Den Wandel verstehen
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Das Energiesystem umzubauen, erfordert nicht nur technisches Know-how, sonderen auch Kenntnisse der gesellschaftlichen Strukturen und Prozesse, die den Wandel tragen. Die Soziologin Jannika Mattes erforscht diese komplexen Prozesse.
Ein idyllisches Dorf in der Provinz: Knorrige Alleebäume säumen einsame Landstraßen, Kornfelder erstrecken sich bis zum Horizont, seltene Vogelarten geben sich am Waldrand ein Stelldichein. Hier, wo viel Platz ist für Natur und Mensch, soll ein Windpark entstehen. Und umweltfreundlichen Strom für die Zukunft liefern. Doch zwischen den Dorfbewohnern, ob alteingesessen oder zugezogen, entbrennt ein Streit: Was ist mit dem Vogelschutz? Wer profitiert von den neuen Windmühlen? Und wo sollen sie stehen?
In dem gesellschaftskritischen Roman „Unterleuten“ von Juli Zeh geht es zwar nur vordergründig um Windenergie. Doch die alten und neuen Streitigkeiten, die zwischen den Bewohnern des fiktiven Dorfs in Brandenburg aufbranden, zeigen: Strom klimafreundlich zu produzieren und so zum Energiewandel beizutragen, wirft nicht nur technische Fragen, sondern vor allem auch menschliche auf. „Der Energiewandel ist ein gesellschaftlicher Prozess“, sagt Prof. Dr. Jannika Mattes. „Und soziale Prozesse sind kompliziert.“
Die Oldenburger Sozialwissenschaftlerin weiß, wovon sie spricht. Sie erforscht in der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Nachwuchsgruppe REENEA die gesellschaftlichen Hintergründe des Energiewandels anhand von regionalen Fallbeispielen. Zwar ist der Umbau des Energiesystems in Deutschland in der öffentlichen Diskussion ständig präsent. Doch bisher sei nur wenig bekannt darüber, welche Rolle einzelne Beteiligte spielen und was den Prozess mancherorts fördert oder hemmt, sagt Mattes. Eine wissenschaftliche Lücke, die sie gemeinsam mit ihrem dreiköpfigen Team füllen möchte.
Der Ausbau der Windenergie stockt
Die Hochschullehrerin für Organisation und Innovation nimmt dafür exemplarisch den Windenergiesektor in den Blick. Denn erklärtes Ziel der Bundesregierung ist, dass erneuerbare Energiequellen bis 2030 für 60 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms sorgen. Derzeit liefert Wind mit knapp 18 Prozent des Bruttostroms den größten Anteil. Mehr als 29.000 Anlagen gibt es an Land, knapp ein Drittel davon in Niedersachsen, hinzu kommt eine wachsende Zahl an Offshore-Parks. Doch obwohl seit 1987, als in Schleswig-Holstein der erste Windpark an den Start ging, der Anteil der Windenergie am Strommix in Deutschland lange stetig wuchs, stockt nun der Ausbau an Land – aus ganz unterschiedlichen Gründen.
So hat sich die Energiepolitik und damit etwa die Vergütung des eingespeisten Stroms seit der Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) entscheidend geändert, etwa mit dem Abschaffen der festen Fördersätze. „Dies hat viele Unternehmen verunsichert, Investoren fühlen sich fallen gelassen“, sagt Mattes. Hinzu kommt, dass der Widerstand der Bevölkerung gegen den Ausbau wächst – wenn dieser beispielsweise dem Naturschutz entgegensteht oder Bürger sich übergangen fühlen. „Die meisten Menschen akzeptieren grundsätzlich, dass der Energiewandel notwendig ist“, betont die Sozialwissenschaftlerin. Allerdings soll der Ausbau immer öfter nicht vor der eigenen Haustür stattfinden.
In welcher Rolle sehen sich die Beteiligten?
Dies erfährt Mattes auch ganz praktisch bei ihrer Forschung: In mühevoller Kleinarbeit befragen sie und ihr Team diejenigen, die vom Umbau des Energiesystems betroffen sind – von Windanlagenherstellern und Dienstleistern über Planer und politische Entscheidungsträger bis zu Naturschützern und betroffenen Bürgern. Die Wissenschaftler durchforsten Dokumente und nehmen als Beobachter etwa an Diskussionsrunden mit Bürgern teil. Die massiven Akzeptanzprobleme sind dabei nur ein Aspekt, auf den sie stoßen.
„Uns interessiert, in welcher Rolle sich die Beteiligten selbst sehen, welches Know-how sie mitbringen, auf welcher Grundlage sie Entscheidungen fällen und wie die Machtverhältnisse sind“, erläutert Mattes. Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden, sind die einzelnen Fallstudien sehr tief. Rund 30 gut ein- bis zweistündige Interviews, die sich auf einen gemeinsamen Leitfaden stützen, hat das Team allein mit Akteuren in der Oldenburger Region geführt. Die Interviews und Dokumente werten die Forscher aus und ordnen die Aussagen bestimmten Kategorien zu, um letztlich generelle Themen und Gemeinsamkeiten zwischen den Akteuren, aber auch Widersprüche auszumachen. „Wir betreiben klassische empirische Sozialforschung,“ sagt Mattes.
Persönliche Netzwerke erleichtern den Dialog
Zwar sind noch nicht alle Fallstudien abgeschlossen – neben Oldenburg untersucht Mattes Team den Energiewandel in fünf weiteren Regionen wie beispielsweise in der Uckermark, Nordfriesland oder Hamburg. Dennoch zieht die Wissenschaftlerin schon erste Schlüsse: So zeigen die Ergebnisse zunächst grundsätzlich, dass die gesellschaftlichen Dimensionen des Energiewandels in den verschiedenen Regionen ganz unterschiedliche Facetten annehmen und dass sich die jeweiligen Bedürfnisse stark unterscheiden.
In einer ländlichen Region wie der Uckermark etwa fehlen überhaupt Strukturen – Institutionen oder formale Netzwerke – die den Wandel begleiten und letztlich umsetzen können. In Oldenburg hingegen, wo Windenergie-Forschung einen hohen Stellenwert hat und sich über Jahre vor allem aus der Universität heraus zahlreiche Unternehmen gegründet haben, erleichtern nicht nur formale, sondern auch persönliche Netzwerke den Dialog zwischen den Beteiligten.
Für Mattes beinhalten diese ersten Erkenntnisse – so erwartbar sie teilweise sein mögen – eine „wichtige Botschaft an die Politik“; nämlich, dass beispielsweise eine Förderung nach dem Gießkannenprinzip, die sich nicht an den speziellen Bedürfnissen orientiert, nicht funktionieren kann. Und sie zieht noch eine weitere wichtige Schlussfolgerung: Eine Region stehe vor allem dann dem Energiewandel positiv gegenüber, wenn die nötigen Prozesse hierfür langfristig gewachsen sind und sich die Beteiligten gegenseitig vertrauen. „Dann ist die Windenergie keine Last, sondern Teil des Selbstverständnisses einer Region, sich selbst und andere mit Strom zu versorgen“, sagt die Sozialwissenschaftlerin.