lagen aber schon auf diesem Karren. Opa musste ja mit uns spazieren gehen, wahrscheinlich, um sich von seinem Schlaganfall zu erholen. Und da sind wir dann zum Bahnhof gegangen und haben geguckt. Die Hirsche, die wurden dann in den Zug geladen und zur Verpflegung nach Berlin     zu den High-society-Leuten geschickt, nehme ich       mal an.

 Berend: Ein weiterer Punkt zu der Zeit vor der Flucht fällt mir jetzt auch noch ein: Ich wäre normalerweise im Herbst '44 eingeschult worden in Lauenburg. Da war‘s aber so, dass kurz zuvor Flüchtlinge in der Schule einquartiert wurden.[25] Und ich bin irgendwie – ich weiß gar nicht warum – entweder alleine oder mit Mutter Erna in der Schule gewesen.

 

 

 

Dierk: Ich bin da auch mit gewesen! Das war alles mit Stroh ausgelegt. Da lagen die Flüchtlinge.

Berend: Und deswegen fing die Schule für mich auch nicht mehr an.


Mit der Bahn von Bansin nach Bremen und Delmenhorst

Hilbert: So, zurück zur Fluchtgeschichte!

Berend: Also, bei mir ist dann eigentlich für den Rest der Reise relativ wenig in Erinnerung geblieben. Ich kann mich noch an zwei Szenen erinnern, dass wir einmal in einem Wartesaal übernachtet haben, auf dem Fußboden mit Decken oder irgendwas. Ich weiß aber nicht mehr, wo das war. Die andere Szene: Ich kann mich noch erinnern, als wir einmal im Zug saßen und als der Zug dann wieder losfuhr, war da ein kleines Mädchen und das fing an zu weinen. Und dann kam raus, dass die Mutter des Mädchens ausgestiegen war, um zu versuchen, irgendwo was zu essen zu kriegen. Und sie war nicht rechtzeitig wiedergekommen. Dann war das Drama groß: Was ist jetzt? Wie das gelöst wurde, weiß ich aber auch nicht mehr.

Die nächste Station, an die ich mich erinnere, ist dann in Bremen, auf dem Hauptbahnhof. Da habe ich in Erinnerung, dass wir da irgendwo oben auf so einer Empore waren und dann nach unten gucken konnten. Und da konnte man in so ein Sanitätszimmer gucken, wo Opa Georg lag. Ob er da schon gestorben war oder noch nicht, weiß ich nicht mehr.

Dierk: Es gibt nur eine solche Stelle auf dem Bremer Hauptbahnhof, wo man in die Bahnhofshalle blicken kann: vom Bahnsteig 1 aus, da wo jetzt die Rossmann-Filiale ist.

Berend: Und dann weiß ich, dass wir mit der Bahn weiter nach Delmenhorst gefahren sind und in Delmenhorst abends im Dunkeln vor der Haustür unserer Oma Einemann[26] standen. Parkstraße 8 war das, glaube ich, und da ging es so ne leichte Treppe hoch.

Dierk: Ja, das war Oma Einemanns Haus!

Hilbert: Das heißt, die Flucht verlief zunächst mit dem Lastwagen von Lauenburg über Köslin nach Bansin auf Usedom, und dort mussten wir dann vom Lastwagen absteigen?

Dierk: Ja, das war in Bansin! Von dort sind wir dann mit dem Zug weiter gefahren.

Hilbert: Du sagst, das sei ein Güterwagen gewesen?

Dierk: Ja, daran kann ich mich erinnern.

Berend: Nee, daran kann ich mich nicht erinnern!

Dierk: Doch, ich kann mich erinnern, dass das ein Güterwagen war.[27] Die Tür war ein bisschen aufgezogen und davor stand so ne große Holzkiste, auf den Kopf gestellt, wie ein Tisch. Damit kein Kind raus fiel. Und dann wurde, wenn ich mich recht entsinne, auch mein Pinkelpott wichtig, da in dem Güterzug. Ich hatte den an meinem Rucksack.

Hilbert: Warum nicht Berend, der Älteste?

Dierk: Das weiß ich nicht, keine Ahnung.

Berend: Dirk war zuverlässiger!

Hilbert: Das ist doch ein Hierarchieproblem.

Berend: Ja, eigentlich schon.

Dierk: Wir haben aber auch mal irgendwo in einer Ziegelei übernachtet. Könnt ihr euch daran erinnern?

Berend: Ja! So viele Übernachtungen waren es ja auch nicht.

Dierk: Mit Lattenrosten abgeteilte Kabuffs waren das. An mehr kann ich mich auch nicht erinnern.

Berend: Was mir später auch immer wieder durch den Kopf gegangen ist und wo ich mich gefragt habe, ob das irgendwie typisch deutsch im positiven Sinne  war oder nicht, dass – in all diesen chaotischen Verhältnissen auf den Bahnhöfen immer irgendwo noch so 'n Hilfsdienst, Winterhilfsdienst, Rotes Kreuz oder BDM-Mädchen da waren. Irgendjemand war immer da, der irgendwie helfen konnte; dass man auch immer irgendwo was kriegen konnte.[28] Deswegen war ja auch diese eine Mutter irgendwo hingelaufen, weil sie dachte, noch etwas organisieren zu können.

Hilbert: Erna berichtet im Hornig-Buch, dass noch eine andere Frau mit in unserer Reisegruppe war. Den Namen nennt sie nicht, die war nicht mit uns verwandt, der Mann kam aus Oldenburg und leitete in Lauenburg ein Hotel. Erinnerst du dich?

Berend: Ich kann mich an diese Frau überhaupt nicht erinnern. Hab‘ das nämlich auch nur in Ernas Bericht gelesen.

Dierk: Ja, die Frau muss es gegeben haben. Vater hat doch noch, so Meinert, irgendwelche eidesstattlichen Erklärungen unterschrieben für diese Frau.

Berend: Wie viele Übernachtungen ab Bansin müssen das denn überhaupt gewesen sein, bis wir in Delmenhorst waren? Fünf? Fünf bis sechs?

Hilbert: Ich vermute, dass es sechs, vielleicht auch sieben Tage waren. So schnell ging das ja unter den Bedingungen des Kriegsendes nicht! Die Züge mussten immer wieder an Bahnhöfen halten.

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Opa Georg Meyer und Oma Mimi

Berend: Opa Georg ist ja in Bremen auf dem Bahnhof gestorben. Wie ging es dann weiter? Er ist doch in Wilhelmshaven beerdigt worden.

Dierk: Ja, auf dem Marinefriedhof.

Hilbert: Das hat Meinert recherchiert. Er ist am 12.2.45 in Bremen gestorben, wahrscheinlich im Nothospital im Bahnhof. Vater Meyer hat dann eine Sondergeneh-migung für den Transport des Sargs von Bremen nach Wilhelmshaven beantragt.[29]

Bernd: Also noch während des Krieges?

Hilbert: Ja, während des Krieges war für einen Leichentransport eine Sondergenehmigung nötig. Friedel hat dafür ein Auto organisiert. Als Adjutant bei dem Standortkommandanten Wilhelmshaven muss das ja für ihn noch verhältnismäßig einfach gewesen sein.

Ich erinnere mich, dass ich mit Meinert und Oma Meyer während unserer Schulferien ein paar Mal mit ihr mit dem Bus zum Marinefriedhof gefahren bin. Und dann hat sie uns dieses große Denkmal gezeigt, wo lauter Eichenblätter für die in der Skagerrak-Schlacht gestorbenen Matrosen aus dem Ersten Weltkrieg auf dem Denkmal angebracht waren. Da war eine ganze Reihe von Eichenblättern mit Namen abgebrochen und da dachte ich immer: Oh, das ist ja ungerecht.

Berend: Zum Friedhof, weiß ich noch, musste ich auch immer mal fahren, wenn ich in Wilhelmshaben bei Oma war. Ich kann mich erinnern, dass ich da auch mal alleine hin musste.

Hilbert: Um das Grab zu pflegen?

Berend: Eher um das Grab zu begucken, ob irgendwas in Ordnung zu bringen war.

 

Von Delmenhorst über Oldenburg nach Drielakermoor

Dierk: Bei Oma Einemann haben wir, glaube ich, nur eine Nacht übernachtet. Da war ja gar kein Platz. Das war eine ganz kleine Wohnung, da kamen wir mit 4 Jungs, Mutter ... das sind 5, dann war ja Oma Meyer noch dabei. Wo sollte Oma Einemann die alle lassen? Von da sind wir dann also zu Tante Irene[30] gefahren. (Das Foto von Erna und Irene ist ungefähr 1922 aufgenommen worden.)

Hilbert: Die wohnte in der Schule Drielakermoor in der Lehrerwohnung.[31]

Berend: Das war eine große Wohnung. Ich weiß aber noch, dass sie da ein ganz ordinäres Plumpsklo hatten.[32]

Hilbert: Ich habe keinerlei Erinnerung an die Fluchtstation in Drielakermoor. Ich weiß nur, dass Meinert und ich später, als wir zwölf, dreizehn Jahre alt waren, wiederholt in den Herbstferien mit dem Fahrrad nach Tweelbäke gefahren sind und dort Ferien gemacht haben.

Hilbert: Waren wir ein paar Tage in Drielakermoor oder länger?

Berend: Nee, da waren wir ne ganze Ecke länger!

Hilbert: Irenes Mann hieß Willi Brunken. Der hatte wohl nach dem Krieg – genauso wie unser Vater – Schwierigkeiten mit der Entnazifizierung, um wieder in den Schuldienst zu kommen. Aber das gelang dann und er wurde 1948 Hauptlehrer der Schule in Tweelbäke und blieb dort bis zu seiner Pensionierung.[33] Ich erinnere mich, dass Onkel Willi und Tante Irene noch 1976 zur Tauffeier von Tale Meyer zu uns in die Würzburger Straße gekommen sind. Ein wirklich freundlicher alter Herr!

Berend: Willis erste Frau ist ja schon in den dreißiger Jahren gestorben! Und da waren schon 6 Kinder!

Dierk: Nein, 4 Kinder! Rieke, Hermann, Renke und noch ein vierter.

Hilbert: Renke Brunken hat uns berichtet, wie die Ehe von unserer Tante Irene mit Wilhelm Brunken zustande gekommen ist: Als Willis erste Frau 1936 gestorben war, ist Erna Günther, kurz vor ihrer Hochzeit mit Friedel Meyer (im Oktober 1936) in die Bresche gesprungen und hat mehrere Monate lang Willis vier Kinder versorgt. Friedel war im Hause Brunken gut bekannt, weil er eine Zeit lang als Junglehrer an der Schule Elisabethfehn-Ost arbeitete, an der Willi von 1927 bis 1934 der Schulleiter war. So kam dann eine Zeit lang später der Kontakt zu Ernas Schwester Irene zustande.[34]

Dierk: Dann wurden die beiden Jungs Ernst und Brunke geboren! Die sind bzw. waren ja ungefähr so alt wie wir.

