Prof. Dr. Doreen Brandt

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Literatur in Zeiten der Schriftlosigkeit

Literatur in Zeiten der Schriftlosigkeit

Die niederdeutsche Literatur von 1650 bis 1800. 

(Prof. Dr. Doreen Brandt)

Vom 16. bis 17. Jh. vollzog sich in Norddeutschland ein fundamentaler Sprachwandelprozess. Nachdem sich die niederdeutsche (ndt.) Schriftlichkeit in der zweiten Hälfte des 14. Jh.s von der lateinischen (lat.) emanzipiert hatte, kündigte sich zu Beginn des 16. Jh.s mit der Übernahme des Hochdeutschen (Hdt.) ein zweiter Schriftsprachenwechsel in der Geschichte der ndt. Sprache an, der in der Mitte des 17. Jh.s zum Abschluss kam (Sodmann 2000). Erst im 19. Jh. kam es zur sog. ‚Reliterarisierung‘ der ndt. Sprache (Langhanke 2015). Zugespitzt lässt sich deshalb von der Schriftlosigkeit der ndt. Sprache im Zeitraum von etwa 1650 bis 1800 sprechen. Daher stellen sich zwei Fragen – zum einen danach, wie eine Literatur in einer Sprache, die im Begriff war, ihre schriftsprachliche Geltung zu verlieren oder schon verloren hatte, eigentlich beschaffen ist, zum anderen danach, was die literarische Produktion mit Ndt. angesichts des Schriftsprachenwechsels schließlich doch ermöglicht hat. Denn die „Niederdeutsche Bibliographie“ von Conrad Borchling und Bruno Claußen (1931–1936, 1956) verzeichnet auch für diese schriftlose Phase immerhin 1619 Drucke. Ganz überwiegend handelt es hierbei um literarische Texte im engeren Sinne, darunter an erster Stelle mehr als 800 Hochzeitsgedichte. Damit deutet sich an, dass, wenn die ndt. Sprache literarisch produktiv gemacht wurde, dies am ehesten mit dem Hochzeitsgedicht geschah. Will man also die Forschungslücke schließen, die sich zwischen der mittelndt. Literatur bis zum 17. Jh. und der neundt. Literatur ab dem 19. Jh. nach wie vor auftut, und zu Erkenntnissen über die ndt. Literatur nach dem Schriftsprachenwechsel gelangen, dann führt der Weg zu diesem Erkenntnisziel über die Gattung der Hochzeitsgedichte. Das Projektvorhaben versteht sich als Forschungsbeitrag zu Fragen und Phänomenen literarischer Mehrsprachigkeit und ist demzufolge angesiedelt am Schnittpunkt von Literatur- und Sprachwissenschaft. 

Mit der skizzierten Zielstellung bildet das anvisierte Vorhaben den Auftakt zu einer umfassenden Erschließung der ndt. „Literatur in Zeiten der Schriftlosigkeit“, in deren Rahmen weitere Bestände digital erschlossen und gesichert, literaturwissenschaftlich untersucht und in Auswahl für die interessierte Öffentlichkeit wie auch für die Forschungsgemeinschaft ediert werden sollen - darunter auch Caspar Abels allegorische Verserzählung „Hülflose Sassine” (1738) und Kaspar Friedrich Renners Tierepos „Hennynk de Han” (1732). Zugleich versteht sich das Projekt als exemplarische Untersuchung zu Literaturen, die nach einer Blüte im Mittelalter unter ähnlich gelagerten sprachhistorischen Voraussetzungen in der Frühen Neuzeit fortbestanden, um u. a. im Zusammenhang mit der Nationenbildung im 19. Jahrhundert zu neuer Geltung zu gelangen (z. B. die tschechische und die okzitanische Literatur).

Bestandsdokumentation ndt. Drucke 1650 bis 1800:

Brandt, Doreen/Wolters, Kea-Marie/von Lienen, Joschka: LiZS_Ndt. Lit. 1650 bis 1800. Bestandsaufnahme der Drucke.xlsx, Bestandsaufnahme der Drucke nach der "Niederdeutschen Bibliographie" (Borchling/Claußen), https://doi.org/10.57782/2LKHYX/BF85VQ, DARE, V1. 2025.

Forschungsbibliografie zur ndt. Literatur im 17. und 18. Jahrhundert:

Brandt, Doreen/Becker, Thees: Forschungsbibliografie, https://doi.org/10.57782/6Q4PL1, DARE, V1. 2025

Weiterführend: 

Doreen Brandt: Niederdeutsch nirgendwo? Neue Perspektiven auf die niederdeutsche Literatur von 1650 bis 1800. In: 100 Jahre Niederdeutsche Philologie. Ausgangspunkte, Entwicklungslinien, Herausforderungen. Teilbd. 2: Aktuelle Forschungsfelder. Hrsg. v. Andreas Bieberstedt, Doreen Brandt, Klaas-Hinrich Ehlers, Christoph Schmitt. Berlin u. a. 2024 (Regionalsprache und regionale Kultur 7), S. 503–534.

 

(Stand: 15.03.2025)  Kurz-URL:Shortlink: https://uol.de/p108165
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