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Justin Schröder ist neben seinem Masterstudium der Geschichte und Germanistik als Forschungsstudent im Prize-Papers-Projektteam tätig. Sein Gastbeitrag ist zuerst in englischer Sprache auf der Projekt-Website erschienen und basiert auf seiner Bachelorarbeit „Ich packe meinen Koffer”.

Justin Schröder

Prize Papers Projekt

Fotohinweis

Für sämtliche Aufnahmen von The National Archives gilt: Images reproduced by permission of The National Archives, London, England.

Die Aufnahmen von The Metropolitan Museum of Art sind frei nutzbar („public domain”). Sie zeigen einen aus Großbritannien stammenden Anzug aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Des Grafen neue Kleider

Des Grafen neue Kleider

Eine Einladung zu einem Fest des britischen Königs – wie sie manche „Auserwählten“ zur Krönung Charles III. erreicht haben mag – und die edle Garderobe geht auf der Anreise verloren? Wie feinste Seidenstrümpfe und silberner Spitzenkragen 1745 in die Mühlen der Justiz gerieten, zeichnet Justin Schröder in seinem Gastbeitrag nach.

Man stelle sich vor, man ist auf einer wichtigen Festveranstaltung, einer Vernissage oder Feierlichkeit mit ausgewähltem Publikum geladen. Doch was zieht man an? Zeigt sich doch auch heute noch eine festlich-elegante Graderobe als ein wesentliches Merkmal solcher Events. Nach langen Überlegungen findet man das perfekte Outfit. Doch wie fühlt man sich, wenn die bestellte mühselig geplante Abendgarderobe kurz vor der Veranstaltung unauffindbar ist? Vermutlich so ähnlich wie sich Graf Josef Xaver von Haslang, Geheimer Rat und Mitglied des Haus-Ritter-Ordens zum heiligen St. Georg, im Jahr 1745 gefühlt haben muss, als er erfuhr, dass seine für die Geburtstagsfeier des britischen Königs George II. georderten Kleidungsstücke auf dem Weg vom europäischen Festland nach London gekapert wurden.

Als wäre dieser Umstand nicht unglücklich genug, zeigen erstmalig erschlossene Archivdokumente, dass die Kleidung von der englischen Krone beschlagnahmt wurde. Besonders ärgerlich für Graf Haslang, da dieser als Gesandter des Kurfürstentums Bayern im diplomatischen Dienst am englischen Königshof war.

Nun begann für den Grafen ein Wettlauf mit der Zeit: Dem Diplomaten blieben weniger als 3 Wochen Zeit, um die speziell für „His Mayestry´s Day“ georderten Kleidungsstücke aus einem Lagerhaus der englischen Krone zu beschaffen.

Warum die Kleidungsstücke eines verbündeten Diplomaten gekapert wurden? Die Erklärung aus englischer Sicht findet sich in den äußeren Umständen der Lieferung. So hatte Graf Haslang einen befreundeten Kaufmann beauftragt, bestimmte Kleidungsstücke in Frankreich zu kaufen. Dieser erwarb vor Ort die georderten Gegenstände und brach auf dem Seeweg zunächst weiter Richtung Rotterdam auf. Auf dem Weg von Frankreich nach Rotterdam traf das Transportschiff „Jeune Cornelis” auf das englische Kaperschiff „Charlisle“, welches das vermeintlich feindliche französische Schiff aufgrund des Prisenrechts kaperte.

Der für Graf Haslang äußerst unglückliche Zufall der Kaperung zeigt sich für die Forschung heute als Glücksfall. Durch die bis heute im Londoner Nationalarchiv vorhanden Gerichtsdokumente zu den einzelnen Kaperungen lässt einen Blick in die festliche Garderobe eines zeitgenössischen Grafen zu. Wieso ich in meiner Abschlussarbeit gerade Kleidung in den Fokus genommen habe? – Die Besonderheit von Kleidung ist, dass sie seit je her in besonderer Weise als nonverbales Kommunikationsmedium dient, gleichzeitig als Statussymbol fungiert und zusätzlich Ausdruck der herrschenden gesellschaftlichen Normen und Konventionen ist. So zeigt sich schnell, welche Möglichkeiten die Materialitäts- und Kleidungsforschung eröffnen.

Der Blick auf die Dokumente und Auflistungen der beschlagnahmten Kleidungsstücke und Accessoires des  Grafen verdeutlicht, warum dieser gezielt auf die georderten Kleidungsstücke pochte. So werden feinste Seidenstrümpfe – insgesamt 48 (!) Stück –, ein Justaucorps (Mantel), ein Jabot (Spitzenkragen) aus silberner Spitze sowie weitere Gegenstände genannt.

Neben den in den gerichtlichen Inventarlisten aufgezählten Kleidungsstücken lassen auch weitere archivierte Dokumente des Grafen Rückschlüsse auf seine Kleidung zu. So lassen beispielsweise die Formulierungen und omnipräsenten Titelnennungen des Grafens erkennen, welche Stellung dieser in der Gesellschaft einnahm. Diese nahm wiederum Einfluss auf die Verzierungen und Materialien der Kleidung. So verweisen zeitgenössische Quellen auf die Verwendung von Edelsteinen als Knöpfe bei Diplomaten im 18. Jahrhundert. Standesgemäß wurden auch weitere Accessoires wie eine Taschenuhr oder den Degen getragen – sie galten in der damaligen Zeit als unabdingbarere Statussymbole.

Insgesamt zeigt sich, wie viel sich aus den alltäglichen Gegenständen, wie ihr die Kleidung, lernen lässt. Die Möglichkeit, die im Rahmen dieser Forschungsarbeit zu Graf Haslang erhobenen Ergebnisse zu erhalten, verdanken wir dem bis heute einzigartigen Quellenarchiv in London und zeigt einmal mehr, welche bedeutende Rolle den Prize Papers zukommt.

(Stand: 19.01.2024)  | 
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