Julia Schwanewedel

Julia Schwanewedel

Prodid Logo

Julia Schwanewedel (Didaktik der Biologie)


Dissertation - Vita - Publikationen - Präsentationen und Vorträge - Lehrtätigkeit

   
  Julia Schwanewedel 
   Julia Schwanewedel

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Fak. V
Institut Biologie und Umweltwissenschaften
Biologiedidaktik

j.schwanewedel@uol.de 

   


Dissertationsvorhaben

„Das Gen ist an einem bestimmten Zeitpunkt groß und fertig und bricht dann aus.“

Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit im Kontext von Genetik und genetischer Diagnostik

Hintergrund: Der Genetik wird heute eine Schlüsselrolle für die Diagnose und die auf Früherkennung basierende Prävention vieler Erkrankungen zuerkannt. Die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse haben dabei auch Einfluss auf die Gesellschaft und das Leben des Individuums (LEMKE, 2006). Mit den Bildungsstandards wird gefordert, diese Erkenntnisse im Unterricht zu thematisieren und die Schüler zu befähigen die Sachverhalte und deren gesellschaftlich- soziale Bedeutung kritisch begründet zu hinterfragen. Ziel der Arbeit ist es deshalb Unterricht zu entwickeln, in dem die mit Gesundheit, genetisch bedingter Krankheit und genetischer Diagnostik verbundenen Sachverhalte sachgerecht thematisiert und die ethischen Implikationen einer Reflexion zugänglich gemacht werden.

Theoriebezug: Einem moderat konstruktivistischen Verständnis (u.a. DUIT, 1995) folgend, wird Lernen als ein aktiver, mehrdimensionaler Konstruktionsprozess verstanden, der auf Vorwissen und lebensweltlichen Vorstellungen basiert und durch Einstellungen beeinflusst wird, sowie durch äußere Interventionen indirekt beeinflusst werden kann. Die lebensweltlichen Vorstellungen der Schüler werden dabei als entscheidende Faktoren im Lernprozess betrachtet. Änderungen dieser Vorstellungen werden innerhalb der Studie als Modifizierungen, Bereicherungen und Differenzierungen verstanden, wie es dem revidierten Ansatz des Conceptual Change (POSNER & STRIKE, 1992) entspricht.

Fragestellung: Im Zentrum der Untersuchung steht folgende Forschungsfrage: Über welche Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit verfügen Lernende und Wissenschaftler im Kontext von Genetik und genetischer Diagnostik? Diese übergeordnete Frage wird durch nachstehende Fragen differenzierter betrachtet: Wie beschreiben Lernende und Wissenschaftler Gesundheit und genetisch bedingte Krankheit und welche Ursachen nennen sie? Anhand welcher Kriterien wird ein Mensch als „gesund“ oder „krank“ charakterisiert? Welche Vorstellungen von der Bedeutung der Gene und genetischer Diagnostik werden geäußert?

Forschungsdesign und Methodik: Einem qualitativen, iterativen Vorgehen folgend werden die Vorstellungen von Schülern aus 10. Klassen von Haupt- und Realschulen in problemzentrierten, leitfadenstrukturierten Einzelinterviews erhoben und systematisch mit wissenschaftlichen Vorstellungen aus den Bereichen der Biologie, Medizin und Soziologie verglichen. Die Daten werden mithilfe des Computerprogramms MAXqda2™ inhaltsanalytisch ausgewertet und als Konzepte formuliert. Abschließend sollen auf der Basis eines Vergleichs Unterrichtselemente entwickelt und vorhandene Materialien zum Thema diskutiert werden.

Erste Ergebnisse: Zurzeit liegen Daten aus 8 Einzelinterviews vor. In den Interviews zeigt sich, dass Schüler über ein mehrperspektivisches Bild von Gesundheit und Krankheit verfügen. Sie ziehen zur Charakterisierung eines Menschen als ‚gesund’ oder ‚krank’ sowohl objektivierbare biologische Kriterien, als auch subjektive und gesellschaftlich- soziale Kriterien heran. Es zeigt sich, dass der Schweregrad bzw. die Auswirkungen einer genetisch bedingten Krankheit auf den Menschen Einfluss auf die Bewertung einer Krankheit haben. Sehr zentral ist auch die Vorstellung von „kranken Genen“, die mit dem bzw. im menschlichen Körper wachsen und, sobald sie groß und stark sind, Krankheiten auslösen. Innerhalb der weiteren Auswertung soll geklärt werden, inwiefern die Schüler zwischen monogen und multifaktoriell bedingten Krankheiten unterscheiden und wie genetische Dispositionen bzw. „genetische Risiken“ von ihnen beschrieben und eingeschätzt werden.

