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Lehrstuhlinhaber

Prof. Dr. Malte Rolf

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Sekretariat

Tina Schmelter

Anschrift

Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg
Fakultät IV - Institut für Geschichte
Ammerländer Heerstr. 114-118
26129 Oldenburg

Nationalisierungsprozesse in Ostmitteleuropa und der Sowjetunion nach 1917/18

Projekt 1: Weiße Birke. Die sowjetische Erfindung des "russischen Baums". Nationale Symbolproduktion und -rezeption in der UdSSR

Die Birke ist heute als vermeintlich „russischer“ Baum zentraler Bestandteil russisch-nationaler Selbstbeschreibung. Und doch erfolgte ihre Integration in die Bilder- und Sinnwelt russischer Identität erst mit der Stalinzeit. Wie auch bei anderen Kernelementen einer Imagination vom „Russisch-Sein“ basiert die gegenwärtige Symbolpraxis damit auf einer sowjetischen Kulturintervention und deren gesellschaftlicher Aneignung in den Jahrzehnten nach Stalins Tod.

Das Projekt, das von Igor Narskii bearbeitet wird, untersucht am Beispiel der sowjetischen „Erfindung“ der Birken-Tradition den Wandlungsprozess russisch-nationaler Selbstentwürfe und deren Visualisierungen unter den Bedingungen eines parteistaatlich normierten Kulturbetriebs. Und es arbeitet Grundzüge eben dieser sowjetischen Kulturproduktion und ihrer gesellschaftlichen Rezeption exemplarisch heraus.

Damit stehen drei Themenkomplexe im Zentrum des Vorhabens. Erstens analysiert es die Funktionsmechanismen stalinscher und post-stalinscher Kulturpolitik. Am Beispiel des Birkensymbols wird die Interaktion zwischen Parteifunktionären und Kulturschaffenden als komplexer Aushandlungsprozess beleuchtet. Das Spannungsverhältnis von zentralistischer Steuerung und dezentralen Prozessen, das den Kulturbetrieb der UdSSR insgesamt kennzeichnete, lässt sich mithilfe des Birken-Sinnbilds exemplarisch aufzeigen.

Zweitens widmet sich das Projekt der Überformung und Popularisierung des russischen Nationalismus durch die sowjetische Kulturpolitik. Es klärt, wie Parteifunktionäre, Schriftsteller und Künstler eine vorrevolutionäre „Tradition“ nutzten, um einen neuen Kulturkanon zu etablieren und diesen zu verbreiten. Anhand der sich wandelnden Semantiken der Birke wird nachgezeichnet, wie Vorstellungen des „Russisch-Seins“ in der UdSSR neu ausgerichtet und welche Visualisierungsstrategien in Anspruch genommen wurden.

Drittens befasst sich das Vorhaben mit der gesellschaftlichen Rezeption und stellt die Frage nach der Wirkungsmacht parteistaatlicher Identitätspolitik. Das Projekt beleuchtet anhand des Birkensymbols die Möglichkeiten, die Bürgerinnen und Bürgern der UdSSR bei der Aneignung staatsnormierter Identitätsangebote zur Verfügung standen. Die Ursachen der Dominanz, die der „russische Baum“ in der Bilderwelt russisch-nationaler Diskurse erlangte, sind gerade im Zusammenhang mit einer solch breiteren, oftmals eigensinnigen Rezeption zu suchen.

Dieser mehrschichtige Zugang, der das Material entlang der Forschungsebenen Akteure, Repräsentationen (Artefakte/Semantiken) sowie Rezeptionen strukturiert, erlaubt neue Einsichten in das komplexe Wechselspiel, das Kulturproduktion und -rezeption in der Sowjetunion grundlegend kennzeichnete. Zugleich eröffnet sich so eine innovative Perspektive auf die Wandlungen (russisch-)nationaler Identitätsentwürfe und -symbolisierungen in der UdSSR, die Anregungen zum Verständnis von Nationalisierungsprozessen in staatssozialistischen Regimen gibt.

Projekt 2: Sowjetisierung und Nationalisierungsprozesse in der Volksrepublik Polen und der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik (1944-1989/91)

Dieses Forschungsprojekt widmet sich der Volksrepublik Polen und der Litauischen Sowjetrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Es zielt darauf ab, die spannungsreiche Interaktion zwischen Sowjetisierungsmaßnahmen, einer offiziell von Moskau geförderten Nationalisierung der Volks- bzw. Teilrepublik sowie ihrer Eliten und deren ungewollten Folgewirkungen für die individuellen und gesellschaftlichen Lebenswelten zu untersuchen. Zudem soll nach der sich wandelnden Rolle von Religion und religiösen Praktiken in den jeweiligen sich modernisierenden Gesellschaften gefragt werden. Ebenso werden die translokalen und -nationalen Bezüge von Transformationsdynamiken zwischen der Volksrepublik Polen und der LSSR beleuchtet. Mittelfristig ist der Ausbau zu einem komparativ angelegten Forschungsverbund geplant, in dem die Verflechtungen von Sowjetisierungs-, Indigenisierungs- und Nationalisierungsprozessen in den Randrepubliken der UdSSR sowie in weiteren Volksrepubliken Ostmitteleuropas in den Blick genommen werden.

 

 

 

Veröffentlichungen im Rahmen dieses Forschungsschwerpunktes

Aufsätze

  • „“Eiserne Wölfe bezwingen den polnischen Pan“. Zum Antipolonismus in der litauischen Innen- und Außenpolitik der Zwischenkriegszeit“, in: Nationsbildung und Außenpolitik im Osten Europas. Nationsbildungsprozesse, Konstruktionen nationaler Identität und außenpolitische Positionierungen im 20. und 21. Jahrhundert, herausgegeben von Bianka Pietrow-Ennker, Osnabrück: Fibre, 2022, S. 149-168.
  • „Nationalizing an Empire: The Bolsheviks, the Nationality Question, and Policies of Indigenization in the Soviet Union (1917–1927)“, in: The First World War and the Nationality Question in Europe. Global Impact and Local Dynamics, herausgegeben von Xosé M. Núñez Seixas, Leiden: Brill, 2021, S. 65-86.
     
  • „Die Renaissance des Ausnahmezustands im "Zeitalter der Stabilität": Zur sowjetischen Mobilisierungsdiktatur und der Krise des Staatssozialismus in der Breschnew-Ära", in: Ausnahmezustände. Entgrenzungen und Regulierungen in Europa während des Kalten Krieges, herausgegeben von Cornelia Rauh und Dirk Schumann, Berlin: Wallstein, 2015, S. 92-112.
     
  •  „Die Nationalisierung der Sowjetunion: Indigenisierungspolitik, nationale Kader und die Entstehung von Dissens in der Litauischen Sowjetrepublik der Ära Brežnev,“ in: Goldenes Zeitalter der Stagnation? Perspektiven auf die sowjetische Ordnung der Brežnev-Zeit, herausgegeben von Boris Belge und Martin Deuerlein, Tübingen: Mohr Siebeck, 2014, S. 203-230.
(Stand: 19.01.2024)  | 
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