Konflikte zwischen Ökologie und Urbanität

von Norbert Gestring, Hans-Norbert Mayer, Walter Siebel

Der ökologische Umbau der Städte und der Gesellschaft beinhaltet mehr als nur die Einführung einer anderen Technik, er beinhaltet auch die Notwendigkeit einer anderen Lebensweise. Am Beispiel der unterschiedlichen Strategien des ökologischen Wohnens wird gezeigt, daß ökologisch begründete Verhaltensanforderungen in Konflikt geraten können mit zentralen Werten der Politik, urbanen Emanzipationsversprechungen und dem dominierenden Leitbild vom Wohnen. Der Aufsatz beruht auf einem vor kurzem abgeschlossenen Forschungsprojekt, das von der VW-Stiftung finanziert wurde.

Die moderne städtische Lebensweise, wie sie sich typisch in Westeuropa und Nordamerika entfaltet hat, ist ein Triumph über die Abhängigkeit des Menschen von der Natur. Lebensweisen erscheinen um so städtischer, je weniger sie von Zeitrhythmen der Natur diktiert, und je weniger sie von natürlichen physischen Bedingungen abhängig sind. Aber die Herrschaft über Natur und die städtische Lebensweise als Ausdruck der Unabhängigkeit von Natur produzieren Folgen, die die Fortexistenz der Menschheit selbst in Frage stellen. Diese Lebensweise, so scheint es, zerstört ihre eigenen Grundlagen. Die Natur, auf der die Stadt als künstlichste aller Welten errichtet ist, hält sie nicht mehr aus.

Gegenwärtig verbrauchen 20 Prozent der Weltbevölkerung annähernd vier Fünftel des Welteinkommens. Wenn alle heute 5,6 und demnächst 10 Mrd. Menschen so leben würden wie diese schmale Oberschicht, so würde es die Erde nicht aushalten. Wenn es zutrifft, daß drei Planeten vom Typus der Erde als Ressourcenquellen und Mülldeponien (Ernst Ulrich von Weizsäcker) notwendig wären, um allen Menschen dieser Erde ein Leben nach westeuropäischen und nordamerikanischen Mustern zu erlauben, dann ist diese Lebensweise das Hauptproblem. Sie ist nicht universalisierbar. Damit verliert sie auch ihren humanen, emanzipatorischen Gehalt und entpuppt sich als auf Herrschaft beruhendes Privileg.

Will man die heute auf der Welt herrschende extreme Ungleichheit nicht mit Gewalt aufrechterhalten, so bleibt nur ein Ausweg aus der ökologischen Problematik: eine Änderung der Lebensweise des westlichen, urbanisierten Konsumentenhaushaltes in Richtung auf ein für alle akzeptables und praktikables Bild vom richtigen Leben. Nur das wäre eine nachhaltige Lebensweise.

Ökologie und Lebensweise

Wie muß diese Lebensweise beschaffen sein, und gibt es hier überhaupt ein von der Natur diktiertes Muß, das durch die Naturwissenschaften, etwa die Biologie, zu entdecken wäre? Die gängigste Begründung für die Notwendigkeit einer ökologischen Politik ist der Hinweis auf die drohende Katastrophe. Aber die ökologische Katastrophe bedroht allein eine menschliches Leben zulassende Natur, nicht die Natur an sich. Diese wird weiter existieren, nur eben in einer Gestalt, in der menschliches Leben nicht mehr möglich wäre. Und der Natur wäre es - wenn es sie als Subjekt gäbe - wohl herzlich gleichgültig, ob auf der Erde Menschen existieren oder nicht. Auch das Interesse an der Vielfalt der Natur ist ein anthropozentrisches, da der Mensch seinen eigenen Reichtum zugleich mit dem der Natur entfaltet, da dieser Reichtum selber menschenproduzierter Reichtum der Natur ist, weil Vielfalt eine Versicherung gegen Katastrophen darstellt und weil eine vielfältige Natur reaktionsfähiger und flexibler ist, also mehr Menschen verkraften kann. Kurz: es geht gar nicht um den Erhalt von Natur an sich, sondern um eine historisch bestimmte Natur, der Natur, in der menschliches Leben möglich ist. Die ökologische Frage ist die durch und durch anthropozentrische Frage nach dem Erhalt einer menschenverträglichen natürlichen Umwelt. Es gibt nicht jene natürliche Ordnung, aus der sich unbezweifelbare Maximen richtigen Handelns gewinnen ließen - unbezweifelbar, weil jenseits menschlicher Subjektivität und jenseits von Interessen begründbar.

