Kristina Kromm

Im Spannungsfeld zwischen Politik, Ideologie und Ökonomie: Tendenzen institutioneller Autonomisierung im belarusischen Literaturfeld (Ende der 1980er Jahre bis 2019)
(Dissertationsprojekt von Kristina Kromm)

Im Rahmen des DFG-geförderten Projekts "Autonomie, Markt und Ideologie im Belarussischen Literaturfeld des ersten Drittels des 20 Jh.s und der Jahrtausendwende" ist es das Anliegen des Dissertationsprojekts, das feldtheoretische Modell Pierre Bourdieus heuristisch mit der postsowjetischen ‚Rekonstituierungsphase‘ der belarussischen Literatur zu konfrontieren, um daraus Ansätze für eine Flexibilisierung seines Autonomiekonzepts zu entwickeln. Impuls gebend für ein solches Vorhaben ist die Beobachtung einer Diskrepanz zwischen den von Bourdieu veranschlagten Voraussetzungen und Indikatoren literarischer Autonomie (u.a. Äußerungen des L’Art pour l’Art, umgekehrte ökonomische Ordnung), die im zeitgenössischen belarussischen Literaturfeld weitestgehend fehlen, und hier identifizierbaren Prozessen, die auf spezifische Formen einer Autonomisierung hindeuten (Etablierung ‚alternativer‘ Institutionen der materiellen und symbolischen Produktion, Existenz zweier Schriftstellerverbände etc.), in Bourdieus Autonomiekonzept indessen nicht vorgesehen sind.

Üblicherweise wird dem literarischen Feld innerhalb der Strukturen des sozialen Raums, in Relation zum Machtfeld eine (relativ) beherrschte Position zugeschrieben. Davon ausgehend leitet sich vor dem Hintergrund des o.g. Befunds die zentrale These des Promotionsprojekts ab: Das zeitgenössische belarussische Literaturfeld weist spezifische Formen der Autonomisierung auf, die in Zusammenhang stehen mit der besonderen Makrostruktur des sozialen Raums.

Zentral für den Forschungsansatz ist der Ausgangspunkt, dass sich das belarussische Literaturfeld seit Anfang der 1990er Jahre (Beginn der staatlichen Selbstständigkeit) innerhalb einer politischen und ökonomischen Makrostruktur rekonstituiert, die sich wesentlich vom französischen Modellfall unterscheidet (schwache Prägung des Machtfelds durch ein marktökonomisch bedingtes Geld- und Profitstreben, andererseits Akzentuierung politisch-ideologischer Parameter, Personalisierung der institutionellen Herrschaftsstrukturen sowie der den sozialen Raum strukturierenden Kräfte durch den Präsidenten). Relevant für die spezifische Profilierung der Indikatoren literarischer Autonomisierung ist darüber hinaus der Aspekt, dass die belarussische Literatur nach ihrem Heraustreten aus der Sowjetliteratur Züge einer ‚Kleinheit‘ trägt (Akzentuierung nationalkultureller Parameter auf der ästhetisch-poetologischen Ebene sensu Casanova).

Daraus ergeben sich folgende zentrale Arbeitshypothesen:

  1. Die spezifische Verflechtung ökonomischer, politischer und institutioneller Strukturen mit dem Literaturbetrieb hebelt Wettbewerbsmechanismen des Literaturmarkts weitgehend aus.
  2. Die Autonomisierungsprozesse im zeitgenössischen belarussischen Literaturfeld stehen weniger mit einer Vorherrschaft des ökonomischen Parameters (verkehrte Ökonomie), denn mit einem politisch-ideologischen Parameter in Zusammenhang.
  3. Die Entwicklungen ästhetisch-poetologischer und institutioneller Autonomie überlagern sich.

Für die Überprüfung der Arbeitshypothesen wird das (heuristisch genutzte) Feldmodell ergänzt durch Ansätze zur Untersuchung ‚kleiner‘ Literaturen. Flankierend werden Ansätze des New Institutionalism und der Literaturaxiologie genutzt. Geplant sind zudem empirische Untersuchungen auf der Basis quantitativer und qualitativer Erhebungen und Textanalysen.

Die Korrelation der Erkenntnisse zur Profilierung der Autonomie auf der ästhetisch-poetologischen und institutionellen Ebene soll dabei helfen, Prozesse offenzulegen, die im Modell Bourdieus bislang nicht als Indikatoren von Autonomie verstanden werden können, in der Logik des zeitgenössischen belarussischen Literaturfelds indessen für die Formierung von Autonomie sprechen.

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