Sprecherteam

Prof. Dr. Thomas Alkemeyer

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Institut für Sportwissenschaft Ammerländer Heerstraße 114-118
26129 Oldenburg

+49 441/798-4622

Prof. Dr. Martin Butler

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Institut für Anglistik und Amerikanistik Ammerländer Heerstraße 114-118
26129 Oldenburg

 +49 441/798-2320

Koordination

Rebecca Käpernick
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Fakultät III
Promotionsprogramm "Gestalten der Zukunft"
Ammerländer Heerstraße 114-118
26129 Oldenburg

Projektförderung

Laufzeit

Oktober 2019 bis September 2025

Konzept

Thematischer Fokus und Beobachtungsperspektive

Digitalisierung gehört zu den am heftigsten diskutierten Themen der Gegenwart. Bilder, Visionen und Gestalten einer digitalen Zukunft finden sich in allen Bereichen der Gesellschaft – in der Bildung, die sich mit neuen Curricula, virtuellen Methoden und entsprechenden Medien für die Zukunft wappnet (Dräger/Müller-Eiselt 2018); im Gesundheitssektor, in dem digitale Technologien und Messverfahren verbesserte Behandlungs- und Vorsorgemethoden versprechen (Haring 2018; vgl. auch die Initiative der Bundesregierung „E-Health – Digitalisierung im Gesundheitswesen“); in der Wirtschaft, in der die Notwendigkeit der Digitalisierung mit dem Erhalt von Wettbewerbsfähigkeit (Huber 2018) und besseren Erträgen begründet wird (vgl. etwa die Stellungnahmen des DIHK zu Digitalisierung als „Wachstums­treiber für die Wirtschaft“); auf dem Feld der Politik, auf dem die Regierung mit einer „digitalen Agenda“ Leitlinien der Digitalpolitik definiert und Gewerkschaften eine arbeit­neh­mer*innengerechte Gestaltung der Digitalisierung fordern (vgl. bspw. die Stellungnahmen der 2014 eingerichteten Fachabteilung des DGB „Digitale Arbeitswelten und Arbeitswelt­bericht­erstat­tung“) usw.

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So unterschiedlich der Begriff der Digitalisierung in diesen Bereichen verwendet wird, um einen auch den Alltag radikal verändernden Transformations­prozess zu beschreiben, auf den mit Maßnahmen zukunftsbezogener Steuerung und Gestaltung reagiert werden müsse, so unterschiedlich sind auch die Zukunftserwartungen, die diese Maßnahmen bedingen und in sie eingeschrieben sind. Einige Beobachter*innen verbinden mit der Digitalisierung den Beginn „einer neuen Ära, in der Computer anspruchsvolle Aufgaben von Wissensarbeitern übernehmen und gut bezahlte Arbeits­plätze wegfallen“ (Der Spiegel 03.09.2016, S. 12), einen „Rise of the Robots“ also (Ford 2016), in dem Kritiker*innen einen „Angriff auf unsere Freiheit“ (Welzer 2016) sehen. Andere hingegen schätzen Digitalisierung positiv „als einen (ökonomischen) Fortschrittsmotor der Gegenwarts­gesellschaft“ ein (Der Spiegel Wissen 26.04.2016). Wieder andere verteidigen die „digitale Moderne“ gegen kultur­pessimistische Modernekritik als Schauplatz nicht nur eines „egalitäre[n] Strukturwandel[s] der Öffentlichkeit“, sondern auch eines Umdenkens und Einstellungswandels, in dem sich die „Sehnsucht nach einer resonanten Weltbeziehung“ artikuliere (Der Spiegel 28.05.2016, S. 132f.). Die Diskurse und Prakti­ken, die Politiken und Technologien der Digitalisierung bilden mithin Kristallisa­tionskerne vielfältiger, miteinander konkurrierender, mitunter einander auch wider­sprechender Zu­kunfts­bilder und -szenarien, von mehr oder weniger populären Utopien und Dystopien (vgl. „Verteufelt nicht das Digi­tale“ [Gastbeitrag von Heinrich Bedford-Strohm], in: Die Zeit, Nr. 45, 31.10.2018; oder Precht 2018). Sie sind Trägermedien und Triebfedern euphorischer und apokalyptischer Zukunfts­erwar­tungen, von Verheißungen und Katastro­phenszenarien, von positiven und negativen Affekten (vgl. u. a. Butler 2015) – bis hin zu Reflexionen über eine „digitale Ontologie“, die nach dem Stellenwert der Digita­lisierung als Horizont menschlicher Seinsbestimmung fragt (Capurro 2017; Volkens/Anderson 2017).

