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Prof. Dr. Myriam Gerhard

Institut für Philosophie

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Der Blick auf das Andere

Die Natur ist kein Ding, sagt Naturphilosophin Myriam Gerhard. Im Gespräch erläutert sie, was dies aus philosophischer Sicht für unser Verhältnis zur und unseren Umgang mit der Natur bedeutet.

Frau Gerhard, was ist „Natur“ aus philosophischer Perspektive?

Von der Natur zu sprechen, erscheint uns als das Natürlichste überhaupt. Die Natur ist da, wir brauchen sie, aber sie braucht uns nicht. Dabei gibt es die Natur gar nicht. Es gibt Naturgegenstände, wie Steine, Bäume, Flüsse oder Berge, aber nicht die eine Natur. Natur ist kein Ding, sondern ein Begriff. Dieser Begriff lässt sich in unterschiedlichen Formen bis zur Antike zurückverfolgen – und er ist eng mit der Denk- und Geistesgeschichte der Menschen verbunden.

Welche Funktion hat dieser Begriff?

Wir nutzen ihn, um uns als Menschen von dem abzugrenzen, was wir nicht sind – was im Gegensatz zu Artefakten nicht von uns hervorgebracht wurde. Diese Vorstellung von der Natur als das Andere hilft den Menschen, ihre Stellung in und zur Natur zu reflektieren: Einerseits benutzen wir die Natur für unsere Zwecke. Andererseits entzieht sich die Natur einer vollständigen Verfügbarkeit. Sie ist eine von den Menschen unabhängige Kraft.

Was folgt aus diesen Überlegungen für unseren Umgang mit der Natur?

Wir sind als Menschen zwar in der Lage – wie uns der Klimawandel vor Augen führt – irreversibel in die Natur einzugreifen. Aber das Verhältnis zwischen Mensch und Natur bleibt bestehen. Der Begriff der Natur als das Andere unserer selbst ermöglicht uns, dieses Verhältnis immer wieder zu hinterfragen. Denn technische Neuerungen oder politische Veränderungen beispielsweise verändern die Balance zwischen Natur und Mensch laufend. Dabei sollte es in der öffentlichen Debatte nicht nur um eine naturwissenschaftliche Auffassung von der Natur gehen, sondern unter anderem auch um eine ästhetische, politische oder ökonomische. Indem wir auf diese Weise kritisch reflektieren, können wir nicht nur die Natur, sondern auch uns selbst vor einer Extinktion bewahren.

(Stand: 19.01.2024)  | 
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