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Dalila Niksic:
  
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Themenoffene Arbeitstagung der Fachgruppe Frauen- und Genderstudien der Gesellschaft für Musikforschung

Tagungsablauf

Freitag, 11.09.2020

15.00–15:15: Begrüßung

15:15–16:45: Sozialisation, Bildung, Vermittlung über Zeiten und Grenzen I
(Repondenz Stefanie Acquavella-Rauch / Silke Wenzel)

Freia Hoffmann / Sophie Drinker Institut (Bremen): »Mme Schumann selbst kann ich ebenwohl als Mann nehmen« – Möglichkeiten und Grenzen für Lehrerinnen an Konservatorien im 19. Jahrhundert (Respondenz Stefanie Acquavella-Rauch)

Keiko Uchimaya (Wien): ›Botschafterin‹ westlicher Musik Nobu Kōda (1870–1946) – Gender Dissonanzen zur Zeit der der Modernisierung Japans (Respondenz Silke Wenzel)

16:45–17:30 Kaffeepause

17:30–19:00: Moderne / Medien und Körper
(Respondenz Rebecca Grotjahn)

Jörg Holzmann (Leipzig): »Die (Noten-)Rolle der Frau im Aufnahmesalon Hupfeld«

Cornelia Bartsch (Oldenburg): Körperzeichen – Kurvenschriften. Figuren des Primitiven und des Weiblichen als Agens europäischer Avantgardebewegungen im frühen 20. Jahrhundert

19:30–21:00 Fachgruppensitzung

Sonnabend 12.09.2020

10–11:30: Theater / Performance /(Selbst)Inszenierungen
(Respondenz Anke Charton)

Clemence Schupp-Maurer (Oldenburg): Die Repräsentation von historischen Chanson- und Jazzsängerinnen im populären Musiktheater seit 1970: (Re-)Produktion von Musikgeschichten und Genderkonzepten

Marina Schwarz (Leipzig): Zwischen Stricksocken und MotorradÄsthetik – Selbstinszenierungsstrategien bei Andrea Berg

12:00–13:30: Mediale Genderstrategien und Analytisches
(Respondenz Ariane Jeßulat)

Anne Ewing (Wien): No trifling matter: removing gender biases in the analysis of Beethoven’s Op. 33 Bagatelles.

Julia Freund (Gießen): Musikalische Schrift und männliche Körperbilder in Sylvano Bussottis Oper Lorenzaccio

13:30–15:30: Mittagspause

15:30–18:15: Sozialisation, Bildung, Vermittlung über Zeiten und Grenzen II
(Respondenz: Silke Wenzel / Christina Richter-Ibáñez)

15:30–17:00:
Katharina Hottmann (Siegen): Musikalische Sozialisation und Geschlecht zwischen 1900 und 1930 am Beispiel der Jahrbücher Der gute Kamerad und Das Kränzchen (Christina Richter-Ibáñez)

Shanti Suki Osman (Oldenburg/Berlin): Investigating the Sonic Learning Practices of Women* Music Students of Colour in Higher Education and Universities. (Silke Wenzel)

17:00–17:30 Kaffeepause

17:30–18:15:
Lina Blum (Oldenburg): »… um sie nicht im Vergessen verschwinden zu lassen.« Über Erinnern und Vergessen exilierter Sängerinnen am Beispiel von Maria Schacko (1905–1996) (Christina Richter-Ibáñez)

Anschließend: »Open Space«

Sonntag 13.09.2020

10:00–11:30: Genderstrategien für die Musik/Wissenschaft des 21. Jahrhunderts
(Respondenz Elisabeth Treydte)

Johannes Dörr (Oldenburg): Ein Adventskalender für meine Mutter – Auf der Suche nach Komponistinnen

Abby Gower (Wien): A Tool Intended for Long-Term Change: The creation of a thesis informed by Guerilla Gender Musicology

12:00–13:00 Abschlussdiskussion

Sozialisation, Bildung, Vermittlung über Zeiten und Grenzen I

(Repondenz Stefanie Acquavella-Rauch / Silke Wenzel)

Freia Hoffmann, Annkatrin Babbe und Volker Timmermann:
»Mme Schumann selbst kann ich ebenwohl als Mann nehmen«–
Möglichkeiten und Grenzen für Lehrerinnen an Konservatorien im 19. Jahrhundert

Als Joachim Raff 1879 einer unbekannten Bewerberin mitteilte, am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt würde grundsätzlich »keine Lehrerin angestellt«, musste er sogleich einschränken: »Mme Schumann selbst kann ich ebenwohl als Mann nehmen« (Brief vom 3. Juli 1879, UB Frankfurt Mus. Autogr. J. J. Raff). Musste also eine Musikerin nur prominent genug sein, um in den erlauchten Kreis der Konservatoriumslehrer aufgenommen zu werden? Auf den ersten Blick mag es so scheinen, wenn wir z. B. an die Sängerinnen Mathilde Marchesi und Selma Nicklass-Kempner (beide am Konservatorium in Wien, letztere auch am Stern’schen Konservatorium in Berlin) denken. In der Alltags-Realität der Ausbildungsinstitute gab es aber auch andere Gesichtspunkte und Bedürfnisse, die einen pragmatischen Umgang mit dem Thema nahelegten. Da 1817 in Prag und Wien die ersten (Gesangs-)Studentinnen Einzug in die Konservatorien hielten, folgte daraus die Notwendigkeit, geeignete Lehrerinnen zu beschäftigen, nicht nur aus fachlichen Erwägungen: Der Unterricht sollte nach Geschlechtern getrennt erfolgen. Das war auch der Anspruch, als sich 1843 in Leipzig erstmals auch für Frauen mit Hauptfach Klavier die Türen öffneten. Konservatorien waren im 19. Jahrhundert wahrscheinlich die ersten koedukativen Ausbildungsinstitutionen, und bei dem enormen Ansturm von Frauen, der spätestens in der zweiten Jahrhunderthälfte einsetzte, war eine solche Äußerung wie die oben zitierte von Joachim Raff eigentlich ein Anachronismus. Zudem bildeten die meisten Konservatorien nicht nur für eine zukünftige Berufspraxis aus, sondern unterhielten auch Abteilungen für DilettantInnen und Seminare für zukünftige Instrumentallehrkräfte, d. h. sie betrieben auch sog. Elementarschulen für Kinder. Daher waren Zielgruppen wie auch Lehrerkollegien durchaus geschlechter-gemischt, und es ergaben sich bereits frühzeitig Berufsmöglichkeiten für Musikerinnen.
Der Vortrag referiert Teilergebnisse des Forschungsprojekts »Konservatorien im deutschsprachigen Raum im 19. Jahrhundert«, das seit 2016 am Sophie Drinker Institut in Bremen betrieben wird.