Durch das Menetekel der ökologischen Katastrophe sind zwar negativ Grenzen für die Fortentwicklung dieser Kultur gesetzt, aber daraus ergeben sich keine positiven Hinweise, in welcher anderen Kultur die Menschheit menschenwürdig überleben soll. Eine Antwort auf die ökologische Überlebensfrage kann von der Naturwissenschaft bestenfalls negativ gegeben werden: so jedenfalls nicht weiter. Aber wie es weitergehen soll, bleibt eine Frage nach dem Bild vom richtigen Leben, nach politischen und sozialen Werten, also nach Kultur. Das ist der erste Grund, weshalb die Frage nach dem künftigen Bild vom ökologisch verantwortlichen Leben nicht allein naturwissenschaftlich beantwortet werden kann.

Der zweite Grund liegt darin, daß es keine Umwelt des Menschen gibt, die nicht menschlich gestaltete Umwelt wäre. Der Mensch als Mängelwesen muß Natur bearbeiten. Eine Umwelt, in der der Mensch überleben kann, ist stets kultivierte Natur. Als solche wirkt sie auf den Menschen zurück, als solche bedarf sie der fortdauernden menschlichen Arbeit, um ihren Zustand als menschenfreundliche Natur zu bewahren. Das hat weitreichende Konsequenzen. Wer entscheidet, tut dies niemals allein über eine lebenswerte Umwelt, sondern immer auch über den Menschen, der in dieser Umwelt leben kann und will - und den diese Umwelt zu ihrer Kultivierung voraussetzt. Mit jeder Entscheidung über eine lebenswerte Umwelt wird auch über eine Art zu leben und zu arbeiten entschieden. Sind beispielsweise einmal bestimmte Mengen radioaktiver Abfälle in die Welt gelangt, sind kommende Generationen für Tausende von Jahren gezwungen, sich zumindest Teile unseres physikalischen und technischen Wissens anzueignen und danach zu leben.

Im ökologischen System der Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt sind beide Pole Produkt menschlicher Geschichte, also prinzipiell variabel. Über die damit eröffneten Möglichkeiten läßt sich nur nach Maßstäben urteilen, die an einem Bild vom gewünschten und nicht an einem Bild vom natürlichen Leben orientiert sind. Ob in unseren Städten mehr Schmetterlinge, Hauskatzen oder Singvögel leben sollen, und ob die Menschen als Bauern, Atomtechniker oder Kritiker leben, diese Entscheidung kann keine Naturwissenschaft der Politik und damit der Auseinandersetzung über das Bild vom richtigen Leben abnehmen. Das einzige, was deutlich ist: es wird ein anderes Bild sein, d.h. aber auch, die Anforderungen einer nachhaltigen Lebensweise können in Konflikt geraten mit positiven Werten unserer heutigen Lebensweise.

Ökologisches Wohnen

Daß auch die Privathaushalte zu einem ökologischen Umbau beitragen müssen, und daß auch Veränderungen im Wohnalltag gefordert sind, ist vielen bewußt. Das ökologische Problembewußtsein ist hoch, die alltägliche Praxis des Wohnens aber bleibt weit dahinter zurück. Die Gründe für diese Kluft zwischen Einsicht und Tun liegen - neben ungünstigen Rahmenbedingungen - darin, daß ökologisch begründete Verhaltensanforderungen in Konflikt geraten können mit zentralen Werten der Politik (soziale Gerechtigkeit, Frauenemanzipation), mit urbanen Emanzipationshoffnungen (individuelle Autonomie, Entlastung von Arbeit) und mit dem Bild vom richtigen Wohnen (Einfamilienhaus am Stadtrand). Diese These wird anhand dreier Ansätze des ökologischen Wohnens erläutert: Der städtebauliche Ansatz zielt auf eine andere Siedlungsstruktur, der soziale Ansatz auf eine Veränderung der Lebensweise und der technische Ansatz auf eine andere Stadt- und Haustechnik.