Christa: Mit Renke haben wir immer noch regelmäßig Kontakt. Renke und seine Frau waren mit mir zusammen im Oldenburger Ansgari-Kirchenchor. Ernst ist vor ein paar Jahren gestorben, aber Brunke lebt.

Hilbert: Ich habe als erste Erinnerung an Oldenburg (das kann eigentlich nur auf dem Hauptbahnhof gewesen sein), dass da ein Militärzug mit alliierten Soldaten auf dem Bahnsteig stand. Und plötzlich rief einer der Soldaten vom Wagonfenster aus uns Zwillinge, Meinert und mich, zu sich und wir bekamen einen Riegel Schokolade geschenkt. Das erste Stück Schokolade, an das ich mich erinnern kann! Und hinterher muss Erna oder jemand anderes mir gesagt haben: Das waren kanadische Soldaten. Seither ist Kanada bei mir im Länderranking ganz weit oben (lacht).

Berend: Ich habe in Erinnerung, dass auch viel polnisches Militär in Oldenburg war. Die haben ja noch zum Kriegsende neben den Alliierten eine fünfte Besatzungstruppe gebildet. Und sie haben gemeinsam mit Briten Wilhelmshaven eingenommen.

Hilbert: Ja, ich habe in der Zeitung gelesen, dass sie sogar im Emsland eine Freie Republik Polen gründen wollten, weil sie sich nicht der kommunistischen Regierung in Warschau unterordnen wollten, sondern in Deutschland eine Enklave für die polnische Exil-Regierung, die es immer noch in London gab, aufbauen wollten. Deshalb hatten sie die Vorstellung, dass das im Emsland so ein Nukleus wird, um später ganz Polen vom Kommunismus zu befreien.

Berend: Und als die Emsland-Enklave wieder aufgelöst wurde, wurde berichtet, dass die vielen polnischen Staatsangehörigen auf keinen Fall wieder zurück nach Polen wollten. Die sind dann wohl in die USA oder nach Kanada gegangen.

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Von Drielakermoor nach Westerstede und von dort nach Gießelhorst – Panzerbeschuss

Hilbert: Gut, wir waren also ein paar Wochen in Tweelbäke und dann ging es weiter zu Tante Anni nach Westerstede. Die wohnte ja mit ihrem Mann, dem Malermeister, in der Poststraße. Und später, als sie Witwe geworden war, hat sie dann schräg gegenüber zu unserem Haus auf dem Melmenkamp gebaut. Ihr Sohn war der später lokal und auch regional recht bekannte Maler Schmidt-Westerstede. Und die Enkeltochter wohnt mit ihrem Mann Manfred Hylla immer noch in diesem Haus.

Berend: Ja, und von der Poststraße aus ging es dann ins Schützenhaus?

Dierk: Nee, nicht sofort. Nach Tante Anni sind wir erst in Gießelhorst[35] bei Oma Grote auf dem Bauernhof gewesen. Auf dem Hof müssen aber schon, noch bevor die Kanadier kamen, deutsche Soldaten gewesen sein, die auf dem Rückzug kurz auf dem Hof einquartiert waren.

Hilbert: Ja, die zogen sich alle in Richtung Wilhelmshaven zurück.

Dierk: Die deutschen Soldaten waren mit Ponys bei Grotes einquartiert. Die Ponys standen im Kuhstall und da durften wir nicht davor langlaufen, weil sie ein bisschen bissig waren. Wir taten es natürlich doch. Und dann hatten sie mich auch mal hier hinten so am Nacken, da knabbern Pferde ja gerne mal rein. In dem alten Pferdestall, der so richtig große Boxen hatte, hatten die Soldaten ein großes graues Pferd stehen. Das war kein Pony. Deshalb erinnere ich mich so genau, dass da, als wir zu Grotes kamen, erst noch die deutschen Soldaten waren. Die Kanadier kamen erst später.

Berend: Richtig. Ich erinnere mich jetzt. In Gießelhorst haben wir teilweise im Keller kampiert.

Hilbert: Vater Meyer war ja, bevor er nach Lauenburg ging, Lehrer im Ammerland gewesen, als erstes um 1933 in Gießelhorst. Beim Entnazifizierungsverfahren 1946/47 hat er erklärt, er sei 1933 in die NSDAP eingetreten, weil die Bauern ihm gesagt hätten, wenn du hier im Dorf Lehrer bei uns bist, dann musst du auch in die Partei eintreten.[36] Auf jeden Fall hatte Vater da gute alte Kontakte und deshalb hat er uns nach der Flucht – noch zur Nazi-Zeit – eine Zeit lang in Gießelhorst untergebracht.

Berend: Und dann kann ich mich noch an die einzige wirklich gefährliche Situation auf der ganzen Flucht erinnern.

Hilbert: Erzähl‘ mal!

Berend: Es war bei Grotes, da standen wir in der Küche und guckten aus dem Fenster. Da war ein bisschen Gebüsch und plötzlich kam ein Panzer, wahrscheinlich ein kanadischer, um die Ecke gefahren. Das war der erste feindliche Panzer, den ich gesehen habe, und wir standen am Fenster und guckten hin. Und dann blitzte das mit einem Mal und der Panzer hat geschossen. Er hat dann allerdings nicht unser Fenster, getroffen, sondern so 10 Meter daneben den Stall. Da wurde eine Kuh so schwer verletzt, dass sie notgeschlachtet werden musste. Da gab es wochenlang Fleisch. Und ich hab in Erinnerung, dass Dierk dann dermaßen viel Fleisch gegessen hat, dass er dann lange Zeit kein Stück Fleisch mehr sehen konnte.

Eine Überlegung hinterher war, ob der Panzer geschossen hat, weil Erna, die mit in der Küche stand, so eine grüne uniformähnliche Jacke anhatte, dass der Kanadier, der im Panzer saß, meinte, es könnte ein Soldat sein, so dass er schnell reagieren musste. Die dürfen ja nicht lange überlegen. Der sah nur dahinten irgendwas Grünes im Fenster und hat gedacht, da könnte Wehrmacht sein, und hat dann einen Schuss abgegeben, aber Gott sei Dank nicht uns getroffen, sondern 10 Meter daneben. Sonst säßen wir heute nicht hier.

Hilbert: An einen Panzer kann ich mich nicht erinnern. Auch nicht an einen Schuss. Ich erinnere mich aber, dass es plötzlich für uns Kinder verboten war, hinter die Scheune zu gehen. Da würde ein Kalb geschlachtet. Das kann eigentlich nur dieselbe Situation gewesen sein – das Kalb aus meiner Erinnerung war die Kuh aus Deinem Bericht.

Bernd: Ja, das wird der Vorfall gewesen sein. Vielleicht sah die Kuh auch nach dem Schuss nicht mehr so gut aus.

Hilbert: Ich habe den Namen Grote gar nicht in Erinnerung, aber ich erinnere mich an den Namen Röseler.

Dierk: Das war jemand anders. Röselers wohnten direkt im Dorf Gießelhorst. Bei denen waren wir oft nach dem Krieg. Das war ein altes reitgedecktes Bauernhaus. Das ist aber schon lange abgerissen.

1985: Erna zeichnet die Scheune hinter Röselers Bauernhaus (das Bild ist in Hilberts Besitz)

 

Hilbert: Bei Röselers war Erna, wie sie im Hornig-Bericht schreibt, oft zum Kornähren-Nachlesen.[37]

Berend: Ja, ich kann mich auch an Röseler erinnern, Vater und Sohn. Da waren wir aber nur ganz kurz.

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Schützenhaus Westerstede

Dirk: Und dann sind wir ins Schützenhaus gekommen.

Berend: Da waren wir ziemlich lange – bis 1950.[38] Dann sind wir in die größere Parterrewohnung in die Schillerstraße 1 in Westerstede gezogen.

Hilbert: Wann genau sind wir ins Schützenhaus gekommen?

Dierk: Das muss im Juli oder August '45 gewesen sein, schätze ich.

Berend: Erna hat dann ja immer eine Geschichte erzählt: Im Schützenhaus hatten wir vier Jungs das erste Mal jeder ein eigenes Bett. Da mussten wir die schmale schräge Holztreppe hoch auf den Boden des Hauses. In der ersten Nacht kam Meinert oder Hilbert runter und sagte: „Mutter, komm zu mir ins Bett. Bei mir ist es so luftig.“

Das Schützenhaus, 2022 von Dierk aus der Erinnerung gezeichnet; links das Haus mit Anbau, in der Mitte das Plumpsklo, rechts davon der Hühnerstall, der Kaninchenstall und der Gemüsegarten, danach die Schussanlage hinter der Mauer

Hilbert: Ich erinnere mich noch genau an die Wohnung. An der Vorderseite standen drei große Kastanien. Auf der Seitenfront war in der Mitte die Haupteingangstür. Und rechts, angebaut an das Hauptgebäude, ein Anbau mit eigener Tür, von der man auch in die Wohnung kam; da gingen wir fast nur rein; da war gleich ein Waschbecken zum Händewaschen. Ein Badezimmer gab es nicht in diesem Haus. Das Klo stand als Plumpsklo draußen vor dem Haus. Hin und wieder kam dann ein Bauer mit dem Jauchewagen, um die Grube zu leeren. Wir bewohnten nicht das ganze Schützenhaus, sondern nur die eine Hälfte oder zwei Drittel. Zur Abtrennung zu den anderen Flüchtlingsfamilien, die auch noch im Haus und im Anbau untergebracht waren, waren nur ganz dünne Pappwände eingezogen. Da haben wir mit den Fingern ein Loch rein gepult und konnten dann in die fremde Wohnung gucken. Aber der Dachboden, der war nur für Familie Meyer.

Hilbert: In der Küche stand ein großer Herd – ziemlich genau so, wie ihn Dörte jetzt in ihrer Wohnung in Gristede stehen hat.[39] Der Herd war im Winter immer angenehm warm. Im Frühjahr kaufte Erna für den Hühnerstall ein Dutzend Küken. Die kamen zuerst in einen Pappkarton, der neben den Ofen gestellt wurde, damit es die Küken schön warm hatten. Gefüttert wurden sie mit einem klein gehackten gekochten Ei. (Ich erinnere mich, dass ich das lieber selbst gegessen hätte.)

Berend: Im Sommer waren wir im Schützenhaus eigentlich fast immer draußen.