Freia Hoffmann, Dr., bis 2010 Professorin für Musikpädagogik an der Universität Oldenburg, seit 2001 Leiterin des Sophie Drinker Instituts in Bremen. 1973 Promotion Universität Freiburg, 1988 Habilitation in Oldenburg mit Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur (Frankfurt/Leipzig 1991). Zahlreiche Arbeiten zur Musikpädagogik, Historischen Musikwissenschaft, Frauen- und Geschlechterforschung. Am Sophie Drinker Institut Herausgeberin des Lexikons Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Seit 2016 Arbeit an einem »Handbuch Konservatorien. Institutionelle Musikausbildung im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts« in drei Bänden. Erscheint hoffentlich 2021.

Keiko Uchimaya: »Botschafterin« westlicher Musik Nobu Kōda (1870–1946) –
Gender‑Dissonanzen zur Zeit der der Modernisierung Japans

Nach ihrem Abschluss bei der sogenannten Musikforschungsstelle, der ersten in Japan gegründeten nationalen Musikinstitution, studierte die japanische Geigerin, Pianistin und Komponistin Kōda Nobu in Boston und Wien als erste staatliche Stipendiatin im Musikbereich. In Wien komponierte sie während ihres Studiums im Hauptfach Geige eine Violinsonate, die zwar unvollendet blieb, dafür aber die erste
westliche Komposition einer Person aus Japan ist. Nach ihrer Rückkehr nach Japan galt sie als Pionierin der westlichen Musik und wurde Professorin an der Musikschule Tokio; allerdings kritisierten die Medien allmählich die Dominanz der Lehrerinnen an der Musikschule, so dass sich Koda schließlich unter Umständen zurückzog, die in meinem Vortrag untersucht werden. Denn die soziale Struktur Japans änderte sich während der Meiji-Restauration mit ihren Bestrebungen um die Modernisierung des Landes so drastisch, dass man Kōdas Karrierebruch nicht allein unter Genderaspekten untersuchen sollte. Ein intersektionaler Ansatz berücksichtigt dem gegenüber auch ihren sozialen Stand als Angehörige einer Samurai-Familie mit dezidiert japanischen Traditionen in einem spannungsreichen Verhältnis zu dem, was sie zusätzlich zur westlichen Musik als solcher an musikkulturellem Verständnis zurückgebracht hatte. Es stellt sich die Frage, wie Kōda selbst eine kulturelle Identität vor dem Hintergrund der Modernisierung Japans entwickelte und wie sich diese in ihrer Musikanschauung niederschlug.


Keiko Uchiyama wurde in Tokio geboren. Nach Abschluss eines Bachelorstudiums an der Tōhō-Gakuen-Musikhochschule in Tokio sowie eines Magisterstudiums an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz ist sie derzeit Doktorandin an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Ihr Dissertationsthema lautet »Interkulturelle Perspektiven auf Musikanschauung und Moderne in Tokio und Wien – auf den Spuren von Rudolf Dittrich (1861–1919)«. Sie hielt Vorträge beim »20th Quinquennial Congress of the International Musicological Society« in Tokio (2017) sowie auf dem IMS Intercongressional Symposium in Luzern (2019). Sie ist auch als Flötistin und Instrumentalpädagogin tätig.

Moderne / Medien und Körper

(Respondenz Rebecca Grotjahn)

Jörg Holzmann: Die (Noten-)Rolle der Frau im Aufnahmesalon Hupfeld

Das Medium der Notenrolle und die Stellung, die dieser besonderen Spielart des Toninformationsträgers im Hinblick auf Interpretationsforschung und die enge Verzahnung von technologischem Fortschritt im Instrumentenbau sowie dem Willen zur Reproduzierbarkeit künstlerischen Ausdrucks zukommt, wurde in jüngerer Vergangenheit vielseitig beleuchtet. Nichtsdestotrotz bedürfen einige Aspekte noch einer näheren Betrachtung.
Ein Desiderat stellt die Erforschung der Rolle dar, die Frauen in diesem Zusammenhang innehatten. Trotz der numerischen Dominanz männlicher Interpreten ist nicht zu leugnen, dass auch Pianistinnen, einige von ihnen mit einer beträchtlichen Anzahl an Einspielungen, in den Katalogen führender Hersteller verzeichnet sind. Geläufige Namen stehen in einer Reihe mit denen von Interpretinnen, über die so gut wie nichts bekannt zu sein scheint. Lückenhafte Biografien sollen daher ergänzt und im Hinblick auf das Zustandekommen von Verträgen mit Herstellern von Notenrollen erschlossen und in den Kontext zu jenen, die mit männlichen Pianisten geschlossen wurden, gestellt werden.

Des Weiteren soll näher auf die Beschaffenheit des Repertoires eingegangen werden, das Pianistinnen für die Produktion von Notenrollen eingespielt haben, und darauf, welche Rückschlüsse dies auf die sich gerade in dieser Zeit stark verändernde Stellung der Frau auch im Kanon der Klaviermusik zulässt. Eine wichtige Quelle für die Rezeption jener musikalischen Veröffentlichungen stellen Rezensionen in der damaligen (Fach-)Presse dar. »Mensch und Maschine« als hierbei häufig verwendetes Schlagwort soll gleichsam ausgeweitet und eingegrenzt auf »Frau und Maschine« untersucht werden, wobei ein spezieller Fokus auf der veränderten Wahrnehmung der Frau und ihrer Tätigkeit an technischen, gar industriellen Gerätschaften vor, während und nach dem ersten Weltkrieg liegt.