Das Promotionsprogramm möchte das vielstimmige Geflecht aus Bildern und Erwartungen, aus Hoffnungen und Ängsten, das sich um den Begriff, die Techniken und die Praktiken der Digita­lisierung rankt und vielfältige, z. B. wirtschafts- und bildungspolitische Maßnahmen anstößt, kritisch-reflexiv beobachten und begleiten. Dazu nimmt es eine geistes-, kultur- und gesell­schafts­wissenschaftlich informierte Meta-Perspektive auf Digitalisierungsprozesse ein. Seinem leitenden Interesse liegen die Beobachtungen zugrunde, 1. dass ‚Digitalisierung‘ in den letzten Jahren zu einem Schlagwort für höchst disparate, positive wie negative Projektionen und Zukunftsvorstellungen geworden ist, sowie 2., dass die an ‚Digitalisierung‘ sich heftenden Erwartungen, Imaginationen und Narrative eine eigene Dynamik und Realitätsmacht entfalten. Sie wirken, so die Annahme, als Treibstoff der digitalen Transformation durch entspre­chende Politiken und Planungen (vgl. bspw. den programmatischen Entwurf der Bundesregierung „Digitalisierung gestalten Umsetzungsstrategie der Bundesregierung“). Dies gilt auch für die Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften selbst. So hat sich mit den Digital Humanities eine eigene Disziplin etabliert, deren Konzepte und Verfahren sich von tradierten geisteswissenschaftlichen Perspektiven und Textverständnissen stark unterscheiden, und die darauf angelegt ist, die Potentiale quantitativer Textanalysen und digitaler Editionen nicht nur für den eigent­lichen Forschungsprozess, sondern auch für die breitenwirksame Inszenierung und Vermarktung von Wissenschaft zu nutzen (Schmale 2015, S. 10): Auch in geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Gegenwartsdiagnosen werden Bilder einer digitalen Zukunft entworfen, die wissenschaftsbezogene Praktiken initiieren und beflügeln.

Das titelgebende Leitkonzept ‚Gestalten‘ erlaubt uns eine spezifische analytische Fokussierung auf den für uns zentralen Zusammenhang zwischen disparaten Entwürfen einer digitalen Zukunft einerseits und der wirkmächtigen Kraft dieser Entwürfe andererseits. Denn dieses, u. a. auf die Gestaltpsychologie des frühen 20. Jahrhunderts rekurrierende, Konzept lenkt den Blick sowohl auf die Gestalthaftigkeit von Zukunftsentwürfen als auch auf deren Gestaltungsmacht. Es betont die sinnhaft-sinnliche Verdichtung ungleichartiger Elemente (Wirklichkeitsaspekte, Vorstellungen, Zeit­strukturen usw.) in einem Bild, einem image, einer Figur, die sich der Wahrnehmung als eine Ganzheit aufdrängt, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. „Gestalten“ eignen mithin eine besondere synthetisierende und affizierende Kraft, die ihre formgebende Wirkung bedingt. Sie sind damit mehr als bloße Zeichen oder Symbole, die eine als bereits gegeben unterstellte Wirklichkeit signifizieren oder repräsentieren, sondern konstitutiv für diese Wirklichkeit selbst (vgl. u. a. Kittsteiner 2005, S. 25-57; grundlegend Etzemüller 2019).

