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Im Visier der Stasi: Katholische Studentengemeinden

von Friedrich W. Busch und Peter-Paul Straube

Weil sie über viele Westkontakte verfügten, waren die Studentengemeinden der DDR ein bevorzugtes Ziel des Staatssicherheitsdienstes. Dabei ging es nicht nur darum, das kritische Potential auszuspionieren, sondern auf die Arbeit der Studentengemeinden unmittelbar Einfluß zu nehmen. Das geschah teilweise mit Erfolg, wie der nachfolgende Beitrag zeigt, der im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes "Katholische Studentengemeinde (KSG) in der DDR" entstanden ist.

Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) suchte als "Schild und Schwert der SED" und als "ein spezielles Organ der Diktatur des Proletariats" die Politik der SED und deren Ideologie über fast 40 Jahre in allen gesellschaftlichen Bereichen durchzusetzen und zu stabilisieren. Das MfS war somit ein konstitutives Herrschaftsinstrument der SED. Deswegen muß der immer wieder diskutierten Auffassung, das MfS sei - insbesondere in den 80er Jahren - ein "Staat im Staate" gewesen, deutlich widersprochen werden, wenn man nicht die historische Verantwortung der SED verschleiern will.

Das MfS in Hochschule und Kirche

Die vielfältige Einflußnahme des Staatssicherheitsdienstes auf das Hochschulwesen war nicht zuletzt eine Konsequenz aus dessen spezifischer Transformierung nach sowjetischem Vorbild Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre. Der totalitäre Anspruch, alle Studenten weltanschaulich im Sinne des Marxismus-Leninismus (M/L) erziehen zu wollen und davon abweichende Anschauungen nicht zu tolerieren, führte mehr oder weniger zwangsläufig zum Einsatz eines Spitzelwesens.

Christliche Studierende, die als solche an den Universitäten und Hochschulen bekannt waren, durften sich in vielen Fällen einer besonderen Beachtung durch die SED-Kreisleitung ihrer Hochschule sicher sein. In einer mehrseitigen "Einschätzung des Einflusses und der staatsbürgerlichen Haltung religiös gebundener Studenten unserer Universität", die im März 1977 von der SED-Kreisleitung der TU Dresden für das Direktorat für Studienangelegenheiten angefertigt wurde, wird auch zur Frage Stellung genommen, wie sich religiös gebundene Studierende im Hochschulalltag bemerkbar machten:

"Übernahme von gesellschaftlichen Funktionen in Seminargruppen und Wohnheimen ... Versuche, unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit zu provozieren ... Unter dem Deckmantel der Glaubensfreiheit versucht man, gesellschaftlichen Verpflichtungen zu entgehen ... mit guten fachlichen Leistungen. Damit gewinnen sie großen Einfluß in der Gruppe und können Genossen-Studenten, die schlechtere Leistungen haben, zurückdrängen ... Die kirchlich gebundenen Kräfte nutzen jede Gelegenheit, um Einfluß auf das politische Niveau in der Gruppe zu nehmen ... Sie nutzen jede politische Anonymität, um unerkannt ihren Einfluß geltend zu machen."

Diese Punkte werden jeweils mit Beispielen belegt; dazu wird die Arbeit der Studentengemeinden dargestellt und abschließend u.a. geschlußfolgert: "Die atheistische Propaganda sowohl in den Lehrveranstaltungen des ML, als auch in interessanten Foren außerhalb des Lehrbetriebes ist so zu verstärken, daß der gezielten Arbeit der Kirche offensiv begegnet werden kann."

Am folgenreichsten für diese sowie die Studentengemeinden insgesamt war jedoch die "Bearbeitung" durch das MfS. In einem Dienstgespräch im November 1966 stellte der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, fest: "Die Beeinflussung der jugendlichen Intelligenz erfolgt weiter vor allem im Rahmen der evangelischen und katholischen Studentengemeinden an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen. An den regelmäßigen Veranstaltungen der Studentengemeinden nehmen häufig zahlreiche jugendliche Gäste teil, so daß der Hörerkreis bei interessanten Veranstaltungen bis zu 500 Personen erfaßt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal an meine Ausführungen über die Maßnahmepläne, wo ich besonders auf die Bearbeitung dieser ideologisch zersetzend wirkenden Konzentration hinwies. Die reaktionärsten Mitglieder dieser studentischen Organisationen sind in 'Kernkreisen' zusammengefaßt, von denen maßgeblich die negative Beeinflussung und Organisierung der Tätigkeit der evangelischen und katholischen Studentengemeinden ausgeht."