Nicht vernachlässigt werden dürfen auch jene auf den ersten Blick abseitigen Felder, wie etwa Werbung, Organisation und Produktion, in die Frauen jederzeit involviert waren, wobei der Fokus vorerst auf der Produktion der Ludwig Hupfeld AG in Leipzig liegen soll.

Jörg Holzmann studierte klassische Gitarre an der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart und schloss die Studiengänge Künstlerische Ausbildung und Instrumentalpädagogik jeweils mit der Bestnote ab. Anschließend Gitarrenlehrer an Musikschulen im Raum Stuttgart, Teilnahme an internationalen Gitarrenwettbewerben (Preise bei wichtigen Festivals in Spanien, Indien, Korea und den USA). Ab 2017 Studium der Musikwissenschaft (Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte) in Stuttgart und Leipzig, 2020 Masterabschluss mit einer Arbeit über das Leben und Wirken der Pianistin Helena Morsztyn. 2018– 2020 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig. Seit 2020 Mitarbeiter am Institut für Interpretation an der Hochschule der Künste Bern im Projekt »Historisches Embodiment«: Auswertung früher Tonfilmdokumente und deren Nutzen für die Instrumentalpraxis (als Basis der daraus entstehenden Doktorarbeit). Neben seiner Arbeit als Musikwissenschaftler ist Jörg Holzmann auch solistisch und kammermusikalisch als Gitarrist aktiv, komponiert eigene Stücke, beschäftigt sich mit Transkriptionen für klassische Gitarre und ist an der Erprobung neuer und unkonventioneller Konzertformate interessiert.

Cornelia Bartsch (Oldenburg):
Körperzeichen – Kurvenschriften. Figuren des Primitiven und des Weiblichen als Agens europäischer Avantgardebewegungen im frühen 20. Jahrhundert

Für Isadora Duncan war die »Tänzerin der Zukunft« identisch mit dem »Weib der Zukunft« und verkörperte die Essenz einer Kunst, in der tiefste Vergangenheit und höchste Moderne zusammenfallen: in den Bewegungen des »Wilden«, wie sie 1903 schreibt, in dessen individuellem Körper sich die »Bewegung des Weltalls« konzentriere. Der »Chok«, den die Musik und die Tänze US-amerikanischer Jazz-Bands in den 1920er Jahren in Europa hinterließen, beruhte auf der Vorstellung einer magisch-ursprünglichen Ausdruckskraft, die die ›degenerierte‹ europäische Kunst spätestens seit der europäischen Aufklärung verloren hätte. Dem gegenüber stand ein zunehmendes Misstrauen gegen die Sprache und vor allem gegen die diese konventionalisierende Schrift: »Was nie geschrieben wurde, lesen«, schrieb Walter Benjamin zu Beginn der 1930er Jahre in seinem Essay Über das mimetische Vermögen. »Dies Lesen ist das älteste: das Lesen vor aller Sprache, aus den Eingeweiden, den Sternen oder Tänzen.« Die Magie, die in der vermeintlich ›ursprünglichen‹ Ausdruckskraft der ›Primitiven‹, und hier insbesondere in der Kunst des Tanzes als ältester Form des ›Gesamtkunstwerks‹, gesehen wurde, traf sich mit der ›Magie‹ der neuen Medien. Mit analogen Kurvenschriften schienen Phonographie und Kinematographie die Bewegungen von Körper und Stimme ›authentisch‹ wiederzugeben.

Der Vortrag wird anhand ausgewählter Beispiele der Frage nachgehen, wie Figuren des ›Weiblichen‹ und des ›Primitiven‹ in den skizzierten Prozessen und Diskursen zum Agens einer Moderne werden, die die Produzent*innen der vermeintlich authentischen Kunst als Subjekte ausschließt und wie dies insbesondere über den medialen Aspekt zugleich die musikalischen Wissensordnungen strukturiert.

Cornelia Bartsch, studierte Schulmusik, Musikwissenschaft, Politologie und Germanistik in Osnabrück und Berlin. Promotion Fanny Hensel, geb. Mendelssohn Bartholdy – Musik als Korrespondenz. Wissenschaftliche Assistentin/Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Künste Berlin, am Musikwissenschaftlichen Institut Detmold/Paderborn, Gastdozentin/Vertretungsprofessorin an Hochschulen und Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 2010–2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Basel in Kooperation mit dem Zentrum Gender Studies, 2017–2020 Verwaltungsprofessorin an der CvO Universität Oldenburg. Forschungsschwerpunkte u. a.: Musikgeschichte und -ästhetik vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Musikhistoriographie, Wissensordnungen der Musik, Musik und (Post)Kolonialismus, transkulturelle Musikgeschichte, Methoden musikalischer Analyse im kulturwissenschaftlichen Kontext, Intertextualität, Intermodalität, Musik und Szene.

Theater / Performance / (Selbst)Inszenierungen

(Respondenz Anke Charton)

Clémence Schupp-Maurer: Historische Chanson- und Jazzsängerinnen im populären Musiktheater seit 1970: (Re-)Produktion von Musikgeschichten und Genderkonzepten

Seit Ende der 1970er Jahre erleben populäre Musiktheaterstücke, die sich mit historischen Chanson- und Jazzsängerinnen beschäftigen, eine Blütezeit: Piaf, je tʼaime (Paris 1996), Marlene (London 1997), Blue Moon – Eine Hommage an Billie Holiday (Wien 2015) sind einige Beispiele für die bisher knapp 140 von mir erfassten Musicals, musikalischen Theaterstücke und Revuen dieser Art. Die Besonderheit dieser wenig erforschten Form des Musiktheaters ist nicht nur, dass historische Personen auf der Bühne dargestellt werden, sondern auch, dass diese Figuren in einem musikalisch-szenischen Werk auftreten. Dabei beschäftigen sich die Akteur*innen der entsprechenden Musiktheaterproduktionen – von den Autor*innen über Sänger*innen bis zum Publikum – mit Musikgeschichte, genauer: mit Musik, künstlerischem Handeln und Biografie historischer Musikerinnen. Wie erleben und gestalten sie die Darstellung dieser Sängerinnen? Inwiefern werden sie als biografiewürdig wahrgenommen? Und wie werden dabei Genderkonzepte verarbeitet oder hinterfragt? Selten wird über Dietrich oder Piaf geredet, ohne dass sie als »Verführerin«, »Kind« und/oder als »Karrierefrau« bezeichnet werden. Die Körperhaltung, die Gestik, die Stimme dieser Musikerinnen, die Art, wie sie ihr Leben und ihr künstlerisches Auftreten gestaltet haben, all dies beeinflusst das Bild, das heute von ihnen in diversen Medien, darunter auch das populäre Musiktheater, zu sehen und zu hören ist.

