ProDid: Didaktische Rekonstruktion
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Promotionsprogramm - Pressemitteilungen und Referenzen
Promotionsprogramm "Fachdidaktische Lehr- und Lernforschung - Didaktische Rekonstruktion"
In dem vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen geförderten Promotionsprogramm wird mit dem Modell der Didaktischen Rekonstruktion ein Forschungsparadigma verfolgt, mit dem die Lernerstruktur vor die Sachstruktur platziert wird. Auf dieser Grundlage werden Bedingungen für einen lernförderlichen Unterricht erforscht und bislang nebeneinander stehende oder konkurrierende Richtungen fachdidaktischer Forschung zu einer umfassenden fachdidaktischen Unterrichtsforschung zusammengeführt, die in dieser Art ein Novum darstellt. Gleichzeitig wird mit diesem Modell die fächerübergreifende fachdidaktische Forschung als Forschungsschwerpunkt an der Universität Oldenburg etabliert. Die enge inhaltliche und organisatorische Zusammenarbeit der Fachdidaktiken bewirkt einerseits eine Konzentration der Forschungskapazitäten an der Universität und in der Region, andererseits wird sie in vielfältiger Anbindung an die internationale fachdidaktische Forschung durchgeführt.
Betreuer und Doktoranden des Promotionsprogramms
Durch die Gestaltung des forschungsbezogenen Studienprogramms werden die Doktorandinnen und Doktoranden optimal gefördert und betreut.
Der Forschungsrahmen: Didaktische Rekonstruktion
Unter Didaktischer Rekonstruktion verstehen die Beteiligten einen theoretischen Rahmen zur Planung, Durchführung und Evaluation fachdidaktischer Lehr- und Lernforschung, der sich durch ein verändertes Forschungsparadigma auszeichnet. Die bisherige Forschungspraxis der Fachdidaktiken ist weitgehend an der Legitimation, Auswahl und Methodisierung von vorgefundenen Sachstrukturen orientiert. In unserem Forschungsmodell sind dagegen die Anschauungen und inneren Tätigkeiten der Schüler/innen im jeweiligen Sachbereich zentral. Die fachdidaktische Forschung wird gleichsam "vom Kopf auf die Füße" gestellt, indem die Lernstruktur vor die Sachstruktur platziert wird. Die entscheidende Leistung des Modells der Didaktischen Rekonstruktion besteht darin, systematisch Schülervorstellungen und fachlich geklärte Vorstellungen aufeinander zu beziehen und für die Konstruktion von Unterrichtsinhalten zu nutzen. Es geht demnach immer um a) die empirische Erforschung der Anschauungen, innere Vorstellungen von Schüler/innen zum jeweiligen Sachverhalt oder Lerngegenstand sowie des eigenaktiven Erkenntnis- und Auseinandersetzungsverhaltens der Schüler/innen und ihrer Lernwege im Bereich des Sachgegenstandes. b) die Konfrontation dieser Tatbestände mit denjenigen historischen und aktuellen Erkenntnisprozessen der jeweiligen Fachwissenschaften, die didaktische Relevanz haben. c) die Aufarbeitung der jeweiligen Sachstruktur unter Einbeziehung der Lernerperspektiven zur Lernstruktur mit den entsprechenden Konsequenzen für den Unterricht. Die jeweiligen Sachverhalte sind für das Lehren und Lernen häufig weit stärker als dies jeweils im Wissenschaftsbereich der Fall ist, in umweltliche, gesellschaftliche und individuale Zusammenhänge einzubetten, um ihre Bedeutung für das Leben des Einzelnen in der Gesellschaft und der gesamten Biosphäre zu verdeutlichen. Die Kontexte des Lehrens und Lernens sind also nicht von einer Fachwissenschaft vorgegeben, sie müssen vielmehr in pädagogischer Zielsetzung erst hergestellt, d. h. didaktisch rekonstruiert werden. Ein Unterrichtsinhalt unterscheidet sich demnach deutlich von dem entsprechenden wissenschaftlichen Inhalt. Für die Aufgabe der Vermittlung bleiben die Fachdidaktiken auf die Nähe und die Zusammenarbeit mit den Fachwissenschaftlern angewiesen. Im beantragten Promotionsprogramm bestehen dafür besonders günstige Voraussetzungen durch langjährige Kooperationen zwischen Fachdidaktikern und Fachwissenschaftlern in gemeinsamen Projekten. Ein im Rahmen unseres Forschungsprogramms zunächst offenes Problem ist die bildungstheoretische Legitimation der Auswahl fachbezogener Inhalte für Lehren und Lernen. Für die Bearbeitung dieser Fragestellung sollten aber fachdidaktische Forschungsergebnisse mehr als bisher üblich berücksichtigt werden. Entsprechend dem skizzierten Verständnis der Fachdidaktik als Wissenschaft, die die Lebenswelten der Lerner-Gemeinschaften und der Fachwissenschaftler erschließt, werden im Forschungsrahmen der Didaktischen Rekonstruktion drei Untersuchungsaufgaben formuliert, die zu dem jeweilig ausgewählten Themenbereich durchzuführen sind (vgl. Abb.):
- Erfassen von Lernerperspektiven: Fachdidaktiker rekonstruieren als Beobachter, was Novizen wahrnehmen, denken (erwarten) und tun, und wie diese sich über ihre Lebenswelt äußern. Es handelt sich um empirische Untersuchungen zu individuellen Lernbedingungen und -Voraussetzungen, die die Zuschreibung von mentalen Prozessen, Instrumenten und Rahmungen gestatten. Gegenstände der Untersuchungen können kognitive, affektive und psychomotorische Komponenten sein sowie die zeitliche Dynamik der Lernerperspektiven.