An der "Bearbeitung dieser ideologisch zersetzend wirkenden Konzentration" hatte das MfS auch deshalb ein besonderes Interesse, weil die Studentengemeinden zum einen zu jenen kirchlichen Einrichtungen zählten, die ein hohes Maß an "Feindberührung", an Westkontakten, hatten und deren Mitglieder zum anderen in der Regel Studierende an einer staatlichen Universität, einer Hoch- oder Fachschule waren.

Inoffizielle Mitarbeiter und ihre Akten

Um die Einflußnahme der Stasi auf die Studentengemeinden zu verstehen und die dabei entstandenen Akten sicher interpretieren zu können, muß man folgendes wissen: Auch im Hochschulbereich zählten die Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) zu den Hauptakteuren der Stasi-Einflußnahme; sie wurden normalerweise zur Mitarbeit angeworben.

Die sog. IM-Akten bestehen in der Regel aus zwei Teilen. Aus der Personalakte (Teil I) ist zunächst der sog. IM-Vorlauf ersichtlich, aus dem u.a. hervorgeht, auf welche Weise eine Person geworben wurde (z.B. auf der Basis der Überzeugung und Freiwilligkeit, der materiellen Interessiertheit oder durch Erpressung), welchen Decknamen sie bekommen hat und welche Legende bei der Werbung ggf. eingesetzt wurde. Außerdem enthält dieser Teil in vielen Fällen eine handschriftliche Verpflichtungserklärung. In der Personalakte sind zudem Analysen über die Arbeit des IM und dessen Einsatzmöglichkeiten zu finden.

Die Arbeitsakte (Teil II) enthält die Ergebnisse der Aktivitäten eines IM in Form von Berichten des Führungsoffiziers über die Treffen, vom IM verfaßte Berichte über Personen oder Vorgänge, Abschriften von Tonbandaufzeichnungen, die bei den Treffen konspirativ aufgezeichnet oder von Inoffiziellen Mitarbeitern bewußt besprochen wurden, sog. Wanzen-Protokolle (Abschriften von Abhörmaßnahmen), aufgrund der Informationsvorlagen angefertigte Analysen und Maßnahmepläne, auf deren Basis weitere Operative Personenkontrollen (OPK) und Operative Vorgänge (OV) eingeleitet wurden, sowie Materialien, die der IM dem Führungsoffizier übergeben hatte, z.B. Programmhefte der Studentengemeinden, Fotos oder Protokolle von Gemeinderatssitzungen. In manchen Fällen wurden auch ein Teil III, in dem die Quittungen der finanziellen Zuwendungen gesammelt wurden, sowie ein Teil IV, u.a. für Auszeichnungen, angelegt.

Neben der Informationsbeschaffung hatten die IM in vielen Fällen den Auftrag, sich in Entscheidungs- und Organisationsprozesse in den Studentengemeinden aktiv einzuschalten - z.B. bei der Auswahl von Themen und Referenten für Bildungsveranstaltungen oder als Quartiergeber für Besucher aus der Bundesrepublik.