Vorläufige Schlussfolgerungen für die Konstruktion von Unterricht

Ein Blick in Schulbücher und Unterrichtsmaterialien zum Thema „genetisch bedingte Krankheiten des Menschen“ ergibt, dass das Thema vor allem auf einer rein naturwissenschaftlich- biologischen Ebene, vielmehr rein genetischen Ebene betrachtet wird. Auf die Thematisierung äußerer Einflüsse (Umwelteinflüsse) wird vielfach völlig verzichtet und subjektive oder gesellschaftlich- soziale Betrachtungen, die innerhalb einer ganzheitlichen Gesundheitsbildung (z.B. im Bereich der Suchtprävention) bereits selbstverständlich geworden sind, sind beim Thema „genetisch bedingte Krankheiten“ selten zu finden.

Was bedeutet die Tatsache der ausgeprägten mehrperspektivischen Gesundheits- und Krankheitsvorstellungen der Schüler für den Biologieunterricht? Unter Umständen kollidiert die im Genetikunterricht oft auf biologische bzw. genetische Aspekte reduzierte Sichtweise auf Gesundheit und genetisch bedingte Krankheit mit den mehrperspektivischen Vorstellungen der Schüler. Es scheint daher lohnenswert, die mehrperspektivischen Vorstellungen der Schüler im Unterricht zu nutzen, um die verschiedenen Perspektiven auf Gesundheit und Krankheit zu betrachten und die Unterschiedlichkeit der Perspektiven zu thematisieren. Die in den Interviews geäußerten Normen könnten Anlass zu einer genaueren Betrachtung und kritischen Reflektion bieten. Dabei könnte es in erster Linie um die Bewusstmachung dieser Normen und die Unterscheidung von naturwissenschaftlichen (z.B. Normen innerhalb des medizinischen Alltags) und sozialen Normen gehen.

Im Hinblick auf die Vorstellungen zu Genen und insbesondere die Personifizierung der Gene (d.h. Übertragung von phänotypischen und menschlichen Eigenschaften auf die Gene) sollten innerhalb der Didaktischen Strukturierung Unterrichtselemente entwickelt werden, in denen die chemischen Strukturen und Effekte der Gene herausgearbeitet werden. Daneben könnte es (je nach Klassenstufe) auch fruchtbar sein die Übertragung menschlicher/ phänotypischer Eigenschaften auf die Gene im Unterricht zu thematisieren und dessen Bedeutung kritisch zu hinterfragen.

Literatur:

DUIT, R. (1995): Zur Rolle der konstruktivistischen Sichtweise in der naturwissenschafts-didaktischen Lehr- und Lernforschung. Zeitschrift für Pädagogik 41 (6), 905-923. LEMKE, T. (2006): Die Polizei der Gene. Formen und Felder genetischer Diskriminierung. Campus Verlag, Frankfurt/Main

POSNER, G.J. & K.A. STRIKE (1992): A Revisionist Theory of Conceptual Change. In: DUSCHL, R.A. & R.J. HAMILTON [Eds.]: Philosophy of science, cognitive psychology and educational theory and practice. State University of New York Press, New York, 147-176.

At a specific time the gene is tall and ready and spreads out

Conceptions of health and genetic disease

  1. Background and Aims

    Today genetics is attributed a key role for the diagnosis of multiple illnesses. The scientific findings in genetics also have an impact on society and the life of the individual (Lemke, 2006). Scientists of different branches of study have stated a paradigm shift in society and the science of health and health education (Stöckel, 2004).
    With the German standards of science education it is demanded to take the findings of modern biology as an instructional theme and to enable students to make a critical study of the scientific facts and their social impacts. The aim is to qualify students to take part in the social communication and to deal responsibly with the chances and problems arising from the development of new genetic technologies. The research therefore aims at developing teaching elements that point out ways for an improved biology education considering scientific as well as social development and leading to a deeper understanding of the conditions of health and disease.
    The main research question is the following: What are the conceptions of health and disease with regard to genetics and genetic diagnostics?
    This main question is examined differentiated by sub- questions: 1) How do learners and scientists describe and explain health and genetic disease? 2) By which criteria is a person characterised as healthy or ill? 3) What are conceptions of the meaning and impact of genes and genetic diagnostics?

