Den Wind kartieren

Den Wind kartieren

Windströmungen für Windparks oder größere Regionen zu berechnen und vorherzusagen, ist das Ziel von Energiemeteorologen wie Detlev Heinemann. Dank solcher Vorhersagen sollen sich Winderträge künftig noch besser berechnen lassen.

Ewiger Wanderer, Drache mit tausend Schwänzen, wirbelnder Tänzer: Der Wind mit seiner Kraft und Dynamik inspiriert Dichter immer wieder zu hübschen Metaphern. Was die atmosphärischen Luftströmungen interessant für die Poesie macht, bereitet Physikern und Meteorologen Kopfzerbrechen: Die Bewegungen der Luft in den ersten 200 Metern über dem Erdboden sind so unbeständig, dass ihnen mit Gleichungen, Näherungen und Modellrechnungen kaum beizukommen ist.

Das ist ein Problem für die Windenergiebranche – und die Energiewende: Wieviel Windstrom wann zur Verfügung steht, lässt sich nur schwer planen, die erneuerbare Energiequelle gilt als notorisch unzuverlässig. Energiemeteorologen vom Zentrum für Windenergieforschung ForWind der Universität Oldenburg um Dr. Detlev Heinemann arbeiten daran, dieses Manko zu beseitigen: Sie berechnen durchschnittliche Windgeschwindigkeiten, Höchstwerte und andere wichtige Wetterdaten, um die Planung zu erleichtern. 

Ein Atlas für die Windenergie

Berechnungen von Winderträgen spielen bereits bei der Planung von Windparks eine wichtige Rolle. Bislang mussten sich Projektentwickler dabei auf Daten aus den 1980er-Jahren verlassen, die nur für flache Gegenden wie Norddeutschland brauchbare Ergebnisse lieferten. In hügeligem oder gebirgigem Terrain, wo inzwischen zunehmend neue Windparks entstehen, versagte das Modell dagegen.

Die Folge: Der Ertrag von Windparks abseits des Flachlands ließ sich bislang nicht zuverlässig abschätzen. Fehlplanungen brachten Anlagenbetreiber immer wieder in wirtschaftliche Schwierigkeiten. „Wenn man grob den Ertrag abschätzt und bei der durchschnittlichen Windgeschwindigkeit nur um 0,2 Meter pro Sekunde danebenliegt, dann kostet das bei einem größeren Offshore-Windpark mit 50 Anlagen bis zu fünf Millionen Euro – pro Jahr“, berichtet Heinemann.

Seit Juni 2019 können Planer auf bessere Daten zugreifen: Der Neue Europäische Windatlas (NEWA) liefert nun genauere Informationen dazu, wie stark der Wind an jedem Ort der Europäischen Union sowie über Nord- und Ostsee in den vergangenen 30 Jahren geweht hat. An dem internationalen Großprojekt mit einem Budget von rund 13 Millionen Euro waren Heinemann und sein Kollege Dr. Björn Witha maßgeblich beteiligt. „Unser Ziel war es, für ganz Europa detaillierte Informationen über das langjährige Windklima bereitzustellen“, berichtet Witha.

Winddaten der vergangenen 30 Jahre

An dem Mammutprojekt, das 2015 begann und von der Technischen Universität Dänemark in Roskilde geleitet wurde, waren rund 30 Institutionen aus acht Ländern beteiligt. Ziel war es, ein virtuelles Netz mit einer Maschenweite von drei Kilometern über den Kontinent zu legen und rechnerisch für jeden Knotenpunkt komplette Zeitreihen mit Winddaten für die vergangenen 30 Jahre zu erzeugen. An diesen Punkten sollten für jeden Tag beispielsweise Daten zur durchschnittlichen Windgeschwindigkeit, zur maximalen Windgeschwindigkeit oder zur Temperatur abrufbar sein – jeweils für verschiedene Höhen zwischen zehn und 500 Metern und mit einem zeitlichen Abstand von dreißig Minuten. Für ein noch feineres Netz mit Punkten im Abstand von 50 Metern war das Ziel, zumindest statistische Daten zu liefern, beispielsweise zur Häufigkeit bestimmter Windgeschwindigkeiten und Windrichtungen.

All diese Zahlen mussten die Forscherinnen und Forscher selbst errechnen. Dazu verwendeten sie ein Computermodell, das gewöhnlich zur Wettervorhersage benutzt wird, fütterten es mit den wesentlichen Wetterdaten und bestimmten daraus die Werte an den Knotenpunkten. „Wir konnten aber nicht einfach auf den Knopf drücken und rechnen, sondern mussten umfangreiche Vorarbeiten durchführen“, berichtet Witha, der einen großen Teil der Konzeption und Koordination dieser Tests übernahm. Das Team erprobte zum Beispiel verschiedene Versionen des Modells, um die beste Konfiguration zu finden. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten außerdem, welchen Einfluss die Auswahl verschiedener physikalischer Parameter auf das Ergebnis hat und verglichen die Resultate mit Messungen, die teils von vier eigens für das Projekt durchgeführten Messkampagnen an mehreren Teststandorten stammten.

Informationen für Landwirte und Behörden

Ein großer Teil der vorbereitenden Modellrechnungen fand auf dem Hochleistungs-Rechencluster der Universität Oldenburg statt, der speziell der Windenergieforschung zur Verfügung steht. Für die eigentlichen Simulationen, die schließlich die Werte für den Windatlas lieferten, griff das Team auf die noch größere Rechenkapazität des Supercomputers Mare Nostrum an der Universität Barcelona zurück. Dennoch dauerten die Rechnungen über ein halbes Jahr – ein üblicher PC hätte hierfür rund 1600 Jahre benötigt.

Im neuen, frei zugänglichen Online-Portal des Windatlas sind nun unter anderem interaktive Karten, Zeitreihen und Statistiken der Windgeschwindigkeit und anderer windenergierelevanter Parameter verfügbar. „Der Umfang und die Auflösung von NEWA sind einzigartig“, berichtet Witha. Das Interesse an den Daten war bereits kurz nach der Veröffentlichung sehr groß, so der Forscher. Schon Laien können auf der Karte entdecken, dass in Städten wie Oldenburg weniger Wind weht als im Umland, dass der Brocken im Harz der windreichste Punkt auf dem deutschen Festland ist oder dass in der Po-Ebene in Norditalien fast immer Flaute herrscht. Ingenieurbüros können über das Webportal alle Daten erhalten, die für die Planung eines Windparks nötig sind. Auch Behörden, Landwirte oder Wassersportler profitieren von den Informationen.

Presse & Kommunikation (Stand: 20.06.2024)  | 
Zum Seitananfang scrollen Scroll to the top of the page