Öffentlicher Abendvortrag
Klaas-Hinrich Ehlers: Ankommen auf Niederdeutsch. Niederdeutschlernen und -sprechen bei immigrierten Vertriebenen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
Zeit: Mittwoch, 07. September, 18:00–19:30 Uhr
Ort: Kammermusiksaal, A11 0-011
Vortragender: PD Dr. habil. Klaas-Hinrich Ehlers, Freie Universität Berlin
Zusammenfassung:
Flucht und Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus den mittel- und osteuropäischen Siedlungsgebieten setzten am Ende des Zweiten Weltkrieges im Zeitraum von nur zwei Jahren eine unerhört große Immigrationsbewegung Richtung Westen in Gang. Die meisten der etwa 12 Millionen Menschen, die damals ihre alte Heimat verlassen mussten, wurden im Norden der späteren Bundesrepublik und der DDR angesiedelt. Die massenhafte Einwanderung der Ortsfremden wird bis heute immer wieder dafür verantwortlich gemacht, dass gerade in Norddeutschland die angestammten – niederdeutschen – Dialekte aufgegeben wurden und das Hochdeutsche im Sprachgebrauch sehr schnell die Oberhand gewann.
Befragungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in Mecklenburg zeigen aber im Gegenteil, dass die immigrierten Vertriebenen in großem Umfang den niederdeutschen Dialekt der alteingesessenen Ortsbewohner in Norddeutschland gelernt haben, um mit ihnen kommunizieren zu können. Durch die Ankunft der Vertriebenen hat das Niederdeutsche also sogar eine Vielzahl neuer Sprecherinnen und Sprecher gewonnen. Im Erwerb des Dialekts des Zuwanderungsgebietes sahen offensichtlich viele Immigranten einen Weg, sich soziokulturell an ihr neues Lebensumfeld anzunähern und sich dort auch sprachlich zu verbeheimaten. Der Vortrag fragt nach dem Umfang des Niederdeutscherwerbs bei Vertriebenen und beleuchtet die Rahmenbedingungen und Motive für das Erlernen des Niederdeutschen. Grundlage der Untersuchung sind 90 Zeitzeugeninterviews und Sprachtests, die 2010 bis 2015 in der Umgebung von Rostock durchgeführt wurden.