Meine Arbeit versteht sich also als ein Beitrag zur Forschung über Frauen in der Geschichte populärer Musik. Mit Methoden der Ethnografie, Theaterwissenschaft und Historischen Musikwissenschaft analysiere ich die entsprechenden Aufführungen sowie die Erfahrungen und die Wahrnehmung der Beteiligten dieser Musiktheaterproduktionen. Zentral ist dabei die Frage, wie die Akteur*innen Musikgeschichte und Genderkonzepte (re-)produzieren.

Clémence Schupp-Maurer studierte Médiation Culturelle an der Université Sorbonne-Nouvelle (Paris) und erhielt ihren Masterabschluss an der Université Charles-de-Gaulle (Lille) in Création et étude des arts contemporains. Seit 2016 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe »Musikgeschichte auf der Bühne« am Institut für Musik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie promoviert über historische Chanson- und Jazzsängerinnen im populären Musiktheater mit einem Augenmerk auf Geschichts- und Genderkonstruktionen auf der Bühne.

Marina Schwarz: Zwischen Stricksocken und Motorrad-Ästhetik – Selbstinszenierungsstrategien bei Andrea Berg

Andrea Berg ist eine der erfolgreichsten Schlagersängerinnen unserer Zeit – ihre Alben halten sich in Deutschland länger in den Charts als die der Beatles und sie füllt in körperbetonten, manchmal an Motorrad-Ästhetik erinnernden Outfits ganze Stadien. Daneben veröffentlichte die Sängerin 2013 ein Kochbuch namens »Meine Seelenküche«, in dem sie ihre liebsten Rezepte und Anekdoten niederschrieb, und auf ihrem offiziellen Instagram-Profil zeigt sie sich häufig, wie sie Socken strickt und auf dem Landgasthof ihres Mannes aushilft. Deutet man diese beiden Pole als Inszenierungsstrategien der Persona (nach Philip Auslander) Andrea Berg, lässt sich ein Dissens zwischen traditionell-domestischer Weiblichkeit und ihrer eher rockerinnenhaften Bühnenpersona erkennen. Im Rahmen meines Vortrags möchte ich die Inszenierungsstrategien hinter Andrea Berg genauer beleuchten. Dafür sollen ausgewählte Social-Media Beiträge, Konzertausschnitte und Texte ihrer Lieder analysiert werden, um die Frage aufzuwerfen, ob sie gerade wegen dieser eher gegensätzlich wirkenden Paradigmen so erfolgreich ist. Methodisch stütze ich mich dabei auf das Konzept der Persona nach Philip Auslander und auf die Ansätze zur Analyse visueller Kommunikation, beispielsweise von Maria Schreiber. Daneben sollen auch die Erwartungen und Vorurteile, die an das Frauenbild in der Schlagerwelt gestellt werden, am Beispiel von Andrea Berg kritisch beleuchtet werden.

Marina Schwarz (geb. 1995), studierte von 2014-2018 Musikwissenschaft und Kunstgeschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz und schloss das Studium mit einer Masterarbeit über Kanonisierungsprozesse in der klassischen Musik ab. Während des Studiums arbeitete sie beim Bärenreiter Verlag in Kassel, im Musikarchiv des ZDF in Mainz und schrieb für diverse Zeitungen und Festivals Kritiken und Konzerteinführungen. Seit Ende 2018 promoviert sie bei Wolfgang Fuhrmann an der Universität Leipzig. Der Arbeitstitel ihrer Dissertation lautet »Atemlos zum Erfolg – Gender, Frauenbild und aktuelle Entwicklungstendenzen im deutschen Schlager«. Zudem arbeitet sie am Institut für Musikwissenschaft in Leipzig als Lehrbeauftragte für Popularmusik.

Mediale Genderstrategien und Analytisches

(Respondenz Ariane Jeßulat)

Anne Ewing: No trifling matter: removing gender biases in the analysis of Beethoven’s Op. 33 Bagatelles

Although one could hardly claim that Beethoven and his oeuvre have suffered from a lack of scholarly attention or widespread acclaim, contributors to the analytical discourse on Beethoven’s keyboard works have consistently either deftly circumvented or blatantly ignored an opus, rendering it a seeming inconsequentiality in Beethoven’s illustrious compositional career: the seven Bagatelles of Op. 33 (published 1803). Is this (tacet) ascription warranted, though? This paper explores gender aspects of Beethoven’s Op.33 Bagatelles as inconvenient incongruities in the sociological construction of Beethoven’s identity as a musical ›genius‹, their historical performance praxis and dissemination being at odds with the biased epistemological perspectives of an overwhelmingly masculine discourse, and a fresh, yet historically relevant, approach to incorporating this opus into a more comprehensive analytical discourse on Beethoven’s creative experimentation.

Quite aside from the potentially derogatory denotation of the seven pieces in Op. 33 as »Bagatelles«, their brevity and relatively accessible performability could justifiably position them within the repertoire considered apposite for the Liebhaber – as opposed to the Kenner – and the corresponding social spaces in which such repertoire was performed. Women, seldom included in the realm of the Kenner, were agents in the dissemination of Liebhaber repertoire – music so categorised for its incompatibility with the ideals of musical ›greatness‹, and certainly, with the inherently gendered concept of ›genius‹.

Through considering the implicit biases relating to the gender of the agents of dissemination of this opus, ascription of ›genius‹, and masculine approaches to music analysis, this paper suggests an historically contextualised analytical approach to examining creative experimentation, that would make it necessary to reconsider the significance of this underrated opus in Beethoven’s oeuvre.

