2016_ZwischenZeiten Symposium

Die tragische Dimension der Musik von Aurel Stroe

Arbeitsprogramm des 11. ZwischenZeiten Symposium 28. bis 30. Oktober 2016,

Delmenhorst Carl von Ossietzky Universität/Institut für Musik in Kooperation mit dem Hanse-Wissenschaftskolleg Delmenhorst (HWK);

Organisatoren: Violeta Dinescu und Roberto Reale


Gesprächskonzert mit Werken von Aurel Stroe:

Sonata nr. 2 pentru pian, Deux épitaphes. Vers: Ion Caraion (d'après Ezra Pound), Cântec din fluier (1977) 3ème Sonate pour piano (en palimpseste): Scherzando, Colinda (1947), Hommage à Pierre de la Rue (Canon) quasi Colinda (1957), Colinda (1947, rev. 1991), Allegro con gioia (développement sur deux accords et un cluster) Sorin Petrescu, Klavier

 

Die tragische Dimension in der Musik Aurel Stroes – Exposé

Mit den Symposien „ZwischenZeiten“, zu denen das Institut für Musik der Universität Oldenburg einlädt, hat sich seit 2006 am Institut für Musik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg in Kooperation mit dem BKGE (Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Osteuropa) und dem HWK (Hanse-Wissenschaftskolleg Delmenhorst) ein Forum entwickelt, in dem sich Musiker_innen und Wissenschaftler_innen aus Mittel- und Südosteuropa treffen, um Fragen des interkulturellen Austauschs zu thematisieren. Dabei stand meist die Musik Rumäniens im Mittelpunkt, da sich hier uralte Traditionslinien des Balkans, aber auch des Vorderen Orients mit neuen kompositorischen Ansätzen verbinden. Die Rezeption dieser außerordentlich komplexen Musik in Mittel- und Westeuropa bildet ein weiteres zentrales Thema dieser Symposien, da in der Selbstreflektion der kompositorischen Mittel in der musikalischen Postmoderne die Relevanz autochthoner Gestaltungsmuster besondere Bedeutung gewinnt.

 

Im Mittelpunkt der für November 2016 geplanten Tagung steht das Werk von Aurel Stroe, der, 1932 in Bukarest geboren, in den 1960er Jahren an den Darmstädter Ferienkursen teilnahm und in den USA Erfahrungen mit elektro-akustischer, elektronischer und Computer-Musik sammelte. 1985 übersiedelte er nach Mannheim, war jedoch nach der „Wende“ einer der ersten, der eine Öffnung der Musikkultur seines Heimatlandes forcierte. Stroe starb 2008 in Mannheim.

 

Stroe ging es primär darum, durch seine Musik Gedanken und Denkprozesse zu vermitteln. Die Darstellung von Emotionen war nicht sein Thema, was nicht bedeutet, dass die auf diese Weise komponierte Musik nicht dennoch starke Emotionen hervorrufen kann. Schon in den 1970er Jahren entwickelte er ein System, das er 'clase de compozitie' (Kompositionsklassen) nannte und mit dem er einen eigenen Weg beschritt, um den Prozess des Komponierens determinieren und kontrollieren zu können. In diese Verfahren integrierte er außermusikalische Einflüsse, die er bei der Beschäftigung mit unterschiedlichen Wissenschaften gewonnen hatte, insbesondere die Theorien der Thermodynamik und dissipativen Strukturen von Ilya Prigogine sowie die Theorien der Mathematiker René Thom (Katastrophentheorie) und von Alexander Grothendieck (Topologie). Außerdem beschäftigte er sich intensiv mit Parmenides und Martin Heidegger.  