Zur Auswertung von Stasi-Akten

Der Wahrheitsgehalt von IM-Akten ist grundsätzlich nicht in Frage zu stellen. Der Bundesbeauftragte für die Stasi, Joachim Gauck, unterstreicht dies: "Daß Mitarbeiter ihre Phantasieprodukte gestalten konnten, um so eine Prämie zu bekommen oder befördert zu werden, galt nicht für Berichte über Arbeitsergebnisse der IM. Andere Teile des MfS mußten mit diesen Ergebnissen weiterarbeiten. Das sorgte für eine gegenseitige Kontrolle, außerdem gab es innerhalb des MfS Kontrollinstanzen." Dennoch muß die Auseinandersetzung mit dem Archivgut des MfS äußerst sorgfältig und differenziert erfolgen. Die einzelnen literarischen Gattungen (IM-Berichte, von MfS-Mitarbeitern verfaßte Treffberichte, Informationen, Maßnahmepläne etc.) sind einer eingehenden Textkritik zu unterziehen. Dabei sind der Vorgang ihrer Entstehung, die damit verbundene Intention, die Verfasserschaft sowie mögliche redaktionelle Schichten zu erfassen. Zu diesen text- und literarkritischen Analysen müssen Ergebnisse aus Recherchen in Archiven der SED, aber auch der Kirche, der CDU und der staatlichen Organe zum Vergleich herangezogen sowie Zeitzeugen gehört werden. Erst dann ist eine spezifische Hermeneutik der Materialien des MfS sowie im Einzelfall ein differenzierter Umgang mit Schuld möglich.

In einer uns vorliegenden MfS-Studie zum Thema "Erfahrungen und Probleme bei der langfristigen Entwicklung und des Einsatzes von Inoffiziellen Mitarbeitern unter reaktionären Kirchenkreisen" geht es insbesondere um die Einschleusung von IM in den kirchlichen Raum sowie um deren spätere "Herauslösung".

Es wird u.a. von einem IM berichtet, der Mitte der 80er Jahre auf die Katholische Studentengemeinde (KSG) Zwickau angesetzt war. Ziel seines Auftrages war zunächst die Herstellung vertrauensvoller Verbindungen zum Studentenseelsorger und den Sprechern. Diese sollte u.a. durch folgende Verhaltensweisen und Handlungen des IM erreicht werden: "Loyales, teilweise pazifistisches Auftreten gegenüber dem Lehrkörper und den Studenten seiner Seminargruppe, um sein Verhalten im Rahmen der KSG glaubhaft zu legendieren. Dazu hat er seine FDJ-Arbeit passiv zu gestalten und unter Begründung seiner kirchlichen Bindung um seine Ablösung als Sekretär der FDJ-Gruppe zu ersuchen ... In der christlichen Buchhandlung Kauf von religiösen Materialien, wie beispielsweise 'Kreuz', 'Das alte Testament', 'Die gute Nachricht', usw., um ... sich auf die Taufe vorzubereiten."

Nachdem dieser IM im Sinne des MfS erfolgreich in der KSG eingesetzt worden war, erhielt er von seiner Arbeitsstelle - er hatte sein Studium abgebrochen und arbeitete als Hilfsarbeiter - die Möglichkeit eines erneuten Studiums, die jedoch von der Mitgliedschaft in der SED abhängig gemacht wurde.

Aktivitäten des MfS in den Studentengemeinden

Im Kontext der Transformation der Universitäten und Hochschulen in der DDR Anfang der 50er Jahre wurden die Studentengemeinden aus dem universitären Raum "unter das Dach der Kirchen" gedrängt, denn sie standen der Erziehung der Studierenden im Sinne der SED im Wege. Es wurde deshalb durch das MfS versucht, die Arbeit der Studentengemeinden zu kontrollieren und deren Mitglieder einzuschüchtern. Aufgrund der immer wieder vorkommenden Fälle, in denen der Staatssicherheitsdienst Mitglieder der Studentengemeinde aufforderte und zum Teil drängte, sich für seine Aufgaben zur Verfügung zu stellen, sah sich der Leipziger KSG-Pfarrer Wolfgang Trilling im Jahre 1963 veranlaßt, einen "Offenen Brief" zu verfassen, der in den Räumen der Studentengemeinde ausgehängt und an die anderen katholischen Studentengemeinden weitergereicht wurde. Trilling selbst brachte ihn zur Leipziger Bezirksbehörde des MfS.

"Erklärung: Es kommen immer wieder Fälle vor, in denen der Staatssicherheitsdienst Mitglieder der Studentengemeinde auffordert und zum Teil drängt, sich für seine Aufgaben, auch für Erkundigungen über die Arbeit der Studentengemeinde zur Verfügung zu stellen. Dazu möchte ich folgendes erklären:

  1. Die Veranstaltungen der Studentengemeinde sind öffentlich, das Monatsprogramm ist in allen katholischen Kirchen von Leipzig ausgehängt. Gäste, die sich dem Studentenpfarrer bekannt machen, sind jederzeit willkommen.
  2. Die Studentengemeinde gehört zum seelsorglichen Verantwortungsbereich des Bischofs von Meissen, besitzt eine von ihm verfaßte Satzung und wird von seiner Autorität getragen. Für Auskünfte über die seelsorgliche Arbeit im allgemeinen und über die einzelnen Veranstaltungen der Gemeinde ist allein der von ihm eingesetzte Studentenpfarrer zuständig, an den bei Anfragen regelmäßig zu verweisen ist.
  3. Über private Auffassungen und die Gesinnung von einzelnen Mitmenschen planmäßig Nachrichten zu sammeln und staatlichen Organen weiterzugeben, ist sittlich nicht erlaubt. Das verbietet
    1. nach dem natürlichen Sittengesetz das Gebot, die Ehre des Nächsten zu schützen,
    2. nach den allgemeinen Menschenrechten das Prinzip der Gedanken- und Gewissensfreiheit,
    3. nach der christlichen Ethik das Gebot der Nächstenliebe.
  4. Sofern es sich nicht um die Aufklärung eines Verbrechens handelt, ist jedem Ansinnen auf eine oben beschriebene Mitarbeit von Anfang an entschlossener Widerstand entgegenzusetzen.
  5. Es empfiehlt sich, in solchen Fällen zur Beratung und Unterstützung den Studentenpfarrer zu informieren. Die oft auferlegte Schweigepflicht bindet im Gewissen nur dann, wenn sie in völliger Freiheit und aus eigenem Entschluß übernommen worden ist.

Leipzig, den 23. November 1963

gez. Wolfgang Trilling, Studentenpfarrer."

In der Praxis war es Studierenden in der Tat in den meisten Fällen möglich, über eine Dekonspiration den Werbeversuchen des MfS zu entkommen. Von den 283 Respondenten einer schriftlichen Befragung, die wir 1992/93 durchführten, gaben 4 % an, daß sie - ohne Erfolg - für eine Mitarbeit beim MfS geworben wurden. Auf die Frage "Sind Ihnen Disziplinarverfahren oder Exmatrikulationen mit politischem Hintergrund, Übergriffe des MfS, die in Zusammenhang mit einer KSG-Zugehörigkeit stehen, bekannt?", antworteten 272 Teilnehmer unserer Befragung - davon 33 % mit "ja" und 67 % mit "nein".

Operativer Vorgang "Schild"

Eine der aufwendigsten Aktionen des MfS auf eine katholische Studentengemeinden war der Operative Vorgang (OV) "Schild", bei dem von 1969 bis 1974 die KSG Leipzig "bearbeitet" wurde. Die bisher aufgefundenen Materialien bestehen aus 3 Bänden, 14 Nebenbänden sowie einer Mappe mit Briefen. Im Beschluß zur Einleitung des Operativen Vorlaufs vom 5. September 1969 wird als Grund dafür der Verdacht der Bildung einer Gruppe in der KSG Leipzig genannt, die sich für ähnliche Verhältnisse wie 1968 in der CSSR engagiere und deshalb mit staatsfeindlicher Hetze in Erscheinung trete. Beim sog. Messetreffen während der Leipziger Frühjahrsmesse mit Studierenden aus der Bundesrepublik im März 1973 waren z.B. mindestens sechs IM im Einsatz, die das MfS fast "rund um die Uhr" mit Informationen über die Themen der Gespräche und Vorträge, über Teilnehmerzahlen und auffällige Diskutanten versorgten; somit war dem MfS die Möglichkeit eines umfassenden Vergleichs der Informationen gegeben. Im August 1974 wurde, den Vorgang abschließend, festgestellt, daß vor allem aufgrund der Verhaftung von vier ehemaligen KSG-Mitgliedern im November 1971, von personellen Veränderungen in der Leitung der KSG Leipzig und einer vom Meißner Bischof Schaffran im Juli 1973 ausgesprochenen Empfehlung, in den KSG-Veranstaltungen politische Themen nicht zu behandeln, sich die weitere "Bearbeitung" des OV "Schild" erübrige.