Umkehr der Stadtentwicklung

Der städtebauliche Ansatz legt sein Hauptaugenmerk auf die Siedlungsstruktur und damit auf die Themen Standort und Flächenverbrauch. Im Zentrum der Kritik steht die Suburbanisierung. Wohnen im Grünen ist demnach kein ökologisches Wohnen, nicht nur weil das Einfamilienhaus ein Flächenfresser und eine Energieschleuder ist, sondern auch wegen des Verkehrs, den die dadurch bedingten Siedlungsstrukturen erzeugen. Der städtebauliche Ansatz betont die ökologische Rationalität der kompakten Stadt mit hoher Baudichte und Nutzungsmischung. Die Umsetzung der städtebaulichen Strategie ist ohne erhebliche politische Widerstände kaum denkbar, da sie nicht nur im Widerspruch zu handfesten ökonomischen Interessen steht, sondern auch in Konflikt mit subjektiven Wertorientierungen geriete.

Ein Faktor des Flächenverbrauchs ist der wachsende individuelle Verbrauch von Wohnfläche. Der Anstieg auf durchschnittlich fast 40 m² pro Kopf der Bevölkerung in der alten Bundesrepublik hat vor allem zwei Ursachen. Die erste ist die Tendenz der Individualisierung, die sich u.a. im Trend zu immer kleineren Haushalten zeigt. Die zweite hängt mit der spezifischen Art und Weise zusammen, wie in unserer Gesellschaft Bedürfnisse befriedigt werden, nämlich durch den individuellen Kauf und den privaten Konsum von Waren und Dienstleistungen. Beide gesellschaftlichen Entwicklungen, die Individualisierung der Lebensführung und die Privatisierung der Bedürfnisbefriedigung, stehen einer ökologisch sinnvollen Förderung von Wohn- und Hausgemeinschaften und einer flächensparenden Organisation von Wohnfunktionen in Gemeinschaftseinrichtungen entgegen. Aber der städtebauliche Ansatz kämpft hier eben nicht nur gegen hedonistischen Konsumismus und großstädtische Vereinzelung. Er läuft Gefahr, in Konflikt zu geraten mit den durchaus emanzipativen Hoffnungen der Individuen auf Autonomie und Selbstentfaltung, die die Trends der Individualisierung und Privatisierung tragen.

Über das Ausmaß, in dem sich der steigende Wohnflächenverbrauch im Verbrauch von Landschafts- und Freiflächen niederschlägt, entscheidet die Bebauungsdichte. Als beliebteste Wohnform in der Bundesrepublik hat das Einfamilienhaus, besonders das freistehende Einfamilienhaus, die Suburbanisierung getragen. Eine restriktive Flächenpolitik, die nur noch verdichtete Bauformen im Wohnungsbau zulassen würde, stieße auf den Widerstand derjenigen sozialen Gruppen, die sich den Traum vom Einfamilienhaus verwirklichen wollen. Dieser Traum hat unter den gegenwärtigen Lebensbedingungen in den Städten für Familien mit kleinen Kindern einsehbare Gründe. Aber eine ökologische Stadtpolitik verstieße nicht nur gegen diese in einer bestimmten Lebenssituation hochplausiblen Wohnwünsche, sondern auch gegen die Phantasien von Unabhängigkeit, Aneignung und Identifikation, die sich für viele mit dem Eigenheim verbinden.

Eine weitere Umsetzungsschwierigkeit für den städtebaulichen Ansatz liegt im Wohnungsmarkt. Die sozialen Konflikte in den Städten, die aus Zuwanderung, Nutzungskonkurrenzen und ungleicher Verteilung resultierten, wurden bislang nicht zuletzt durch das Wachstum der Städte in die Fläche politisch entschärft. Das betrifft den Auszug der Mittelschichten ins Umland wie den sozialen Wohnungsbau am Stadtrand. Eine ökologische Strategie, die zur Begrenzung des Flächenverbrauchs das Neubauvolumen beschränken würde, hätte unter den gegebenen Bedingungen gleich in dreifacher Hinsicht negative Verteilungswirkungen. Sie würde erstens dem legitimen Anspruch der unteren Einkommensschichten auf Verbesserung ihrer Wohnsituation eine Absage erteilen und ihre ungenügende Versorgung mit Wohnraum auf Dauer zementieren. Zweitens müßte sich angesichts weiterer Zuwanderung die Wohnungsversorgung auf dem engsten Marktsegment, dem der preisgünstigen Mietwohnungen, absolut verschlechtern. Und drittens würde sich die kaufkräftige Nachfrage der einkommensstarken Haushalte nach mehr Wohnfläche auf den Wohnungsbestand konzentrieren, wodurch die sozialen Verdrängungseffekte in bestimmten Stadtvierteln noch verstärkt würden. Eine konsequente Flächenpolitik träfe so in erster Linie die Schwächsten der Gesellschaft. Es kann aber nicht der Sinn des ökologischen Stadtumbaus sein, die Umweltprobleme auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit zu lösen.

Ökologisch wohnen heißt ökologisch leben

Die soziale Strategie setzt ganz auf Verhaltensänderungen bei Bewohnerinnen und Bewohnern. Ökologisches Wohnen läßt sich nach dieser Problemdefinition keineswegs auf den Einbau von Techniken reduzieren, sondern erfordert eine Umorientierung der ganzen Lebensweise, in und außerhalb der Wohnung. Motor der Erneuerung wäre demnach ein gesellschaftlicher Wertewandel, in dem die Ökologie eine tragende Rolle spielt.

Der soziale Ansatz betont die positiven Seiten, die Gewinne ökologischen Wohnens, wobei an das verbreitete Bedürfnis nach einer giftfreien Wohnung und einem für Kinder gefahrlosen, naturnahen Wohnumfeld angeknüpft werden kann. Zu den Gewinnen einer ökologischen Lebensweise zählen aus dieser Sicht nicht nur Naturerlebnisse und Gesundheit, sondern auch soziale Kontakte, eigenverantwortliches Handeln und kreative Freizeitgestaltung, kurz: Ökologisches Wohnen kann Baustein zur Selbstverwirklichung werden.

Die Stärke des sozialen Ansatzes, die Einsicht nämlich, daß ökologisches Wohnen im Kern eine Frage der Lebensweise ist, ist gleichzeitig die Achillesferse dieser Strategie. Was manchen als Baustein zur Selbstverwirklichung gelten mag, kann für andere als zusätzliche Belastung, als lästige Verpflichtung oder gar als Eingriff in die individuelle Autonomie der Privatsphäre empfunden werden. Die Handhabung eines Mülltrennsystems, die Wartung einer gemeinschaftlichen Pflanzenkläranlage, der Verzicht auf Chemie im Haushalt und im Garten, all das verlangt Mehrarbeit, Wissen und Selbstdisziplin. Diese Verhaltensanforderungen ökologischen Wohnens können aber zum einen mit den Interessen der Frauen auf Befreiung von der Hausarbeit zugunsten beruflicher Arbeit und selbstbestimmter Tätigkeiten in der Freizeit in Widerspruch geraten. Angesichts der üblichen Arbeitsteilung im Haushalt ist es nicht unwahrscheinlich, daß die ökologisch begründete Mehrarbeit in der Wohnung der Frau aufgebürdet wird. Zum anderen können diese Verhaltensanforderungen in Konflikt geraten mit den zentralen Versprechungen der Urbanisierung auf Entlastung von Arbeit und Verpflichtungen. Mit dem Müllschlucker, dem Strom aus der Steckdose, dem fließenden warmen Wasser, dem Altenpflegeheim und dem Anrufbeantworter, mit dieser technischen und sozialen Versorgungsapparatur Stadt verbindet sich auch die alte emanzipatorische Hoffnung auf ein Reich der Freiheit jenseits des Reichs der Notwendigkeit. Das sorgfältige Auseinanderfieseln verschiedener Müllsorten, die Pflege der Mietergärten, die Teilnahme an der Selbstverwaltung, die Planungspartizipation und die Selbsthilfe bei der Modernisierung, all das sind sicherlich Schritte, um sich seine Stadt zu eigen zu machen und damit zur Heimat. Aber es gibt auch das Gegenbild, die Stadt als Garant von Anonymität, als Maschine zur Entlastung von Arbeit und Verantwortung, als Ort, wo man die Unabhängigkeit von Natur, Nachbarn und Verwandten leben kann. Und gemessen an diesem ja durchaus auch befreiendem Gehalt von Urbanität können Demokratisierung, Aneignung und Ökologie als Zumutung empfunden werden.

Veränderung der Häuser, nicht der Menschen

Der technische Ansatz versucht, die ökologische Erneuerung in erster Linie über die technische Optimierung des Wohnungsbaus zu erreichen. Eine fortentwickelte Stadt- und Haustechnik soll den verschwenderischen Umgang mit Ressourcen und die Belastung der Natur spürbar eindämmen, ohne daß Bewohnerinnen und Bewohner ihr Verhalten ändern oder gar Komforteinbußen hinnehmen müßten. Die technisch orientierte Strategie konzentriert sich auf diejenigen ökologischen Handlungsfelder, die durch Aus- und Umrüstung von Gebäuden beeinflußbar sind. Im Mittelpunkt stehen deshalb Maßnahmen zur Energieeinsparung. Hier wird nicht auf Einsicht und freiwillige Verhaltensänderung gesetzt, denn Verhaltensanforderungen an Bewohner und Bewohnerinnen sollen gerade vermieden werden. Das geschieht entweder durch die Beschränkung auf die weniger verhaltensrelevanten Techniken und Maßnahmen (Einbau von Wärmedämmung, Nutzung der Sonnenenergie, effektive Heizungsanlagen u.ä.) oder mit 'intelligenten' Lösungen, die unabhängig von Verhaltensänderungen funktionieren (z.B. automatische Lüftung). Eine solche Vorgehensweise erscheint auch deshalb pragmatischer, weil sie politisch leichter steuerbar ist. Denn die Verwendung von bestimmten Baustoffen und standardisierten Techniken läßt sich durch die klassischen Steuerungsmedien der Politik, also durch Recht und Geld, direkt beeinflussen.

Mit dem technischen Ansatz verbinden sich Hoffnungen auf eine schnelle und wirksame Umweltentlastung, die politisch vergleichsweise einfach durchzusetzen und gleichzeitig ohne Verhaltensänderung erreichbar ist. Diese Hoffnungen sind aber wenig realistisch. Erstens, weil die notwendige technische Um- und Ausrüstung von Häusern teuer ist. Wenn aber finanzielle Ressourcen der Gesellschaft in Richtung Ökologie umgesteuert werden sollen, dann muß in der Bevölkerung ein ökologisches Bewußtsein über die Notwendigkeit solcher Maßnahmen bereits verbreitet sein, sonst ist eine solche Politik nicht mehrheitsfähig. Zweitens ist der Versuch, sich auf verhaltensneutrale Techniken zu beschränken, entweder illusionär oder er führt zu einer Begrenzung der ökologischen Effekte. In seiner Konsequenz verändert auch der technische Ansatz den Wohnalltag, u.a. durch Reglementierung. Je perfekter die technischen Lösungen, desto restriktiver werden die Vorgaben für die Wohnweise. Zwar werden Verhaltensänderungen nicht propagiert, aber durch Einschränkung von Handlungsalternativen - beispielsweise bei der zonierten Grundrißgestaltung oder bei automatischen Lüftungssystemen - faktisch erzwungen.