In Werken von Beethoven, Mahler, Bruckner, Berg, Cage und Kagel entdeckte Stroe den Aspekt irreversibler Transformationsprozesse, die für die Gestalt der Musikstrukturen sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene relevant sind und sich nicht durch geläufige Musikanalysemethoden erklären lassen. Für derart analysierbare Werke schlug Stroe den Begriff Morphogenetische Musiken vor, über die sich folgendermaßen äußerte: „nu se mai ştie cu precizie ce este frumos şi ce este urât, ce este sau nu bine echilibrat, ce este unitar şi ce este disparat, ce sună adecvat şi ce sună fals” (Man weiß nicht mehr genau, was schön und was hässlich, was gut ausgewogen oder unausgewogen, was einheitlich und was uneinheitlich ist, was angemessen und was falsch klingt.)

Diese Herangehensweise war es, die Stroe zu seinen „Kompositionsklassen“ führte, in denen er über die Musik hinausgehende Denkprozesse integrierte.

 

Schon diese biographischen Eckwerte lassen erkennen, dass Stroe sich als Vermittler unterschiedlichster musikalischer Kulturen verstand – ein Ansatz, der sich auch in seinen Kompositionen spiegelt. Exemplarisch für diese Haltung ist die Orestia - Trilogie der geschlossenen Festung (1973-1988, Libretto nach Aischylos), das als sein kompositorisches Hauptwerk betrachtet werden kann. Es besteht aus den Teilen Agamemnon/Orestia I (1973), Choephoren/Orestia II (1983) und Die Eumeniden / Orestia III (1988). In diesem Werk verwendet Stroe gleichzeitig unterschiedliche Intonationssysteme, die inkompatibel sind. Stroe spricht über eine „Inkommensurabilität“, in der sich die tragische Dimension in der Musik kristallisiert. Das Moment des „Tragischen“, das dieses Werk prägt, ist symptomatisch für das Oeuvre von Stroe und soll den Ausgangspunkt der Reflektion dieses Symposiums bilden. Dabei steht die genaue Analyse ausgewählter Kompositionen im Zentrum, doch ist eine musiktheoretische Annäherung nur die Voraussetzung für eine multiperspektivische Interpretation in ästhetischer, kultur-und ideengeschichtlicher Hinsicht. Ziel ist eine „dichte Beschreibung“ der Musik Stroes, auch vor dem Hintergrund der zeitgeschichtlichen Situation Rumäniens resp. der kulturellen Traditionen des Landes.

 

Die Vielschichtigkeit der Musik Stroes erfordert eine transdisziplinäre Annäherung. Daher sind zu dem Symposium nicht nur Musik- und Kulturwissenschaftler_innen, sondern auch Vertreter_innen der Philosophie, Theologie, Zeitgeschichte, Romanistik eingeladen.

 

Wie in den Symposien der vergangenen Jahre dürfte auch hier wieder deutlich werden, wie die Musik in der Lage ist, Wege und Möglichkeiten der Annäherung und Kommunikation aufzuzeigen und somit zu einem Indikator gesellschaftlicher Prozesse zu werden.

 

Diese Tagung konzentriert sich auf die Musik von Stroe, aber sie ermöglicht darüber hinaus auch einen weiteren Versuch in Hinblick auf die „Entzifferung“  des musikalischen Denkens in Rumänien zu einer Zeit, in der die Kommunikation zwischen Musikkulturen durch politische Hindernisse erschwert bzw. verhindert wurde ist. Ebenso wie in anderen Teilen Europas haben Stroe und seinen Kollegen (Myriam Marbe, Ştefan Niculescu, Tiberiu Olah und Pascal Bentoiu) zu jener Zeit versucht, neue Kompositionsstrategien zu finden und ihre eigenen Methoden entwickelt. Ähnlichkeiten und Kontraste musikalischer Werke in unterschiedlichen Kontexten zu identifizieren ist eine Aufgabe, der wir uns in unseren ZwischenZeiten Symposien stellen. Dafür eine sinnvolle Methode zu definieren, kann ermöglichen, musikalische Phänomene im Europa des 20. und 21.  Jahrhunderts (außereuropäische Perspektiven sind  nicht ausgeschlossen) rückblickend und vorausblickend zu beschreiben, zu benennen und zu deuten.

Hier finden Sie das Programm.

 

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