Hilbert: Im Winter wurden wir vier hin und wieder zum Gaswerk in der Nähe der Kirche gebracht. Dort gab es viel warmes Wasser. Da wurden wir dann in einen großen Badezuber gesteckt und kräftig abgeschrubbt.

Berend: Im besonders strengen Winter '45 war das Essen sehr knapp. Ich weiß noch, dass ich mich gewundert habe, dass Erna einer Familie, die in dem Haus schräg gegenüber vom Schützenplatz wohnte, freiwillig ein paar Kartoffeln abgab, weil die noch weniger als wir hatten. Ich hab mir gedacht, Mensch, die hätten wir besser selber behalten sollen. Es gab auch oft Steckrüben ohne Kartoffeln!

Hilbert: Ich erinnere mich auch an diese Essensknappheit: Sonntags gab‘s drei Kartoffeln, wochentags zwei. Meinert schreibt: sonntags vier, wochentags drei Kartoffeln! Wahrscheinlich war beides richtig. Auf jeden Fall hatten wir sehr oft richtig Hunger.

Ich habe noch nachdrücklich diesen großen Garten in Erinnerung. Da gab‘s Erdbeeren, Kartoffeln, Steckrüben, Wirsingkohl, Kohlrabi, Wurzeln, Porree und Bohnen ... und Bohnenstangen. Mutter hat ja eine Zeit lang Tomaten an der Wand des Schießstands gezüchtet. Da schien dann gut die Sonne drauf. Und im Herbst legten Friedel und Erna eine große Miete an. Eine Kuhle im Gartenacker, vielleicht 40 cm tief, da hinein kamen die Kartoffeln, Steckrüben und Wurzeln. Dann kam darüber eine kräftige Schicht Stroh und oben drauf eine Schicht Erde – damit Kartoffeln und Gemüse nicht bei strengen Minusgraden erfrieren konnten. Ab Dezember wurde die Miete dann peu à peu geleert.

Berend: ... und dann wurde von Vater auch noch Tabak angebaut! Er war ja Nichtraucher. Aber den getrockneten Tabak konnte er gut gegen andere Lebensmittel eintauschen.

Dierk: Es wurde also sehr viel Selbstversorgung gemacht.

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Vater Meyer kommt aus der Kriegsgefangenschaft zurück

Berend: Wann wurde denn Vater Meyer aus Esterwegen entlassen? War das '46?

Hilbert: Das hat Meinert ja alles auf Grundlage der in der Marinekiste erhaltenen Dokumente herausgekramt. Am 27. Mai 1945 bekam er in Wilhelmshaven, damals noch als Offizier der Kriegsmarine, einen Befehl zur Vernehmung. Sofort danach wurde er verhaftet und interniert im Civil Internment Camp No. 101 in Esterwegen. Das war vor der Nutzung als Gefangenenlager für Marine-Offiziere das Konzentrationslager Esterwegen der Nazis, in dem auch Carl von Ossietzky eingesessen hat und misshandelt wurde. Am 25.02.1946 wurde Friedel aus Esterwegen nach acht Monaten entlassen und tauchte dann im Schützenhaus auf.[40]

Berend: Ich kann mich noch erinnern, wie Vater wiederkam. Da hatte ich das Gefühl, dass Erna ganz aufgeregt war. Aber wir fanden das ein bisschen merkwürdig: Da kam so ein fremder junger Mann, rank und schlank und hatte noch so ne kleine Militärtasche, da hatte er noch irgendwas zu Essen mit drin, ich weiß aber nicht mehr was.

 Hilbert: Daran kannst du dich noch so genau erinnern?

Berend: Ja! Ich war ja schon 8 Jahre alt. Ich weiß noch genau, es war ein sonniger Tag und dann war er plötzlich da.

Hilbert: Hattet Ihr vorher gewartet, dass er endlich kommt, oder war das gar kein Thema?

Dierk: Nee, an solch ein Gefühl kann ich mich nicht erinnern.

Berend: Es wurde auch nicht viel drüber geredet.

Hilbert: Meine erste genaue Erinnerung an Vater Meyer ist, dass Meinert und ich oder ich alleine an dem Küchenherd die Feuerklappe aufgemacht hatten und da waren brennende Eierkohlen auf den Holzfußboden gefallen. Statt Bescheid zu sagen, sind wir einfach weggelaufen. Da wurden wir schon  von Erna heftig ausgeschimpft. Und dann kam Vater Meyer abends von irgendwelcher Arbeit wieder nach Hause und wir wurden nicht nur kräftig vermahnt, sondern auch versohlt. Damit wir das nicht nochmal machen. Haben wir auch nicht nochmal gemacht!

 

Berend: Ja, tatsächlich, ist Vater so konkret zur Tat geschritten? Ich kann mich nicht erinnern, dass mir oder Dierk das passiert wäre. Wir beiden waren wahrscheinlich artiger (lacht).

Hilbert: Erna schreibt ja in einem Brief an Friedel in Kriegsgefangenschaft, dass die Zwillinge „nicht klein zu kriegen sind“.[41]

Berend: Und dann gab es da noch eine Anna.

Dierk: Ich erinnere mich, dass wir vier Anna oftmals ziemlich geärgert haben.

Hilbert: Ja, haben wir!

Berend: Da sind dann auch mal ein paar Tränen geflossen, weil sie mit uns vier frechen Jungs einfach nicht fertig wurde. Sie hatte keine Verwandten und nichts und war dann froh, bei uns wenigstens Arbeit zu haben.

Hilbert: Sie hatte einen verkrüppelten Finger an der einen Hand. Und sie sagte immer: „Wenn ihr aus dem Haus seid, mache ich 3 Kreuze hinter euch!“ Ich hab erst später gelesen, dass das in der katholischen Kirche so eine kleine Variante von Exorzismus ist.

Auf dem Foto, das circa 1947 aufgenommen worden ist, links von Erna die Anna, im Hintergrund die zwei Häuser auf der anderen Seite des Schützenplatzes. (Übrigens: Wer ist Meinert, wer ist Hilbert? Leicht zu erkennen mit Hilfe von Seite 2.)

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Heizen, Geschwister hüten und Torf stechen

Dierk: Ich erinnere mich, dass wir um einen runden Ofen, so eine Brennhexe, herum gestanden haben und dann mal rein geguckt haben ins Feuer. Das war richtig schön warm. Und dann erinnere ich mich, dass eines Abends Erna nicht da war und Vater, glaube ich, auch nicht. Die waren wohl irgendwo zu Besuch eingeladen und wir waren alleine und Ihr Zwillinge habt, glaube ich, Stress gemacht und wir wussten nicht, was wir mit Euch anfangen sollten. Ich erinnere mich nur, dass dann irgendwann Erna zurückkam und dann war ja alles wieder in Ordnung.

Hilbert: Wir heizten die Öfen ja zunächst mit Torf, später dann auch zusätzlich mit Briketts. Einmal im Herbst kam ein Bauer mit Pferd und Wagen und brachte den Torf. Der wurde vor das Haus gekippt. Und wir Kinder mussten ihn dann im Anbau die Wand hoch stapeln.

Dierk: Ich kann mich entsinnen, dass wir mit dem Fahrrad irgendwo ins Moor gefahren sind und den frisch gestochenen Torf geringt haben, damit die Soden durchlüften konnten und trockneten.

Hilbert: Friedel hat also den eigenen Torf gestochen, den wir im Winter verheizt haben?

Dierk: Ob er selber stechen konnte, weiß ich nicht, aber wir mussten das zumindest ringen und, eh …

Hilbert: Eierkohlen waren viel zu teuer. Und deshalb waren Torf und Brikett üblich. Und ich erinnere mich, dass Vater berichtete, auch schon vor dem Krieg Torf gestochen zu haben und dann hin und wieder im Moor eine Kreuzotter mit dem Spaten erschlagen oder in zwei Teile geteilt zu haben.[42]

Berend: Ich meine, dass unser Vater auch mal Hamstern gefahren ist mit einem Rucksack, irgendwie irgendwas verkaufen oder einkaufen gegangen ist.

Dierk: Das hat ja jeder gemacht. Wir mussten ja irgendwoher was zu beißen kriegen.

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Hühner, Kaninchen und Schießstände

Hilbert: Wir hatten einen Hühnerstall und Kaninchen.

Dirk: Richtig …

Berend: … ne ganze Menge, zwei Sorten.

Dierk: Eine Sorte weiße Legehennen, Lisa oder wie die hieß.

Berend: Ja, eine weiße Leghornsorte und braune Rhodeländer. Rhodeländer waren ja Fleischhühner und die weißen, die legten mehr Eier.

Hilbert: Ich hab‘ in Erinnerung, aber das kann auch Ernas nachträgliche Berichterstattung gewesen sein, dass Du, Dierk, vor allem für die Kaninchen zuständig warst. Du hättest sie sehr ins Herz geschlossen und wärst immer tot traurig gewesen, wenn sie geschlachtet wurden. Du hättest dann auch nichts davon gegessen. Das spricht für Deine zarte Seele, nich?

Dierk: Ja natürlich! Wenn meine Kaninchen gekillt werden, dann mag man die auch nicht essen!

Elke: Wer hat denn die Hühner und Kaninchen geschlachtet?

Dierk: Erna oder Friedel, auch glaube meistens Erna.

Elke: Ja, so war das bei uns auch. Das hat mein Vater gemacht.

Hilbert: Wir Kinder mussten die Hühner füttern. Da stand so ein großer Sack im Anbau, da war Hühnerfutter drin. Und bis heute erzähle ich immer wieder, dass da im Futter ungepulte getrocknete Krabben drin waren. Die wollte damals wohl keiner essen. Das war noch kein Luxuszeug wie heute. Dann weiß ich noch, dass wir immer mal los mussten, um Vogelmiere für die Hühner zu sammeln, damit die frisches Grünzeug bekamen.

Foto circa 1948: Dierk mit Angora-Kaninchen, Hilbert mit normalem Kaninchen, dann Meinert und Berend auf dem Schützenplatz

Berend: Direkt neben dem Schützenhaus war der Schützenbusch. Da wurde dann viel Indianer gespielt, das weiß ich noch. Und auf dem Schießstand, der direkt an das Schützenhaus angebaut war, da war auch so eine ganz schmale Mauer, nur einen Klinkerstein breit, und darauf konnte man laufen.

Hilbert: Da konnte man balancieren lernen.

Berend: Das durften wir zwar nicht, haben wir aber trotzdem gemacht.

Dierk: Und dann waren da auch noch in den Schießständen die Quermauern oben quer drüber. Die waren auch bestimmt noch einen Meter höher als die anderen.

Hilbert: Das war noch spannender, da oben rauf zu klettern und zu balancieren, ohne die 3 m runter zu fallen.

