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Die Rede von Versöhnlichkeit ist ein zentraler Bestandteil in der erinnerungskulturellen Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Gleichzeitig scheint eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen Täter- und Opferseite für viele Betroffene sowie deren Nachfahren weder vorstellbar noch wünschenswert. Diese augenscheinlich widerstrebenden Ansprüche sind unter anderem auf eine ambige Begrifflichkeit und die Mehrdimensionalität solcher Verständigungsprozesse zurückzuführen:
- Individuelle Erinnerungsbedürfnisse von Opfern und deren Nachfahren stehen häufig in einem Spannungsverhältnis zu kollektiven Versöhnungserwartungen, etwa wenn der Geschädigte das Verzeihen verweigert. Letzteres kann vonseiten einer auf Versöhnung bedachten Gesellschaft nicht erzwungen werden (Kodalle 2013). Ungeachtet dessen werden Versöhnungsprozesse zwischen Kollektiven häufig durch politische Initiativen ohne Rücksicht auf die Haltung einzelner Personen oder Personengruppen forciert. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit eine Versöhnung ohne Verzeihen möglich ist (Grätzel 2018).
- Ein Angebot zur Versöhnung kann mit unterschiedlichen Absichten einhergehen. Zum einen wird Versöhnung als Prozess verstanden, der nicht zwangsläufig zum Abschluss kommen muss. Zum anderen wird damit die Vorstellung von einem abgeschlossenen Zustand hervorgerufen. Folglich können Versöhnungsangebote unterschiedlich interpretiert werden, nämlich entweder als Vorschlag zur Bearbeitung oder Beilegung des Konflikts. Die disparate Bezugnahme auf diese beiden Begriffsdimensionen kann die Verständigung zwischen den Positionen stören.
- Das Konzept der Versöhnung impliziert ein dynamisches Verhältnis von Erinnern und Vergessen. In diesem Spannungsfeld von „Erinnernwollen“ und „Vergessenkönnen“ bleibt offenbar stets ein unverhandelbarer Rest, der sich dem Versöhnungsanspruch entzieht und als Andenken an Konflikterfahrungen bewahrt wird. In Jenseits von Schuld und Sühne spricht Jean Améry in diesem Zusammenhang von einer „unüberbrückbare[n] Kluft“ und in weiter leben weist Ruth Klüger die Versöhnung mit dem provokanten Statement „Verzeihen ist zum Kotzen“ zurück.
Daraus ist zu folgern, dass eine Erinnerungskultur auch konträre Positionen anerkennen und Antagonismen aushalten können muss. Diese Herausforderung bleibt über das Ende der Zeitzeugenschaft hinaus bestehen und setzt sich im Verhältnis der nachfolgenden Generationen fort.
Im Rahmen der Tagung soll untersucht werden, wie das Thema der Versöhnung in der Literatur verhandelt und dabei gegebenenfalls eine erinnerungskulturelle Vermittlungsleistung erbracht wird. In diesem Zusammenhang wäre zu diskutieren, inwieweit auch die Rede über die Grenzen der Versöhnung letztlich den Dialog sucht und somit einen Beitrag zur Versöhnung leisten kann. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht lassen sich hierbei u. a. folgende Fragen stellen:
- Wie wird Unversöhnlichkeit dargestellt (discours)? Gibt es spezifische literarische Verfahren (Erzählweisen, sprachliche Mittel, Verfremdungstechniken, Intertextualität etc.), die für die Inszenierung des Unversöhnlichen besonders geeignet sind? Welchen Einfluss hat hierbei jeweils die Wahl der literarischen Gattung?
- Wie wird Unversöhnlichkeit inhaltlich umgesetzt (histoire)? Gibt es spezifische Motive (z. B. Amnesie, Verdrängung, Rache), Handlungsschemata (z. B. Liebesbeziehung), Figurenkonstellationen (z. B. Generationenbeziehungen) etc.?
- Inwiefern kann im Rahmen literarischer Kommunikation zwischen AutorInnen und LeserInnen Versöhnung angeboten oder verweigert werden? Lassen sich hierbei für Fiktion und Nichtfiktion (z. B. Autobiografien) unterschiedliche Funktionspotenziale feststellen?
Diese und ähnliche Schwerpunkte können aus germanistischer oder komparatistischer Perspektive anhand konkreter Textbeispiele bearbeitet werden. Zudem sind Beiträge zu systematischen Aspekten willkommen, die auch in anderen disziplinären Kontexten verortet sein können (Philosophie, Theologie, Geschichte, Soziologie, Psychologie).
Beitragsvorschläge in Form eines kurzen Abstracts im Umfang von max. 300 Wörtern sowie einer Kurzvita senden Sie bitte bis zum 15. November 2018 an: