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Der Oldenburger Historiker Dr. Lucas Haasis koordiniert die Forschungskooperationen und die Öffentlichkeitsarbeit des Akademienprojekts Prize Papers.

Dr. Lucas Haasis

Institut für Geschichte

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Für sämtliche Aufnahmen von The National Archives gilt: Images reproduced by permission of The National Archives, London, England

Eine Frage der Faltung

Eine Frage der Faltung

Liebesschwüre, Geschäftsgeheimnisse, Nachrichten aus der fernen Heimat: Wie ließen sich vor Jahrhunderten – und vor Entstehen verschließbarer Kuverts – vertrauliche Zeilen verschicken? Es ist eine Frage der Faltung, wie Historiker Lucas Haasis im Gastbeitrag schreibt.

Während der Frühen Neuzeit gab es noch keine Kuverts für Briefe – normierte Briefumschläge entwickelten sich erst später. Stattdessen nutzten Menschen jahrhundertelang das Briefpapier selbst dafür, versandfertige Briefe und Briefpäckchen herzustellen. Die Briefbögen dienten zugleich als Umschläge. Verschlossen wurde die Korrespondenz mittels eigens entwickelter Brieffalttechniken, so genannten letterfolding techniques, und materieller Briefverschlussmechanismen, letterlocking techniques.

Um einen versandfertigen Brief oder ein Briefpäckchen aus Briefbögen selbst herzustellen, waren mehrere Handgriffe nötig: Briefpapier wurde auf unterschiedliche Art und Weise gefaltet, ineinandergeschoben und zur Fixierung miteinander verschränkt. Es fanden unterschiedliche Verbund- und Klebstoffe Verwendung (wie Siegellack, Wachs, Wafer). Die Versendenden brachten absichtlich Schlitze und Löcher in das Papier ein, um wiederum eigens verwendete materielle Briefverschlüsse einzusetzen oder unterschiedliche Materialien hindurchzuziehen. Als solche letterlocks (wörtlich: „Briefschlösser“) Verwendung fanden etwa Papierschnitze, abgeschnitten vom Briefpapier selbst oder separat bezogen, aber auch Seidengarn, Schnüre und andere Materialien, meist zusätzlich mit Siegellack verbunden.

Das Projekt letterlocking.org leistet in der Erforschung dieser Brieffalt- und Verschlusstechniken seit mehr als zehn Jahren Pionierarbeit. Jüngst stellte das Projektteam einen eigenen Katalog an gängigen Falt- und Verschlusstechniken vor. Gemeinsam mit Expert*innen des Kings College London und des Massachusetts Institute of Technology konnte das Team zudem einen noch immer verschlossenen Brief scannen und virtuell auffalten. Dieser Brief gehört zur Brienne Collection – einer Postmeisterkiste, die ähnlich wie die Prize Papers im originalen Zustand erhalten ist.

Das Team des Prize Papers Projekts in London, Oldenburg und Göttingen mit seiner vereinten Expertise in puncto Konservierung, Erschließung, Erforschung und Präsentation materieller Eigenschaften von Briefen (materiality.prizepapers.de) kooperiert seit Jahren mit dem Letterlocking Team um Jana Dambrogio und Daniel Starza Smith. Diese Zusammenarbeit mündete zum Beispiel in einen großen Workshop zum Thema Materialität im Jahr 2019. Das Datenmodell des Prize Papers Projekts erlaubt es, materielle Eigenschaften von Briefen wie Faltung und Verschluss einzubeziehen, so dass diese auch im Prize-Papers-Portal perspektivisch suchbar sein werden.

Die Prize Papers sind für die Erforschung der materiellen Eigenschaften von Briefen und des Briefverkehrs von unschätzbarem Wert, denn viele der geschätzt 160.000 Briefe haben sich bis heute in ihrem originalen Zustand erhalten. Viele sind noch gefaltet, einige sogar noch verschlossen, was es erlaubt, die Faltungen heute noch nachzuvollziehen und zu erforschen. Dies geschieht in enger Abstimmung zwischen den Kooperationspartnern.

Mit dieser Herangehensweise, einem eigenem Materiality Approach, legt das Prize Papers Projekt einen besonderen Fokus und besonderen Wert auf den Erhalt, die Dokumentation und Präsentation des ursprünglichen Zustands der Dokumente und Artefakte im Bestand. Brieffalttechniken und Letterlocks dokumentieren wir in Materiality Shots und Videos. Diese Dokumentationen erlauben es, Modelle typischer und weniger typischer Brieffalttechniken der Frühen Neuzeit zu erstellen, die sich im Bestand repräsentiert finden.

Das Besondere der Prize Papers: Es kristallisieren sich unterschiedliche Vorlieben der materiellen Briefgestaltung heraus – je nach sozialem Stand, Geschlecht, Alter und geografischer Herkunft oder Aufenthaltsort der Schreibenden. Die Bestände sind eine einmalige Gelegenheit, die materielle Welt vergangener Briefkommunikation zu erforschen.

(Stand: 19.01.2024)  | 
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