Dierk: Und dann war da noch das Wäldchen. Er hieß bei uns ‚der Schützenbusch‘. Da sind wir ganz oft durchgestromert. Vorn stand eine Reihe Birken, danach Buchen und Tannen. Da wurde auch Räuber und Gendarm gespielt. Ich erinnere mich, dass hinten links im Wald mehrere große Haselnussbäume standen, die teilweise schräg umgekippt oder gleich schräg gewachsen waren. Darin konnte man bestens schaukeln. Deshalb nannten wir die drei Bäume unsere Affenschaukel. Im Herbst haben wir da auch Pilze gesammelt, hauptsächlich Maronen, manchmal einen Steinpilz oder Birkenpilz.

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Schwimmbad und Schwimmen lernen

Berend: Eine besondere Attraktion im Schützenhaus war das Schwimmbad, da sind wir auch '45 schon drin gewesen. Es bestand aus zwei Becken: dem kleinen Becken, das wir auch Pinkelbecken nannten, und dem großen Becken, das auch für Wettkämpfe geeignet war. Im Winter kam bei jedem Wetter der alte Fotograf Sander, der Vater unserer Buchhändlerin Ulla Sander. Er hat sich auch dann, wenn eine dicke Eisschicht auf dem Wasser war, mit der Axt ein Loch ins Eis gehauen und dann im kalten Wasser gebadet.

Hilbert: Konntest du schon schwimmen?

Berend: 1945 natürlich noch nicht. Das haben wir dann aber gleich alle gelernt, bei Bademeister Janßen. Erna meinte ja zu Recht, dass wir alle sofort schwimmen lernen sollten, weil es sonst mit dem frei zugänglichen Schwimmbad zu gefährlich gewesen wäre.

Hilbert: Ich habe den Schwimmunterricht von uns Zwillingen bei Bademeister Janßen noch genau in Erinnerung: Da stand er mit dem linken Fuß auf dem Startblock für die 50-Meter-Strecke und mit dem rechten Fuß, halb eingezogen, auf dem 1-Meter-Brett. Und mit dem rechten Fuß trat er auf die Leine, die vom 1-Meter-Brett herunterhing. Wir bekamen so ein Laibchen aus Segeltuch umgebunden, hinten dran wurde eine Leine festgemacht und dann schwabbelten wir unter dem 1-Meter-Brett im Wasser herum und mussten die Schwimmbewegungen machen. Er hat uns auch gleich das Springen vom 1- und 3-Meter-Brett beigebracht. Und er sagte dann immer, damit die richtige Körperhaltung entsteht: „Arschbacken zusammenkneifen“.

Das Schwimmbad, von Dierk 2022 aus der Erinnerung gezeichnet.

Hilbert: Ich weiß noch, dass Bademeister Janßen uns Zwillingen, als wir noch nicht schwimmen konnten, aber schon vom 3-Meter-Brett springen wollten, dieses Schwimmunterrichts-Laibchen umgemacht hat. Wir waren dann an seiner langen Leine, kletterten hoch aufs 3-Meter-Brett und sprangen dann runter. Für mich war das immer der höchste Lustgewinn, wenn wir tief untertauchten und Herr Janßen uns aus der Tiefe an der Schnur wieder hochzog. Dann strömte das Wasser so schön am Rücken vorbei. Und dann haben wir ziemlich schnell den Freischwimmerschein gemacht. Ich erinnere mich zumindest, dass wir Zwillinge bei der Einschulung schon schwimmen konnten. Wir müssen das Freischwimmen also 1947 mit sechs Jahren gemacht haben.

Dierk: Es gibt noch eine andere, von Erna erzählte Geschichte: Als Ihr Zwillinge gut schwimmen konntet, also wohl 48 oder 49, ist der erste von Euch beiden auf das 3-Meter Sprungbrett rauf, ist runtergesprungen und war gerade unten im Wasser verschwunden, da stand er schon wieder oben auf dem Brett. Eine Frau war über das Tempo, mit dem der Junge wieder oben war, vollkommen konsterniert. Sie stand am Beckenrand und sagte, so Erna später: „Wie hat der das so schnell geschafft? Der ist doch gerade erst ins Wasser gesprungen, jetzt steht der schon wieder oben auf dem Brett!?“

Berend: Wir sind ja praktisch in der Badeanstalt groß geworden.

Dierk: Erna hatte die größten Probleme damit, uns vom Wasser fernzuhalten, damit wir nicht von morgens bis abends im Schwimmbecken saßen. Irgendwann kamen wir dann, oft auch blaugefroren, wieder nach Hause.

Berend: Wobei das Wasser für heutige Verhältnisse ziemlich dreckig war. Es gab keine Filteranlage. Das vordere kleine Becken war gepflastert, aber das große Becken war nur an den Rändern mit Steinplatten ausgelegt. Im Becken selbst war blanker Sand. Und das kleine Becken wurde nicht ohne Grund Pinkelbecken genannt.

Hilbert: Im großen Becken hinten links bei den Sprungbrettern war eine Quelle. Da bin ich oft die zweieinhalb oder drei Meter runtergetaucht und habe den Arm in die Quelle gesteckt. Das war dann deutlich kälteres Wasser. Den Wasserstrahl fühle ich immer noch. 

Berend: Wenn das Schwimmbad gereinigt werden musste, ein- oder zweimal im Jahr, dann kamen die Gemeindearbeiter mit einem Dieselmotor und pumpten das Wasser raus. Das wurde dann in die nur 30 Meter entfernte Süderbäke geleitet. Von dort kam auch das Wasser, wenn die beiden Becken wieder gefüllt werden mussten.

Dierk: Die hatten so einen uralten Motor. An den war die Pumpe angeschlossen. Der Motor, groß wie von einem Trecker oder LKW, stand auf dicken Holzbohlen. Zum Starten des Motors kam so eine Art Zündpatronen oder sowas ähnliches zum Einsatz. Die wurden erst in jeden Zylinder reingesteckt und dann gezündet, um den Motor erst mal anzuwerfen. Und wenn er lief, machte er ein herrliches Geräusch.

Wenn das Wasser schon beinahe vollständig rausgepumpt war, kamen die Aale zum Vorschein. Die wollten die Arbeiter immer selbst haben, davon bekamen wir nichts ab. Sie hatten immer einen Eimer neben sich stehen, wo dann der Aal, wenn sie einen erwischt hatten, hinein kam.

Hilbert: Das Schwimmbad war für uns die ganze Schützenhauszeit über das Highlight. Und als dann auf der Hössen ein neues Schwimmbad gebaut wurde, haben sich unsere Aktivitäten nur verlagert. Da wohnten wir aber schon auf dem Melmenkamp. Den Sommer über waren wir ab Mai bis zum Abschwimmen im September immer dort. Wir waren dann auch alle im Schwimmverein.

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Schützenfest und Jahrmarkt auf dem Schützenplatz

Hilbert: Dann gab es noch die Schützenfeste! Daran kann ich mich gut erinnern. Da kamen alle Schützen in Uniform auf dem Markplatz zusammen und zogen dann mit der Schützenvereins-Blaskapelle „paramilitärisch“ zum Schützenplatz, um dort im Wettkampfschießen den Schützenkönig zu ermitteln. Vater Meyer war auch irgendwann Mitglied geworden. Die Schützen hatten ihm gesagt: „Wenn Du schon in unserem Vereinshaus wohnst, musst du auch Mitglied werden.“ Aber er hat beim Königsschießen aufgepasst, nicht zu gut zu treffen, weil er auf keinen Fall Schützenkönig werden wollte.

Dierk: Auf dem Schützenplatz gab es ein Kettenkarussell, eine Schiffsschaukel, viele Buden, und auch eine Bude mit Zuckerbruch und ehh ...“

Hilbert: Pfefferminzbruch!

Dierk: Ja, Pfefferminzbruch, oder wie das hieß. Da war auch ein Wagen von Vaters Verwandten aus Bremen, den Herings, dabei. Der eine von ihnen machte den Pfefferminzbruch. Da hab ich öfter mal zugeschaut, wie die Platten gegossen wurden. Das war für uns ein großes Vergnügen.

Hilbert: Wir waren auch mal in Bremen-Neustadt bei ihm zu Besuch. Da hatten die Herings eine Konditorei und es gab leckeren Kuchen.

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Zirkus auf dem Schützenplatz, Sinti und Roma

Dierk: Mindestens einmal im Jahr. kam der Zirkus auf den Schützenplatz.

Berend: Ja, das war immer ein besonderes Highlight. Die Zirkusleute wohnten in ihren Wohnwagen und die waren nicht sonderlich gut ausgerüstet. Es gab viele Frauen aus diesen Wagen, die öfters bei Erna an der Nähmaschine saßen und die überhaupt bei uns im Haus waren und ein bisschen was machen konnten: nähen oder waschen oder kochen oder so was. Erna war immer ziemlich großzügig, wenn irgendjemand aus einem der Wohnwagen kam.

Hilbert: Ich weiß noch, dass dann, wenn der Zirkus gastierte, der Schützenplatz abgesperrt wurde – auch dieser Weg zwischen den beiden Buchenhecken von der Bundesstraße zu unserem Haus ...“

Dierk: Das war der schwarze Weg. Der wurde abgesperrt, wenn der Zirkus gastierte. Nur wir durften rein, weil wir da ja wohnten. Das war immer ein Privileg.

Berend: Wenn der Zirkus da war, haben wir natürlich von morgens bis abends alles mitbekommen: wie das Zelt aufgebaut wurde, wie die Menschen rumliefen, was sie außerhalb der Vorstellungen machten. Und mit dem einen oder anderen wurde auch mal geredet. Und ich habe, wie gesagt, ein paar Frauen vor Augen, die bei uns im Schützenhaus an der Nähmaschine saßen.

Hilbert: Ich hab noch dieses Kling-Klong der schweren Eisenhämmer  in Erinnerung, wenn die riesigen Stahlpfosten eingeschlagen wurden, mit denen die Masten im Boden verankert wurden. Das waren immer zwei Arbeiter, die abwechselnd auf den Stahlpfosten hauten und ihn in die Erde trieben. Für jeden der vier Masten drei oder vier, zusammen also 12 oder 16 Stück. Dann wurden die im Boden verankerten Masten mit langen Seilen hochgezogen und danach das Zelt drum herum. 

Dierk: Ja, die Anker waren praktisch wie die Heringe beim Zelten, bloß dass das solche Kaventsmänner waren.

