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Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik

Artikel "Grüner und Fairer"

Hintergrund: CO2-Bepreisung

CO2 soll für die Bereiche Verkehr und Wärme einen Preis bekommen – ähnlich, wie es der europäische Emissionshandel bereits für die Energiewirtschaft und energieintensive Unternehmen festlegt. Das ist ein wesentlicher Teil des Klimaschutzprogramms, das die Bundesregierung im Herbst 2019 beschlossen hat.

Das nationale Emissionshandelssystem (nEHS) basiert auf Zertifikaten für den Brenn- und Kraftstoffhandel. Unternehmen, die Heizöl, Flüssiggas, Erdgas, Kohle, Benzin oder Diesel verkaufen, müssen für jede Tonne CO2, die beim Verbrauch entstehen, ein Zertifikat als Verschmutzungsrecht erwerben. Der Preis pro Tonne CO2 ist dabei politisch festgelegt und soll ab 2021 mit zunächst 25 Euro pro Tonne starten. Bis zum Jahr 2025 erhöht sich der Festpreis schrittweise auf 55 Euro pro Tonne CO2.

Die Einnahmen will die Bundesregierung in Klimaschutzmaßnahmen reinvestieren und einen Teil Bürgerinnen und Bürger zurückgeben.

Quelle: Homepage Bundesregierung (Stand: 19. Dezember 2019)

Der Energierechner

Der Energierechner

Wie wirken sich wirtschaftspolitische Maßnahmen wie beipielsweise eine Kohlendioxidsteuer aus? Dieser Frage geht der Experte für Energiewirtschaft Christoph Böhringer nach – und nutzt dafür ausgeklügelte mathematische Modelle.

Professor für Wirtschaftspolitik kann man auch dann werden, wenn man nicht vom ersten Semester an Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre studiert hat. „Ich habe mich im Studium mehr für Ingenieurwissenschaften sowie Informatik interessiert – und in VWL und BWL nur die Einführungsvorlesungen besucht“, sagt Christoph Böhringer. Mit dem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens an der Universität Karlsruhe hat Böhringer aber auch die Grundlagen für angewandte wirtschaftspolitische Analysen durch computergestützte Modellsimulationen erworben.

Bis heute sind mathematische Modellrechnungen und Simulationen der Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit geblieben. So quantifizieren Böhringer und seine Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik beispielsweise, welche Auswirkungen wirtschaftspolitische Eingriffe wie eine Kohlendioxidsteuer oder ein Ausstieg aus der Kohlenutzung auf Unternehmen und Verbraucher haben. Dabei bleiben die Simulationsanalysen nicht nur auf energie- oder klimapolitische Maßnahmen beschränkt. Sie decken auch andere Felder der Wirtschaftspolitik wie zum Beispiel die Handels- oder Steuerpolitik ab; ein aktuelles Beispiel ist die Analyse des Handelskonflikts zwischen den USA und China.

CO2-Preis soll zum klimafreundlichen Verhalten anregen

Der Kern seiner Forschung mag abstrakt klingen, hat aber politische Tragweite: „Was ich mache, bezeichnet man gemeinhin als numerische Simulation“, sagt Böhringer. Damit lassen sich theoretische Zusammenhänge aus dem Lehrbuch auf reale Volkswirtschaften übertragen und konkret die Auswirkungen von wirtschaftspolitischen Eingriffen auf Preise sowie das Angebots- und Nachfrageverhalten von Verbrauchern, Handel oder der Industrie simulieren.

Zurzeit beschäftigt er sich mit den Effekten der staatlichen Kohlendioxidbepreisung: Firmen oder Privatpersonen, die durch den Verbrauch von Gas, Kohle und Erdöl klimaschädliche Kohlendioxidemissionen verursachen, sollen dafür bezahlen; eine Firma beispielsweise, weil sie Strom verbraucht, der zum Teil aus Kohle erzeugt wird, eine Privatperson, weil sie ihr Haus mit Erdgas heizt oder Kerosin für eine Flugreise verbraucht. Der CO2-Preis soll dem Verbraucher die von ihm verursachten Kosten für Klimaschäden signalisieren und ihn zu klimafreundlicherem Verhalten anregen.

„Die Bundesregierung führt mit ihrem Klimapaket eine CO2-Bepreisung in den Sektoren Landwirtschaft, Transport und Gebäude ein, welche bisher nicht in den EU-weiten Emissionshandel eingebunden sind. Der avisierte Preispfad für CO2 über die nächsten 10 Jahre ist allerdings zu niedrig angesetzt, um die ehrgeizigen nationalen Klimaziele bis 2030 zu erreichen“, so Böhringer.