Anne Ewing is a PhD candidate and scholarship holder at the University for Music and Performing Arts Vienna. She was a pre-tertiary lecturer (theory, analysis, musicology, and composition) and tutor (chamber music) at the Australian National University (2005–2016), where she graduated with a Bachelor (Honours) and Master of Performance (piano). The title of her doctoral thesis is Arguing experimental creativity: Beethoven’s Bagatelles revisited. Anne has presented research papers at CityMAC 2018 London, Beethoven-Haus Bonn (2018), the final event of the project Compositrices et interprètes en France et en Allemagne: approches analytiques, sociologiques et historiques, Vienna (2019), and at the 2019 IMS Intercongressional Symposium (Lucerne). In addition to her own research, Anne is frequently engaged in translation (German to English) of a broad range of musicological publications. She also holds diplomas in cello, violin, and music theory, and has performed as a soloist, chamber musician, and orchestral musician in New Zealand, Croatia, Austria, and all the Eastern states of Australia.

Julia Freund: Musikalische Schrift und männliche Körperbilder in Sylvano Bussottis Oper Lorenzaccio

Roland Barthes’ Bonmot über den italienischen Komponisten Sylvano Bussotti (geb. 1931), in dessen Werken beginne das Theater bereits »mit dem graphischen Apparat« (Barthes 2010), scheint insbesondere auf die Oper Lorenzaccio (1968–72) zuzutreffen. Denn Bussotti zeichnet hier Bühnenbilder, Kostüme und Requisiten neben, um und mitten in die konventionell notierten Orchester- und Gesangsstimmen ein. In der Andeutung von Mimik und Körperhaltungen enthalten die Kostüm- und Figurenentwürfe häufig auch performative Instruktionen. Damit gehören Momente der szenischen Darstellung und Personenpsychologie zur schriftlichen Fixierung der Oper.

Aus Sicht der aktuellen interdisziplinären Schrift-Forschung lässt sich die Inskriptionsfläche der Lorenzaccio-Partitur als ein »artifizieller Sonderraum« (Sybille Krämer, Figuration, Anschauung, Erkenntnis, 2016) beschreiben, der die Simultaneität von projiziertem Klang und Szenischem ermöglicht und so als mediale Kontaktfläche fungiert, auf der sich zeichenhafte und bildlich-szenische Elemente begegnen. In der lustvollen Inszenierung vor allem männlicher Körper und homoerotischer Sujets gerät der musikalische Schriftraum im vorliegenden Fall auch als »medialer Identitätsraum« (Hipfl / Klaus / Scheer) in den Blick, als Medium der Performanz von Gender (Butler / Cusick). Bussottis exzentrische Schriftbilder möchte ich in diesem Beitrag weniger im Lichte persönlicher Idiosynkrasien verstanden wissen als im Sinne eines Sichtbarmachens und Aushandelns von Körperbildern und Geschlechteridentität, als ein öffentliches Aufbrechen heteronormativer Vorstellungen – gerade auch unter Berücksichtigung der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz von Homosexualität im Italien der späten 1960er Jahre sowie deren Tabuisierung in den Neue-Musik-Szenen der Zeit.

Julia Freund studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Interkulturelle Kommunikation in Freiburg, Bristol und München. Als Visiting Research Assistant war sie 2014–2017 an der School of Music der University of Leeds tätig. Promoviert wurde sie 2017 an der LMU München; die Arbeit erschien im Frühjahr 2020 unter dem Titel Fortschrittsdenken in der Neuen Musik. Konzepte und Debatten in der frühen Bundesrepublik im Wilhelm Fink Verlag. Seit 2018 ist Julia Freund Wissenschaftliche Mitarbeiterin im D-A-CH-Forschungsprojekt »Writing Music« sowie seit 2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der JLU Gießen.

Sozialisation, Bildung, Vermittlung über Zeiten und Grenzen II

(Respondenz: Silke Wenzel / Christina Richter-Ibáñez)

Katharina Hottmann: Musikalische Sozialisation und Geschlecht zwischen 1900 und 1930 am Beispiel der Jahrbücher Der gute Kamerad und Das Kränzchen

In dem Vortrag stelle ich ein Quellenbeispiel aus dem Kontext eines Forschungsinteresses zur Diskussion, das der musikalischen Sozialisation von Jungen um 1900 gilt. Während musikalische Grundfertigkeiten – vor allem Singen und Klavierspielen – bekanntlich spätestens seit dem 18. Jahrhundert integraler Bestandteil bürgerlicher Mädchenbildung waren, wodurch weibliche Identität wesentlich mitgeprägt wurde, ist das Bild vom Profil musikalischer Jungenbildung verschwommener. Zählte das Singen in Schule oder Kirche zu den musikalischen Grunderfahrungen aller Kinder und Jugendlichen, so waren darüber hinausgehende Erfahrungen weniger normativ vorgegeben, sondern von individuellen wie strukturellen Gegebenheiten abhängig. Wieweit waren die Eltern musikinteressiert und wollten ihre Söhne entsprechend fördern, waren die ökomischen Möglichkeiten dazu gegeben und wie sehr entwickelte der Junge selber Motivation, sich – wie auch immer – musikkulturell zu betätigen, also zu musizieren oder Musik zu hören? Welche Möglichkeiten bot das regionale Umfeld mit seinen Institutionen, gab es etwa Knaben- oder Kinderchöre, ein Konservatorium, öffentliche Konzerte, wie sah die Vereinslandschaft aus etc.? Auf beiden Ebenen wäre zu fragen, welche geschlechtsspezifischen Ausdifferenzierungen es gegeben haben mag, etwa im Rahmen von Familienkulturen, die im Prinzip für Töchter und Söhne ein ähnliches Grundklima geboten haben dürften. Auf der Suche nach Quellen sichtete ich neben Selbstzeugnissen auch Jugendzeitschriften und -bücher. In dem Vortrag wird das Medium des illustrierten Jahrbuchs vorgestellt, das über viele Jahrzehnte kontinuierlich erschien. Aufgrund seiner klaren Adressierung an heranwachsende Jungen (Der gute Kamerad) und Mädchen (Das Kränzchen) und seines analogen Aufbaus (geboten wird eine Mischung von Jugenderzählungen, Sachtexten, Bastel- und Handarbeitsanleitungen sowie sehr vielen Bildern) bietet es einen erhellenden Einblick in die geschlechtsspezifischen Normen und unterstellten oder auch realen Interessen der jeweiligen Zielgruppe.