Berend: Das waren natürlich nicht die allergrößten Zirkusse, die auf dem Schützenplatz gastierten. Aber sie hatten alle die Manege in der Mitte, von da ging‘s schräg hoch mit den Sitzreihen. Es gab diesen traditionellen Eingang und natürlich auch einen Zirkusdirektor. Oben neben oder über dem Eingang war die Kapelle. Die spielte also noch live. Und dann kam das übliche Programm mit Pferden und irgendwelchen dressierten Tieren, Akrobaten und Clowns.

Hilbert: In der Pause wurde dann der Gitterkäfig für die Löwen und sonst was hergerichtet.

Berend: Ach richtig, an die Raubtiernummer kann ich mich natürlich auch noch erinnern: mehrere Raubtiere im Käfig auf dem Schützenplatz. Die haben wir uns, wenn keine Vorstellung war, immer ganz ausführlich angeschaut.

Hilbert: Die hatten ja keine guten Bedingungen. Löwen, Tiger, Panter, die blieben immer in Ihren Anhängerwagen und hin und wieder bekamen sie einen Knochen mit Restfleisch. Der einzige Auslauf, den die hatten, war bei der Vorführung, wenn sie in die Manege kamen.

Hilbert: Ich hab in Erinnerung, dass einige Male Sinti und Roma auf dem Schützenhof Quartier machten. Wir nannten die damals noch Zigeuner. Ein anderes Wort kannten wir gar nicht.

Berend: Da kam auch mal Polizei vorbei und hat sie weggeschickt oder weggejagt, warum weiß ich nicht mehr.

Hilbert: Ich hab noch vor Augen, dass ein Jeep mit britischen Soldaten kam, die parkten dann auf dem Schützenplatz neben den Zigeuner-Wohnwagen. Hinten drin im Jeep lagen offen ein oder zwei Gewehre. Die Soldaten haben mit den Zigeunern verhandelt. Erna hat uns hinterher gesagt, dass die Zigeuner in der Gastwirtschaft beim Amtsgericht gewesen waren, Feuerwasser getrunken und nicht bezahlt haben! Ich hab dann überlegt: Was ist Feuerwasser? Das Wort kannte ich noch nicht.

Berend: Wir hatten nie engeren Kontakt zu den Sinti oder Roma, aber wir haben sie auch nicht weggebissen. Erna war ihnen wie allen anderen gegenüber immer liberal.

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Geschwisterstreit?

Berend: Was ich mir schon öfter überlegt habe: Haben wir 4 Jungs uns eigentlich häufig gestritten? Ich kann mich überhaupt nicht dran erinnern.

Dierk: Nee, ich erinnere mich auch nicht.

Hilbert: Also, ich erinnere mich genau, und da war ich vermutlich 7 oder 8 Jahre alt, dass Meinert und ich oben auf die circa 3 m hohe Rutschbahn am Rand des kleinen Beckens im Schwimmbad geklettert waren und uns da oben kräftig in die Haare bekamen – ich weiß nicht mehr, worüber, vielleicht über die Frage, wer als erster runter rutschen darf. Wir haben uns richtig geprügelt, bis einer von uns Nasenbluten hatte. Da haben wir gedacht: Jetzt ist‘s wohl genug. Dann ist einer von uns beiden runter gerutscht, der andere ist die Leiter runter geklettert und dann war der Streit erst mal erledigt.

Berend: Aber dass wir vier uns im Haus gestritten hätten, daran erinnere ich mich wirklich nicht. Komisch, nicht? Verdrängt man das bloß?

Hilbert: Vielleicht waren Meinert und ich auch streitlustiger, aber nicht Dir gegenüber. Erna hatte ja schon aus Lauenburg geschrieben, wir zwei seien sehr aktive Zwillinge, die viel anstellten.

Berend: Dann wart nur Ihr beiden die Unruhestifter?

Hilbert: Dazu passt eine Spezialität von uns Zwillingen, die Erna berichtet hat: Wenn wir beide auf den Topf gesetzt wurden, dann haben wir immer mal wieder versucht, uns gegenseitig den Topf umzukippen. An einen Streit mit Euch beiden älteren erinnere ich mich aber auch nicht.

Dierk: Ich auch nicht.

Hilbert: Du, Berend, warst ja der älteste und deutlich größer und stärker. Da war es klar, dass man es sich dreimal überlegte, bevor man Streit mit Dir suchte.

Berend: Noch etwas: Wir hatten immer diese Holzstecker, mit denen wir Türme, Kirchen oder Häuser gebaut haben. Das waren so ganz flache Dinger, die hatten immer 3 Zähne oder 5 oder so. Wir hatten eine Riesenkiste volldavon. Damit konnten wir endlos viel bauen. Deshalb ging das eigentlich immer ohne Streit ab.

 

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Schule

Hilbert: Wann bist du eingeschult worden, Berend?“

Berend: Ich meine, gleich '45. Und zwar noch im Mai. Ich hätte ja eigentlich schon in Lauenburg eingeschult werden müssen.

Dierk: Ich wohl auch gleich nach Einzug ins Schützenhaus.[43]

Hilbert: Du warst ja 2 Klassen über mir und wir Zwillinge sind '48 eingeschult worden. Die Altersabstände stimmen also.

Dierk: Ja, damals war Schuljahrsbeginn noch zu Ostern!

Berend: Ich erinnere mich noch gut an das alte Schulgebäude, die Brakenhoffschule am Marktplatz, direkt neben der Kirche. Die ist dann in den 80er oder 90er Jahren abgerissen worden. Die hieß auch noch nicht Brakenhoffschule, sondern einfach Volksschule. Mit meiner Lehrerin Frau Tie oder Tieje …

Hilbert: Die hieß Frau Thiede. Die humpelte so ein bisschen, kann das sein?

Berend: Die hatte einen Krückstock. Vielleicht Kinderlähmung oder irgendwas?

Hilbert: Sie galt als streng. Wenn sie in der Pause Aufsicht hatte, bin ich ihr aus dem Weg gegangen.

Berend: Ich hab das so nicht wahrgenommen. Ich bin sowieso immer relativ brav und unauffällig durch die Schule gelaufen und hatte wenig Probleme mit den Lehrern. Ich weiß nur, dass es Frau Thiede gab, aber ich hab sie weder positiv noch negativ in Erinnerung.

Hilbert: Schulleiter, war das Herr Stamer, der in der Schillerstraße wohnte? Oder war der nur einer der Lehrer? Gut erinnere ich mich noch an Herrn Fittje. Bei dem hatte ich in der vierten Klasse Heimatkunde. Der machte tollen Unterricht, auch viele Erkundungsgänge. Einmal hat er uns ins Moor geführt.

Berend: Irgendwann wurde doch Herr Finke Schulleiter?

Hilbert: Ja, aber Herr Finke wurde deutlich später Schulleiter. Den hat Dörte ja noch als ihren ersten Klassenlehrer gehabt, als sie 1959 eingeschult wurde. Das war der, der den denkwürdigen Spruch in Dörtes Zeugnis schrieb: „Die Veranstaltungen der Schule fanden nicht Dörtes ungeteiltes Interesse.“ (Und so eine wird dann 40 Jahre später Schulleiterin!)

Dierk: Vater Meyer war ja auch Lehrer an unserer Schule. Daran kann ich mich gut erinnern. Ich hatte auch bei ihm Unterricht. Es ging, wenn ich mich recht entsinne, um die Post. Vater hat dann an die Tafel ein Bild vom Postschalter gemalt. Primitiv, aber ich war ganz fasziniert, wie gut er das konnte. Hinter dem Schalter saß das Postfräulein und wir kamen dann nach vorn an den Schalter und mussten sagen, was wir wollten.

Hilbert: Dass Vater auch mal etwas gezeichnet hat, höre ich das erste Mal! Zeichnen war ja immer Mutters Sache. Ich erinnere mich auch an Berends Kommentare in seinem Zeugnis, ausgestellt vom eigenen Vater.

Berend: Ja, da fühlte ich mich manchmal ungerecht behandelt, weil Vater wohl gesteigerten Wert drauf legte, nicht den Eindruck zu erwecken, dass er mich bevorzugt.

Hilbert: Das war aber schon an der Oberschule?[44]

Berend: Ja, das muss in der 5. oder 6. Klasse gewesen sein. Da war er mein Klassenlehrer und er hat mir einmal eine nicht sehr kräftige, aber doch etwas deutlichere Ohrfeige verpasst, wegen irgendwas, ich weiß nicht mehr, was es war. Er wollte wohl zeigen, dass sein Sohn nach denselben Regeln wie alle anderen behandelt wird.

Hilbert: Dierk, weißt du noch, wer dein Klassenlehrer war?

Dierk: Das war Fräulein Keller. Die wohnte in dem, was heute Neue Pastorei genannt wird.

Hilbert: Meinert und ich wurden Ostern 1948 eingeschult. Ich hatte in der ersten bis zur dritten Klasse Frau Jodlauch. Sie hatte erhebliche Probleme, mit der großen Klasse klarzukommen. Wir dürften an die 40 Kinder gewesen sein. Ich erinnere mich noch genau an den allerersten Schultag zu Ostern 1948. Wir wurden reingeführt und bekamen einen Platz auf der Holzbank zugewiesen. Weitere Zeremonien gab es nicht. Eine Schultüte konnten wir uns auch nicht leisten. Da saß 3 oder 4 Bänke vor mir einer, der hieß auch Meyer, und der pinkelte sich in die Hose. Dann war alles nass und Frau Jodlauch hat ihn nach Hause geschickt. Er kam nicht wieder, erst ein Jahr später wurde er in die nächste erste Klasse eingeschult. Da habe ich gelernt, dass man in der Schule nicht in die Hose pinkeln darf (lacht) – das ist zu gefährlich.

Ich habe auch den Schulweg, den wir von Beginn an ohne Mutters Begleitung absolviert haben, genau in Erinnerung: durch den schwarzen Weg zur Bundesstraße 75. Gegenüber war Böhljes Baumschule. Dann über die Süderbäkenbrücke, danach die Eisenbahnschranke. Hin und wieder war sie unten, wenn wir kamen. Aber das war immer sehr spannend, die verschiedenen Dampfloks anzuschauen. Dann weiter die Wilhelm-Geiler-Straße. Links war Oetkens Gasthof. Weiter die Peterstraße hoch. Kurz vor dem Markplatz war rechts die Apotheke. Dann an der Petri-Kirche, die damals schlicht Kirche hieß, vorbei rechts ab zur Schule, die damals auch nur schlicht Volksschule und nicht Brakenhoffschule hieß. Hin und wieder mussten wir im Winter einen Torfsoden mitbringen, damit der Hausmeister den großen Ofen im Klassenzimmer heizen konnte.

Ich bekam einen Schulranzen aus Leder samt Schiefertafel und hölzernem Griffelkasten; dazu eine Blechdose mit Drahthenkel, in die in der großen Pause die sogenannte Schulspeisung (Buttermilchsuppe, Rosinenbrei, Milchreis oder Haferschleim)[45] gefüllt wurde. 50 Jahre später sah ich genau solch einen Ranzen auf dem Flohmarkt. Ich habe ihn sofort gekauft.

Beim Schreiben Lernen habe ich gelitten, weil ich als Linkshänder mit rechts schreiben musste. Kein Mensch in der Schule hat jemals mit mir darüber gesprochen. Auch Frau Jodlauch hat das ganz offensichtlich nicht einmal gemerkt, wenn sie vorn mit der Hand ihre großen Schwungübungen für die Buchstaben machte, die wir dann nachmachen mussten. Ich hatte – zwangsweise rechts schreibend – sehr lange eine sehr schlechte Handschrift. Erst kurz nach dem Pubertätsalter habe ich mir bewusst vorgenommen, akkurates Schreiben zu lernen. Meinerts Schrift war immer deutlich besser.

Berend: War Meinert auch Linkshänder?

Hilbert: Nee, der war Rechtshänder. Ich weiß inzwischen, dass das bei eineiigen Zwillingen eigentlich immer so ist. Wenn da ein Linkshänder auftaucht, dann ist fast immer der andere Rechtshänder.

Berend: Und im August 1950, kurz vor dem Auszug aus dem Schützenhaus in die Schillerstraße, ist dann unsere Schwester Detje geboren worden.

 

Hilbert: Ich erinnere mich noch, dass Tante Anni mich ausgelacht hat, weil ich bis zur Geburt gar nicht registriert hatte, dass Mutter Erna einen immer dickeren Bauch bekommen hatte.

So, ich denke, wir haben jetzt die wichtigsten Punkte aus der Flucht und den ersten 5 Jahren in Westerstede besprochen. Irgendwann sind dann die nächsten 10 Jahre dran.

TEIL 3: ANHANG

In diesem ANHANG werden einige wenige Dokumente aus dem von Meinert angelegten Meyer-Archiv abgedruckt. Die Originale befinden sich alle in der „Marinekiste“ in Meinerts Arbeitszimmer oder in einem der 30 Leitzordner zur Familiengeschichte in Münster. Deshalb geht es abgesehen von Dokument Null im Wesentlichen um Dokumente zu Vater Meyers Marinezeit, zur Kriegsgefangenschaft und zur Wiedereingliederung in den Beruf. Von Erna gibt es aus dieser Zeit nur ganz wenige Dokumente.

Friedel Meyer wurde nach der Besetzung Wilhelmshavens durch britische und polnische Truppen am 27. Mai 1945 als Marineoffizier verhaftet und in das ehemalige Konzentrationslager Esterwegen gebracht und am 26. Februar 1946 wieder entlassen. Im Internierungslager Esterwegen (Internment Camp Nr. 101) wurde geprüft, ob Friedel „Dreck am Stecken“ hatte. Das dauerte, weil er schon zum 1. Mai 33 in die NSDAP eingetreten war und auch diverse weitere parteinahe Aufgaben übernommen hatte und dann auch noch im September 1944 beim Standortkommandanten Wulchow in Wilhelmshaven zum NS-Führungsoffizier ernannt worden war.

Die genauen Daten der Gefangennahme, der Entlassung und der Entnazifizierung:

-        27.05.1945 Befehl zur Vernehmung; Verhaftung in Wilhelmshaven und Internierung im Civil Internment Camp No. 101 in Esterwegen

-        25.02.1946 Entlassung aus Esterwegen, Stufe IV

-        07.04.1946 Gesuch um Wiederverwendung im Schuldienst

-        24.10.1947 (Entnazifizierungs-)Einreihungsbescheid Stufe IV

-        03.11.1948 Entnazifizierung Stufe V (nach Einspruch gegen Stufe IV)

Dokument 0: Urkunde zum „Mutterkreuz“ für Erna Meyer, verliehen im Mai 1943 mit gestempelter Hitler-Unterschrift.

Dokument 1: Protokoll eines Telegrafieschreibens von Tante Inge aus Delmenhorst mit der Marine-Fernsprechabteilung auf dem Rosenhügel in Wilhelmshaven: Information über die Ankunft der Flüchtlingsfamilie

Vermutlich am 10. oder 11. Februar 1945 versuchte Inge, Ernas jüngste Schwester und Hilberts Patentante, mit dem „Rosenhügel“, dem Sitz des Wilhelmshavener Standortkommandanten, zu telefonieren. Da war Vater Meyer Adjutant des Standortkommandanten.

Telefonieren war für Inge nicht möglich, aber es gab ein längeres Telegrafieren. Die wichtigste Mitteilung ist oben schon zitiert: Erna ist mit den 4 Kindern in Delmenhorst angekommen. Der Schwiegervater, unser Opa, ist, völlig entkräftet, in Bremen im Notlazarett geblieben, Oma wohl auch. Einen oder zwei Tage später, am 12.2. 45, wird Georg sterben.

Das Original des Telegrafietextes ist vermutlich bei dem im Dokument genannten Focke Achgelis aus Delmenhorst entstanden (weil er ein Telegrafiergerät hatte) und dann von Inge mitgenommen worden. (Wer das war, wissen wir nicht.) Das Dokument stammt aus Meinerts Marinekiste. Weil es sehr blass ist, ist’s hier von Hilbert neu abgetippt, aber orthographische Fehler sind belassen:

hallo ist jemand am fs? + Ja hier jemand am fs + ist dort kmarine w’haven? + ja hier ist kriegsmarine w’haven + n

wuerden sie mir wohl einen großen gefallen tun? + ja wer ist denn der mann? musz dich nn sich doch einmal vorstellen damit man weisz mit wem man es ueberhaupt zu tun hat + focke achgelis delmenhorst + und a was t steht zu ihren diensten?

kennen sie herrn oberlt meyer app 40806? + nein hat sich bei mir noch nicht vorgestellt + koennten sie ihm dann vielleicht etwas ausrichten. es ist sehr eilig. und ich kann tel jetzt nicht durchkommen. + ja das kann ich mal für sie tun obwoh ich immer noch nicht weisz wer dort ist + müssen sie das wissen? ich weisz ja auch nicht m wer dort ist. sind sie sprachlos? + ihr namengeber geht auch nicht. könnten sie oberlt meyer vielleicht an den fs holen oder ist das nicht erlaubt? + nein das geht nicht der zutritt ist verboten +

aber ich kann es ihnen jetzt durchgeben und sie werden es bitte ausrichten? tel 40806 ja  kk sie schon mit dem was ich ihm durchgeben soll +

erna ist gestern abend mit den kindern in delmenhorst gut angekommen. eltern musseten in bremen bleiben, weil es vater sehr schlecht geht. erna faehrt heute wieder nach bremen und versucht, sie heute hierher zu bringen.

……………inge, fs nr o24 849 ++

so das ist alles, v recht vielen dank im voraus + ja bleiben sie mal am app mal sehen ob ich ihnen was ausrichten kann + ja gern also ob Lt laeszt schon danken  er haette alles vorgereitet und ist alles in ordnung er ruft morgen an + dks.7

Dokument 2: Eher kurios: Aus Friedels Spind bei der Marine in Wilhelmshaven sind im Juni 45 zwei Fleischdosen gestohlen worden

Friedel ist in Kriegsgefangenschaft, aber immer noch Oberleutnant. Deshalb hat er in Wilhelmshaven auf dem Rosenhügel auch immer noch einen Spind. Daraus hat jemand etwas geklaut. Und dann funktioniert – einen Monat nach der bedingungslosen Kapitulation – deutsche Verwaltungs-Gründlichkeit auch beim Militär so, wie dies seit jeher in Preußen üblich ist. Vaters Nachfolger als Adjutant auf der Standortkommandatur WHV schreibt im Juni 45, einen Monat nach der Kapitulation:

Dokument 3: Bescheinigung über die Dauer des Militärdienstes (bis zum 5. November 45), ausgestellt im März 1946 durch die immer noch existierende Kriegsmarine

Bis zum 5. November 1945 war Friedel ganz offiziell noch Oberleutnant der Kriegsmarine. Erst dann wurde er entlassen. Das ist kurios, weil Deutschland ja schon im Mai 45 kapituliert hatte und weil Heer und Luftwaffe sofort aufgelöst worden waren. Der Grund für die Verzögerung: Die Britische Militärregierung brauchte eine noch halbwegs intakte Verwaltungsstruktur. Die Stadt- und Gemeindeverwaltungen wurden als stark Nazi-belastet eingestuft (zu Recht!). Die Kriegsmarine erschien vertrauenswürdiger. Deshalb blieb sie bis März 46 im Amte. Die am 4.3. 46 ausgestellte Bescheinigung datiert die Entlassung auf den 5.11. 1945 – also genau der Tag, an dem Friedel Geburtstag hatte.

Dokument 4: Postkarte Friedel Meyer an Erna aus dem Gefangenenlager Esterwegen vom 31.12. 1945

Grundlage für diesen Brief, in dem nur mitgeteilt werden durfte, dass man noch lebt, war wohl die sogenannte Haager Landkriegsordnung.

… und die Rückseite:

Dokument 5: Brief Erna an Friedel in das Kriegsgefangenenlager Esterwegen vom 22. Januar 1946

Der Originalbrief ist ganz offensichtlich von Friedel nach seiner Entlassung im Februar 46 mit nach Westerstede gebracht worden. Aus dem Inhalt des Briefes wird nebenher deutlich, dass Vater die neue Wohnung im Schützenhaus noch nicht kannte. Da seine Festnahme am 27. Mai 45 war, kann man folgern, dass das Schützenhaus im Juni oder Juli 45 von uns bezogen worden ist. Zuerst der Umschlag – die Briefmarke ist abgefallen.

Friedel war länger als von Erna und ihm selbst erhofft in Kriegsgefangenschaft. Erna sagte uns später: „Er war dort länger, weil nach einem Marine-Oberleutnant mit Namen Meyer gesucht wurde, der Dreck am Stecken hatte.“ Aber ich (HM) vermute, dass es eher an Friedels frühem Eintritt in die NSDAP und an seiner ungewollten Ernennung zum NS-Führungsoffizier beim Standortkommandanten WHV im September 1944 lag. Der Brief befindet sich in Meinerts Archiv, ist aber sehr blass. Hier die von Meinert hergestellte und von mir neu abgetippte Fassung:

 

Westerstede, 22.1.46

Mein lieber Friedel!