Um die Dynamik der in diesem Sinne gestaltvermittelten Zukunftsgestaltung erklären und ver­stehen zu können, so lautet vor diesem Hintergrund unsere Ausgangsthese, ist es von zentraler Bedeutung, die Entstehung und die Entstehungs­bedingungen, die Bauweisen, die medialen Formen, die Inhalte und Funktionsweisen, die Überzeugungskraft und Wirkmacht der an ‚Digitalisierung‘ sich knüpfenden „imaginierten Zukünfte“ (Beckert 2018) aus einer kulturwissenschaftlich informierten Perspektive zu untersuchen. Dies ist vor allem deshalb vonnöten, weil sich die digitale Transformation nur dann bewusst kontrollieren und partizipativ gestalten lässt, wenn auch ihre imaginären und somit über­wiegend unbewusst wirkenden Triebkräfte in den Blick gebracht werden (zur technik­soziologischen Forschung über Akzeptanz und Partizipationsverfahren vgl. u. a. Häußling 2014, S. 381-400). Techno­kratische Sachzwangbehauptungen sollen im Ergebnis der Forschungen des Promotions­programms mit dem Aufzeigen von Handlungs- und Gestaltungs­alternativen beantwortet werden können. Damit akzep­tiert das Promotionsprogramm die gegenwärtig gerade an ‚Digitalisierung‘ sich knüpfenden Imagina­tionen und Rhetoriken der Wettbewerbsfähigkeit und des (technischen) Fortschritts nicht als Disposition für die eigenen Forschungen, sondern stellt diese Imaginationen und Rhetoriken selbst zur Disposition.

Somit handelt es sich bei der reflexiven Perspektive der Forschungen des Promotions­pro­gramms weder um einen neutralen noch um einen einseitig par­teiischen, sondern um einen spezifisch engagierten Blickwinkel: Die Untersuchungen sollen sich von einer „komplex[er]en Innenposition“ (Boltanski 2010, S. 149) ‚auf der Grenze‘ zwischen Forschung und Beforschtem bzw. Beforschten mit ihrer je eigenen, theoretisch informierten Stimme in gegen­wärtige Debatten um die Möglichkeiten einer (Mit-)Gestaltung der digitalen Transformation einbringen, welche die vielfältig bedingten Interessen, Bedürfnisse und Fähigkeiten der Leute berücksichtigt (vgl. Aulenbacher et al. 2017; Scheffer/Schmidt 2013; Gans 2010; Burawoy 2005). Insgesamt zielt das Promotionsprogramm damit auf die empirisch begründete Erarbeitung einer kritischen Theorie digitaler Transformation, die sich durch Bescheidenheit auszeichnet. Sie feiert weder, noch verteufelt sie, sondern sie „interessiert sich dafür, welche Digitalisierung wir inwiefern wollen (können) – und welche nicht.“ (Hochmann 2018, S. 39)

Dieser reflexive Zugang sieht – je nach Anlage des Promotionsprojekts – auch die Option vor, dass die Forscher*innen im Forschungsprozess mit den Akteuren und Interessen­gruppen des jeweiligen Feldes in einen gemeinsamen Diskurs eintreten, in dem Fragestellungen formuliert werden und neues Wissen produziert, diskutiert, eingeschätzt, bewertet und verbreitet wird (vgl. Alkemeyer/
Buschmann/Sulmowski 2019). Zu den Interessengruppen können Benutzergemein­schaften der digi­talen Community, Repräsentant*innen von Politik und Medien, anerkannte Expert*innen oder Wirt­schafts­unternehmen und Bildungseinrichtungen gehören, die ihre je eigenen (Zukunfts-)Vor­stellungen einer digitalen Transformation der Gesellschaft entwerfen und auf deren Grundlage die Gestaltung der gesellschaftlichen Gegenwart orientieren und legitimieren. Ziel dieses Vorgehens ist es, ein produk­tives Zusammenspiel zwischen akademischen und nicht-akademischen Wissens­formen so zu orga­nisieren, dass alternative Möglichkeitsräume des gesellschaftlichen Umgangs mit ‚Digitali­sie­rung‘ sichtbar, enthusiastische wie defätistische Narrative einschätzbar und techni­zistische Engfüh­rungen der Digitalisierungsdebatte etwa auf Diskurse und Praktiken der Vermittlung ‚digitaler Kompe­tenz‘ vermieden werden.

Webmaster (Stand: 18.12.2024)  Kurz-URL:Shortlink: https://uol.de/p73878 | # |
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