Henriette Engelke – Dissertationsprojekt
Henriette Engelke
Henriette Engelke – Dissertationsprojekt
Zwischen Krise(n) und Experiment. Opernverfilmungen der Stummfilmzeit und deren Reflexion im zeitgenössischen Journalismus, 1907–1930
Erstbetreuerin: Prof. Dr. Anna Langenbruch | Zweitbetreuerin: Prof. Dr. Carolin Stahrenberg (Anton-Bruckner-Privatuniversität, Linz)
Seit der Geburt des Kinos gibt es ein Interesse, Opern über das filmische Medium zu verbreiten und zu popularisieren. So entstanden allein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hunderte Opernverfilmungen unterschiedlichster Ausprägung, und zwar sowohl mit als auch ohne Gesang. Abgesehen von den Tonbildern aus der Frühzeit des Kinos, die wir als Vorformen des Musikvideoclips verstehen können, reichten die Adaptionen von der „Lichtspieloper“ (einer mehr oder weniger partiturgetreuen Verfilmung mit synchronisiertem Live-Gesang im Kino) über den mitunter nur lose auf einer Oper basierenden Musikfilm bis hin zum einfachen Spielfilm. Die Opernverfilmungen richteten sich einerseits an die breite Masse, wobei sie zwischen Massenspektakel und Volkserziehung standen; andererseits zielten sie explizit auf ein „elitäres“, nämlich das Theater- und Opernpublikum ab und müssen damit einhergehend im Kontext einer angestrebten Nobilitierung des Massenmediums Film gesehen werden. Der zeitgenössische Journalismus diskutierte Legitimation und Funktion von Opernverfilmungen auf unterschiedlichste Weise, nicht zuletzt in Hinblick auf das medienkompetitive Verhältnis von Oper und Film sowie ihre verschiedenen Funktionsweisen. Gleichzeitig entstanden erste theoretische Überlegungen zur filmischen Übersetzung von Opern. So wurden die Dramaturgie des Films und die Dramaturgie der Oper, das Schauspiel auf der Bühne und das Schauspiel auf der Leinwand, aber auch Bedeutung, Funktion und Gestalt der Musik in Oper und Film besprochen und miteinander verglichen. Denn, wie Guido Glück 1921 in den Musikblättern des Anbruch betonte, „[a]lle drei in Rede stehenden Theaterstückgattungen [Drama, Libretto, Kino] verlangen ihre eigene Struktur, ihr eigenes Lebenstempo“.
Das Promotionsprojekt untersucht das intermediale Phänomen der Opernverfilmung insbesondere im Lichte seiner frühen kritisch-ästhetischen Rezeption im deutschsprachigen Raum. Anhand der intensiven Debatte rund um die Problematik dieser beliebten und gleichzeitig umstrittenen Form des Medienwechsels soll gezeigt werden, wie vermeintlich wertneutrale medienästhetische Argumente und soziokulturell bedingte Werturteile ineinandergreifen. So entfacht sich an der Frage nach der filmischen Übersetzung von Opern gleichzeitig die Diskussion um Hochkultur und Massenkultur bzw. um Kunst und Nicht-Kunst, insofern die Oper als Gattung und das (Musik‑) Theater als Ort der bürgerlich-intellektuellen Hochkultur par excellence dem Film als Massenmedium und dem Kino als Ort der Zerstreuung gegenübergestellt werden. Während die einen Opernverfilmungen als kulturelle Schändung oder Entweihung empfanden, meinten andere, deren volksbildnerisches Potential zu erkennen.