Ich will es mal wieder versuchen mit einem Brief an Dich. Wie wird es Dir gehen? Ich hoffe, immer gut. Ich freue mich immer, wenn ich wieder Günstiges höre. Heute hatte ich Besuch aus Hollwege. Vor einiger Zeit war ich in Nord-Moslesfehn und hab mir viel erzählen lassen. Die Entlassung ging gut und glatt vor sich. Große Freude überall, dass sie zu Haus sind. (…)

Uns geht es allen gut. Die Kinder sind gesund und frisch. Sie genießen das Eis auf der Badeanstalt. Sie haben einen eigenen Schlitten und sind den ganzen Tag draußen. Besonders die Zwillinge sind nicht klein zu bekommen. Werden jetzt so richtige Jungens. Heute sind sie mit Begeisterung von der Rutschbahn gerutscht und auf dem Eis gelandet. Ich war nicht so begeistert wegen der zerissenen Hosen. Die Großen gehen fleißig in die Schule. Berend hat den Klassenstand erreicht. Fräulein Thiede ist seine Lehrerin im Augenblick. Vorher Frau Grundmann. Ist jetzt aber krank. Dierk geht in die Klasse einer Lehrerin aus dem Osten. Ihm fällt das A-B-C auch nicht schwer.

Über Weihnachten und Neujahr war Mutter hier. Ihr geht es soweit gut. Sie freut sich immer, wenn sie mal zu den Kindern kann. Die Bahnverbindung nach W’haven ist ja gut. Da kann sie mal kommen. Wenn nur die Kälte nicht wäre. Davor fürchten sich die Omas ja sehr. Und kalt haben wir es wohl. Wir haben seit 14 Tagen einen Herd – von Buchholz aus W‘haven. Da bekommen wir die Küche so warm, dass wir drin sitzen können. Kostet ja sehr viel Holz. Aber der Busch steht vor der Tür. Die Stube wird nicht warm jetzt. Und die Kammer auch nicht. Wir kriechen alle zusammen und schlafen gut und mollig. Wir wohnen hier sehr „idyllisch“. Es ist alles nett innen und außen. Nur primitiv in manchen Dingen. Wasser muss geholt werden und ähnliche Kleinigkeiten. Aber ich hab mein Reich allein, und wir fühlen uns alle sehr wohl. Möbel sind von allen Seiten geliehen oder geschenkt. Als wir einzogen, war noch keine Möglichkeit, Mutters Möbel herzubekommen. Jetzt ist kein Platz dafür bei uns. Sie stehen noch bei Rüdebusch. Wir warten auf Deine Bestimmung. So lange werden sie dort gut stehen.

In Delmenhorst sind noch alle zu Haus. Leider klappt es mit Ursel[46] und Gustl gar nicht. Man sah es ja voraus. Tun mir alle leid. Soll von allen grüßen. Auch von Brunkens. Willi kam sehr bald wieder nach haus. Er ist entlassen. Wohnen aber noch in der Schule. Willi lag über Weihnachten im Krankenhaus. War vom Auto angefahren worden. Ist nun wieder gesund. Hermann ist seit kurzer Zeit in der Sonnenheilstätte Stenum. T.B. Der arme Kerl tut uns leid. Er muss wohl eineinhalb bis 2 Jahre dort bleiben, um ganz ausgeheilt zu werden.

Auch von Grotelüschens[47] herzliche Grüße. Er ist Nebenlehrer in Etzhorn. Frau Grotelüschen gibt Lateinstunden, damit sie die Wohnung halten können. Ich selbst unternehme noch nichts dergleichen. Ich kann noch einige Zeit mit meinem Geld auskommen. Seit Mai kommt natürlich nichts dazu.[48] Mutter bekommt Pension, von der sie gut leben kann.

Von Frau Bertha Ramsauer[49] soll ich auch grüßen. Sie bittet darum, dass einer unserer ersten Besuche nach Deiner Entlassung ihr gilt.

Von Preetz[50] kommen gute Nachrichten. Von Hans war wider Post.  Er war im Lazarett. Lebt jetzt wieder Diät. Dabei geht es ihm gut. Von Georg-Heinz noch keine Nachricht. Wann wohl?[51]

Nun für heute genug. Wir denken immer an Dich. Und Du weißt wohl, dass ich mich nicht leicht unterkriegen lasse. Und einmal ist auch diese Trennungszeit vorbei und wir fangen gemeinsam von vorne an.

Sei vielmals gegrüßt und geküsst von den Jungens,

Deine Erna

Ein beeindruckender Brief! So war Erna! Dabei war sie sicherlich schon während der Nazi-Zeit deutlich distanzierter gegenüber dem NS-Regime als Vater. Aber sie macht ihm keinerlei Vorwürfe, sondern packt an.

Dokument 6: „Persil-Schein“ für Friedel Meyer von Kreispfarrer Chemnitz aus Westerstede

Das Urteil von Pastor Chemnitz hatte bei der Entnazifizierungsbehörde sicherlich Gewicht, weil er über die ganze Nazi-Zeit einer der führenden Köpfe der Bekennenden Kirche gewesen war.

 

Dokument 7: Endgültige Entnazifizierungsbescheinigung Friedrich Meyer, Stufe V

Auf der Rückseite die Begründung. Zunächst war Friedel mit Stufe IV entnazifiziert worden: Das hieß: gering belastet. Aber erst diese Stufe V machte es für Friedel möglich, sich wieder für den Eintritt in den Schuldienst zu bewerben. Dann machte er allerdings – trotz seiner Nazi-Belastung – sehr schnell Karriere im Oldenburger Schuldienst.

 

Dokument 8: Berufliche Wiedereingliederung: erneut Lehrer in Gießelhorst (Juni 1947)

Am 7.4.1946 hat sich Friedel um die Wiedereinstellung beworben. Am 24.6. 46 hat er den Ammerländer Schulrat darum gebeten, Privatunterricht erteilen zu dürfen. Erst im Sommer 1947 ist er mit der Verwaltung die Lehrerstelle in Gießelhorst beauftragt worden. Da lief sein Entnazifizierungsverfahren noch. Deshalb wohl nur die „Verwaltung“ der Stelle.

Das Dokument ist von Oberschulrat Stukenberg unterzeichnet. Der war von den Nazis aus seinem Amt in der Oldenburger Schulbehörde entlassen und nach der Befreiung von der Britischen Militäradministration wieder eingesetzt worden. Vater kannte Stukenberg gut. Er hatte ihm 1933 zugeraten, ein Promotionsstudium anzutreten. Stukenberg wohnte übrigens in der Kastanienallee in Oldenburg auf der uns gegenüber liegenden Straßenseite.

Dokument 9: Angebot einer Schulratsstelle in Delmenhorst (Juli 1949)

Daraus ist nichts geworden. Es war für Friedel viel interessanter, in der Stadt Oldenburg oder im Ammerland Schulrat zu werden. Die Oldenburger Schulratsstelle erhielt er aber nicht, wohl, weil das Kultusministerium in Hannover dem Antrag der Oldenburger Bezirksregierung nicht gefolgt ist.

 

Dokument 10: Ernennung zum Schulrat im Ammerland zum 1. Januar 1950

 

Dokument 11: Friedrich Meyers Biografie aus einem Nachkriegsbuch

Alexander Hesse hat 1995 im Deutschen Studien Verlag Weinheim eine 828 Seiten lange Fleißarbeit „Die Professoren und Dozenten der preußischen Pädagogischen Akademien (1926-1933) und Hochschulen für Lehrerbildung (1933-1941)“ veröffentlicht:

Hesse schreibt: Die Annahme, dass die „klassischen“ Pädagogen, die 1933 von den Nazis verdrängt wurden, nach 1945 wieder rehabilitiert wurden und Professuren übernommen haben, während „Hitlers Pädagogen“ wohlverdient in der Versenkung verschwanden, trifft nicht zu: Die Kontinuität des pädagogischen Lehrpersonals ist in Westdeutschland groß. (Das belegt Vater Meyers Laufbahn nach 45.)

Darin auf den Seiten 509-10 die Biografie zu Friedel Meyer:

 


[1]     Von Tale Meyer stammen die digital verfügbaren Texte „Biografische Notizen zu meinem Großvater Friedrich Meyer: Militärische Laufbahn“ und „Biografische Notizen zu meinem Großvater Friedrich Meyer: Parteiämter und Nationalsozialistischer Führungsoffizier“. (Dazu wurde Friedel Meyer im September 1944 ernannt. Genauere Unterlagen zu den Umständen gibt es nicht. In einem befürwortenden Schreiben von Friedels militärischem Vorgesetzten wurde als Begründung nur angegeben, er habe „pädagogisches Geschick“.)

[2]     Vater Meyer hatte auf dem Melmenkamp eine mittelgroße Holzkiste stehen, die nun im Besitz der Meyer-Münster-Familie ist. Meinerts Sohn Claas hat erklärt, dass er die Betreuung der Familie-Meyer-Geschichte übernehmen will, sobald er ein wenig Zeit dafür gefunden hat – also vermutlich erst nach der Pensionierung. In der Kiste waren viele wichtige Dokumente, darunter u.a. Hunderte von Briefen und Postkarten, die Opa Georg kurz vor und nach der Jahrhundertwende 1900 an seine Verlobte Wilhelmine aus Japan und China geschickt hatte. Auch die im ANHANG abgebildeten Dokumente aus der Nachkriegszeit waren darin.

[3]     Die Hochschule sollte als „Grenzlandhochschule“ einen durch die Nazi-Ideologie bestimmten Auftrag zur Eindeutschung der Ostgebiete übernehmen. Da sich das erste Kollegium der Hochschule völlig zerstritten hatte, fand ein erheblicher Personalaustausch statt, in dem auch Dozenten, die – wie Vater Meyer – nicht bereit waren, aus der Kirche auszutreten, eine Chance erhielten. Vaters Ernennungsurkunde befindet sich in Hilberts Bildermappe im Keller. Die Urkunde ist von Göring original unterschrieben, weil er Ministerpräsident von Preußen war, und zusätzlich mit Hitlers Namenszug versehen, der aber ziemlich sicher gestempelt ist.

[4]     Das war politisch ein 1933 deutlich rechtslastiger, später etwas distanzierterer Philosoph und Anthropologe. Seine Nazi-Vergangenheit hat den weltbekannten Philosophen Jürgen Habermas nicht daran gehindert, sich von ihm promovieren zu lassen.

[5]     Die Straße gibt es bis heute unverändert; wir haben das Reihenhaus Büchnerstraße besucht und angeschaut, trauten uns aber nicht, unter der Nummer 14a zu klingeln.

[6]     Schöner Zufall: Opa Georgs Ur-Ur-Enkel Theo Kasper hat ebenfalls am 1.10. Geburtstag!

[7]     Die Taufpredigt von Georg Heinz ist erhalten und in Meinerts Dateien gescannt.

[8]     Ich (HM) habe im Internet keine Daten gefunden, an welchem Tag die Rote Armee Lauenburg besetzt hat.

[9]     In dem in Westerstede gedruckten Buch Drei Frauen im 20. Jahrhundert über Kulturpreisträgerinnen  der Stadt Westerstede gibt es ein Kapitel über Erna Meyer: Rolf Hornig (1998): Drei Frauen im 20. Jahrhundert. Westerstede (Rolf Dieter Plois Druckerei, Seite 109-156). Hilbert hat noch drei Exemplare dieses in den von Erna verantworteten Passagen sehr schönen, in den von Hornig verantworteten Passagen leicht verschwurbelt geschriebenen Buchs für interessierte Enkelkinder, Nichten oder Neffen aufbewahrt.)

[10]     Die genaue Bahnstreckenführung wissen wir nicht. Bei den chaotischen Verhältnissen in den letzten Kriegswochen kann es kreuz und quer gegangen sein.

[11]     Das Reihenhaus liegt in der Innenstadt kurz hinter dem Marktplatz, zwei Steinwürfe weit entfernt von dem Haus, das Christas Neffe und Patenkind Lars Konukiewitz gerade in der Moltkestraße gekauft hat.

[12]     Der Rosenhügel war die als Bauernhof getarnte Kommandozentrale der Reichsmarine in Wilhelmshaven. Das Gebäude existiert bis heute. Meinert und Hilbert haben das Gelände zusammen mit dem für die Geschichte zuständigen Amtsdirektor der Stadt Wilhelmshaven 2015 besucht.

[13]     Ausführliche Schilderungen der Aufnahme in Tante Annis Wohnung in Ernas Hornig-Bericht.

[14]     Zum genauen Einzugstermin haben wir nichts gefunden.

[15]     1951 zogen wir in eine etwas größere Wohnung in der Schillerstraße 1 in Westerstede- das erste Mal seit 7 Jahren wieder eine Wohnung mit Badezimmer. Im Jahr 1954 wurde dann das Haus am Melmenkamp 21 gebaut.

[16]     Berend konnte nicht mitfahren, weil er sich um seine schwer erkrankte Frau Hanna kümmern musste.

[17]     Aufgenommen am 15.12. 2020 in Oldenburg in der Kastanienallee 40, transkribiert von Gesas Mitarbeiterin am Bremer Landesgericht, redigiert von Hilbert Februar 2022.

[18]     Ich (HM) habe mal einen Neurologen gefragt, ob es denkbar ist, so frühe Erinnerungen verlässlich zu speichern. Seine Antwort: Ja! Ungefähr mit 3 Jahren  ist das Gehirn so weit entwickelt.

[19]     Vater Friedel Meyer war in Lauenburg im Segelflieger-Klub der Hochschule für Lehrerbildung aktiv.

[20]     Wikipedia klärt auf: Die Versuchsanstalten Peenemünde waren von 1936 bis 1945 das größte militärische Forschungszentrum Europas.

[21]     Im Hornig-Bericht von Erna steht, dass die Soldaten unwirsch über die große Flüchtlingsgruppe waren, weil schon mehrere weitere Flüchtlinge auf dem Lastwagen waren.

[22]     Abkürzung für Nationalpolitische Erziehungsanstalt

[23]     Das wird von Erna im Hornig-Text auf S. 128 bestätigt. Erna erzählte uns viele Jahre nach dem Krieg, dass der Schwager Georg-Heinz schon 1942 ihr bei einem Fronturlaub in Lauenburg (vermutlich die Taufe April 1942), ohne Detailangaben zu machen, gesagt hatte: „Im Osten passieren schlimme Dinge.“

[24]     Leba liegt 20 km nördlich von Lauenburg an der Ostsee. Als kleine Kinder waren wir dort mit Mutter Erna, manchmal auch mit Vater zum Baden. 2013 sind Meinert und Hilbert dann aus reinen Nostalgiegründen, allerdings zu Ostern, kurz in die Wellen gesprungen. Es war saukalt.

[25]     In Hornigs Buch berichtet Erna ebenfalls darüber: Die ersten ostpreußischen Flüchtlinge, die vor der schon sehr nahen Sowjetarmee flüchteten, wurden in den Schulen einquartiert.

[26]     So hieß bei uns Ernas Mutter Hubertine Einemann – zur Unterscheidung von Friedels Mutter Wilhelmine.

[27]     Sicherlich haben beide recht! Es gab ja mit Sicherheit keinen durchgehenden Zug bis Bremen.

[28]     Die große Hilfsbereitschaft fremder Menschen während der Flucht, z.B. in Bansin, wird in Ernas Hornig-Bericht ausführlich beschrieben.

[29]     Diese Genehmigung befindet sich in Meinerts Archiv.

[30]    Ernas jüngere Schwester aus der ersten Ehe von Oma Hubertine, verheiratete, dann verwitwete Günther.

[31]  Anmerkung Renke Brunken (2022): „Das ist heute die Paul-Maar-Schule“.

[32]   Anmerkung Renke: „Ihr habt die drei Zimmer im Obergeschoss bewohnt.“

[33]     Renke präzisiert: „1948 durfte unser Vater wieder als Lehrer tätig sein – zunächst an der Brüderstraße in Oldenburg, wir wohnten aber weiterhin in Drielakermoor. 1951 wurde er dann Hauptlehrer an der Schule Tweelbäke A (heute Pädagogisch-therapeutisches Zentrum Borchersweg). Dort bezogen wir die Lehrerwohnung, in der Ihr Zwillinge uns besucht habt; auch noch mit Plumpsklo. Das erste Haus mit WC hatten unsere Eltern erst 1960 am Ostweg in Oldenburg.

[34]     Renke Brunken: „Ich habe dunkel in Erinnerung, dass unser Vater vorübergehend an einer Schule in Delmenhorst tätig war – belegen kann ich das nicht.“

[35]     ein kleines Dorf, 3 km nördlich von Westerstede

[36]     So steht das auch in der Entnazifizierungsbescheinigung im ANHANG.

[37]     Nach der Ernte ließen die Landwirte in der Nachkriegszeit Menschen (oftmals die Flüchtlinge) auf ihre Getreideäcker, die dann alles aufsammelten, was von den Erntemaschinen nicht erfasst worden war.

[38]     Erna schreibt im Jahr 1992, dass wir bis 1951 dort waren.

[39]     Im Dokument 5 im ANHANG beschreibt Erna, wie sie zu diesem Herd gekommen ist – ein Geschenk von Frau Buchholz, Witwe des Marine-Kollegen von Opa Georg.

[40]      Meinert hat ja für Ernas 80. Geburtstag am 7.7.1992 für die Geburtstagsfeierei in der Krömerei ein 15 Seiten langes Skript mit Ernas Lebenserinnerungen hergestellt. Darin berichtet Erna: „Vater kam im März 46 zu uns. Er arbeitete erst bei Bauern in Gießelhorst (vor allem Torfstechen) und ich ging zum Kartoffelbuddeln. Herrlich! Über Onkel Georg Schmidt bekamen wir auch die Möglichkeit, bei Strenge in Ocholt im Torf zu helfen. Dafür bekamen wir einen halben Fuder Torf. Vater bekam dann die Vertretung des Lehrers in Gießelhorst, bis der Stelleninhaber nach Hause kam. Dann kam er an die Oberschule in Westerstede und hat dort zwei Jahre gearbeitet. Danach wurde er Schulrat.“ (Anmerkung Hilbert: Vaters Entlassung aus Kriegsgefangenschaft war im Februar, nicht im März 1946.)

[41]     Der Brief ist das Dokument 5 im ANHANG.

[42]     Erna schreibt im Hornig-Bericht, dass Torfstechen Friedels erste Arbeit nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft war.

[43]     Im Dokument 5 schreibt Erna am 27.1.46, dass Berend und Dierk beide zur Schule gehen und gut lernen.

[44]     Erst im Jahr 1959 oder 60 wurde die Oberschule Westerstede in Gymnasium umbenannt.

[45]     Eine 1947 gestartete Maßnahme der amerikanischen und britischen Behörden zur Linderung der katastrophalen Ernährungslage vieler Kinder und Jugendlicher in der Nachkriegszeit.

[46]     Gemeint ist Ernas jüngere Schwester, Mutter unseres Vetters Wolfgang.

[47]     Gemeint sind Willi und Renate Grotelüschen, Freunde der Familie. Willi wurde der Geographiedidaktiker der PH Oldenburg. Prelle war ein über das Oldenburger Land hinaus bekannter Reformpädagoge.

[48]     Warum kein Geld hinzukommt, lässt sich heute nicht genau klären. Ich vermute, dass Vater Meyer wegen des noch schwebenden Entnazifizierungsverfahrens und wegen des Endes der Dozententätigkeit in Lauenburg überhaupt kein Geld mehr bekam.

[49]     Bertha Ramsauer (1884-1947) war ebenfalls eine im Oldenburger Raum sehr bekannte Reformpädagogin und Gründerin der Heimvolkshochschule Husbäke, an der Erna „Schülerin“ gewesen war. Bertha ist die Schwester von Lenchen Ramsauer, bis circa 1980 Professorin für Religionspädagogik an der PH Oldenburg. Der Onkel der beiden war der berühmte Marburger Theologe Rudolf Bultmann, der sich für die Entmythologisierung des Neuen Testaments stark gemacht hatte. Der Ur- oder Ururgroßvater der beiden, Johannes Ramsauer, war ein von Pestalozzi in der Schweiz ausgebildeter Lehrer, der dann vom Großherzog von Oldenburg als Erzieher seiner Töchter angestellt wurde. Vater Meyer war lange Zeit Vorsitzender der Bertha-Ramsauer-Stiftung; später war auch Berend mit im Vorstand. Alles über Bertha kann man nachlesen in: Dora Hornbüssel (1961): Bertha Ramsauer. Anwalt der Seele. Oldenburg: Selbstverlag der Volkshochschulheim-stiftung.

[50]     Gemeint ist die Stadt Preetz in Schleswig-Holstein. Dort wohnte Friedel Meyers jüngerer Bruder Hans.

[51]     Gemeint ist Vaters zweiter und jüngster Bruder (der die Zwillinge getauft hat – s.o.). Er ist an der Ostfront in der Nähe von Minsk beim Rückzug deutscher Truppen gefallen. Die Kämpfe waren so heftig, dass die Gefallenen nicht mehr beerdigt werden konnten. Oma Wilhelmine hat sich noch Jahre lang an die Vorstellung geklammert, er sei ja vielleicht in Kriegsgefangenschaft geraten und könne wiederkehren.

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