Fotoausstellung

Die Fotoausstellung „Prize Papers und transatlantische Sklaverei – Ausbeutung, Leid und angetanes Unrecht“ ist bis 31. März 2024 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zu sehen.
Adresse: Akademiegebäude am Gendarmenmarkt (Eingang Markgrafenstraße 38), Berlin. Die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften fördert die Ausstellung. Kuratiert wurde sie von Maria Cardamone, Dr. Lucas Haasis und Dr. Oliver Finnegan (Beratung: Dr. Misha Ewen, Mitarbeit: Lisa Magnin).

Kontakt

Der Oldenburger Historiker Dr. Lucas Haasis koordiniert die Forschungskooperationen und die Öffentlichkeitsarbeit des Akademienprojekts Prize Papers.

Dr. Lucas Haasis

Institut für Geschichte

Fotohinweis

Für sämtliche Aufnahmen von The National Archives gilt: Images reproduced by permission of The National Archives, London, England

Unrecht, das bis heute nachwirkt

Unrecht, das bis heute nachwirkt

Bis zu 12,5 Millionen versklavte Menschen wurden in der Frühen Neuzeit aus Afrika auf Schiffen in die Amerikas verschleppt – eines der größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Akademienprojekt „Prize Papers“ macht Schiffsrouten, menschliche Schicksale und die tiefe Verstrickung Europas sichtbar, seit kurzem in Kooperation mit dem renommierten Projekt „Slave Voyages“ und dessen Datenbank. Auszüge aus einem Vortrag von Historiker Lucas Haasis.

Wenn wir auf einer Weltkarte die Routen gekaperter Schiffe aus den Prize Papers einzeichnen, verdeutlicht dies die globale Dimension dieses einmaligen Dokumentenbestands und des Akademienprojekts. Mit diesen Routen verbindet sich vielfach aber zugleich der „Atlantic Slave Trade“, der Dreieckshandel mit versklavten Menschen. Zu Tausenden wurden damals Menschen von den Kolonialmächten – vor allem von Frankreich, England, den Niederlanden oder Spanien – verschleppt, und viele der gekaperten Schiffe, von deren Routen und Ladung die Prize Papers Zeugnis ablegen, waren darin verwickelt.

Auch diese Schiffe wurden damals als begehrte Kriegsbeute während der Seekriege gekapert, und auch von diesen Schiffen wurden entsprechend Dokumente und Artefakte sichergestellt und in Kaperprozessen als Beweismittel herangezogen. Gerade haben wir erstmals umfangreiches Material von zwei am Sklavenhandel beteiligten Schiffen im Projektportal veröffentlicht. Es handelt sich um einige tausend Dokumente, die Interessierte frei einsehen können – weitere Schiffe werden auf diese ersten beiden folgen. Zukünftig werden diese Dokumente aus den Prize Papers, die von gekaperten Schiffen stammen, die in den Sklavenhandel verwickelt waren, zusätzlich auch in der internationalen Datenbank des Projekts „Slave Voyages“ zu finden sein, mit dem das Prize-Papers-Team seit kurzem kooperiert. Ausgewählte Beispiele von Dokumenten und Objekten stellt das Prize Papers Projekt derzeit in einer Ausstellung in Berlin in großformatigen Fotografien vor.

In den Kapergerichtsprozessen wurde Sklaverei nicht verurteilt, sondern verhandelt – und zwar mit Menschen als Ware. Aufgrund des Kapersystems konnten Seeleute, die ein Schiff nebst Ladung erbeutet hatten, auch das Eigentum an den an Bord befindlichen versklavten Menschen beanspruchen. So konnte etwa ein britischer Kommandant argumentieren, dass es sich bei diesen Menschen um rechtmäßige „Beute“ handele. Erklärte das Gericht anschließend die Kaperung für rechtmäßig, wurden die versklavten Menschen zu „feindlichem Eigentum“ deklariert und bei einer Auktion verkauft. Nur in wenigen Dokumenten werden versklavte Menschen namentlich genannt und kamen nur in Ausnahmefällen einmal vor Gericht zu Wort.

Wir wollen – unter anderem mit der aktuellen Ausstellung – den Blick lenken auf das Schicksal dieser versklavten Menschen und die Verbrechen der Sklavenhalter und Sklavenhalterinnen. Der transatlantische Menschenhandel und das Plantagensystem waren eines der größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und die Folgen dieses Unrechts begleiten uns bis heute: Ungleichheit zwischen dem globalen Norden und Süden und Rassismus gegenüber Schwarzen – das Thema ist auch hierzulande aktuell.

Die Prize Papers geben einen direkten Einblick in das Geschäft mit und die Ausbeutung von Menschen. So reduzierte die Buchführung an Bord die verschleppten Menschen auf Zahlen, machte sie in der Regel namenlos und beschönigte somit die barbarischen Praktiken des Sklavenhandels. Ein Beispiel: Eine Tabelle von Bord des französischen Schiffes „Abraham de Nantes“ erfasst die 304 Männer, Frauen und Kinder, die die Besatzung auf dem Weg von Monrovia in Liberia nach Ekpe in Benin in verschiedenen Häfen kaufte – und dabei akribisch notierte, welche Menge etwa an Wein, Stoffen oder Kaurimuscheln gegen die Menschen eingetauscht wurden.

Auch gegen bunte Glasperlenketten ließen sich Menschen „erwerben“, etwa in Elmina Castle im heutigen Ghana, ein niederländisches Handelszentrum, das hauptsächlich versklavte Menschen für den Weitertransport nach Amerika verkaufte. Auch Artefakte wie solche Glasperlen haben sich in den Prize Papers erhalten – etwa eine Glasperlenkette, die sich als Muster für künftige Bestellungen 1803 auf dem Postweg von Elmina nach Amsterdam befand, als das diesen Brief transportierende Schiff „Diamond“ gekapert wurde.

Glasschmuck dieser Art wird noch heute in Ghana getragen und hat einen hohen emotionalen Wert, wie wir von der ghanaischen Forscherin Sarah Tam erfahren durften. Diese Artefakte zu kontextualisieren, ist wichtig. Gleiches gilt für zwei goldene Siegelringe, die sich in ungeöffneten Briefen im archivierten Kapergut von Bord der „Diamond“ erhalten haben.

Diese Ringe sind für ihr mehr als 200-jähriges Alter in einem bemerkenswerten Zustand – wie neu. Der versiegelte Begleitbrief, in dem sie eingeschlossen waren, enthält wichtige Details zu den Schmuckstücken. Der Verfasser J.G. Coorengel schreibt aus Elmina seiner Mutter in Amsterdam. Um sie nach dem Tod des Vaters zu trösten, schicke er ihr die vor Ort hergestellten Ringe. Sie wurden von ghanaischen Kunsthandwerker*innen hergestellt, die höchstwahrscheinlich versklavt waren.

Im Tausch gegen versklavte Menschen waren auch bunt bedruckte Baumwollstoffe ein begehrtes Gut. In den Prize Papers sind davon ebenfalls Muster erhalten, die niederländische Kaufleute von Plantagen in Surinam nach Amsterdam verschickten. Nicht nur als Tauschwährung im Sklavenhandel, auch in Europa waren die mit Motiven bedruckten Stoffe beliebt. Zudem trugen in Surinam versklavte Haushälterinnen zu besonderen Anlässen aufwändige Kleider aus denselben Stoffen, wie uns die Historikerin Hilde Neus der Universität Surinam berichtet hat.

Einfarbige, aber nicht weniger relevante Stoffproben aus anderer Quelle haben sich in den Prize-Papers-Beständen im Londoner Nationalarchiv ebenfalls erhalten – etwa solche aus Briefen der Herrnhuter Brüdergemeinde: Sie illustrieren, dass durchaus auch religiöse Gruppen in die Plantagensklaverei involviert waren. So finden sich Stoffmuster von Herrnhuter-Schneider*innen in Surinam in Briefen, die zusammen mit weiterem Kapergut eigentlich auf dem Weg nach Sachsen waren.

