Vita

Der Politikdidaktiker Prof. Dr. Tonio Oeftering lehrt und forscht seit 2018 an der Universität Oldenburg. Schwerpunkte dabei sind die schulische und die außerschulische politische Bildung, politische Theorie und politische Bildung, deren Internationalisierung sowie Zusammenhänge zu Menschenrechts- und kultureller Bildung. Oeftering studierte Politik und Englisch für das Lehramt sowie Erziehungswissenschaften in Freiburg, wo er auch promovierte. Es folgten Stationen an den Universitäten Hannover, Eichstätt-Ingolstadt und zuletzt als Juniorprofessor an der Universität Lüneburg, ehe er die Leitung der Arbeitsgruppe für politische Bildung und Politikdidaktik am Institut für Sozialwissenschaften übernahm.

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Prof. Dr. Tonio Oeftering

Politische Bildung/ Politikdidaktik

Eine kollektive Kraft

In einem persönlichen Plädoyer ruft Politikdidaktiker Tonio Oeftering dazu auf, Freiheit als einen kollektiven Wert zu verstehen. Auch zu ihrem Schutz gelte es, die politische Bildung zu stärken und zudem als lebenslange Aufgabe zu begreifen.

„Freiheit wird zu oft typisch liberal gedacht, als ein individueller Anspruch, etwas, das einem zusteht, das der Staat oder die Politik gefälligst zu sichern haben. Mein Verständnis von Freiheit ist ein anderes. Eines, das sich in der politischen Philosophie schon seit Aristoteles herleiten lässt und das auch Hannah Arendt vertritt. Sie sagt: Der Sinn von Politik ist Freiheit. Gemeint ist: Freiheit ist etwas, das ich dadurch erfahre, dass ich im Politischen die Möglichkeit habe, mit anderen gemeinsam die Welt zu gestalten. Freiheit ist dann grundsätzlich etwas Kollektives, das ich nur erfahren kann, indem ich mit anderen gemeinsam handle und spreche im politischen Raum.  

Das ist für mich ein wichtiger Punkt. Er zeigt, dass Freiheit – das, was man im politischen Raum erleben kann – etwas ganz Besonderes ist. Die kollektive Erfahrung, gemeinsam die Welt zu gestalten oder für etwas einzustehen, ist etwas ganz anderes als eine individuelle Vorstellung, dass ich tue und lasse, was ich will. Dieses kollektive Freiheitsverständnis vertrete ich auch in meiner Arbeit, und es bedeutet auch ein bestimmtes Verständnis von politischer Bildung. Da geht es eben nicht darum, Politik als Dienstleister für meine Freiheiten zu verstehen, sondern als einen ganz besonderen zwischenmenschlichen Raum, in dem ich mich mit anderen einbringen kann.

Ein Freiheitsraum entsteht immer da, wo Menschen zusammenkommen und gemeinsam handeln können. Deswegen verwenden totalitäre Systeme viel Energie darauf, den öffentlichen Raum zu zerstören, etwa Demonstrationen zu verbieten oder das Internet abzuschalten - also die Versammlungs- und Kommunikationsfreiheit einzuschränken. Diese Maßnahmen sollen verhindern, dass Menschen in Freiheit agieren können. Am Fall der Berliner Mauer sieht man aber beispielhaft, welche Kraft der Drang nach Freiheit entfalten kann. Er führt dazu, dass Menschenmassen auf die Straße gehen und dem herrschenden System die Macht entziehen.

Wert der Freiheit lässt sich rein verbal kaum vermitteln

Freiheit ist ein Wert, für den viele Menschen – etwa aktuell in der Ukraine – bereit sind, viel zu riskieren. Wenn es aber darum geht, Werte wie die Freiheit und andere Menschenrechte in der politischen Bildung – beispielsweise in der Schule – zu vermitteln, lassen diese sich nicht einfach verordnen. Ich kann nicht mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ankommen und sagen: ‚Die gelten für alle, die müssen wir alle befolgen und gut finden.‘ Das funktioniert nicht. Schon allein deswegen nicht, weil Schülerinnen und Schüler gegenteilige Erfahrungen machen. Wenn ich sage: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘, klingt das für viele Jugendliche eher wie ein religiöser Glaubenssatz, denn sie erleben jeden Tag beispielsweise Beschimpfungen oder andere Herabwürdigungen auf dem Schulhof oder sehen in den Nachrichten, dass Menschenrechte eben nicht immer und überall eingehalten werden.