"Deckname Lyrik"

Der Staatssicherheitsdienst versuchte über die IM nicht nur die Arbeit der Studentengemeinden auszuspionieren, sondern auch mitzugestalten. Dies betraf auch Veranstaltungen, von denen eigentlich zu erwarten gewesen wäre, daß das MfS daran interessiert war, diese zu verhindern. Denn zu den Hauptaufgaben eines IM gehörte die Verhinderung von "öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte".

Beispiel: Am 18. Februar 1975 fand im Rahmen des von der ESG und der KSG Leipzig gemeinsam durchgeführten Zwischensemesterprogramms ein "Reiner-Kunze-Abend" statt. Der Lyriker Kunze - vom MfS als äußerst "feindlich-negativ" eingestuft - war in den 70er Jahren ein gern gesehener Gast in christlichen Jugend- und Studentengruppen. In einem Bericht des IM "Horst", den Kunze in seinen Stasiakten gefunden und auszugsweise in einem kleinen Band mit dem Titel "Deckname Lyrik" (Frankfurt 1990) veröffentlicht hat, ist über diesen Abend u.a. zu lesen: "Anwesend waren etwa 250 Personen, darunter R. Kunze und Frau ... Der Verlauf bestätigte, daß bei ... unsere Gesellschaft in Frage stellenden Texten oft spontan Beifall bekundet wurde (vergl. Mitschnitt)". IM "Horst", Schauspielstudent und Mitglied der KSG Leipzig, hatte diesen Abend vorbereitet und anschließend über einen schriftlichen Bericht und Tonbandmaterialien dem MfS die Reaktionen der Studierenden auf Kunzes Texte mitgeteilt.

Dieser IM wurde in die Leipziger KSG eingeschleust. Er arbeitete von 1969 an auf freiwilliger Basis und aus Überzeugung sowie für umfangreiche finanzielle Zuwendungen als - zeitweise halbamtlicher - IM und kehrte im Auftrag des MfS im Jahre 1980 von einer Besuchsreise in die Bundesrepublik nicht in die DDR zurück; er hatte es "übernommen", im Westen u.a. die KSG Freiburg und den Frankfurter Fischer Verlag zu "bearbeiten".

Studentenpfarrer arbeitet für das MfS

Neben der KSG Leipzig, die vor allem aufgrund ihrer Kontaktmöglichkeiten mit Mitgliedern westdeutscher Studentengemeinden über die mit weniger Formalitäten mögliche Einreise aus Anlaß der Leipziger Messen für das MfS von besonderem Interesse war, galt das Interesse der Stasi der KSG in Ostberlin - nicht nur wegen der besonderen Einreisekonditionen in Berlin, sondern auch aufgrund des überwiegend über diese KSG gelaufenen Kontaktes zum West-Berliner Bildungszentrum für katholische Studierende und der vielfältigen Veranstaltungen im Bildungshaus der Berliner Diözese in der Pappelallee in Ost-Berlin.

Äußerst erfolgreich war das MfS bei seinen Kontakten zu Joachim Berger, der von 1969 bis 1976 Studentenpfarrer der Ostberliner KSG war und in diesem Zeitraum vom MfS unter den Decknamen "Berg" und "Johannes" als IM geführt wurde. Über seine Gespräche mit dem MfS hat Berger seinem Bischof keine Mitteilungen erstattet. Seinen jahrelangen Gesprächskontakt rechtfertigte Berger damit, daß ihm dieser Kontakt "in einer lang andauernden, politisch extremen Situation der Katholischen Studentengemeinde Berlin (nach 1968) ... zum Schutz der KSG als Ganzer sowie besonders auch vieler ihrer gefährdeten Mitglieder dringend notwendig erschien."

