Dr. Florian Heßdörfer
Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik, Universität Leipzig
Ruf und Blick – Subjektivierung im sprachlichen und visuellen Register
Gern orientiert sich die Frage nach dem Subjekt am Motto „Am Anfang war das Wort.“ Kaum eine längere Einlassung auf das Thema der Subjektivierung kommt ohne Luis Althussers prominent gewordene Straßenszene und ihre zentrale Parole aus: „He, Sie da!“. So lautet die dem biblischen Anfangswort analoge Formulierung, welche Antwort auf die Frage nach der Herkunft des Subjekts geben soll und diese in der „Anrufung“ durch ein anderes findet. Subjektsein scheint in diesem Sinne vor allem die Existenz in einer sprachlich strukturierten Welt zu bedeuten.
Verschiebt man die Analyse von Subjektivierungsprozessen auf dezidiert nicht-sprachliche Bereiche, gerät man rasch an die Grenzen dieses Paradigmas. Um vor- und außersprachliche Weisen der Subjektbildung zu denken, braucht es Konzepte, welche die diskursive Sphäre verlassen und den Versuch unternehmen, den ‚sprachlosen‘ Zwischenraum der Subjekte zu vermessen. Als maßgebliche Dimension dieses Raumes wird der Vortrag die Achsen des Sehens und Gesehenwerdens thematisieren. Dass diese Achsen ebenso konstitutiv für die Erfahrung des Subjekts sind wie die Probleme der Sagbarkeit, wird ausgehend vom ‚kanonischen‘ Text Althussers erarbeitet. Während die dort skizzierte Figur der „Anrufung“ auf ihr implizites Vorbild des „Blicks“ in den Arbeiten Jacques Lacans befragt wird, entstehen die Konturen eines Subjektivierungsmodells, das die konstitutive Verschränkung von Rede und Blick markiert. Das Subjekt öffnet sein Auge im Kraftfeld jener Rede, die es seinem unsichtbaren Winkel verfehlt und ihm dabei Mittel wird, diese Unsichtbarkeit zu bewältigen.
Als Hinweis, wie diese paradoxe Anwesenheit des Subjekts im Sichtbaren zu denken ist, dient schließlich der Blick auf eine entscheidende Erfindung der visuellen Kultur um 1500: In der raschen Verbreitung des perspektivischen Bildparadigmas zeigt sich der Auftakt zu einer Sichtbarkeitsordnung, die in derselben Weise um einen Fluchtpunkt herum geordnet ist, wie die Welt des Subjekts. Dass dieser entscheidende Punkt für die Ordnung selbst so zentral wie im Ergebnis verschwindend ist, kündet die Ambivalenz des Subjekts auf der Ebene des Sichtbaren an: Sein Verschwinden bzw. seine Abwesenheit ist die eigentliche Weise, die seine Existenz im Sichtbaren markiert.