Natürlich halte ich es für eine hoch einzuschätzende zivilisatorische Errungenschaft, dass wir die Menschenrechte haben und trete auch voll für sie ein. Aber ich sage immer: Menschenrechte werden im Argumentativen gewonnen – oder gar nicht. Man muss sozusagen in einen politischen Streit darüber eintreten. Es funktioniert nicht, sie einfach zu verordnen, auch nicht die Freiheit. Ihr Wert lässt sich rein verbal nur schwer vermitteln. Aber wer sich selber schon einmal politisch engagiert hat, ob im Wahlkampf oder in einer Bürgerinitiative, weiß, dass das etwas mit einem macht – das lässt sich rein kognitiv kaum vermitteln. Es stellt sich die Frage, wie sich in der politischen Bildung auch dafür Erfahrungsräume schaffen lassen. Politische Bildung ist eben mehr als Auswendiglernen.

Emanzipation: gemeinsam für Freiheiten kämpfen

Mit der Freiheit sind auch die obersten Ziele politischer Bildung verknüpft: Mündigkeit und Emanzipation. Bei Mündigkeit geht es für mich ganz klassisch nach Kant darum, sich seines Verstandes ohne die Anleitung anderer zu bedienen. Und Emanzipation bedeutet einen Prozess des Befreiens aus illegitimen Abhängigkeiten. Emanzipationsbewegungen waren immer auch Freiheitsbewegungen. Ob Arbeiteraufstände, Frauenbewegung – immer ging es um einen Zusammenschluss von Leuten, die mit einem gemeinsamen Interesse für ihre Freiheiten kämpfen. Wenn wir aktuell in der Gesellschaft Probleme haben, etwa mit demokratiefeindlichen Phänomenen, haben diese meiner Ansicht nach viel mit Unmündigkeit zu tun und sicher ebenfalls mit fehlgeleiteten Bildungsprozessen – auch in der politischen Bildung.

Politische Bildung ist auch Prävention, aber sie ist eben auch ein lebenslanger Prozess. Es gibt allerdings eine krasse Diskrepanz zwischen dem gesellschaftspolitischen Anspruch und der realen Ausstattung. Teils hören Jugendliche in der siebten oder achten Klasse das erste Mal überhaupt in der Schule etwas von Politik, und die Stundenkontingente für das Fach sind mickrig. Dabei sollen alle beim Verlassen der Schule wählen gehen und mündig sein. Warum nicht viel früher ansetzen? Schon die klassische Vorstellung, Kindheit wäre ein politikfreier Raum, stimmt nicht. Kinder kriegen spätestens im Grundschulalter schon so vieles mit oder wollen vielleicht spätestens in der fünften, sechsten Klasse auf Demos gehen oder werden eben einfach mitgenommen – da findet eine Form informeller politischer Bildung statt, mit der sie dann aber seitens der Schule allein gelassen werden, weil diese dort nicht von Anfang an systematisch verankert ist.

Mangelnde politische Bildung kann Freiheit bedrohen

Und auch in der Erwachsenenbildung sieht man in den vergangenen Jahrzehnten ganz klar, dass der Anteil gesellschaftlicher Themen abgenommen hat und zunehmend auf Employability gesetzt wird – also konkrete Skills wie EDV-Kurse, die sich beruflich verwerten lassen. Was wir in der Schule an Unterversorgung sehen, gibt es also in der Erwachsenenbildung genauso. Hinzu kommt, dass man etwa Querdenker oder Pegida-Demonstranten nicht zu politischer Bildung zwingen kann – die sind im Grunde nicht mehr erreichbar. Das Problem: Mangelnde politische Bildung kann die Freiheit bedrohen. Der Sozialphilosoph Oskar Negt sagt: Demokratie ist die einzige Staatsform, die gelernt werden muss. Sie muss gelebt werden. Wir brauchen mündige Bürgerinnen und Bürger, keine hörigen Untertanen. Daher sehe ich bei mangelnder politischer Bildung die Gefahr, dass auch eine freiheitliche Demokratie in Richtung autoritäres oder totalitäres System abgleiten könnte.  

Wenn mich jemand spontan nach meiner ganz persönlichen Auffassung von Freiheit fragt, habe ich genau das im Kopf – das kollektive Verständnis von Freiheit und auch ihre Bedrohung. Daraus, dass ich die Bedrohung mit bedenke, leitet sich auch mein Ansporn ab, mich dafür einzusetzen, dass es nicht so weit kommt. Und zugleich ein Stück weit Hoffnung: dass es immer genügend Menschen geben wird, die für die Freiheit auf der Welt einzutreten bereit sind.“

Aufgeschrieben von Deike Stolz

(Stand: 19.01.2024)  | 
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