Katharina Hottmann, Studium Lehramt mit den Fächern Musik und Deutsch in Hannover. 2005 Promotion an der HfMT Hannover mit einer Studie über die Opernästhetik von Richard Strauss; für die Arbeit 2007 Auszeichnung mit dem Hermann-Abert-Preis der Gesellschaft für Musikforschung. Von 2002 bis 2006 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg im Bereich Musikwissenschaft und Gender Studies, von 2007 bis 2014 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg; 2015 Habilitation über die Kulturgeschichte des Liedes im Hamburg der Aufklärung. Im Sommersemester 2011 Professurvertretung an der UdK Berlin; ab 2016 Vertretungsprofessuren an den Universitäten Hamburg, Kiel und Flensburg. Seit März 2020 Professorin für Historische Musikwissenschaft an der Universität Siegen.

Shanti Suki Osman: Investigating the Sonic Learning Practices of Women* Music Students of Colour in Higher Education and Universities

Was sind die Erfahrungen von Women* Music Students of Color in Kontexten von Sound Art und Populärer Musik? Wie gehen sie mit unterschiedlichen Diskriminierungsformen, finanziellen Schwierigkeiten und Gesundheitsproblemen in ihren Lernpraktiken um? Anhand der in Interviews mit professionellen Women* Musicians of Colour erhobenen Daten habe ich drei Handlungsarten erkannt: Stretching (Ausdehnen) – von Ressourcen, Equipment und Fähigkeiten, aus finanziellen und zeitlichen Gründen Rejecting (Ablehnen) – von Normen, welche die Frauen wiederum auch ablehnen: klassistische, sexistische, rassistische Normen Enduring (Aushalten) – Geduld bei den Versuchen, existierende Strukturen und Räume zu ändern; und Erschöpfung bei den Versuchen, neue Räume außerhalb des dominanten Rahmens zu schaffen. Sind Women* Music Students of Color in Hochschulen und Universitäten ebenso gezwungen, diese Handlungsarten einzusetzen, um sich im akademischen Umfeld durchzusetzen? In dieser Anfangsphase meines Forschungsprojekts habe ich viele Fragen: Sind Theorien des informellen Music Learning (Green 2002) oder DIY Home Studios (Wolfe 2012) im Kontext von Women* of Color ausreichend? Kann ein transcultural oder ein locational Feminismus (Tuzcu 2017) Lücken füllen? Welche Forschungsmethodologien erlauben darüber hinaus der Forscherin, trotz eigener Positionierung und Nähe, kritisch und ihrer eigenen Rolle bewusst zu bleiben? Kann die autoethnografische Methodologie von Dialogic Performance (D. Soyini Madison 2006), die nicht nur reflective sondern reflexive ist, eine Lösung anbieten? In meinem Vortrag werde ich erste Themen, Daten, Literatur und mögliche Forschungsmethodologien des Projekts darlegen.

Shanti Suki Osman (M.A. Music Education, University College London, Institute of Education, AHRC Studentship 2013) ist Musikerin, Künstlerin und Pädagogin. Sie arbeitet mit Songschreiben, akustischen Künsten, Musikmachen und Radi o, um mit Identitäten und Privilegien, kultureller Verwertung und Aneignung, Feminismen, Kritiken aus post-kolonialer und dekolonialer Perspektive umzugehen. Sie forscht im Bereich Musikpädagogik zu Themen, die Frauen* of colour, Identitäten und Lernpraktiken betreffen. 2019 bis September 2020 ist sie Co-Leiterin der von Carmen Mörsch gegründeten Schule und des Critical Race-Projekts: Die Remise, Berlin. Shanti Suki Osman ist Wissenschaftlische Mitarbeiterin an der Humboldt Universität zu Berlin (Musikwissenschaft) und an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (Musikpädagogik)

Lina Blum: »… um sie nicht im Vergessen verschwinden zu lassen.« Über Erinnern und Vergessen exilierter Sängerinnen am Beispiel von Maria Schacko (1905–1996)

Franz Schubertʼs Allegretto in c-moll D.915 setzt ein. Maria Schackos Mund öffnet sich, doch es kommt kein Ton. Sie fasst sich an die Kehle, schüttelt sich verzweifelt, als würde sie würgen, während das Klavier in dramatischen Akkord-Kaskaden abwärts donnert, doch es gelingt ihr nicht zu singen: »Schluss, aus!«, ruft sie entsetzt, »Was habt ihr mit meiner Stimme gemacht?« Alexandra Kaufmann erklärt, dass sie nicht berühmt genug gewesen sei, weshalb es keine Aufnahmen von ihr gäbe.

Die beschriebene Szene entstammt dem Puppentheaterstück »Schacko – von Diven, Dirigenten und anderen Dramen« der Gruppe Kaufmann & Co (Berlin), deren Website über das Stück auch das Titelzitat entnommen ist. Es spielt auf elementare Prozesse des Erinnerns und Vergessens an, zu denen ich in meinem Vortrag folgende für die musikwissenschaftliche Erinnerungsforschung über Sängerinnen im Exil relevante Fragen verhandeln möchte:

Wie werden in der obigen Szene musikhistoriographische Praktiken des Erinnerns und Vergessens dargestellt und interpretiert? Inwiefern beschreibt Maria Schacko selbst ihre Arbeit als Sängerin im Exil u. a. in ihren autobiografischen Skizzen, die in ihrem Nachlass im Deutschen Exilarchiv 1933–1945 aufbewahrt werden? Wie reflektiert die Öffentlichkeit der Exilstationen (z. B. Zeitungen, Programmhefte etc.) ihre Tätigkeiten und welche Umstände führen dazu, dass es mittlerweile eine verfügbare Aufnahme von ihr gibt z. B. auf dem Archiphon-Album: »Own Compositions, Otto Klemperer. Vol. 4: Piano & Vocal«, ARC-WU154).
Um diesen Fragen exemplarisch anhand der obigen Szene nachzugehen, werde ich erstens eine theaterwissenschaftlich informierte und für intertextuelle Elemente sensible Aufführungsanalyse des Musiktheaterausschnitts vornehmen. Die zweite Ebene verlangt eine kulturgeschichtliche Quelleninterpretation der für den Szenenausschnitt relevanten Dokumente. Drittens werde ich den historischen und aktuellen Kontext der Quellen analysieren, um darzustellen, wie diese drei Ebenen das Erinnern und Vergessen der Maria Schacko heute gestalten.


