Sensorbasierte Identifikation muskulärer Belastungen der unteren Extremität informell Pflegender

Biomechanische Analyse pflegerelevanter Handlungen

Motivation

Die soziodemografische Entwicklung Deutschlands führt aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung zu einem Ungleichgewicht von Pflegenden und Pflegebedürftigen. Um dieser zukünftig zu erwartenden Diskrepanz entgegenzuwirken und die Nachhaltigkeit deutscher Gesundheitssysteme zu stärken, wird der Bedarf und die Anzahl informell Pflegender in der häuslichen Umgebung unweigerlich steigen. In Anbetracht dessen zeigt sich die Relevanz physiologischer Prozesse von informell Pflegenden hinsichtlich der mit der Ausführung von Pflegetätigkeiten einhergehenden Muskel-Skelett-Belastungen. Diese sind auf manuell ausgeführte Pflegeprozesse sowie auf die daraus resultierenden hohen Kompressionswerte der Lendenwirbelsäule zurückzuführen. Damit einhergehende Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems sind die Hauptrisikofaktoren für die Entstehung von Rückenerkrankungen. Ältere und insbesondere informell Pflegende weisen aufgrund altersassoziierter physiologischer Veränderungen und dem damit zusammenhängenden Abbau körperlicher Funktionen ein generell vermindertes Potential auf, die auftretenden Belastungen des Pflegealltags zu kompensieren.

Biomechanische Überbelastungen sind im Rahmen informeller Pflegetätigkeiten potentiell und erfordern eine funktionelle Betrachtungsweise rückenentlastender Pflegeprozesse unter Berücksichtigung der alters- und geschlechtsspezifischen Physiologie der Pflegenden. 

Ansatz

Der wissenschaftliche Fokus bisheriger Arbeiten liegt neben der Entlastung Pflegender durch technische Systeme primär auf der Analyse wirkender Kompressionen der Lendenwirbelsäule im Pflegeprozess. Auf die entlastende Funktionsaufgabe der Muskulatur der unteren Extremität wird in diesem Kontext zwar verwiesen, eine wissenschaftlich fundierte Analyse existiert zum derzeitigen Zeitpunkt jedoch nicht. Das übergeordnete Ziel des Projekts ist die sensorbasierte Identifikation muskulärer Belastungen der unteren Extremität informell Pflegender unter Verwendung der folgenden Mess- und Analysemethoden.

Der Einsatz verschiedener geriatrischer Assessments (Chair-Rise, Sit-to-Stand, Handkraft, etc.) dient der systematischen Erhebung des funktionellen Status informell Pflegender. Die Observierung der Assessments sowie der auszuführenden Pflegetätigkeiten erfolgt mit Hilfe eines Mess- und Analysesystems unter Laborbedingungen. Anhand der gewonnenen Daten werden die ausgeführten Prozesse quantifiziert sowie biomechanisch bewertet und evaluiert. Die biomechanischen Mess- und Analysemethoden basieren dabei auf der Messung der Kinematik des bewegten Körpers und seiner Segmente, der generierten Kraft (Kinetik) und der Messung der Muskelaktivität während der Ausführung der Assessments sowie im Pflegekontext. Ein optisches Tracking-System (Multi-Tiefenbildkamerasystem) erfasst hierbei die für die Bewegungsanalyse notwendigen Daten in Form einer dreidimensionalen, interaktiven Punktwolke. Die Kinetik des menschlichen Körpers erfolgt anhand der Quantifizierung der externen Bodenreaktionskräfte via piezoelektrischer Sensoren. Die Messung der Muskelaktivität erfolgt im Rahmen ausgeführter Pflegeprozesse anhand der nicht-invasiven Oberflächen-Elektromyographie. Die mit einer Muskelkontraktion einhergehenden elektrischen Aktionspotentiale werden erfasst und ermöglichen Rückschlüsse auf das Aktivierungsverhalten ausgewählter Muskelgruppen im Rahmen der ausgeführten Assessments und Pflegetätigkeiten. Die Abschätzung der Muskelaktivität basiert dabei auf der Potentialhöhe und wird in Relation zum zeitlichen Verlauf der Tätigkeiten sowie zu der in diesem Rahmen erzeugten Bodenreaktionskräfte gesetzt. Auf diese Weise soll zum einen die Relevanz der unteren Extremität im Kontext muskuloskelettaler Belastungen in der informellen Pflege sensorbasiert identifiziert werden. Zum anderen dient die Kopplung des Mess- und Analysesystems an die geriatrischen Assessments der prädiktiven Detektion von funktionellem Abbau sowie des Potentials informelle Pflege zu leisten.

(Stand: 19.01.2024)  | 
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