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Robert Mitschke

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Der Auftritt. Performanz in der Wissenschaft und die Erzeugung wissenschaftlicher Evidenz

Die Wissenschaft erforscht alles und jeden, nur vor sich selber macht sie Halt. In Studien zur Per-formanz beispielsweise werden alle möglichen Professionen unter die Lupe genommen, die Wis-senschaft selbst glänzt durch Abwesenheit. Martin Kohli hat diese Haltung unter dem Diktum „Von uns selber schweigen wir“ zusammengefasst, und Günter Burkart hat begründet, warum es keine Soziologie der Soziologie geben dürfe: Die eigenen Grundlagen offenzulegen drohe, ein Fach zu entauratisieren. Daran ist im Lichte der Tabu-Forschung sicherlich etwas Wahres, aus wissenschaftlicher Sicht lassen sich Forschungstabus allerdings nicht begründen. Das Schweigen ist Selbstschutz. Wissenschaftliche Erkenntnisse haben unabhängig von einem subjektiven „Ich“ zu bestehen, um ihre „objektive“ Geltung verteidigen zu können. Das Schweigen bedeutet aber auch Verschleierung, denn Ausschlüsse potenzieller WissenschaftlerInnen auf Grund sozialer Kri-terien sind an der Tagesordnung, ein glatter Verstoß gegen die Prinzipien der Wissenschaft, dass allein Befähigung erlaubt, „Wahrheit“ zu produzieren. Die Wissenschaftssoziologie, die die Grundlagen wissenschaftlicher Arbeit durchleuchtet, hat die Bedeutung sozialer Prozesse für die Erkenntnisproduktion bereits seit längerem im Blick, und die Körper und Praktiken der WissenschaftlerInnen seit neuestem auch. Stark gerafft: Ein Wissen-schaftler (als geschlechts-etc.-neutral imaginiert) wendet nicht einfach sein Handwerkszeug an und gelangt dadurch zu Erkenntnis, sondern Irgendjemand muss überhaupt in einem langen sozialen Prozess geformt werden und sich selbst formen zu einem Wissenschaftler, zu einer spezifi-schen „Persona“, die lernt, sich wie Ihresgleichen in einem Feld zu bewegen, zu sprechen, zu handeln. Die Codes des Subsystems, der Habitus des Feldes, der Denkstil einer scientific commu-nity (auto-)formatieren diesen Irgendjemand zu Jemandem, der als Wissenschaftler anerkannt wird. Wer es schafft, sich einzuschmiegen und einzuschreiben in die sozialen und professionellen Konventionen einer Gemeinschaft und zugleich eine hinreichende Originalität (und Qualität) beweist, gehört dazu. Wem dies nicht zugeschrieben wird, ist ausgeschlossen. Das Kollektiv legt durch Anerkennung und Ausschluss fest, wer berechtigt sein wird, als wissenschaftlich anerkanntes Wissen zu produzieren. Performanz, performance, self fashioning gehören zu den wichtigsten Instrumenten, sich hinein-zuarbeiten oder aus der Wissenschaft herauszuschießen. Performanz ist mehr als nur eine trügeri-sche Oberfläche. Durch den Auftritt setzt man sich vor aller Augen der Prüfung aus, ob man ein-gefügt ist. Ohne inhaltliche Qualität wird man sich nicht lange in der Wissenschaft halten. Ohne Performanz kann man zwar wissenschaftliche Leistungen erbringen – wird aber von notwendigen Ressourcen und Rezeption mehr oder weniger drastisch abgeschnitten. Performanz substituiert nicht wissenschaftliche Qualität, sie ist Voraussetzung und Werkzeug, im Kollektiv der Gleichsubjektivierten das hervorzubringen, was Professionelle anderer Subsysteme nicht vermö-gen: wissenschaftliche Wahrheit. Das macht sie zu einer paradoxen Sache: Performanz muss für alle sichtbar sein, aber eigentlich unbemerkt bleiben, um ihren instrumentellen Charakter zu ver-schleiern. Von uns selber schweigen wir und uns selber zeigen wir nicht – der geplante Workshop soll des-halb etwas unkonventioneller angelegt sein, um das Phänomen durch Kunstgriffe in den Griff zu bekommen. Ideal wäre es, wenn der Workshop eine intensive Diskussion über Disziplingrenzen und Medientypen hinweg, changierend zwischen Analyse und Alltagsbericht, Text und Bild und Körper und Auftritt, in Gang setzen würde, um die Subjektform „Wissenschaftler“ zu ihrem Recht kommen zu lassen. Ideal wäre es auch, wenn aus der Tagung eine Publikation hervorgehen könnte, die genau diese Vielfältigkeit abbildeten.

Programm:

Do., 3.5.2018
14.30-15.45

Begrüßung

Einführung: Performanz → Evidenz. Der Auftritt in der Wissenschaft (Etzemüller)

15.45-17.00

Whenever she came in, the thing developed into a party“: Eileen Power’s persona construction during the heyday of her career (Wal)

Zwischen Homestory und Bildagentur: Wie Wissenschaft sich (und ihre Familie) rund um die Universität präsentiert (Timm)

Diskussion

Pause
17.15-18.00  

Performative Spiegelungen: (Selbst-)Inszenierungen von KunsthistorikerInnen, KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen in der Gegenwartskunst (Zimmermann)

Diskussion

Abendessen

 

Fr., 4.5.2018

09.00-10.15 

Repräsentationen von Macht und Geschlecht in der Wissenschaft (Beaufaÿs)

Zur performativen Herstellung akademischer Subjekte in Berufungsverfahren (Hamann)

Diskussion

Pause
10.45-12.00  

Anti-Professorale Professorabilität. Über den Habitus der Nach-Achtundsechziger (Alkemeyer)

Professor spielen. Ein Selbstversuch (Demandt)

Diskussion

Pause
12.15-13.00  

Performanz und performance: Richard Buckminster Fuller denkt laut über sein Leben nach (Kuchenbuch)

Diskussion

Mittagspause
14.00-15.00 Gesprächsrunde: N.N., David Ausserhofer, Horst Bredekamp und Dieter Simon über Darstellung und Stilisierung von Wissenschaftlern in Fotografien

Pause

15.15-16.30   

„Vielen Dank für Ihren anregenden Vortrag...“ Darstellungen des Praktikenkomplexes Tagung in deutschsprachiger Universitätsprosa der Gegenwart (Deigert)

Anfängerfehler, Fehlbesetzung. Zum Verhältnis von Autorin und 
Erzählinstanz in Vorlesesituationen (Vöcklinghaus)

Diskussion

Pause
17.00-17.45

Abgelesen. Der wissenschaftliche Vortrag als performative Prognose (Peters)

Diskussion

17.45-18.45 Filmvorführung und Diskussion
Abendessen

 

Sa., 5.5.2018

09.00-10.15 

Zur Mimesis einer Disziplin und ihrer Scientific community. Beobachtungen am Beispiel der „Volks-Kunde“ (Nikitsch)

Der weiße Kittel als symbolische Objektivation der Wissenschaftskultur in unterschiedlichen Handlungszusammenhängen (Papierz)

Diskussion

Pause
10.45-12.00

Initiationsrituale wider Willen. Der Körper des Ethnologen an der Schwelle zum Text (Bertrams)

WissenschaftlerInnen, singend: Schnittstellen wissenschaftlicher und musikalischer Performanz in Wissenschaftsopern (Langenbruch)

 Diskussion

Pause
12.15-13.00

Performanz kann man lernen. Zur akademischen Coaching-Industrie (Griem)

Diskussion

13.00-13.30  Abschlussdiskussion
Mittagsessen/Abreise

TeilnehmerInnen:

Alkemeyer, Prof. Dr. Thomas (Soziologie, Univ. Oldenburg)Ausserhofer, David (Fotograf, Berlin)Beaufaÿs, Dr. Sandra (Soziologie, GESIS, Köln)Bertrams, Björn (Germanistik, Univ. Oldenburg)Bredekamp, Prof. Dr. Horst (Kunstgeschichte, HU Berlin)Hoppe, Dr. h.c. Felicitas (Schriftstellerin, Berlin)Deigert, Sabrina (Erziehungswissenschaften, Univ. Oldenburg)Demand, Dr. Christian (Chefredakteur „Merkur“, Berlin)Eichler, Roman (Soziologe, Fotograf, Oldenburg)Etzemüller, apl. Prof. Dr. Thomas (Geschichtswissenschaft, Univ. Oldenburg)Griem, Prof. Dr. Julika (Anglistik, Univ. Frankfurt/Main)Hamann, Dr. Julian (Soziologie, Univ. Bonn)Kuchenbuch, Dr. David (Geschichtswissenschaft, Univ. Gießen)Langenbruch, Dr. Anna (Musikwissenschaft, Univ. Oldenburg)Nikitsch, Dr. Herbert (Europäische Ethnologie, Univ. Wien)N.N. (FotografIn)Papierz, Zuzanna (Kunst und Materielle Kultur, TU Dortmund)Peters, Dr. Sybille (Medienwissenschaft, Univ. Gießen)Simon, Prof. em. Dr. Dieter (ehem. Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin)Timm, Prof. Dr. Elisabeth (Europäische Ethnologie, Univ. Münster)Wal, Rozemarijn van de (Geschichtswissenschaft, Univ. Groningen)Zimmermann, PD Dr. Anja (Kunstgeschichte, Univ. Oldenburg) Finanziert durch:

  • Thyssen-Stiftung, Apostelnkloster 13-15, Köln
  • DFG-Graduiertenkolleg "Selbst-Bildungen"

Verbindliche Anmeldung erbeten bis 31.3.2018 unter thomas.etzemueller@uol.de

03.05.2018 14:30 – 05.05.2018 13:30

Köln, Thyssen-Stiftung

Prof. Dr. Thomas Etzemüller (Universität Oldenburg); Mitveranstalter: DFG-Graduiertenkolleg "Selbst-Bildungen"

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