Projektverantwortliche: Prof. Dr. Mark Schweda (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Abteilung Ethik in der Medizin), Dr. Annette Leibing (Hanse Wissenschaftskolleg/Universität Montreal)
Projektbeteiligter in der Abteilung: Prof. Dr. Mark Schweda
Mitglieder: David Benatar (Cape Town), Claudia Bozzaro (Kiel), James Crossley (Bedford), Luiz Fernando Duarte (Rio de Janeiro), Lee Edelman (Tufts), Nolen Gertz (Twente), Line Grenier (Montreal), Ulla Kriebernegg (Graz), Annette Leibing (Montreal), Virginie Tournay (Paris), Matthew Wolf-Meyer (Troy), Matthew Worley (Reading), Isaac Yuen (Vancouver)
Förderung: Hanse Wissenschaftskolleg (HWK)
Förderdauer: 2023-2026
Das umfassende Paradigma der Prävention – von der aktiven Vorbeugung von Erkrankungen bis zur Absicherung gegen alle möglichen Katastrophen – fordert uns auf, unser künftiges Leben, unseren Körper und unsere Gesundheit nicht als gegebenes Faktum, sondern als Projekt anzusehen, d. h. als etwas, das durch Vorhersage, Planung und Intervention verantwortungsvoll gestaltet werden kann und soll. Die moralischen Implikationen und soziokulturellen Folgen dieses Trends zur Projektion und Planung individueller wie kollektiver „Bio-Zukünfte“ stehen im Zentrum intensiver Auseinandersetzungen in Philosophie, Angewandter Ethik und den Sozial- und Kulturwissen-schaften. Dagegen hat die parallele Entwicklung gegenläufiger, subversiver oder oppositioneller Strategien, die Ansprüche von (Bio-)Zukünften zu unterlaufen oder ihnen zu widerstehen, bisher kaum systematische Beachtung gefunden. Dies stellt ein Forschungsdesiderat dar, da diese Praktiken des Widerstands oder Scheiterns für unsere Gegenwart ebenso bedeutsam erscheinen wie ihre „futuristischen“ Gegenstücke und eine kulturelle Ressource kreativer Imagination, Bewältigung und Rechtfertigung darstellen, die es zu erforschen und kritisch zu bewerten gilt.
Diese interdisziplinäre HWK Study Group beschäftigt sich mit der Vielfalt der Formen der „Zukunftsverweigerung“. Dazu gehören alte und neue kulturelle Praktiken, die dazu dienen, der Konfrontation mit dem Morgen aus dem Weg zu gehen, Vorausschau und Planung zu verweigern und sich der Verantwortung für künftige Entwicklungen zu entziehen, um stattdessen etwa auf Schicksal oder Zufall zu setzen (z. B. Verwendung von Zufallsgeneratoren bei der Entscheidungs-findung, Insistieren auf dem Recht auf Nichtwissen, Erteilung von Vorsorgevollmachten). Zum Teil sind solche Praktiken von ein Bewusstsein der Unvorhersehbarkeit und Kontingenz getragen und zum Teil eher von expliziten philosophischen oder spirituellen Lehren (z. B. Praktiken der „Achtsamkeit“, zyklischen Zeitvorstellungen). Andere Ansätze sind eher von pessimistischen Haltungen, einer Anerkennung der Notwendigkeit des Scheiterns oder einem defätistischen Rückzug in die Vergangenheit geprägt (z. B. der „No Future“-Slogan des Punk, Queer Temporalities, Nostalgie und Retrotrends). Darüber hinaus gibt es Bewegungen, die auf Theorien und Weltanschauungen beruhen, die die Zukunft leugnen oder limitieren (z. B. Anti-Natalismus, apokalyptische Erwartungen und säkulare Weltuntergangsszenarien). Unsere Gruppe bringt Perspektiven aus den Bereichen Kulturanthropologie, Soziologie, Geschichte, Kunst, Bioethik, Philosophie, Science and Technology Studies u. a. sowie von direkt betroffenen Personen zusammen, um das Phänomen der „Zukunftsverweigerung“ in seiner Vielgestaltigkeit zu analysieren und zu erörtern.
Kontakt: Prof. Dr. Mark Schweda (mark.schweda@uni-oldenburg.de)