- Fachliche Klärungen: Fachdidaktiker rekonstruieren als Beobachter, was Experten einer Wissenschaftsdisziplin wahrnehmen, denken (erwarten) und tun, und was sie als wissenschaftliches Wissen beschreiben. Die fachliche Klärung besteht demnach in der kritischen und methodisch kontrollierten systematischen Untersuchung fachwissenschaftlicher Aussagen, Theorien, Methoden und Termini aus fachdidaktischer Sicht. Gegenstand der Untersuchungen sind sowohl aktuelle wie historische Zeugnisse fachwissenschaftlicher Theoriebildung und Praxis. Quellen sind Dokumente mit fachlich reflektierten Äußerungen von Wissenschaftlern wie Originalveröffentlichungen, Essays, Gutachten, Lehrbuchtexte, Praktikumsanleitungen und Arbeitsprozesse von Wissenschaftlern.
- Didaktische Strukturierung: Fachdidaktiker rekonstruieren als Beobachter, wie Novizen in einem Inhaltsbereich Kompetenzen entwickeln und auf welche Weise Lehrer/innen sie als Gestalter von Lernumgebungen dabei (optimal) unterstützen. Es geht darum, die Wirksamkeit unterschiedlich didaktisch strukturierter Lernumgebungen empirisch zu überprüfen. Dabei sind unter anderem auch die Vorstellungen (implizite Theorien) von Lehrer/innen zu den angestrebten Lernprozessen zu erfassen. Um die Forschungsaufgabe der didaktischen Strukturierung wahrnehmen zu können, müssen darüber hinaus innerhalb der Forschungsvorhaben Lernumgebungen gestaltet werden, die den Ergebnissen der fachlichen Klärungen und den erfassten Lernerperspektiven entsprechen. Formulierungsebenen können Aufgaben der themen- und schülerorientierten Unterrichtsplanung sein, Leitlinien oder Prinzipien des Unterrichtens oder ausgearbeitete Unterrichtselemente bzw. Curriculumeinheiten.
Die drei Untersuchungsaufgaben der Didaktischen Rekonstruktion sind nicht unabhängig voneinander durchzuführen. Vielmehr bedingen und fördern sich ihre Ergebnisse wechselseitig. Das Vorgehen ist daher rekursiv, so dass die jeweiligen (vorläufigen) Ergebnisse für die weiteren Schritte innerhalb der beiden anderen Untersuchungsaufgaben eines Forschungsvorhabens genutzt werden können (s. Abb.). Das hier zugrundegelegte Modell der Didaktischen Rekonstruktion ist in der Didaktik der Biologie in Oldenburg entwickelt worden. Die Elemente des Forschungsprogramms sind für sich genommen nicht neu, wohl aber die systematische Verknüpfung der Teilaufgaben. Einzelne Aufgaben wurden bisher in einzelnen Fachdidaktiken teilweise durchgeführt und Lernerperspektiven in verschiedenen Bereichen erforscht, z. B. in der sprachwissenschaftlichen Fachdidaktik die innere Regelbildung bei Erwerb des Rechtsschreibens und Alltagsvorstellungen über Grammatik, in der Mathematikdidaktik die Rolle des räumlichen Vorstellungsvermögens von Schüler/innen beim Lernen geometrischer Inhalte. Die auf der Grundlage der individuellen Lernvoraussetzungen entwickelten Vermittlungsansätze versprechen lernförderlicher zu sein als solche, die sich ausschließlich auf die fachwissenschaftliche Sachstruktur beziehen. Das Forschungsparadigma der Didaktischen Rekonstruktion hat sich bereits als geeignet und fruchtbar erwiesen, wie bisherige Forschungsarbeiten in Oldenburg, Kiel und Bremen zeigen.
Literatur:
Kattman, U.; Duit, R.; Gropengießer, H., Komorek, M. (1997). Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion - Ein Rahmen für naturwissenschaftsdidaktische Forschung und Entwicklung. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 3(3), 3-18. Schriftenreihe: Beiträge zur Didaktischen Rekonstruktion