  2. Framework

    The research follows a moderate constructivist view (i.e. Duit, 1995). Learning is regarded as an active, multidimensional construction process that is based on prior knowledge and everyday conceptions. In addition learning is supposed to be affected by attitudes and indirectly influenceable by external interventions. Students’ conceptions are regarded as crucial factors within the learning process. Changes of conceptions are understood as modifications, enrichments and differentiations according to the revised approach of Conceptual Change (i.e. Posner & Strike, 1992). Besides the moderate constructivist basis implies considering science knowledge as tentative human constructions. The Model of Educational Reconstruction implements the theoretical assumptions and functions as a methodological framework for the study. Students’ conceptions are systematically related to scientific conceptions so that mutual relations can be made (Sander et al, 2006). The aim is to find an appropriate basis for teaching that is based on an analysis in which science structure and students’ conceptions are discussed as being equally significant parameters.

  3. Methods and Samples

    Since the research project deals with modes of understanding, though not with the quantity of conceptions, qualitative methods are applied.
    The method of qualitative content analysis (Mayring, 2000) is applied to the scientific clarification. For the investigation of students’ conceptions problem-centred interviews are performed which facilitate a profound analysis of the conceptions. Apart from questions, pictures and ethical case studies are used as interventions. The combination of different kinds of interventions offers the possibility of analysing both descriptive conceptions and normative arguments. Furthermore it increases the validity of results (Flick, 1992).
    The transcriptions of the interviews are evaluated using the computer-assisted content analysis with MAXqda2™.
    The students being interviewed are aged 15-17 years (10th grade of secondary modern school). At present, the analysis of 8 single- interviews is available. Further interviews are planned in order to obtain empirical saturation. As mentioned above the implementation of group discussions is intended to show whether students use different descriptions and explanations in a discussion with other learners.

  4. Results

    (The examples only depict a small range of the results. The quotations merely illustrate the conceptions. The interpretation is derived from the entire interviews.)

    Description and explanation of health and genetic disease:
    The students describe health and disease in a multi-perspective way while referring to physical, mental and social aspects. Disease is predominantly associated with physical as well as mental constraints. Furthermore it is linked with apparent outward characteristics like for example a sad face or a handicap. The students distinguish these visible diseases from internal diseases that are not visible from the outside. Genetic diseases are counted among these internal diseases.
    Criteria to characterise a person as healthy or ill: Students use both, criteria that refer to the level of genotype and to the level of phenotype. In doing so they apply normative and descriptive criteria to characterise people. In the process genetic diseases are often described as deviation from medical or social standards:

    Descriptive criteria: Conceptions of genetic standards: A mutated gene is a little skew and does not look like our standard gene (Heinz, 15). A person with a mutated gene does not have such normal genes, but genes that are not like the others (Karl, 16). Normative criteria:
    Conceptions of social standards: Whether a person with trisomy 21 is healthy or ill depends on the way he behaves. (…) If he behaves normal - - if you visualise how these people behave: they act stupid and do not know what they are supposed to do. But if they are brought up in a way they know what they are supposed to do, if they behave normal– they are not ill (Karl, 16). The role of genes: Genes play a central role in the students’ conceptions about diseases and their causes. However, the exact meaning ascribed to the genes varies:
    Transfer of phenotypical characteristics to the genes: The students tend to transfer phenotypical characteristics to the genes. In the context of diseases like Huntington’s disease, the disease is often described as a characteristic of the gene. The students clearly distinguish between the genetic level and the outward appearance of a person (phenotype): The gene is not the illness. The gene is ill, but not the person. (Heinz, 15).
    Genes as a carrier and means of transport of a disease: Some students describe genes as carriers and means of transport. The genetic disease is then described like an infectious disease: Genes are the carriers of the disease. It starts with the gene and the disease follows. The gene serves as means of transport for the disease. In the end the disease spreads out. (Karl, 16).
    Genes as growing units: In the conceptions of some students genes are independent units that develop with the body. These students often attribute phenotypical characteristics to the genes, too. The everyday experience that human beings, animals and plants grow is transferred to the genetic level: Genes grow with the body (Susie, 16). At a specific time the gene is tall and ready and then spreads out (Maria, 16).