Lina Blum studiert an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Master Musikwissenschaften sowie im Master of Education die Fächer Musik und Englisch. Mit einer Arbeit zur »Performativität der Stimme« hat sie 2018 ihren Bachelor abgeschlossen. Von 2013 an studierte sie in Oldenburg Musik und Anglistik auf Lehramt. Seit Oktober 2017 arbeitet sie als studentische Hilfskraft in der Emmy Noether- Nachwuchsgruppe »Musikgeschichte auf der Bühne«, welche von Dr. Anna Langenbruch geleitet wird. Mit einem Fulbright Stipendium konnte sie im Wintersemester 2015/16 an der University of Northern Colorado studieren. Von 2014–2015 arbeitete sie als studentische Hilfskraft im Gender-Forschungsteam von Prof. Dr. Melanie Unseld. Ihr Masterarbeitsprojekt über Erinnern und Vergessen exilierter Sängerinnen hat sie auf der vergangenen GfM-Tagung als Poster vorgestellt. Die dazugehörige Veröffentlichung im Jahrbuch Musik und Gender befindet sich im Redaktionsprozess.

Genderstrategien für die Musik/ Wissenschaft des 21. Jahrhunderts

(Respondenz Elisabeth Treydte)

Johannes Dörr: Ein Adventskalender für meine Mutter.
Auf der Suche nach Komponistinnen

Im Jahr 2018 entschloss ich mich, meiner Mutter – die meine Liebe zur Musik teilt – einen ›musikalischen‹ Adventskalender zu schenken. Ideen hatte ich viele, aber es war keine, die so herausstach, dass ich sie für optimal hielt. Dann kam mir während einer Seminarsitzung, in der wir über die Komponistin Ethel Smyth sprachen, ein Geistesblitz, den ich zur Grundlage meines Kalenders machte: Jeden Tag würde ich eine Komponistin vorstellen und mit einer kurzen Biographie und einem Hörbeispiel einen Einblick in ihr Leben und Werk geben. Das Vorhaben stellte mich vor zwei grundlegende Probleme. Erstens kannte ich neben Clara Schumann, Fanny Hensel und der neu kennengelernten Ethel Smyth kaum weitere Komponistinnen, schon gar nicht genug, um 24 Kalenderblätter zu füllen. Zweitens befürchtete ich, dass es schwierig sein würde, zu allen Komponistinnen auch Hörbeispiele zu beschaffen.

Die anschließende intensive Recherche eröffnete mir schnell die umfangreiche Welt der Komponistinnen und begleitet mich bis heute. 24 Komponistinnen für einen Adventskalender waren rasch gefunden und ich stellte bald fest, dass sich ohne Weiteres mehr als zehn solcher Kalender füllen ließen. In zwei Jahren der Internetrecherche habe ich zahllose Artikel gelesen und Namen gesammelt, zunächst noch alle handschriftlich – später in einer Excel-Tabelle, die inzwischen über 2000 Namen von Komponistinnen des gesamten letzten Millenniums sowie der verschiedensten Nationalitäten enthält.

Von meiner Recherche und dem entstandenen Katalog möchte ich gerne berichten. Zum einen möchte ich zeigen, was ein interessierter Laie finden kann, wenn er das Internet nach Informationen zu Komponistinnen durchsucht. Zum anderen möchte ich einige Besonderheiten hervorheben, die mir begegnet sind. Bisher habe ich mich ausschließlich mit bereits verstorbenen Komponistinnen beschäftigt. Es sind also noch zahlreiche Komponistinnen zu entdecken und meine Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen. Auch mein weiteres Vorgehen auf der Suche nach den (manchmal vergessenen) Komponistinnen möchte ich daher vorstellen.

Johannes Dörr (geb. 1996) studiert seit 2015 Musik und Philosophie sowie Musikwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. BA-Arbeit über Narrativität in der Musik am Beispiel von Richard Wagners Tannhäuser-Ouvertüre. Interessenschwerpunkt seit Winter 2017 Komponistinnen. Seit Juli 2020 Forschung im Rahmen von forschen@studium zum Thema Musikunterricht in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Corona. Seit September 2020 studentischer Mitarbeiter in der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe »Musikgeschichte auf der Bühne« (Leitung: Dr. Anna Langenbruch). Thema der Masterarbeit (geplant für WS 2020/21) steht noch nicht fest, aber wahrscheinlich eine thematische Anknüpfung an Komponistinnen und ihr Werk.

Abigail Gower: A Tool Intended for Long-Term Change:
The creation of a thesis informed by Guerilla Gender Musicology

There have been great strides since the early 1990’s in gender focused musicology regarding the integration of female composers into the contemporary musical canon. However, one cannot ignore the fact that mainstream musical canon practices and performance practices remain largely unchanged (Macarthur 2010). While some efforts have proven successful, I argue that we need to update our approaches in order to more effectively integrate female composers into musical canon and performance practices, while trying to avoid inadvertently further marginalizing them and/or dissuading people from being open to them during our efforts to do the exact opposite. My presentation will focus on the concept behind my doctoral thesis Sounds, Songs, and Silence: The influence of WWI on composers in France (working title) as an example of a modified approach. I will not only discuss the ways in which my dissertation has purposefully been structured to integrate female composers with the intent of minimal negative backlash, but also how utilization of the theory Guerilla Gender Musicology (VanderHart and Gower, 2020) can help inform our decisions as musicologists (as well as music practitioners, and pedagogues) in order to more effectively and permanently change the representation of female composers in mainstream musical canon and performance practices.