Bepreisung rückverteilen

Um gesellschaftspolitische Akzeptanz für höhere CO2-Preise zu bekommen, bedarf es aus seiner Sicht einer sozialverträglichen Ausgestaltung von Klimapolitik. So mahnen Kritiker, dass hohe CO2-Preise ungerecht und unmoralisch seien, weil sie Menschen mit geringen Einkommen stärker belasten als Reiche. Wer viel verdiene, für den sei eine Steuer auf Benzin, Erdgas, Strom oder Flugreisen weniger schmerzhaft als für Menschen, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen.

In Talkshows redet man sich zu diesem Thema die Köpfe heiß. Böhringer lässt lieber Fakten sprechen. So hat er mit seinen Modellrechnungen ermittelt, wie sich eine CO2-Bepreisung so konstruieren lässt, dass sie die Einkommensschwächeren nicht so hart trifft. „Die Aufgabe besteht darin, die regressive Wirkung höherer CO2-Preise abzumildern, also den Effekt, dass Menschen mit geringem Einkommen, die vergleichsweise hohe Ausgaben für Energie haben, besonders betroffen sind.“

Dies ließe sich über eine CO2-Steuerreform erreichen, bei der ein Teil der Einnahmen aus höherer  CO2-Bepreisung pauschal an die Haushalte zurückverteilt werden: Pro Kopf würde dabei ein fester Betrag zurückerstattet – diese Gutschrift fällt bei geringen Einkommen vergleichsweise stärker ins Gewicht als bei höheren Einkommen. Die regressive Wirkung höherer CO2-Preise könnte damit vermindert oder gar aufgehoben werden, ohne die Lenkungswirkung von CO2-Preisen hin zu einem geringen CO2-Verbrauch zu beeinträchtigen.

Wer Emissionen verursacht, muss dafür zahlen

Um eine Klimakatastrophe zu vermeiden, ist es entscheidend, den Ausstoß von Treibhausgasen massiv zu drosseln. An deutlich höheren Preisen für klimaschädliche Wirtschaftsaktivitäten führt daher kein Weg vorbei. Wichtig ist es nach Ansicht von Böhringer aber, dass die CO2-Vermeidung dort erfolgt, wo es am kostengünstigsten ist – also beim Heizöl oder Benzin – und dass soziale Härten abgefedert werden. Genau dies ließe sich mit der beschriebenen CO2-Steuerreform erreichen.

Die Gestaltung einer nachhaltigen Energiewirtschaft war für Böhringer schon immer ein Thema. So programmierte er in seiner Diplomarbeit für die Mannheimer Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft eine Datenbank, mit der sich das Fernwärmenetz effizient warten und koordinieren lässt. Nach seinem Diplomstudium in Karlsruhe wechselte Böhringer Anfang der 1990er-Jahre für seine Promotion an das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart, wo er sich schon damals in seiner Doktorarbeit mit den Themen CO2-Besteuerung und Kohleausstieg beschäftigte.

Besonders wichtig während der Promotionszeit war ein Auslandsjahr an der University of Colorado Boulder bei Professor Thomas F. Rutherford, sagt er. „Rutherford ist weltweit der Papst der numerischen Gleichgewichtsanalyse. Ich habe sehr viel von ihm gelernt, und wir arbeiten bis heute auf dem Gebiet der angewandten Wirtschaftsforschung zusammen.“

Internationale Zusammenarbeit wichtig

Das Expertenwissen um wirtschaftspolitische numerische Simulationsanalysen war für Böhringer dann auch das Ticket für die weitere berufliche Laufbahn. Nach der Promotion ging er nach Mannheim ans Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und wurde dort Leiter des Forschungsbereichs „Umwelt- und Ressourcenökonomie, Umweltmanagement“.  2004 erfolgte seine Berufung auf eine Professur an die Universität Heidelberg.

Schließlich kam 2007 der Wechsel nach Oldenburg: „Die Volkswirtschaftslehre ist hier eher klein, doch hat sie Strahlkraft. Vor allem war Oldenburg schon immer in der Umweltökonomie sehr gut aufgestellt.“ Seit 2012 gehört Böhringer der „Expertenkommission Forschung und Innovation“, kurz: EFI, an – einem Thinktank, den Angela Merkel 2008 ins Leben gerufen hatte, um die Regierung in zentralen Fragen der Forschungs- und Innovationspolitik zu beraten.

Das Thema „Kohlendioxid“ wird auch künftig ein Schwerpunkt seiner Arbeit sein. Aktuell koordiniert Böhringer zusammen mit dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel und der Stanford University das Projekt „Carbon Pricing after Paris“. Darin untersuchen renommierte Forschergruppen aus verschiedenen Kontinenten, wie sich die Treibhausgasminderungsziele der UN-Klimakonferenz in Paris durch eine koordinierte und angemessene Bepreisung von Kohlendioxid erreichen lassen. Wie für andere globale Herausforderungen gilt auch für das Treibhausgasproblem: Der Schlüssel zu einer Lösung liegt in einer engen internationalen Zusammenarbeit.

Presse & Kommunikation (Stand: 20.06.2024)  | 
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