  5. Conclusions and Implications

    The students possess a pluralistic view of health and disease and consult objective, subjective and social criteria to characterise a person as healthy or ill. However, the perusal of German teaching material shows that the topic “human genetic diseases” is often reduced to a biological, even purely genetic level. Outer (environmental) influences on diseases are often not taken as a theme. Social and subjective views on health and disease are very rarely applied to the topic. Biology teachers may take the multidimensional conceptions of students up to examine different perspectives on health and disease. The standards, the students applied to, can be used as an opportunity for closer consideration and critical reflection. A prime concern may be the development of awareness of these often unconscious standards and the distinction between scientific standards and social standards. In matters of the conceptions of genes and particularly the personalisation of genes it may be fruitful to stress the chemical structures and effects of genes. Concerning the conception of genes as independent units it may be conducive for scientific learning to have a closer look at the history of genetics: The geneticist Weismann for example described genes as “living particles”. In terms of Conceptual Change the confrontation with obsolete historical and valid scientific conceptions may lead students to an enhancement of their conceptions and to a meaningful scientific view of genes and their impact on human health.

Vita

1998 Abitur
1998-2003 Studium der Fächer Anglistik und Biologie für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen mit dem Schwerpunkt Haupt- und Realschule an der Carl- von Ossietzky Universität Oldenburg
2002 1. Staatsexamensarbeit zum Thema: Schülervorstellungen und fachliche Vorstellungen zum evolutionären Wandel (bei Prof. Dr. Ulrich Kattmann)
Juli 2003 1. Staatsexamen
2003-2005 Vorbereitungsdienst am Studienseminar Cuxhaven / an der Haupt- und Realschule Schiffdorf
April 2005 2. Staatsexamen
Seit Mai 2005 Stipendiatin im Promotionsprogramm ProDid (Didaktische Rekonstruktion – Fachdidaktische Lehr-Lernforschung) an der Universität Oldenburg; Didaktik der Biologie bei Prof. Dr. Corinna Hößle

Publikationen

  • Mittelsten Scheid, N./ Schwanewedel, J. (2006): Intersexualität – ein Leben zwischen den Geschlechtern. In: Unterricht Biologie 319, 16-21.

  • Schwanewedel, J./ Hößle, C. (2006): Vorstellungen zu Gesundheit und Krankheit im Kontext von Genetik und neuen genetischen Technologien. In: Achte Frühjahrsschule der Sektion Biologiedidaktik im Verband Deutscher Biologen, Freie Universität Berlin, Berlin, 41f. (Abstract)

  • Schwanewedel, J./ Hößle, C. (2006): Vorstellungen zu Gesundheit und Krankheit im Kontext von Genetik und genetischen Technologien. In: Lemmermöhle, D./ Bögeholz, S. & Hasselhorn, M. (Hrsg.): Professionell Lehren- Erfolgreich Lernen. ZeUS, Göttingen, 94. (Abstract)

  • Schwanewedel, J./ Hößle, C. (2006): Conceptions of health and disease in the context of genetics and genetic technologies in: VIth conference of ERIDOB, Institute of Education, London, 137.(Abstract)

  • Schwanewedel, J. (2006): Vorstellungen zu Gesundheit und Krankheit im Kontext von Genetik und genetischer Diagnostik. In: Vogt, H. & Krüger, D. (Hrsg.): Erkenntnisweg Biologiedidaktik, Kassel, Berlin. (angenommen; im Druck)

Präsentationen und Vorträge

  • Postervortrag auf der Achten Frühjahrsschule der Sektion Biologiedidaktik im Verband Deutscher Biologen vom 24.-26. März 2006, Freie Universität Berlin

  • Vortrag auf der 3. Göttinger Fachtagung des ZeUS vom 04. –06. September 2006, Georg-August-Universität Göttingen

  • Postervortrag VIth Conference of Eridob (European researchers in didactics of biology), 11.-15. September 2006, Institute of Education, London

Lehrtätigkeiten

  • WiSe 05/06
    Seminar „Bioethik“
  • SoSe 06
    Seminar „Gesundheitsbildung“
  • WiSe 06/07
    Seminar „Aktuelle Themen der Gesundheitsbildung im Biologieunterricht“
  • SoSe 07
    Seminar „Evolution als Thema im Biologieunterricht“

­­

diz-Webmaster (Stand: 20.06.2024)  | 
Zum Seitananfang scrollen Scroll to the top of the page