Abigail Gower is a PhD student in Historical Musicology at the Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien. She comes originally from a performance background, having previously received a Bachelor’s degree in piano performance and a Master’s degree in collaborative piano. Last year, Gower’s research into the relationship between World War I and musical culture in Paris has been presented in international conferences at Sorbonne Université in Paris, and the Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien. This year she has been the recipient of scholarships for her dissertation from the Hochschule für Musik Theater und Medien Hannover’s Forschungszentrum Musik und Gender through the Mariann Steegmann Foundation. As part of a seperate collaboration, Gower and VanderHart’s article Shifting Identities of Feminism to Challenge Classical Music Canon Practices: A Beginners Guide to Guerrilla Gender Musicology, is forthcoming in a MDPI Books publication.

Respondentinnen

Stefanie Acquavella-Rauch, studierte Musikwissenschaft, Historische Hilfswissenschaften und Anglistik/Linguistik sowie Psychologie an der Philipps-Universität Marburg. 2004 bis 2008 absolvierte sie ihr Promotionsstudium ebenda (Titel der Dissertation: Die Arbeitsweise Arnold Schönbergs – Kunstgenese und Schaffensprozess). 2009 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Opera – Spektrum des europäischen Musiktheaters«, von 2009 bis 2016 Akademische Rätin und Oberrätin am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Paderborn und der Hochschule für Musik Detmold. 2016 habilitierte sie sich an der Universität Paderborn (Titel der Habilitation: Musikgeschichten: Von vergessenen Musikern und ›verlorenen‹ Residenzen im 18. Jahrhundert. Amateure und Hofmusiker – Edinburgh und Hannover). Seit 2016 ist sie außerdem (Junior-)Professorin für Musikwissenschaft an der Johannes Gutenberg- Universität Mainz und im Projekt »Christoph Willibald Gluck – Sämtliche Werke« der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, absolvierte 2019 erfolgreich die Zwischenevaluation und wurde im gleichen Jahr als assoziiertes Mitglied in die Gutenberg-Akademie aufgenommen.

Anke Charton, TT-Professorin für »Theater und Gesellschaft« am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Studium der Theaterwissenschaft und der Germanistik in Leipzig, Bologna und Berkeley, Promotion zur Opern- und Geschlechtergeschichte. Stationen an der Hochschule für Musik Detmold sowie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Forschungs- und Publikationsschwerpunkte: Gender Studies, Gesangsgeschichte und Frühneuzeitforschung.

Rebecca Grotjahn studierte Musik und Deutsch auf Lehramt, Gesang und Musikwissenschaft in Hannover und promovierte 1998 an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Nach ihrer Habilitation 2004 an der Universität Carl von Ossietzky Universität Oldenburg wurde sie 2006 Professorin für Musikwissenschaft mit Schwerpunkt Genderforschung am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Paderborn und der Hochschule für Musik Detmold. Dort leitet sie seit 2016 das DFG-Projekt Technologien des Singens (gem. mit Malte Kob und Karin Martensen). Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Singens und der Sänger*innen, Mediengeschichte, Alltagsgeschichte, Musik und Materielle Kultur, Lied und Liedgesang, Robert und Clara Schumann, Johann Sebastian Bach. Jüngste Buchpublikation: Das Geschlecht musikalischer Dinge, hrsg. von Rebecca Grotjahn, Sarah Schauberger, Johanna Imm und Nina Jaeschke (= Jahrbuch Musik und Gender 11 [2018]), Hildesheim 2018.

Christina Richter-Ibáñez (geb. 1979) ist akademische Mitarbeiterin am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Tübingen und arbeitet an einem Forschungsprojekt zur Übersetzung von an Sprache gebundener Musik. Zuvor war sie an der Paris Lodron Universität Salzburg im interuniversitären Forschungsprojekt Musik und Migration, an der Universität Tübingen sowie an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart in Lehre und Forschung tätig. Sie wurde mit der Arbeit Mauricio Kagels Buenos Aires (1946–1957). Kulturpolitik – Künstlernetzwerk – Kompositionen (Bielefeld 2014) in Stuttgart promoviert.

Ariane Jeßulat (geb. 1968), Studium an der UdK Berlin, nach Lehraufträgen dort und der Mitarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin seit 2004 Professorin an der Hochschule für Musik Würzburg sowie seit 2014 Mitglied des Instituts für Musikforschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seit Sommer 2015 Professorin für Musiktheorie und seit August 2020 Erste Vizepräsidentin an der UdK Berlin. Promotion 1999 an der UdK Berlin. Habilitation 2011 an der Humboldt-Universität zu Berlin. Veröffentlichungen zu Fragen der Musiktheorie, zur Musik Richard Wagners und zur Musik nach 1950. Seit 1989 ständige Arbeit im von Dieter Schnebel gegründeten Ensemble für zeitgenössische und experimentelle Musik die maulwerker.

Elisabeth Treydte, seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Archiv Frau und Musik / Frankfurt a. M. mit dem Projekt »Wir geben den Ton an! Chancengleichheit für Komponistinnen« (gefördert von der Mariann-Steegmann-Foundation). Studium der Musikwissenschaft, Germanistik und Romanistik in Frankfurt a. M. und Wien. 2014–2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Promotion zur geschlechterspezifischen Praxeologie zeitgenössischer Komponist*innen in Arbeit.

Silke Wenzel studierte zunächst Historischen Tanz in Paris und anschließend Musikwissenschaft, Musikpraxis, Romanistik und Archäologie in Weimar und Jena; 2013 wurde sie an der Universität Hamburg promoviert. Sie ist Redakteurin des Portals »Musik und Gender im Internet« (MUGI) und zudem »Lehrkraft für besondere Aufgaben« an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. In diesem Rahmen hat sie u. a. die regelmäßige, viersemestrige Vorlesung »Musikgeschichte International« an der Hochschule etabliert und sich darüber hinaus auf transnationale Inhalte im Fach Musikwissenschaft spezialisiert (z. B. mit Seminaren über das immaterielle Kulturerbe der UNESCO, zu Musik in Weltausstellungen, zu musikalischen Schriftsystemen oder (im kommenden Semester) zu transkontinentalen Musikwegen im Zeichen von Missionierung und Kolonialisierung.

Daniel Samaga (Stand: 19.01.2024)  | 
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