Mit dem Forschungsvorhaben ‘Colonial Germany and the Hidden Cultural History of Germany in Ethnographic Collections’ werden erstmals geschichtliche koloniale Sammlungen aus Europa und den Vereinigten Staaten Amerikas durch einen besonderen methodischen Ansatz in der Provenienzforschung zusammengebracht. Auf der Grundlage kolonialer Sammlungen aus über 20 Museen wurde eine Datenbank mit annähernd 90.000 Objekten aufgebaut, die allein mehr als 1.000 Sammler und Spender vereinigt. In erster Linie werden in der Datenbank Objekte aufgenommen, die von deutschen Sammlern zwischen 1884 und 1919 zusammengetragen. Durch das Zusammenführen der kolonialen Sammlungen aus Europa und den Vereinigten Staaten ermöglicht das Projekt einen wichtigen Einblick in Sammlungspraktiken und Mustern, die in den deutschen Kolonien stattgefunden haben.
Der Aufbau einer solchen Datenbank ermöglicht die Anwendung eines neuen methodischen Ansatzes in der Provenienzforschung und erlaubt es, nicht nur Fragen bezüglich den einzelnen Objekten und der Sammlung zu stellen, sondern auch insbesondere zu den Sammlern. Beispielsweise kann aus der Datenbank die Sammlung eines Sammlers in historischen Plänen der Region genau verortet werden sowie weitere Details zu den Objektgegenständen erfasst werden. Wenn solche Pläne mit historischen Quellen kombiniert werden, können so genaue Einblicke zu den Sammlern gewonnen werden. So wurde in der vorangegangenen Kartierung und Untersuchung, die am Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg (2013-2015) ausgeführt wurde, eine starke Wechselbeziehung zwischen dem gesammelten Objekttyp, der militärischen Bewegung in dem Gebiet sowie den Konflikten mit der einheimischen Bevölkerung deutlich. In diesem Fall beschafften die Sammler, die dem Militär angehörten, mehr Waffen in Zeiten des Konfliktes mit der heimischen Bevölkerung und der Schutztruppe insbesondere in Deutsch-Ostafrika. Diese Analyse lässt sich in einem größeren Rahmen übertragen und anwenden, um bestimmte Sammlungsmuster an anderen Museen und zu weiteren Sammlern zu erforschen und der Frage nachzugehen, was dies für die Repräsentation der Kolonien in Deutschland bedeutet.
Provenienzforschern wird mit einem besseren Verständnis von deutschen Sammlungspraktiken und Mustern aus den Kolonien zugleich eine neue Herangehensweise an ihre Sammlungen ermöglicht. Eine gemeinsame Sammlungspraktik in Regionen oder für bestimmte Tätigkeiten erlaubt es, Untersuchungen beispielsweise auf Sammler zu fokussieren, die anderenfalls, da sie oft als unbedeutend bewertet wurden, übersehen werden. Wenn beispielsweise in einer Region nur wenige Sammler Waffen zusammentrugen, kann dies als „normal“ eingeordnet werden. Falls jedoch von einem weiteren Sammler in der gleichen Region sehr viele Waffen beschafft wurden, kann dies einen Hinweis darauf geben, dass hier unethische Sammlungspraktiken bspw. durch eine in der Geschichte versteckte Strafexpedition angewandt wurden. Dies kann u.a. dazu hilfreich sein unethisch beschaffte Objekte, die sich in den Museumssammlungen verbergen, aufzuspüren. Bisher konnte eine entsprechende Analyse nicht durchgeführt werden, da die Sammlungen der einzelnen Sammler oder von ganzen Expeditionen auf die einzelnen Museum aufgeteilt wurden und unter diesen Objekte in den letzten 100 Jahren ausgetauscht wurden. Gleichzeitig ist dafür eine vereinheitlichte Datenbank mit kolonialen Objekten notwendig, um entsprechende statistische Analysen durchzuführen.