Literaturaxiologie
Literaturaxiologie
Schwerpunkt Literaturaxiologie
Der Kern des Forschungsprojektes „Literaturaxiologie“ besteht im Entwurf eines deskriptiven, sowohl systematischen als auch diachronen Modells zur Erfassung von Wertungsprozessen, die literarische Texte erfassen. Dabei wurde eine kommunikationstheoretische wertsemiotische Grundlage gewählt, die anders als viele alternative literaturwissenschaftliche Verfahrenweisen strikt zwischen Wert und Bedeutung unterscheidet. Aus der allgemeinen Axiologie fanden das analytische Modell Ivins sowie das auf Peirce gründende semiotische Konzept von Morris Berücksichtigung.
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Weiterhin wurde eine Bestandsaufnahme der relevanten slavischen Konzeptionen zur Bestimmung des ästhetischen Wertes literarischer Texte vorgenommen. Hierbei sind die einschlägigen Konzeptionen Michail Bachtins (monologische vs. Dialogische Wertkonstituierung), Roman Ingardens (Wertphänomenologie) und Jan Mukařovskýs (funktionale Wertbetrachtung) rekonstruiert, verglichen und auf ihre Brauchbarkeit für ein analytisches Modell der Deskription literarischer Werte befragt worden. Im nächsten Schritt ist aufgrund der genannten Voraussetzungen ein aus neun Komponenten bestehendes Analysemodell entworfen worden. Die ersten drei Komponenten betreffen die Instanzen der Wertung, d.h. neben dem obligatorischen Gegenstand die möglichen axischen Subjekte und Adressaten. Die nächste Gruppe (4-6) bezieht sich auf die spezifische Modalität der Wertung, umfasst also Wertkriterien, Wertungsart und Wertungsgattung. Die letzte Gruppe (7-9) schließlich kontextuiert die Wertung durch deren Einbettung in eine Wertungsordnung, eine -situtation und ein -feld. 1. Bewertete(r/s) (patiens der Wertung) 2. Wertende(r/s) (agens der Wertung) 3. Wertungsadressat (intentionaler Empfänger der Wertung) ................................................................................................................................................…. 4. Wertungsgrundlage (Kriterium der Wertung) 5. Wertungsart (positiv/neutral/negativ, absolut/relativ, subjektiv/objektiv) 6. Wertungsgattung (epistemische, ethische, ästhetische, ludische usw. Wertung) ................................................................................................................................................…. 7. Wertungsordnung (Ambivalenz, Heterovalenz, Äquivalenz oder Invalenz) 8. Wertungssituation (monologische oder dialogische Wertung) 9. Wertungsfeld (Beziehungsgefüge der Wertung: Verhältnis zu anderen Werten) ..................................................................................................................................................... Mit Blick auf die Diachronie wurde eine globale kulturhistorische Abfolge der Wertungsdominanz von der archaischen, vorliterarischen Kultur bis zur Postmoderne entwickelt, die in den Dominanzstufen Ambivalenz → Heterovalenz → Äquivalenz → Invalenz abläuft. Hierfür demonstrieren in einzelnen Kapiteln Beispiele von Kulturstufen wie Mythos, ostslavisches Mittelalter, Neuzeit und Gegenwart die Arbeitsweise der jeweiligen axischen Dominanz. Weiterhin wurden relevante historische Wertbrüche wie die Entstehung von individueller Autorschaft, (Beispiel Simeon Polockij), die alternierende Kanonbildung (Beispiel Puškin), Wertgattungswechsel durch Säkularisation (Beispiel Chlebnikov) sowie Werttransformation im intermedialen und interkulturellen Kontext (Beispiel: Aleksandr Bek: russ. Roman → Heiner Müller: dt. Drama) herangezogen. Eine systematisch-diachrone Rekonstruktion der Wertungsgeschichte an Hand zweier Motivgeschichten hat Grübel in der Monographie „Sirenen und Kometen“ für das Kulturmotiv „Wasserfrau“ und das Naturmotiv „Haarstern“ geliefert. Das seit zwölf Jahren laufende Vorhaben einer dialogischen Literaturaxiologie ist 2002 mit der Veröffentlichung von Grübels Monographie „Literaturaxiologie. Zur Theorie und Geschichte des ästhetischen Wertes in slavischen Literaturen“ (771 S.) abgeschlossen worden. Sie ist in sechs internationalen Besprechungen u.a. als „Meilenstein in der Geschichte der literarischen Werttheorie“ (Zeitschrift für Slavische Philologie, 2004) gewürdigt worden. Diese Grundkonzeption einer kommunikativen Werttheorie ist mittlerweile in Handbüchern wie „Semiotik/Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur“ (de Gruyter, 1996), „Handbuch der sprachwissenschaftlichen Russistik und ihrer Grunddisziplinen“ (Harrassowitz 1999), „Grundzüge der Literaturwissenschaft“ (Deutscher Taschenbuchverlag, 6. Auflage 2004) und Lehrbüchern wie „Orientierung Literaturwissenschaft“ (Rowohlt 2001) dargestellt worden. Sie soll auch die literarische Axiologie im „BA Literaturwissenschaft. Ein Lehrbuch“ prägen, das 2005 bei Rowohlt erscheinen wird. Das Projekt ist im Laufe der 90er Jahre in seinen Teilaspekten auf acht internationalen Tagungen vorgestellt und diskutiert und wiederholt in Lehrveranstaltungen (auch zur Literaturdidaktik im Rahmen der Lehrerausbildung) genutzt worden. 2005 wird eine russische Übersetzung von Grübels „Literaturaxiologie“ im Petersburger Verlag Akademičeskij proekt erscheinen. **********************************************************
Internationale Tagung "Dar i žertva"
Die unter Mitwirkung von Slavisten aus sechs Ländern vom 2.-4.12. 2004 durchgeführte und von der DFG geförderte Tagung „Gabe und Opfer in der russischen Kultur der Moderne“ verknüpfte den Aspekt der Kulturaxiologie mit dem der russischen Moderne (der Sammelband wird 2005 in der Oldenburger slavistischen Reihe erscheinen).