Außerdem steht und fällt der ökologische Effekt des Technikeinsatzes eben doch mit dem komplementären Verhalten der Bewohner und Bewohnerinnen. Es erweist sich als Illusion, die Haustechnik unabhängig von der Mitwirkungsfähigkeit und -bereitschaft der Hausbewohner gestalten zu wollen. Umweltbewußtes Verhalten kann nicht nur den Wirkungsgrad der ökologischen Technik erhöhen, sondern im umgekehrten Fall kann falsches Handeln auch ihren Erfolg zunichte machen. Das gilt für den als Wohnraum genutzten, mitbeheizten Wintergarten ebenso wie für das gutgedämmte Haus, das in der Heizperiode übers Kippfenster dauergelüftet wird. Damit trifft der technische Ansatz auf ähnliche, wenn auch weniger offenkundige Widersprüche wie der soziale.

Schließlich spricht einiges dafür, daß die umweltverträgliche und energiesparende Ausstattung eines Gebäudes eine Entlastungsfunktion hat und zu einem ungehemmten Verbrauchsverhalten verleiten kann. Einer der schwerwiegendsten Einwände gegen den technischen Ansatz lautet deshalb, daß die ökologischen Techniken so, wie sie in heutigen Ökohäusern und -siedlungen eingesetzt werden, nämlich als Zusatzinstallationen zum üblichen Wohnstandard, vielleicht eine ähnliche Wirkung erzielen wie der Katalysator beim Auto: als alleinige Handlungsmaxime verbauen sie letztlich den Weg zu grundsätzlicheren Lösungen der Umweltprobleme, weil sie eine falsche Lebens- und Siedlungsweise stabilisieren.

Auswege

Ohne Zweifel wäre eine Kombination des städtebaulichen, sozialen und technischen Ansatzes das Beste. Eine veränderte Lebensweise, eine optimierte Haustechnik und eine verdichtete Siedlungsstruktur sind die zentralen, unerläßlichen Elemente eines ökologischen Stadtumbaus. Vergegenwärtigt man sich aber die verschiedenen Konfliktebenen, die mit den drei Strategien verbunden sind, wird es nicht verwundern, wenn mehr Fragen offen bleiben als Antworten gegeben werden können. Angesichts der Dringlichkeit des Problems kann auf den einen Königsweg nicht gewartet werden, es müssen alle denkbaren Lösungswege versucht werden.

Der ökologische Umbau verlangt neben anderen rechtlichen und finanziellen Orientierungsdaten die Organisation von Lernprozessen. Das Lernen von Verhaltensänderungen ist innovatives Lernen. Innovatives Lernen geschieht durch konkrete Erfahrung, durch Benutzen, durch Bearbeiten und in sozialer Interaktion. Es setzt Verantwortung voraus, also Spielräume und damit auch die Chance, Fehler zu machen. Die Prozesse des Planens, Bauens und Nutzens müssen so organisiert werden, daß sie Chancen für die Entwicklung solcher Lernmilieus eröffnen; gerade auf der kommunalen Ebene bietet sich die Möglichkeit, die hierfür notwendigen unmittelbaren Vor-Ort-Beziehungen aufzubauen.

Die Autoren
Die Autoren sind Mitglieder der Arbeitsgruppe Stadtforschung mit den aktuellen Schwerpunkten: Dienstleistungsgesellschaft, Wohnsoziologie, Stadtökologie, Sozialstruktur der Städte, Planungstheorie : Dr. Norbert Gestring (38), studierte in Göttingen und Bremen Sozialwissenschaften. Von 1989 bis 1992 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen. Seitdem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der Universität Oldenburg. Prof. Dr. Walter Siebel (57), ist seit 1975 Professor für Soziologie an der Universität Oldenburg, von 1989 bis 1995 war er wissenschaftlicher Direktor der Internationalen Bauausstellung Emscher-Park. Dipl.-Ing. Hans-Norbert Mayer (38), studierte in Erlangen und Oldenburg Raumplanung. Von 1985 bis 1992 war er freiberuflich in der Stadt- und Regionalplanung tätig, seit 1992 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Soziologie der Universität Oldenburg.

Presse & Kommunikation (Stand: 17.12.2024)  | 
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