Denn auch die Textilbranche in Sachsen, Thüringen oder Schlesien stützte den transatlantischen Sklavenhandel, indem sie Stoffe lieferte, die etwa als Kleidung für die versklavten Menschen auf den Plantagen dienten. Die Schneidereien der Herrnhuter etwa in der damaligen niederländischen Kolonie Surinam bildeten versklavte Menschen zu Schneidern aus, diese konnten Stoffe als Lohn erhalten. Hier zeigt sich einmal mehr, dass nicht nur die Kolonialmächte für den Handel mit und die Verschleppung von versklavten Menschen aus Afrika verantwortlich waren, sondern zum Beispiel auch deutsche Kaufleute.

Ein weiterer Fund, der ein Schlaglicht auf eines der zahlreichen menschlichen Schicksale wirft, ist ein Flechtkorb, in dem der Kapitän des auf dem Weg vom heutigen Haiti nach Bordeaux 1747 gekaperten Schiffs „Le Printemps“ sein persönliches Briefarchiv verwahrte. Der Korb lag zusammengefaltet und geknittert im Londoner Nationalarchiv, ehe unsere Konservatorin Camilla Camus-Doughan ihn wieder in seine ursprüngliche Form zurückgeführt hat. Der handgearbeitete Korb hat geknotete Griffe aus Haaren und ein mit Lehm bemaltes Fries. Die handwerklichen Traditionen, die sich in diesem Korb zeigen, deuten auf eine Herkunft der – höchstwahrscheinlich versklavten – Herstellerin aus Gambia, Senegal oder Mali hin.

Selbstzeugnisse versklavter Menschen sind nur sehr selten in den Archiven erhalten – aber es gibt sie. So sind wir bei der Erschließung von Prozessakten aus dem Prize-Papers-Bestand auf „Caesar“ gestoßen, der in Maryland in Sklaverei geboren wurde, wie er selbst zu Protokoll gab. Als britische Kaperer während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges das unter Flagge der „abtrünnigen“ Kolonien segelnde Schiff „Priscilla“ kaperten, war Caesar an Bord. Das New Yorker Vizeadmiralitätsgericht nahm seine Aussage auf, und da er weder lesen noch schreiben konnte, unterzeichnete Caesar mit einem Zeichen, einem x, daneben findet sich die Notiz „Caesar his mark“.

Zwar war in Europa die Sklaverei prinzipiell untersagt, aber dieses Verbot ließ sich durchaus umgehen. So ermöglichten vom französischen Gouverneur von Martinique unterzeichnete Genehmigungen etwa die Verschiffung eines versklavten Zehnjährigen namens „Scaramouche“ nach Frankreich. Den Namen hatte ihm sein Besitzer gegeben, sein wirklicher Name ist unbekannt. Was wir im Dokument aber erfahren: Er entstammte dem Königreich Arada in Benin und war dem Schreiben zufolge für die Witwe Charron in Nantes bestimmt, die ihm „ein Handwerk beibringen und ihn in der katholischen Religion erziehen“ wollte, ehe sie ihn zurückschicken würde. Sein Schicksal – zumal nach der Kaperung des Schiffes – ist unbekannt.

Und auch wenn es Menschen gelang, sich freizukaufen, war ihr Leidensweg damit nicht unbedingt beendet, wie eines der bislang beachtlichsten Zeugnisse aus den Prize Papers zeigt. Hierbei handelt es sich um den Brief einer ehemals versklavten Frau: Wilhelmina van Keldermann, die zuvor auf der niederländischen Plantage Portorico in Surinam arbeiten musste und den Namen von ihrem damaligen Sklavenhalter Engelbertus Keldermann erhalten hatte. Sie schickte ihm einen herzzerreißenden Brief nach Amsterdam, in dem sie schildert, dass sie sich zwar habe freikaufen können, aber ihr Sohn immer noch in Knechtschaft lebe. Sie bittet Keldermann inständig darum, ihm zur Freiheit zu verhelfen. Der Brief ist ebenfalls nie angekommen, und wir wissen nicht, ob ihre Bitte erfüllt wurde.

(Stand: 13.03.2024)  | 
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