Bei den bisher in der Berliner Gauck-Behörde einsehbaren Unterlagen handelt es sich überwiegend um "Treffberichte", die von einem Offizier des MfS nach Gesprächen mit Berger - z.T. unter Einbeziehung von Tonbandaufzeichnungen - verfaßt und in der Regel mit "Nordt, Hptm." gezeichnet worden sind. Darin finden sich Informationen über Veranstaltungen der KSG Berlin, über regionale Veranstaltungen sowie über Gemeindemitglieder und Studentenpfarrer. Ergänzt wurden diese Informationen durch die Übergabe von Protokollen von Sitzungen der verschiedenen Gremien der katholischen Studentengemeinden an das MfS.

Berger versuchte auf diese Weise - in Interessenkongruenz mit dem MfS und partiell auch mit der Berliner Kirchenleitung (!) - gesellschafts- und kirchenkritische Tendenzen und Aktivitäten insbesondere in der Berliner KSG zu verhindern und zu unterbinden. In einem Treffbericht vom Juni 1974 heißt es, daß es Berger gelungen sei, "den Einfluß negativer Kreise von seiten der Jungakademiker auf die Studentengemeinde abzubauen."

Fazit

Die Studentengemeinden waren ein bevorzugtes Terrain der Aktivitäten des MfS, weil es sich bei den Studierenden um eine kirchlich wie gesellschaftlich gesehen bedeutsame Gruppierung handelte. In enger Zusammenarbeit mit universitären Stellen, der SED und der CDU sowie über den Einsatz einer Vielzahl von IM und technischer Hilfsmittel versuchte deshalb das MfS, die Arbeit der Studentengemeinden "konspirativ zu bearbeiten" und zu kontrollieren, über IM in Führungspositionen in den Gemeinden zu kommen sowie über "Zersetzungsmaßnahmen" auf einzelne Personen Einfluß zu nehmen. In einzelnen Fällen kam es zu Verhaftungen, mitunter zu "Stasiphobie" und in der Summe zu einer Verunsicherung der KSG-Mitglieder, welche einen stärkeren Rückzug in die Nische Studentengemeinde oder das Wegbleiben einzelner Studierender aus den Studentengemeinden zur Folge hatte.

In einer Analyse der MfS-Kreisdienststelle Greifswald vom 5. Juli 1973 über die Situation in der evangelischen und der katholischen Studentengemeinde in Greifswald heißt es treffend:

"Global kann eingeschätzt werden, daß die beiden kirchlichen studentischen Jugendorganisationen entsprechend ihrer zentral geleiteten Organisationen im Rahmen der Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus aktiv feindlich ideologisch wirksam sind. ... Von vielen Studenten wird die ESG und die KSG als 'Freiraum', 'wirkliche Freiheit' oder 'Modell der Demokratie' für unkontrollierbare Diskussionen betrachtet. Damit bietet sich den reaktionären Studenten eine Plattform zum Studium und zur Auswertung westlicher Publikationen, zur Verbreitung feindlicher Ideologien bis zur Bildung von Gruppierungen."

Die Autoren

Prof. Dr. Friedrich W. Busch, Erziehungswissenschaftler und Bildungsforscher, lehrt und forscht seit 1971 in Oldenburg. In seinen vorwiegend von der DFG geförderten Projekten hat er sich u.a. mit pädagogischen Problemen und bildungspolitischen Entwicklungen in der DDR befaßt. Den DDR-Alltag lernte er seit 1966 durch regelmäßige Reisen und Begegnungen mit vorwiegend kirchlich engagierten Personen kennen. Er geriet dabei selbst ins Visier der Stasi. - Dr. Peter-Paul Straube studierte in der DDR Theologie. 1986 reiste er aus und promovierte in der Bundesrepublik nach einem Studium der Sozialwissenschaften. Nach Abschluß zweier Forschungsprojekte, darunter dem oben beschriebenen, kehrte er Ende 1995 als Pädagogischer Leiter eines kirchlichen Bildungshauses nach Bautzen in Sachsen zurück.

(Stand: 19.01.2024)  | 
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