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Essay-Preis des Jakob-Fugger-Zentrums

Prof. Dr. Gesa Lindemann, Hochschullehrerin für Soziologische Theorie, wurde mit dem Essay-Preis des Jakob-Fugger-Zentrums ausgezeichnet.

Prof. Dr. Gesa Lindemann
Wieviel Gewalt braucht die Demokratie? Wieviel verträgt sie?

Gewalt ist ein politischer Begriff und deshalb umstritten. Ist es Gewalt, wenn sich Protestierende der Bewegung „Letzte Generation“ auf der Straße festkleben, um auf die unzureichende Klimapolitik aufmerksam zu machen? Einige Gerichte bejahen das, während in der öffentlichen Debatte die Proteste auch als legitimer ziviler Ungehorsam bewertet werden. Es ist vertrackt, von Gewalt zu sprechen und zugleich ist die Notwendigkeit erkennbar, dass demokratische Staaten nach innen und außen legitime Gewalt anwenden müssen. Grund- und Menschenrechte gibt es nur, wenn Staaten ihre Durchsetzung nach innen und außen garantieren. Letztere geraten dabei unvermeidlich in ein Gewaltparadox. Gestützt auf die Gewalt des Staates werden Freiheit und Würde der Einzelnen geschützt. Gewalt sichert den Menschen die Möglichkeit, in Gewaltfreiheit vertrauen zu können. In Europa hat sich diese Ordnung in einem komplizierten Prozess entwickelt, in dem ältere Ordnungen ersetzt wurden, für die das Vertrauen in die Gewaltfähigkeit der eigenen (Familien-)Gruppe zentral war. Erst in der modernen Gesellschaft bildet sich ein Verständnis, demzufolge Gewalt als Gewalt gegen den individuellen Körper zu verstehen ist, als Angriff auf die Freiheit jedes einzelnen lebenden Menschen. Diese Ordnung bricht mit der gewaltvollen Vergangenheit der Leibeigenschaft (Europa) und der Sklavereigewalt (USA). Niemand soll gewaltsam in eine schicksalhaft vorherbestimmte Zukunft gepresst werden. Jeder soll in Gewaltfreiheit vertrauen und in Freiheit und Würde leben können. Dieses Versprechen ist der normative Maßstab, den wir der Moderne verdanken und an dem wir die moderne Ordnung messen sollen. Die heute drängenden Fragen lauten: Schließt die ungeheure soziale Ungleichheit nicht die Masse der Bevölkerung in ein Schicksal ohne Freiheitsmöglichkeiten ein? Ist die Klimapolitik, die die dramatischen Einsichten des Weltklimarats ignoriert, ein Angriff auf Freiheit und Leben zukünftiger Generationen? Müssen wir dies nicht als gewaltsamen Angriff auf Freiheit und Leben verstehen? Muss der Staat dieser Gewalt entgegentreten?

(Auszug aus der Pressemitteilung der Universität Augsburg vom 22.12.2023)

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